Wir trauern um Micha Brumlik (4.11.1947–10.10.2025)
Aus dem gerade veröffentlichen Nachruf von Julius H. Schoeps in der »Jüdischen Allgemeinen« haben wir die traurige Nachricht entnommen, dass unser Autor Micha Brumlik nach langer schwerer Krankheit im Alter von 78 Jahren am 10.11. verstorben ist. Noch im Jahr 2023 hatte er auf der Buchmesse in Leipzig die 2. aktualisierte Auflage seines Buches Postkolonialer Antisemitismus? gemeinsam mit dem damaligen Thüringischen Kulturminister Benjamin-Immanuel Hoff vor- und zur Diskussion gestellt. Wir trauern mit seiner Familie um einen – wie Schoeps zu Recht herausstellt – »öffentlichen Intellektuellen mit streitbaren Ansichten«, der nun fehlen wird.
Rechtem Kulturkampf widerstehen!

Selbst eher konservative Medien fanden, dass Wertkonservative, Rechte und Rechtsextreme sich unter dem Vorwand der Kultur während der als »Buchmesse« titulierten Veranstaltung »Seitenwechsel« in Halle an der Saale am vergangenen Wochenende in den Armen lagen. Die taz berichtet, die »Esoterikdichte« sei hoch gewesen: »Einzelne Personen verkaufen Gemälde, die anscheinend Energien bündeln sollen oder bereits gebündelt haben, selbstgemachte Ketten und Armbänder. Obskurste Bücher werden angeboten, den ›Antichristen‹ wähnt man nahe, Geschichtsklitterung gehört zum guten Ton.« Anhand des Begleitprogramms wurde deutlich, weshalb es unklug wäre, den Kulturkampf von Rechts zu unterschätzen: Alexander Gauland trat auf, Uwe Tellkamp, Gloria von Thurn und Taxis und auch Götz Kubitschek, Verleger des als »gesichert rechtsextrem« ausgewiesenen Antaios-Verlags, der die Messe als Dammbruch feierte. Schon Wochen vorher hielten in der Innenstadt Halles viele Mesnchen auf einem »Demokratiefest« mit Lesungen, Workshops und auch Tanzabenden dagegen. Auch wir leisten mit dem Verlagsprogramm »Widerstand« gegen Rechts, wie unserem aktuellen Prospekt entnommen werden kann, der zudem »linke Vorschläge mit Flugschriften & Büchern für mehr« enthält und gern zur Unterstützung unserer Arbeit hier angefordert werden kann.
Einen Beitrag zum Kulturkampf
leistet auch die »Frankfurter Allgemeine. Zeitung für Deuschland« auf ihre Weise. Sie ist nicht nur das Leib- und Magenblatt derjenigen, die sich selbst als die geistige Elite des Landes verstehen, sondern schon seit Längerem vor allem im politischen, Wirtschafts- und Finanzteil Wegbereiterin von »Kriegstüchtigkeit«. Klaus Weber hat sich die Zeitung in seinem Buch »Kampfblatt des autoritären Liberalismus« näher angeschaut. Die Zeitungsmacher der FAZ behaupten, ihr Produkt sei frei und unabhängig. Zum 75-jährigen Bestehen stellte Mitherausgeber Jürgen Kaube im April 2024 fest, der FAZ-Journalismus sei »unentbehrlich – als Instrument der Aufklärung und der Kritik«. Auch wenn im Feuilleton gelegentlich kritische und progressive Stimmen zu Wort kommen, ergibt die Inhaltsanalyse des Autors, wie einseitig diese Art »Aufklärung und Kritik« letztlich ist. Die FAZ ist wie alle Unternehmen im Kapitalismus den Marktgesetzen unterworfen und muss daher, trotz wohlfeiler Beschwörung von Freiheit und Unabhängigkeit, alles tun, um in diesem System zu überleben. Wie schon der bayerische Sozialist und Ministerpräsident Kurt Eisner 1918 schrieb, bevor er von einem antisemitischen Weißgardisten ermordet wurde: »Es gibt keine freie Presse. Es gibt nur eine Gewerbefreiheit für die Presse.« In diesem Sinne agiert die FAZ in Sachen Krieg und Frieden sowie Rechtsentwicklung in der Welt und in Deutschland. In Tagebuchform werden Leitartikel, Kommentare und Berichte des Jahres 2023 auf ihren kriegsertüchtigenden und den Faschismus verharmlosenden Kurs abgeklopft.
