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40jähriges Verlagsjubiläum

Aus Anlass des 40jährigen Verlagsjubiläums im Jahr 2012 haben wir einmal im Monat politische, kulturelle, sportliche Ereignisse aus dem Gründungsjahr 1972 an uns vorbeiziehen lassen.

Vor 40 Jahren: Januar 1972

Am 15. Januar 1972 wird Margrethe Alexandrine Þórhildur Ingrid vom dänischen Ministerpräsidenten zur Königin Margrethe II. ausgerufen. Einen Tag vorher war ihr Vater Frederik IX. verstorben. Sie ist die erste weibliche Herrscherin Dänemarks seit 600 Jahren. Neben ihrer monarchistischen Funktion ist sie auch als Grafikerin und Malerin aktiv, illustrierte unter anderen 1977 unter Pseudonym die dänische Ausgabe des »Herrn der Ringe«. Zudem geht ihr der Ruf einer Kettenraucherin nach, allerdings raucht sie seit 2007 in der Öffentlichkeit nicht mehr.

Zuvor war am 1. Januar Kurt Waldheim Generalsekretär der Vereinten Nationen geworden. Dem späteren österreichischen Bundespräsidenten wies ab März 1986 unter anderem der World Jewish Congress nach, dass er als SA-Mitglied geführt wurde und in Wehrmachtseinheiten tätig war, die schwere Kriegsverbrechen verübt hatten. Er saß die »Waldheim-Affäre« aus...

Der 30. Januar 1972 geht als Bloody Sunday in die Geschichte ein. An jenem Tag erschossen britische Soldaten im nordirischen Derry bei einer Demonstration für Bürgerrechte und gegen die Politik der britischen Regierung 13 Menschen und schossen 13 weitere an – die Opfer waren zwischen 17 und 41 Jahren alt. Erst im Juni 2010 bat der britische Premierminister Cameron im Namen der Regierung um Verzeihung für die Taten der britischen Soldaten.

Ende Januar erscheint im VSA: Verlag [damals noch Verlag für das Studium der Arbeiterbewegung] als eines des ersten Bücher die erste Auflage von »Zur Taktik der proletarischen Partei. Marxsche Klassenanalyse Frankreichs von 1848-1871« vom Projekt Klassenanalyse in einer Auflage von 2.000 Exemplaren. In der Einleitung heißt es: »So wenig die Partei auf die sozialistische Wissenschaft und damit auf die Freiheit der Debatte verzichten kann, so wenig darf im Prozess der Konsolidierung der proletarischen Partei auf gemeinsame Aktionen aller Sozialisten verzichtet werden.«

Vor 40 Jahren: Februar 1972

Zum ersten Mal seit ihrer Gründung im Jahr 1949 besucht vom 21. bis 28. Februar 1972 mit Richard Nixon ein Präsident der Vereinigten Staaten die Volksrepublik China. Er trifft mehrmals mit dem chinesischen Premierminister Zhou Enlai zusammen. Am 29.2. kommt es zu einem direkten Gespräch mit dem Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Chinas, Mao Zedong. Der Besuch von Richard Nixon – als scharfer Antikommunist bekannt – ist auch das Ergebnis der »Ping-Pong-Diplomatie«: Nachdem Versuche, die Beziehungen zwischen den USA und der VR China mit normalen diplomatischen Mitteln zu verbessern, erfolglos verliefen, kommt der Sport zu Hilfe: Nach der Tischtennis-Weltmeisterschaft 1971 in Nagoya (Japan), bei der sich die Spieler Glenn Cowan (USA) und Zhuang Zedong (China) angefreundet hatten, lädt der Generalsekretär des chinesischen Tischtennisverbandes die amerikanischen Tischtennisspieler nach Peking ein. Diesem Besuch folgen weitere hochrangige Politiker wie Henry Kissinger im Juli 1971 und schließlich Richard Nixon im Februar 1972. Die Ping-Pong-Diplomatie beschäftigt Jahrzehnte später auch Hollywood: In dem mit sechs Oscars ausgezeichneten Film »Forrest Gump« reist Tom Hanks als Tischtennisspieler nach Peking und trifft danach Nixon.

Bereits am 1. Februar bringt Hewlett-Packard mit dem HP-35 den ersten wissenschaftlich-technischen Taschenrechner auf den Markt. Zuvor waren Rechenschieber und Tabellenbücher die einzigen praktischen Hilfsmittel für trigonometrische und exponentielle Rechenfunktionen. Die elektronischen Taschenrechner jener Zeit beherrschen nur die vier Grundrechenarten. Zur Markteinführung des HP-35 in den USA beträgt der Verkaufspreis 395 US-Dollar. Er wird bis 1975 hergestellt.

Vom 3. bis 13. Februar 1972 finden Olympische Winterspiele zum ersten Mal in Asien statt, Austragungsort ist Sapporo in Japan. 1.006 Athleten aus 35 Nationen kämpfen um Gold, Silber und Bronze. Der Medaillienspiegel weist die Sowjetunion mit 8-mal Gold, 5-mal Silber und 3-mal Bronze an erster Stelle aus, die DDR (4-mal Gold, 3-mal Silber, 7-mal Bronze) an zweiter Stelle und die Bundesrepublik Deutschland an sechster Stelle (3-mal Gold, 1-mal Silber, 1-mal Bronze). Die Japaner Kasaya, Konno und Aochi gewinnen mit ihrem Dreifach-Erfolg im Skispringen auf der 70-m-Schanze die ersten Medaillen für ihr Land bei Olympischen Winterspielen überhaupt.