Die zunehmende Militarisierung des Alltags
– von der aktuellen Debatte über die Wiedereinführung der Wehrpflicht bis hin zu den Investitionen in die Rüstungsindustrie – ist auch eine Herausforderung für die Friedensbewegung und insbesondere auch die Gewerkschaften. Denn die aktuelle Kriegsvorbereitungspolitik ist verbunden mit enormen Angriffen auf die Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten und ihrer Familien: Abbau von existenziellen Sicherheiten und sozialer Sicherheiten mit der Gefahr auch massiver Eingriffe in Arbeits- und Gewerkschaftsrechte. Darauf haben Gewerkschafter*innen aus unterschiedlichen Organisationen in dem Band Gewerkschaften in der Zeitenwende aufmerksam gemacht und unterstreichen dies auf zahlreichen Veranstaltungen. So zum Beispiel am Mittwoch, den 19.11. in München ab 19:00 Uhr zum Thema »Kanonen oder Butter?« mit Dierk Hirschel (ver.di-Chefökonom) im Rahmen der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit der GEW München und des ver.di Bezirks München und Region, der in seinem gleichnamigen Beitrag in dem Buch deutlich macht, dass Aufrüstung kein Wachstumstreiber ist.
Damit nicht alle Hoffnung auf eine friedlichere Welt dahinfährt
starten am Dienstag, den 25.11. um 19:00 Uhr, in der Pfarrkirche »Zu den vier Evangelisten« in Berlin-Pankow (Breite Str. 37, 13187 Berlin), die Autorinnen und Autoren der Flugschrift »Lasst alle Hoffnung fahren. Zornige Blicke« in die Diskursräume der Gegenwart. Unter anderen Daniela Dahn, Petra Erler, Alexander Rahr, Peter Brandt, Dieter Klein und Marco Bülow von der Gruppe »Neubeginn« (zu der auch Ingo Schulze und Michael Brie gehören) werden aus ihren Texten lesen. Die politische Situation, Vorkriegsszenarien und das sich zunehmend verschärfende kulturelle Klima geben Anlass zu diesen zornigen Blicken. Die Pankower Kirche, ein Ort der Offenheit seit vielen Jahren, bietet der Gruppe wie schon im vergangenen Jahr zur Premiere der der Erinnerung an Antje Vollmer gewidmeten Flugschrift »Den Krieg verlernen« Obdach – Raum, der benötigt wird, um sich über Krisen und mögliche Auswege zu verständigen.
Frisch ausgezeichnet:
Thomas Stieber wurde für seine Dissertation über Arbeitskräftemangel, prekäre Arbeitsbedingungen und soziale Ausgrenzung im Gesundheitswesen, die bei VSA: unter dem Titel Muster migrantischer Arbeit gerade erschienen ist, der Preis für die beste Arbeit der Absolventinnen und Absolventen der Promotionsstudiengänge 2024/25 von der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Göttingen verliehen. Zudem wurde die Dissertation von der Sektion »Migration und ethnische Minderheiten« der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) als exzellente Arbeit (special mention) 2025 ausgezeichnet. Das Team des VSA: Verlag gratuliert zu beiden Auszeichnungen, denn der SOFI-Forscher hat mit seiner Studie nicht nur die viel diskutierten Fragen von Fachkräftemangel, Anwerbeprogrammen, problematischen Arbeitsbedingungen und sozialer Ausgrenzung behandelt, sondern am Beispiel eines Großkrankenhauses gezeigt, wie diese Fragen zusammenhängen und analysiert, wie es besser gehen könnte.
Frisch besprochen
Achim Teusch hat in der Ausgabe 9-10/2025 von express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit unter dem Titel »Viele Leuchtfeuer, aber kein Flächenbrand« Kalle Kunkels Buch Langer Atem – keine Geduld mehr besprochen: Es geht »Um die Entlastungsstreikbewegung an deutschen Unikliniken, ihre politische Vorgeschichte, ihre Anfänge und Abzweigungen, ihr Voranschreiten, ihre Perspektiven. [...] Kunkel, [der] im Jahr 2015 als Gewerkschaftssekretär den ersten Streik zur tariflichen Personalbemessung an der Charité in Berlin mitorganisierte [...], hätte anstelle einer wissenschaftlichen Untersuchung also auch seine Memoiren vorlegen können. Die wären vielleicht die leichtere Kost. Aber es ist gut, dass er sich für die schwere Kost entschieden hat. Denn er ist der erste, der den Versuch unternimmt, die Streikbewegung umfassend zu analysieren. [...] Den Blick aufs Ganze, von innen und von außen, mit der Frage ›Was haben wir in den letzten 15 Jahren mit welchen Mitteln erreicht, und wohin könnte die Reise gehen?‹ wagt Kunkel als Erster. Wer auf einen Bericht über Gipfelstürmer*innen hofft, wird enttäuscht. Kunkels Untersuchung ist eher ein Bericht über Menschen, die sich aufgemacht haben, einen Tunnel durch ein Bergmassiv zu bohren, ein Bericht über langsames Vorankommen und Ungewissheit, der mit dem Durchbruch zum Licht endet, mit Freude und Erschöpfung.« Zum Abschluus seiner ausführlichen Würdigung folgt er der Bitte des Autors, die Ergebnisse seiner Analyse als Einladung zu weiteren kämpferischen Auseinandersetzungen zu verstehen: »Nehmt die Einladung an, lest dieses Buch!«
Geburtstagsgrüße und Erinnerung nachträglich

Am 31.10. hat der VSA: Autor David Harvey seinen 90. Geburtstag gefeiert. Das Team des Verlages gratulierte aus der Ferne. Denn David Harvey ist außerordentlicher Professor für Anthropologie und Geographie am Graduate Center der City University of New York (CUNY), Forschungsdirektor am Center for Place, Culture and Politics. 1973 erschien sein Werk »Social Justice and the City«, das ihn zu einem führenden Verfechter marxistischer Ideen in der Geografie und zugleich zu einem ihrer entschiedensten Kritiker machte. Seine akademische Karriere führte ihn von Cambridge über Bristol nach Baltimore (USA). Die von Stahlindustrie und Metallverarbeitung geprägte Ostküstenstadt diente ihm als Beispiel zur Illustrierung seiner Thesen zur Entwicklung urbaner Räume. Bei seinen geografischen Analysen stützt Harvey sich nicht nur zentral auf die Marxsche Theorie, sondern er unterrichtet seit mehr als 50 Jahren zum »Kapital« von Karl Marx und hat mehrere Publikationen zur Einführung und als begleitende Lektüre zu allen drei Bänden veröffentlicht. Im VSA: Verlag erschienen von ihm u.a. Marx’ »Kapital« lesen (2011), Marx’ 2. Band des »Kapital« lesen. Ein Begleiter zum Verständnis der Kreisläufe des Kapitals (2018) und zuletzt Die urbanen Wurzeln der Finanzkrise (2022). Die seit Längerem angekündigte Übersetzung seines zuletzt publizierten Textes Marx’ »Grundrisse« lesen wird Ende Dezember/Anfang Januar erscheinen.