Am 11. Februar 1972 wird der Deutsche Fernsehfunk (DFF) in Fernsehen der DDR umbenannt. Unter der Generalintendanz von Hans Mahle (über den Katharina Riege 2003 im VSA: Verlag die inzwischen vergriffene Biografie Einem Traum verpflichtet veröffentlichte) war im Juni 1950 der erste Spatenstich für das DDR-Fernsehzentrum in Berlin-Adlershof erfolgt, im Januar 1956 begann der DFF sein Programm. Im Oktober 1958 führte man das Vormittagsprogramm ein, als Programmwiederholung für Spätarbeiter, einen Tag später folgte das legendäre Sandmännchen. Im Oktober 1969 ging das 2. Programm aus Anlass des 20. Jahrestages der DDR in Farbe auf Sendung. Der Sendebetrieb wird nach der »Wende« am 31. Dezember 1991 um Mitternacht eingestellt. Überlebt hat allein das »Sandmännchen im Abendgruß vom Fernsehfunk«.

Am 17.2. erfolgt der deutsche Kinostart von »Der Millionenraub«. In diesem Thriller von Richard Brooks (Musik: Quincy Jones) sind US-Schauspieler Warren Beatty – übrigens aktives Mitglied der Demokratischen Partei und bekannt für sein links-progressives Engagement, zum Beispiel beim Sponsoring einer Veranstaltung in New York anlässlich des 150jährigen Erscheinens des »Kommunistischen Manifest« – und Goldie Hawn Komplizen im Raubüberfall des Jahrhunderts. Mit dabei sind Gert Fröbe und Wolfgang Kieling, der 1965 seinen Bundesfilmpreis als bester Hauptdarsteller im Film »Polizeirevier Davidswache« zugunsten des Vietcong versteigert, die 1966 verliehene »Goldenen Kamera« des Springer-Verlags aus Protest gegen dessen Politik wieder zurückgegeben hatte und später zeitweilig in die DDR übersiedelte.

Am 23. Februar 1972 wird ein Lufthansa-Jumbo-Jet auf dem Flug von Tokio nach Frankfurt nach Aden (Südjemen) entführt, die Entführer fordern ein Lösegeld von umgerechnet 16 Millionen D-Mark. Am 25. Februar zahlt die deutsche Bundesregierung fünf Millionen US-Dollar für die Freigabe von Flugzeug, Besatzung und Passagieren und beendet damit die Flugzeugentführung.

Vor 40 Jahren: März 1972

Am 17. März 1972 wählen die Delegierten des 13. Parteitags der Kommunistischen Partei Italiens (PCI) Enrico Berlinguer zum Generalsekretär. Der 1922 auf Sardinien geborene Politiker wird zu einer Identifikationsfigur der westeuropäischen Linken. Bereits auf der Internationalen Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien in Moskau von 1969 hatte sich die von Berlinguer angeführte italienische Delegation geweigert, das Schlussdokument zu unterzeichnen und sich so schon früh um einen autonomen Kurs gegenüber der KPdSU bemüht. Die Niederschlagung der Unidad Popular in Chile durch die Pinochet-Putschisten im September 1973 ist für ihn Anlass, »auch über die Probleme des Kampfes und der Perspektive der demokratischen und sozialistischen Umgestaltung« in Westeuropa nachzudenken – so in dem 1976 im VSA: Verlag erschienenen Band Der historische Kompromiss. Er wird zu einem Protagonisten des Eurokommunismus für eine andere politische Kultur der Linken (siehe auch das VSA: Buch von Harald Neubert, Linie Gramsci – Togliatti – Longo – Berlinguer). Am 11. Juni 1984 stirbt Berlinguer an den Folgen eines Hirnschlags während einer PCI-Kundgebung in Padua.

Schon am 11. März verabschiedet der Parteikonvent der Sozialistischen Partei Frankreichs (SFIO) unter Leitung von François Mitterrand ein neues Parteiprogramm, mit dem die Voraussetzungen für die angestrebte Union mit den anderen Linksparteien geschaffen werden.

Am 1. März erläutert der damalige Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher vor dem Deutschen Bundestag das über den belgischen marxistischen Ökonomen Ernest Mandel verhängte Einreiseverbot in die Bundesrepublik Deutschland: Es beruhe »auf dessen revolutionären Aktivitäten«. Leben und Wirken von Ernst Mandel (1923-1995) hat Jan Willem Stutje in der 2009 bei VSA: erschienenen Biografie Rebell zwischen Traum und Tat gewürdigt.

Am 2. März erschießt ein Polizist in Augsburg den RAF-Aktivisten Thomas Weisbecker, nachdem dieser eine Waffe gezogen hatte, um sich einer drohenden Festnahme zu entziehen. Auch bei der Verhaftung der RAF-Angehörigen Manfred Grashof und Wolfgang Grundmann in Hamburg am gleichen Tag kommt es zu einem Schusswechsel, bei dem ein Polizist so schwer verletzt wird, dass er am 22. März verstirbt.