Ebenfalls am 31.10. wäre Heinrich Hannover 100 Jahre alt geworden. Der engagierte Rechtsanwalt, Autor von wichtigen Texten zur Politischen Justiz und Kinderbuchautor, war dem VSA: Verlag bereits früh als Autor (eine Zeitlang sogar als einer der Gesellschafter*innen) und auch nach Beendigung dieses publizistischen Engagements freundschaftlich verbunden (siehe auch auch unsere Würdigung anlässlich seines Todes am 14.1.2023). Zum 100. Geburtstag haben Bernhard Docke und Volkert Ohm, zwei ehemalige Anwaltskollegen aus seinem Büro, gemeinsam mit dem Verein »Aus den Akten auf die Bühne« und der Bremer Shakespeare Company auf einer Veranstaltung am 10.11. an ihn erinnert. Zuvor hatte die taz Bernhard Docke gefragt, was heute von ihm gelernt werden könnte. Seine Antwort: »Wir erleben heute international einen Rückgang von Rechtsstaatlichkeit und einen Rückgang der Konjunktur von Menschen- und Bürgerrechten, einen zunehmenden Autoritarismus in diversen Ländern. Deshalb sind solche Positionen, wie Heinrich Hannover sie vertreten hat, nämlich striktes rechtsstaatliches Denken, wichtiger denn je. Dass man einen eigenen Kompass haben muss, moralisch und ethisch. Dass man gegebenenfalls auch gegen den Strom angehen muss, dass man sich nicht gemein macht mit einer gesellschaftlichen Entwicklung, die immer weiter gen rechts marschiert.«
DIE LINKE als sozialistische Klassenpartei
»Damit die Partei DIE LINKE ausgehend von dem Neustart, der mit der Bundestagswahl 2025 verbunden war, auch weiter neue antreibende Kraft entfaltet, muss sie sich als lernende Partei ihrer Mitglieder und Führung in der Gesellschaft entwickeln. Wie Rosa Luxemburg in Zeiten der Finsternis, am Beginn des Ersten Weltkriegs, schrieb: ›[W]ir werden siegen, wenn wir zu lernen nicht verlernt haben‹. [...] Im Kern des Lernens einer linken, den arbeitenden Klassen verpflichteten Partei stehen die Erfahrungen vor Ort und im Betrieb, in den Gemeinden und Städten, in den Parlamenten und Institutionen. Aus ihrer Reflexion müssen die Entwicklung und ständige Überprüfung der Strategie wie Taktik der Partei, ihrer Organisations- und Arbeitsweise erwachsen.« So begründet Michael Brie im Sozialismus.de Supplement zu Heft 11/2025 sein »Plädoyer in der strategischen Diskussion«. Das 68 Seiten umfassende Heft kann auch unabhängig vom Abonnement der Zeitschrift für 7.00 Euro im VSA: Warenkorb erworben werden.
Was wir von Corona lernen sollten
Es ist einiges schief gelaufen in der Pandemie. Auch deshalb beschloss der Bundestag die Einsetzung einer Enquete-Kommission, die unter anderem Lehren für die Zukunft ziehen soll. Aber was genau ist schiefgelaufen? Neben dem die Öffentlichkeit vor allem beschäftigenden »Maskenproblem« – der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) orderte Masken, die deutlich zu teuer waren, zudem steht der Verdacht der Begünstigung einzelner Lieferanten im Raum – finden viele Menschen, dass sie während der Pandemie unzureichend informiert wurden. Die Bevölkerung sah, wie Akteure gegeneinander entschieden: der eine so und der andere so. Politiker in Bund und Ländern argumentierten widersprüchlich,Wissenschaftler und Experten stritten über Ursachen und Maßnahmen. Die schlecht informierte Bevölkerung blieb auf der Strecke und machte sich teilweise eigene verschwörerische Gedanken. Die Pandemie ist zwar vorbei, nicht aber die Diskussion über sie, begleitende Aufklärung ist erforderlich. Gine Elsner stellt in ihrem Buch die Probleme der Corona-Pandemie, des Expertenwissens, der Entscheidungsstrukturen, der Parteienpolitik, des Verhältnisses von Wissenschaft und Politik und der staatlichen Maßnahmen dar und diskutiert die Folgen. Ausgewertet hat sie Buchveröffentlichungen von »Experten«, vor allem aber gedruckte Medien wie die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« (FAZ), die Wochenzeitschrift »Der Spiegel« und das »Deutschen Ärzteblatt«.
Epochenbruch und/oder sozialistische Utopien?