Sein erstes »Tor des Monats« erzielt der spätere »Bomber der Nation« Gerd Müller am 8. März im Europapokalspiel von Steaua Bukarest gegen den FC Bayern München. Eine raffinierte Freistoßvariante gemeinsam mit Uli Hoeneß führte in der 69. Minute zum 1:1. Endstand.

Einen Tag später gibt es die die ersten und einzigen Gegenstimmen bis zur Wende in der DDR-Volkskammer. Es wird ein Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft beraten und 14 religiös motivierte Nein-Stimmen aus den Reihen der Ost-CDU und acht Enthaltungen gezählt.

Unter einem Hochspannungsmast in Mailand wird am 14. März die Leiche Giangiacomo Feltrinellis gefunden. Wie der Verleger und Kommunist, Freund von Fidel Castro und Henry Miller, zugleich Millionär aus einer Industriellenfamilie, genau zu Tode kam, ob er Opfer eines Anschlags wurde, an dem er selbst beteiligt war, wird nie abschließend geklärt.

In die bundesdeutschen Kinos kommt am 23. März Stanley Kubricks Film A Clockwork Orange. Dem Regisseur wird vorgehalten, seine dunkle Gesellschaftskritik verherrliche die Gewalt.

Am 29. März 1972 wird in Stockholm der Song »People Need Love« aufgenommen. Das Lied ist die erste Single einer unter dem Namen »Björn & Benny, Agnetha & Anni-Frid« auftretenden Musikgruppe. 1974 benennen sich die schwedischen Musiker_innen in ABBA um.

Die erste Ausstellung des von Darmstadt nach West-Berlin umgesiedelten Bauhaus-Archivs am neuen Standort endet am 30. März, es waren Werke des Malers, Designers und Fotografen László Moholy-Nagy, von 1923 bis 1928 Lehrer am Bauhaus, gezeigt worden.

Ende März 1972 beginnt im Vietnamkrieg die Frühjahrsoffensive der nordvietnamesischen Streitkräfte und des Vietcong. Die US-Luftwaffe setzt erstmals präzisionsgelenkte Munition mit eingebauter Videokamera ein.

Vor 40 Jahren: April 1972

Die von Willy Brandt in der sozial-liberalen Koalition betriebene Ostpolitik, über die Egon Bahr in seinem bei VSA: erschienenen Buch Ostwärts und nichts vergessen! ausführlich berichtet, erzeugte massiven Protest von CDU/CSU und den Vertriebenenverbänden. In dessen Folge wechselten Abgeordnete aus FDP und SPD zur CDU/CSU. Nachdem am 23. April 1972 auch der Abgeordnete Wilhelm Helms aus der FDP-Fraktion ausgeschieden war und zwei weitere FDP-Abgeordnete erklärt hatten, im Falle eines konstruktiven Misstrauensvotums gegen Brandt für seinen Gegenkandidaten zu stimmen, rechnete die CDU/CSU mit 249 sicheren Stimmen und stellte am 24. April den Antrag nach Artikel 67 des Grundgesetzes, über den am 27. April abgestimmt wurde. Das Ergebnis überraschte: Rainer Barzel erhielt nur 247 von 260 abgegebenen Stimmen, zur absoluten Mehrheit hätte er die sicher geglaubten 249 Stimmen benötigt. Damit war das erste konstruktive Misstrauensvotum in der Geschichte der Bundesrepublik gescheitert. Das trotz der Niederlage Barzels weiterhin bestehende Patt führte im Spätsommer 1972 schließlich zur Vertrauensfrage Willy Brandts, dessen geplanter Niederlage und Neuwahlen im November. Die SPD unter Brandt errang erstmals mehr Stimmen als die CDU/CSU, und die Koalition mit der FDP konnte fortgesetzt werden.

Anfang April gab es im Hamburger Hafen Aufnahmen zum Kriminalfilm »Ein achtbarer Mann«, eine deutsch-italienische Koproduktion. Es ging um einen »Gentlemanverbrecher«, der eine Hamburger Bank ausraubt, dann jedoch an der Unzuverlässigkeit seiner Komplizen scheitert. Zu den Dreharbeiten reiste die Hollywood-Legende Kirk Douglas am 5. April 1972 in die Hansestadt. Wie berichtet wurde, zeigte er sich im Hamburger Hafen »von seiner besten Seite und absolvierte die kurzen Szenen, die dort spielten, mit gewohnter fachmännischer Bavour«.

Am 29. April schlug im Viertelfinale der Fußball-Europameisterschaft die Mannschaft der Bundesrepublik Deutschland das Team von England im Londoner Wembley-Stadion mit 3:1. Es war der erste Sieg einer deutschen Fußballnationalmannschaft in England. Bundestrainer Helmut Schön musste eine »Notelf« zusammenstellen, die so noch niemals zusammengespielt hatte: die Nationalspieler vom FC Schalke 04 waren aufgrund des Bundesliga-Skandals gesperrt, die Stammspieler Wolfgang Overath, Berti Vogts und Wolfgang Weber verletzt. Die »Notelf« spielte mit Sepp Maier im Tor, Horst-Dieter Höttges, Franz Beckenbauer, Georg »Katsche« Schwarzenbeck und Paul Breitner in der Verteidigung, mit Uli Hoeneß, Günter Netzer und Herbert »Hacky« Wimmer im Mittelfeld und mit Jürgen Grabowski, Gerd Müller sowie Siggi Held im Angriff. Sie wurde später Europameister [aber dazu dann im Juni ausführlich].