Bereits Eric Hobsbawm ging davon aus, dass die »Kräfte, die die technisch-wissenschaftliche Wirtschaft freigesetzt hat, [...] inzwischen stark genug [sind], um die Umwelt, also die materielle Grundlage allen menschlichen Lebens zerstören zu können.« Dass diese Gefahr der Zerstörung der Grundlagen der kapitalistischen Welt sowohl in einer Explosion als auch einer Implosion bestehen kann, ist inzwischen überall sichtbar, wofür die diversen neuen Kriege samt Rüstungswahn nur die krassesten Ausdrücke sind. Die Linke hat sich mit der deformierten Transformation und den Strukturen des aktuellen Kapitalismus bislang nur unzureichend auseinandergesetzt. Sie hat weder ein empirisch verankertes Deutungsangebot noch werden die gravierenden Veränderungen der Polykrisen theoretisch verarbeitet. Allzu oft wird der berechtigte Wunsch, »Hoffnung zu organisieren« in neue »Utopien des Sozialismus« verlagert, die oft mit den Erfordernissen, die realen Verhältnisse umzuwälzen, nicht kompatibel sind. Schon Friedrich Engels hatte, mit tatkräftiger Unterstützung von Karl Marx, im »Anti-Dühring« dafür plädiert, die Mittel zur Beseitigung der gesellschaftlichen Missstände nicht mehr aus dem Kopf zu erfinden, sondern sie vermittelst des Kopfes in den materiellen Strukturen der Produktion zu suchen. Joachim Bischoff stellt in seinem Buch die neuerlichen Debatten über eine »Utopie des Sozialismus« in einen historischen Kontext und untersucht, wie es zum aktuellen Epochenumbruch und zu einer veränderten Weltordnung kommen konnte.
Noch einmal WORK ON PROGRESS
Wissenschaft darf linksseitig engagiert und normativ sein, ohne sich den Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit gefallen lassen zu müssen. Sie muss sich vor allem dagegen verwahren, von Herrschaftsinteressen instrumentalisiert zu werden. Denn Bildung ist zum einen das (geistige) Bilden von sich selbst, zum anderen das (gegenständliche) Bilden des gesellschaftlichen Ganzen. Es geht bei kritischer Wissenschaft nicht nur darum, die Welt zu begreifen, sondern sie durch das Begreifen auch zu verändern. Diese Prozesse sind niemals abgeschlossen, daher sind das Begreifen und Bilden im wahrsten Sinne des Wortes ein WORK IN PROGRESS und WORK ON PROGRESS. Dies haben die jährlich erschienenen bislang 14 Bände des Doktorand*innen-Jahrbuchs aus dem Studienwerk der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit diesem Namen deutlich gemacht, das leider nicht weitergeführt werden kann. Marcus Hawel, Stefan Kalmring und Nina Schlosser haben einen letzten Band unter dem Titel Wozu noch kritische Wissenschaft zusammengestellt (es wurde bewusst auf das Fragezeichen verzichtet), in dem diesmal andere Autor*innen zu Wort kommen und dabei auch in die Zukunft blicken. Angesichts der gesellschaftlichen Krise der Linken in unserer Zeit rekurrieren die Herausgeber*innen und die Autor*innen auf die fragezeichenlose Frage, weil sie sich mit nüchternem Blick davon begeistern lassen wollen, was kritische Wissenschaft bedeutet und wozu sie notwendig ist, um damit beizutragen, die Nöte (in) der Welt zu wenden.