Am 29. April fand im katholischen Münster die erste deutsche Schwulendemo statt. Martin Dannecker, Sexualwissenschaftler und einer der Vorkämpfer für die Rechte von Schwulen und Lesben in der Bundesrepublik, trug dabei ein Plakat mit der Losung »Brüder und Schwestern, warm oder nicht, Kapitalismus bekämpfen ist unsere Pflicht«. Dannecker war auch der »Kopf« hinter Rosa von Praunheims erstem Filmerfolg »Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt«. Nach der Ausstrahlung dieses Filmes zunächst nur im »Dritten« des WDR im Januar 1972 [erst ein Jahr später wurde er im Ersten Programm gezeigt, dabei hatte sich Bayern aus dem Gemeinschaftsprogramm ausgeklinkt] und nach vielen regionalen Vorführungen gründeten sich die ersten politischen Schwulengruppen der Nachkriegszeit.

Vor 40 Jahren: Mai 1972

Bei VSA, damals noch per Adresse Hasenheide 63, 1000 Berlin 61 (Kreuzberg), beginnen die Vorbereitungen zu einer zweiten Buchveröffentlichung, mit der die Reihe archiv-drucke gestartet wird. Ein bis dahin in den Marx-Engels-Werken nicht veröffentlichter Text von Karl Marx, »Über F. Lists Buch ›Das nationale System der politischen Ökonomie‹« wird auf einer Composer-Schreibmaschine abgetippt und im Klebeumbruch layoutet. Er wird ergänzt um Friedrich Engels’ »Zweite Elberfelder Rede«. Joachim Bischoff führt in die beiden Texte unter der Überschrift »Wissenschaft und wirkliche Entwicklung der Gesellschaft« ein. Später erscheinen in der Reihe Beiträge von Roman Rosdolsky, Georgi W. Plechanow und zwei frühe Frauenbewegungs-Titel: Edward Avelings und Eleanor Marx-Avelings Text »Die Frauen-Frage« und Fannina W. Halles Buch »Frauenemanzipation. Bericht aus den Anfängen des revolutionären Russland.«

Daneben geht die Entspannungspolitik weiter: Am 17. Mai ratifiziert der Deutsche Bundestag die Ostverträge. Am 26. Mai unterzeichnen Egon Bahr und der Staatssekretär beim Ministerrat der DDR, Michael Kohl, in Ost-Berlin den deutsch-deutschen Verkehrsvertrag. Am gleichen Tag unterschreiben US-Präsident Richard Nixon und der Generalsekretär der KPdSU, Leonid Breschnew, den ABM-Vertrag, der die Begrenzung von Raketenabwehrsystemen regelt. Und am 31. Mai ratifiziert der Oberste Sowjet schließlich den im August 1970 in Moskau unterzeichneten Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR.

Im Vietnamkrieg nehmen am 1. Mai Einheiten der nordvietnamesischen Streitkräfte und der südvietnamesischen Vietcong-Guerilla die südvietnamesische Provinzhauptstadt Quang Tri ein und rufen eine Revolutions-Regierung aus. Am 2. Mai trifft Henry A. Kissinger in Paris zu geheimen Gesprächen mit dem nordvietnamesischen Politbüro-Mitglied Lê Duc Tho ein, die allerdings scheitern. US-Präsident Nixon kündigt danach eine Seeblockade und eine Verminung der nordvietnamesischen Häfen an.

Der Mai 1972 in der Bundesrepublik ist vor allem geprägt durch zahlreiche Anschläge der Rote Armee Fraktion. Am 11. Mai verübt sie einen Bombenanschlag auf das im IG-Farben-Haus (Frankfurt/Main) stationierte 5. US-Korps, ein Mensch kommt ums Leben, 13 werden schwer verletzt. Am 12. Mai detonieren in der Polizeidirektion Augsburg zwei Rohrbomben und verletzen sieben Polizisten. Noch am gleichen Tag explodiert vor dem Landeskriminalamt in München eine Autobombe des »Kommandos Thomas Weisbecker«, zehn Menschen werden verwundet. Das Auto von Bundesrichter Wolfgang Buddenberg wird am 15. Mai in die Luft gesprengt. In Hamburg gehen am 19. Mai im Springer-Haus zwei Bomben hoch, wobei 38 Menschen verletzt werden und am 24. Mai gibt es in Heidelberg einen Anschlag auf das Hauptquartier der US-Armee. Die »Tagesschau« und die »Heute«-Sendung strahlen am 25. Mai einen Appell des Bundeskriminalamtes aus, in dem aufgerufen wird, bei der Aufklärung terroristischer Verbrechen zu helfen. Am Ende des Monats startet die Polizei die bislang größte Fahndungsaktion der Bundesrepublik – frühe Vorboten des spätereren »Deutschen Herbstes« 1977.

Außerdem: In West-Berlin betont ÖTV-Chef Heinz Kluncker auf dem Gewerkschaftstag die Unabhängigkeit der Gewerkschaften und stellt heraus, die ÖTV sei kein »Hofjubler einer Regierung«. Im Fernsehen startet die Serie »Raumschiff Enterprise«. In Lindlar im Bergischen Land stellen Polizeibeamte falsche 50-US-Dollar-Noten in Höhe von umgerechnet 32 Mio. DM sicher – der größte »Blüten-Fund« in der deutschen Kriminalgeschichte. Das Verteidigungsministerium gibt den so genannten Haar-Erlass heraus: das Haar von Bundeswehrsoldaten darf künftig weder »Uniform noch Hemdkragen berühren«. Und am 22.5. stirbt Margaret Rutherford im Alter von 80 Jahren, die britische Schauspielerin wurde vor allem durch ihre Rolle als Miss Marple in den Agatha-Christie-Verfilmungen bekannt.

Sport-»Höhepunkte«: Am Tag der Arbeit steigt im Hamburger Volksparkstadion das Abschiedsspiel des Rekord-Nationalspielers Uwe Seeler. Am 5. Mai fällt in Berlin, Hauptstadt der DDR, der Startschuss zur 25. Friedensfahrt. Das traditonelle Etappen-Radrennen mit 102 Fahrern aus 17 Ländern geht am 20. Mai in Warschau mit dem Gesamtsieg des Tschechoslowaken Vlastimil Moravec zu Ende. Den Mannschaftssieg erringt die UdSSR, bester Bergfahrer ist Ryszard Szurkowski aus Polen. Am 27. Mai besiegt in Leipzig die DDR in einem Fußball-Länderspiel die Mannschaft von Uruguay sensationell mit 1:0.

Vor 40 Jahren: Juni 1972

Am 18. Juni 1972 besiegt die bundesdeutsche Fußball-Nationalmannschaft in Brüssel die Sowjetunion mit 3:0 und wird Europameister. Die von Helmut Schön zusammengestellte Mannschaft gilt bis heute als die spielstärkste überhaupt. Vielen Alt-68ern erscheint das Team »mit Matte und Mao-Bibel« (Tagesspiegel) zudem als progressiv. Ein Mythos, der aus der damaligen Umbruchsituation herrührt: Nach-68er-Zeit, »Willy wählen«-Kampagne, Ostverträge etc. Das im »Spiegel« veröffentlichte berühmte Bild von Paul Breitner mit der Mao-Bibel und Fräulein Netzers Diskothek »Lovers Lane« gelten als Beispiel für die Verbindung von Fußball mit dem gesellschaftlichen Wandel. Das heutige Auftreten der beiden Ikonen der EM-Elf von 1972 – der eine BILD-Kolumnist, der andere bestens verdienender Medien-Berater – rückt die These einer »progressiven Jahrhundertelf« allerdings ins rechte Licht. Schon damals wird Franz Beckenbauer mit der Warnung zitiert: »Unter Kanzler Willy Brandt drohen in der Bundesrepublik Verhältnisse, wie sie in der DDR schon herrschen.«

Was sich im Mai 1972 bereits angedeutet hatte, spitzt sich im Juni weiter zu: Die massiven Fahndungsaktionen führen dazu, dass der harte Kern der Roten Armee Fraktion festgesetzt wird. Bereits am 1. Juni 1972 werden Andreas Baader, Holger Meins und Jan-Carl Raspe in Frankfurt am Main nach einer Schießerei verhaftet. Am 7. Juni wird in Hamburg Gudrun Ensslin festgenommen, am 9. Juni in einem Café in Berlin Brigitte Mohnhaupt und Bernhard Braun. In Hannover erhält am 12. Juni die Polizei einen Tipp und nimmt Ulrike Meinhof und Gerhard Müller im Stadtteil Langenhagen fest. Einen Tag später bezichtigen CDU-Bundestagsabgeordnete »die Bölls [den Schriftsteller Heinrich Böll] und Brückners [den Psychologieprofessor aus Hannover Peter Brückner]« der »geistigen Mittäterschaft am Terrorismus«. Am 19. Juni leitet die Bundesanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen Rechtsanwalt Otto Schily ein, weil er einen Kassiber von Gudrun Ensslin zu Ulrike Meinhof transportiert haben soll. In der Fahndungshysterie erschießen bundesdeutsche Polizisten am 25. Juni den 34 Jahre alten schottischen Handelsvertreter Ian McLeod, weil sie ihn für einen Kontaktmann der »Baader-Meinhof-Gruppe« halten.

In den USA verhaftet die Polizei am 17. Juni 1972 im Hauptquartier der Demokratischen Partei im Watergate-Gebäudekomplex von Washington fünf Einbrecher. Sie hatten versucht, Abhörwanzen zu installieren und Dokumente zu fotografieren. Die Auftraggeber des Einbruchs entpuppen sich als enge Mitarbeiter des US-Präsidenten Richard M. Nixon bzw. seines Wahlkomitees. Am 22. Juni erklärt der Präsident, dass zwischen dem Einbruch und dem Weißen Haus keine Verbindung bestehe. Erst am 9. August 1974 tritt Nixon wegen der Watergate-Affaire als bis heute einziger US-Präsident zurück, um einer drohenden Amtsenthebung zuvorzukommen.

Am 3. Juni treten das Viermächteabkommen über Berlin und das Transitabkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der DDR, das den Transitverkehr von zivilen Personen und Gütern zwischen der Bundesrepublik und Westberlin regelt, in Kraft.