Frisch besprochen
Unter der Überschrift »Mit Gramsci auf Sardinien« hat Franziska Spanner in der schweizerischen »Wochenzeitung« (WOZ) vom 18. September das sardinische Tagebuch von Christoph Nix besprochen: »Der ehemalige Konstanzer Theaterintendant [...] führt in seinem Buch [...] auf Streifzüge durch Sardinien. Seit 44 Jahren bereist Nix die italienische Mittelmeerinsel, geschickt verwebt er nun in achtzehn kompakten Kapiteln vielfältige Hintergrundinformationen über Sardinien mit Episoden aus seiner eigenen Biografie und der Lebensgeschichte des marxistischen Philosophen Antono Gramsci, der auf Sardinen geboren und aufgewachsen ist. [...] Dass sich Nix im Denken des italienischen Kommunisten wiederfindet, wird in seiem Buch sehr deutlich.«
Thomas Barth hatte sich bereits im Juli auf socialnet.de in einer ausführlichen Besprechung des Buches von Christoph Nix angenommen. Sein Fazit: »Ein stimmungsvolles Buch und ein Versuch, ganz im Sinne Gramscis, der kulturellen Hegemonie touristisch-kapitalistischen Weltkonsums eine andere Art des Reisens und der Weltwahrnehmung entgegen zu setzen. Statt hektischer Vergnügungssucht wird uns genießerische, vielleicht zuweilen im guten Sinne nostalgische Kontemplation einer Landschaft und einer Seelenlandschaft nahegebracht, zugegeben, etwas eskapistisch, aber nicht eskapistisch genug, um Teil einer verdummenden Massenkultur zu sein. Es ist ein Angebot, Kraft zu tanken für den Kampf gegen akut von hegemonischen Kultur-Mogulen propagierte Varianten von Kapitalismus, Militarismus und (Endzeit-)Faschismus.«
In der Oktober-Ausgabe des Rundbriefs von KAIROS Europa Deutschland e.V. für Mitglieder & Freund:innen bespricht Peter Schönhöffer das im Frühjahr 2025 erschienenene Buch von Ulrich Duchrow Gerechtigkeit. Frieden, (Überleben): »Der für viele ökumenische wie interreligiöse Bewegungen und Organisationen wichtige evangelische Theologe [...] hat ein kompaktes Alterswerk vorgelegt. Der streng komponierte geistige Erkenntnisgang zeichnet motivierend einen kompetenten und konsequenten Lebensweg nach und gewährt einzigartige Einblicke in die weltweit vernetzte Ökumene. Ulrich Duchrow macht auch auf kirchliche Lücken in der Verarbeitung und Zufälligkeiten aufmerksam, wer wo an welcher Stelle von den weltkirchlichen Dynamiken etwas mitbekommt, sich zu eigen macht und die ›deutsche Provinzialität kirchlicher Wahrnehmung‹ (Ernst Lange) damit auf Kurs bringt. Allein dies wäre schon ein echter Verdienst. Denn Geschichte, innere Triebfedern, bewegungspolitisches Auf und Ab und immer wieder die Massen ergreifenden Wirkweisen der aus globalen Arbeitszusammenhängen gespeisten ›Gerechtigkeitsökumene‹ liegen meines Wissens bislang kaum in einem größeren zeitgeschichtlichen Zusammenhang oder gar in einer theologisch-gesellschaftspolitisch angelegten Tiefenanalyse wie hier vor.«
Im Rundbrief 2/2025 »micha.links«, unter anderem herausgegeben von der Bundesarbeitsgemeinschaft LINKE Christ*innen, hat sich Franz Segbers ebenfalls des Buches angenommen: »Mit diesem Buch zu seinem 90. Geburtstag hat der Heidelberger Ökumeniker und Sozialethiker [...] allen, die für eine bessere gerechtere Welt kämpfen, ein Geschenk gemacht. Seine Theologenleben ist zutiefst verwoben mit den dringenden Überlebensfragen der Menschheit. So stellt er die hartnäckige Frage: Wie werden zukünftige Generationen noch leben können und was können wir dafür tun? [...] Duchrows Geburtstagsgeschenk an uns vermittelt einen Überblick über die Ökumene des letzten halben Jahrhunderts. Wovor sie gewarnt hat, ist eingetreten. Mit Luther sollten wir im Angesicht der Apokalypse einen Apfelbaum pflanzen. Es gibt Hoffnung und sie liegt in sozialen Bewegungen wie Fridays for Future und ihrer Vernetzung mit anderen progressiven Gruppen, um die Fragen der Gerechtigkeit, der Ökologie und von Krieg, Rüstung und Frieden gemeinsam anzugehen. Danke für diese Ermutigung mit diesem Buch. Es ist ein Auftrag, es in unseren Kämpfen weiterzuschreiben.«
Und auch in »AMOS«, einer der wenigen nach Selbstbeschreibung »noch präsenten Streitschriften aus dem herrschafts-kritischen, linken Zusammenhang der letzten Jahrzehnte und der Gegenwart«, die »aus guten Gründen seit 1968 im Ruhrgebiet« erscheint, wurde das Buch besprochen: Hertmut Dreier findet »Dieses Buch ist wirklich ein ›Muss‹ [...] Je sorgfältiger dieses ›Muss‹-Buch gelesen wird, desto besser.«
Kein Schlusswort!