Fidel Castro überreicht dem SED-Generalsekretär Erich Honecker anlässlich eines Staatsbesuches am 19. Juni in der DDR eine Landkarte, auf der Teile der Inselkette Cayos Blancos del Sur in Cayo Ernest Thaelmann (»Ernst-Thälmann-Insel«) umbenannt und ein Playa RDA (»DDR-Strand«) verzeichnet sind. Am 25. Juni verstirbt der populäre DEFA-Schauspieler Günther Simon im Alter von nur 46 Jahren. Er spielte die Titelrolle in der aufwändigen zweiteiligen Verfilmung des Lebens von Ernst Thälmann.

Die KollegInnen von VSA tippen weiter an dem Marx-Manuskript, das im Juli 1972 als Band 1 der Reihe »archiv-drucke« erscheinen wird.

Vor 40 Jahren: Juli 1972

Die griechische Insel Leros, auf der während der Militärdiktatur [1967-1974] Regimegegner interniert waren.

Wie der Spiegel in seiner Juli-Ausgabe 1972 berichtet, befindet sich Griechenland schon damals im Fokus der Öffentlichkeit: »Griechenland erlebt den größten Touristen-Boom seiner Geschichte«. Die Schatten der Militärdiktatur scheinen viele UrlauberInnen nicht zu stören.

Weniger entspannt ist die Lage für die Bundesregierung unter Kanzler Willy Brandt: Am 2. Juli tritt Wirtschafts- und Finanzminister Karl Schiller zurück. In seinem Rücktrittsbrief wirft er dem Kanzler und seinen Kabinettskollegen mangelnde Unterstützung vor – der hohen Staatsverschuldung (»Bonner Finanzkrise«) und drohenden Inflation hatte der »Superminister« mit einem schon damals umstrittenen strikten Sparkurs entgegenwirken wollen. Sein Nachfolger wird der spätere Bundeskanzler Helmut Schmidt.

In der Bundesrepublik werden weitere RAF-Mitglieder verhaftet: Am 7. Juli spüren Beamte das RAF-Mitglied Hans-Peter Konieczny auf und überzeugen ihn davon, der Polizei bei der Festnahme weiterer Terroristen zu helfen. Noch am selben Tag tappen Klaus Jünschke und Irmgard Möller in die Falle.

Im »Spiegel« vom 17. Juli beschwört Bildungsforscher Georg Picht einmal mehr den drohenden »Kollaps an den Universitäten«. Bemerkenswert sein Befund: »Es ist einfach grotesk, dass man in einer Zeit, da der größte Teil der Welt marxistisch orientiert ist, an den westdeutschen Universitäten kaum Gelegenheit hat, Marxismus qualifiziert und auf entsprechendem theoretischem Niveau zu lernen.«
Auch um das zu ändern, bringt das VSA: Team den ersten Band der »archiv-drucke« (siehe auch Monat Mai) mit Originaltexten von Marx und Engels endlich zu Ende. Nachdem unentwegt getippt und das Layout mit Fixogum zusammengeklebt wurde, ist der Rest nicht minder aufregend: Team-Kollegen drucken auf mehreren Kleinoffset-Maschinen selbst – Makulatur zahlreicher Druckbögen und Verschleiß von Druckplatten inklusive. Gebunden wird das Büchlein schließlich von einer professionellen Buchbinderei, die ersten Exemplare liegen am 28. Juli 1972 in den Westberliner linken Buchläden.

Am 21. Juli eskaliert erneut der Nordirland-Konflikt: Am »Bloody Friday« werden in Belfast bei einer Serie von circa 20 Bombenanschlägen der IRA neun Menschen getötet und 130 verletzt.

Ebenfalls am 21. Juli eröffnen in Bayreuth die 22. deutschen Richard-Wagner-Festspiele: Die versammelte Gästeschar (u.a. die Bundesminister Genscher, Ertl und Dohnanyi sowie der DDR-Ministerialbeamte Schrader) erleben eine Aufführung, die zum Skandal wird. DDR-Regisseur Götz Friedrich, der im November 1972 über Schweden in die Bundesrepublik flüchten wird, inszeniert einen sozialkritischen »Tannhäuser« mit dem Ziel, »die Veränderbarkeit und Veränderungswürdigkeit von Verhältnissen aufzudecken«.

In Brüssel unterzeichnen am 22. Juli Vertreter der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl sowie die Mitglieder der Europäischen Freihandelszone Österreich, Schweden, Schweiz, Finnland, Island und Portugal, ein Freihandelsabkommen und schaffen damit quasi die größte Handelsmacht der Welt.

Der Vietnamkrieg spitzt sich weiter zu: Vertreter von 27 europäischen kommunistischen Parteien treffen am 27. Juli in Paris zu einer »Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien in Europa gegen die amerikanische Aggression in Vietnam« zusammen und verabschieden eine »Deklaration für die Solidarität mit den Völkern Indochinas«.

Vor 40 Jahren: August 1972

Am 1. August 1972 wird die Sesamstraße erstmals im deutschen Fernsehen ausgestrahlt – in einer synchronisierten US-Fassung und zum Schrecken hiesiger Pädagogen. Spiegel-Online berichtet in seinem Jubiläumsartikel: »Nach anfänglicher Euphorie rebellierte eine Allianz aus Eltern, Wissenschaftlern und Erziehern... Der Tenor der aufgebrachten Erziehungsexperten: Weg mit dem Ghetto-Flair, weg mit den Farbigen, weg mit Bibo und Oskar. Die Ur-Sesamstraße muss sterben, eine deutsche Version muss her.« Für diese wurden deutsche Puppen wie der biederbrave Samson und die neunmalkluge Tiffy kreiert.

In Berlin (Ost) beginnen am 16. August 1972 die Verhandlungen zwischen Delegationen der Bundesrepublik unter Leitung von Egon Bahr sowie der DDR unter Michael Kohl über einen Grundlagenvertrag, der am 21. Dezember 1972 unterzeichnet wurde. Egon Bahr notiert in seinen bei VSA: erschienenen Erinnerungen: »Mit diesem Vertrag hatten die Bundesrepublik und die DDR beschlossen, ihr Nebeneinander zu einem Miteinander zu entwickeln, solange die Teilung andauert... Mit dem Grundlagenvertrag beendeten beide Staaten die verbissenen Versuche, sich gegenseitig zu behindern und zu schädigen, und wurden frei, zu neuen Ufern aufzubrechen.«

Die von Fidel Castro bei seinem Besuch in der DDR angekündigte Benennung von Teilen der Inselkette Cayos Blancos del Sur in »Cayo Ernest Thaelmann« (siehe auch »Vor 40 Jahren: Juni 1972«) wird realisiert. Am 18. August 1972, dem Todestag von Ernst Thälmann, besuchen Vertreter der kubanischen kommunistischen Partei und der DDR-Botschaft das mit Mangroven bewachsene Eiland und stellen eine ca. vier Meter hohe Büste des KPD-Führers am Strand auf.

Ein britischer Docker-Streik wird am 21. August 1972 beendet. Bei dem Streik, der am 21. Juli begann und in dessen Verlauf das Nationale Arbeitsgericht Docker verhaften ließ, ging es um die Sicherung der Arbeitsplätze, die infolge der Rationalisierung durch Container-Schiffe in Gefahr gerieten.

Am 26. August 1972 werden die Olympischen Sommerspiele im neuen Münchener Olympiastadion eröffnet. Überschattet werden sie durch die Geiselnahme und Ermordung israelischer Athleten. Palästinenser der Organisation »Schwarzer September« nahm elf Athleten der israelischen Mannschaft als Geiseln und töteten zwei von ihnen. Bei einem schlecht geplanten und gescheiterten Befreiungsversuch durch deutsche Behörden wurden alle Geiseln, ein deutscher Polizist und fünf Terroristen getötet. Die Spiele wurden weitergeführt.

Ebenfalls im August 1972 beraten während eines Ferienaufenthalts auf der zu Dänemark gehörenden Ostseeinsel Bornholm einige Menschen aus dem Projekt Klassenanalyse, ob der zu Beginn des Jahres übernommene VSA: Verlag fortgeführt und zu einer publizistischen Plattform ausgebaut werden soll. Bereits im Januar war eine erste Veröffentlichung der AutorInnengruppe erschienen, im Juli dann der erste Text der Reihe »archiv-drucke«. Nach einem erfolglosen Dorsch-Angeln in aller Herrgottsfrühe auf den Klippen vor Gudhjem besteht beim anschließenden Frühstück Einvernehmen, der Gruppe ein stärkeres Engagement als Gesellschafter und in der Geschäftsführung vorzuschlagen. Die Gruppe beschließt dies. Am 15.8.1972 verlässt der Verlag die provisorischen Räume in der Kreuzberger Hasenheide und verlegt den Firmensitz nach Berlin-Moabit, Putlitzstraße 14.

Vor 40 Jahren: September 1972

Am 1. September 1972 geht eines der größten Schach-Duelle der Geschichte zu Ende. In Reykjavik sitzen sich der US-Amerikaner Bobby Fischer und der sowjetische Schachweltmeister Boris Spasski gegenüber. Mit e2-e4, c7-c5, Springer g1 nach f3, Bauer e7 nach e6 beginnt die 21. Partie, an deren Ende der sowjetische Spieler aufgibt. Fischer hatte im Vorfeld der Begegnung, die zu einem Kampf der Systeme hochstilisiert wurde, einen regelrechten Nervenkrieg geführt: Er erschien zu Turnierbeginn am 2. Juli nicht, erst nach weiteren Unstimmigkeiten und Verhandlungen über installierte Fernsehkameras konnte schließlich am 11. Juli Spasski die Weltmeisterschaft eröffnen. Die Schachbegeisterung in den USA und sogar in Österreich führte zu einem Ausverkauf an Schachbrettern.