Vor 25 Jahren starb in Nürnberg der Blumenhändler Enver Şimşek – erschossen vom NSU. Es war der Auftakt der Mordserie der rechtsextremen Terrorgruppe. Zu Recht beklagte auf der Gedenkfeier Semiya Şimşek-Demirtas, die Tochter des Ermordeten, dass trotz zahlreicher Untersuchungsausschüsse und Sonderermittler, trotz eines fünf Jahre dauernden Gerichtsprozesses viele Fragen zum NSU bis heute ungeklärt sind: »Für mich ist eine wichtige Frage: Warum ausgerechnet mein Vater? Nach welchen Kriterien wurden diese Opfer ausgesucht? Ich bin mir sicher, an den verschiedenen Tatorten gibt es ganz viele Mithelfer und Helfershelfer. Warum wird gegen sie nicht ermittelt?« Das hatten bereits die Anwälte der Nebenkläger in ihren Plädoyers beim NSU-Prozesses in München im Jahr 2018 angemahnt, die – herausgegeben von Antonnia von der Behrens – im VSA: Verlag erschienen sind. Das Buch ist vergriffen, es kann an diese Stelle heruntergeladen werden. Außerdem verweisen wir auf den im Jahr 2019 erschienenen und immernoch lieferbaren Band »Rückhaltlose Aufklärung?« über NSU, NSA, BND – Geheimdienste und Untersuchungsausschüsse zwischen Staatsversagen und Staatswohl.
Sustainable Finance zwischen Anspruch und Wirklichkeit
In Zeiten vermeintlich knapper öffentlicher Kassen soll die ökologische Wende durch Sustainable Finance finanziert werden: Privates Finanzkapital, das durch »intelligente Rahmensetzung« für ökologische Projekte mobilisiert wird. Entsprechende Initiativen sollen durch Transparenz grüne Wirtschaftszweige attraktiver machen, damit Anleger*innen freiwillig nachhaltig investieren. Ein neues Risikomanagement soll zudem Verluste durch Klimarisiken vermeiden. Die Ergebnisse bleiben allerdings weit hinter den Erwartungen zurück. Es fließen weiter mehr Gelder in fossile als in nachhaltige Anlagen. Sustainable Finance soll also privates Kapital in Billionenhöhe in Nachhaltiges lenken, doch dieser marktbasierte Ansatz zeigt kaum Wirkung. Silke Ötsch, Paula Haufe, Daniel Mertens, Simon Schairer, Janina Urban und Maike Wilhelm analysieren im aktuellen AttacBasisText den Status quo und zeigen andere Möglichkeiten auf zur ökosozialen Umstrukturierung hin zu einem nachhaltigen Finanzsystem.
Putsch statt Revolution
Am 18. März 1921 brachen den Bolschewiki folgende Organisationen wie KPD, KAPD und andere linksradikale Kräfte in Mitteldeutschland einen Putsch in der Industrieregion um Halle, Leuna, Merseburg und im Mansfelder Land sowie in Hamburg vom Zaun. Er endete in einer Niederlage und diskreditierte die Idee der Revolution in Deutschland auf Jahrzehnte. Dies basierte auf einer »Offensivtheorie, die in keinem deutschen Schädel entstanden [ist]. Sie wurde nach Deutschland mitgebracht als ein Reisepräsent aus Kreisen – wie man offiziös sich ausdrückt –, die dem kleinen Bureau der Exekutive [der Kommunistischen Internationale] nicht allzu fernstehen. Die deutschen Zentralemitglieder [der KPD] waren nur die Trottel, sie unbesehen anzunehmen.« (Paul Levi) Jörn Schütrumpf hat in dem Band »Putsch statt Revolution« alle erreichbaren Dokumente zu dieser Aktion zusammengetragen und kommentiert.
Spenden
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