Die Olympischen Sommerspiele in München gehen weiter. Am 5. September werden die Spiele durch einen schweren Anschlag überschattet: Acht Mitglieder der palästinensichen Organisation »Schwarzer September« nehmen elf Athleten des Israelischen Teams als Geiseln und fordern die Freilassung von 232 Palästinensern, von Andreas Baader, Ulrike Meinhof sowie des Japaners Ko-zo-Okamoto. Die Geiselnahme endet mit einer gescheiterten Geiselbefreiung auf dem Flugplatz Fürstenfeldbruck, bei der alle Geiseln, fünf Terroristen und ein Polizist sterben. Die Spiele gehen nach einer Trauerfeier weiter. Am 8. September kommt es beim olympischen Fussballturnier zu einer Begegnung zwischen der Bundesrepublik und der DDR, die DDR gewinnt 3:2. In der von Jupp Derwall betreuten bundesrepublikanischen »Amateur«auswahl kicken Uli Hoeness und Ottmar Hitzfeld, die die beiden Tore für die BRD erzielten. Torschützen der DDR-Elf, die von Georg Buschner trainiert wurde, sind Jürgen Pommerenke, Joachim Streich und Eberhard Vogel. Mit von der Partie ist ebenfalls Jürgen Sparwasser, der bei der Weltmeisterschaft 1974 in Hamburg das Siegtor für die DDR gegen die »Profi«elf der BRD schießen wird.

Am 14. September kommt es zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der BRD und Polen. Vorausgegangen war am 7. Dezember 1970 die Unterzeichnung des Warschauer Vertrages, in dem neben der Normalisierung der bilateralen Beziehungen sowie dem Verzicht auf Gewaltanwendung und gegenseitige territoriale Ansprüche auch die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze als polnischer Westgrenze durch die Bundesrepublik fixiert worden waren. Anlässlich dessen Unterzeichnung hatte Bundeskanzler Willy Brandt den Opfern des Warschauer Ghettos durch einen Kniefall vor dem Denkmal Respekt gezollt.

Die SPD/FDP-Koalition verfügt – auch wegen der innenpolitischen Auseinandersetzungen um die Ostverträge – im Bundestag über keine handlungsfähige Mehrheit mehr. Deshalb stellt Willy Brandt am 20. September 1972 die Vertrauensfrage, bei welcher sich absprachegemäß die Bundesminister enthalten, sodass Bundespräsident Gustav Heinemann den Bundestag auflöst und Neuwahlen für den 19. November ansetzt.

Das Film-Musical Cabaret kommt am 15. September in die deutschen Kinos. Schauplatz ist Berlin während der letzten Jahre der Weimarer Republik. Die amerikanische Varieté-Sängerin Sally Bowles (Liza Minelli) erfährt, dass ihr Freund, der englische Student Brian Roberts (Michael York), eine homosexuelle Beziehung zu ihrem heimlichen Geliebten, dem deutschen Baron Maximillian von Heune (Helmut Griem) unterhält. Der Film zeigt neben den privaten Wirren den wachsenden Einfluss der Nationalsozialisten auf das deutsche Alltagsleben. Berühmt auch der Auftritt von Joel Grey als Conferencier mit dem Lied »Money makes the world go around«. Der Film gewinnt acht Oscars.

Am 26. September lehnen die norwegischen StaatsbürgerInnen bei einer Volksabstimmung mit 54% den Beitritt zur Europäischen Wirtschafts-Gemeinschaft (EWG) ab.

Vor 40 Jahren: Oktober 1972

Am 29. Oktober bringt der WDR den ersten Teil der fünfteiligen Serie »Acht Stunden sind kein Tag« von Rainer Werner Fassbinder ins Erste Fernsehprogramm. »Wenn die deutsche Familie vor dem Bildschirm hockt, schaut sie am liebsten deutschen Familien zu. Jahrelang amüsierte sie sich über die Schölermanns und Hesselbachs... Jetzt hat sich Fassbinder an dieser ›schönen populären Art‹ zu schaffen gemacht... Das Ergebnis ist eine recht passable Kreuzung aus Familientratsch, häuslicher Idylle und Arbeitermilieu. ... Eine tolle Oma, ... die mit einem Witwer, ohne ihn zu heiraten, eine eigene Wohnung bezieht und dann, die Güte selbst, einen anti-autoritären Kindergarten aufmacht... Sie alle läßt Fassbinder ... in Wohnstuben unter Ölgemälden aus dem Kaufhaus schunkeln, in Küchen und Fluren streiten, durch Wälder und Fluren wandern. Meist scheint dazu die Sonne, und auch die Musik ist schön.« (Der Spiegel)

Der Aufbau des Verlages nimmt rechtliche Formen an: Am 1. Oktober schließen 27 Mitglieder des Projekt Klassenanalyse in Westberlin einen Gesellschaftervertrag und besiegeln ihn durch ihre Unterschriften, »um durch den Betrieb eines Verlages Publikationsmöglichkeiten für eine nichtsektiererische kommunistische Politik zu schaffen. Der Verlag muss parteiunabhängig sein.« In § 3 wird für die Beschäftigten, einschließlich Geschäftsführer, notiert, »ihre Einkünfte aus dem Verlag dürfen die Höhe eines durchschnittlichen Arbeiterlohns nicht übersteigen.« Und in § 6 heißt es: »Scheiden Mitglieder [des Projekts Klassenanalyse] aufgrund politischer Differenzen aus, behalten sie in jedem Fall die Publikationsmöglichkeit im Verlag.«

Im Vorfeld des Grundlagenvertrages gerät Bewegung in die deutsch-deutschen Beziehungen: Bereits am 3. Oktober kommt es zur Einrichtung von fünf DDR-»Büros für Reise- und Besuchsangelegenheiten« in West-Berlin und damit zur Ausgabe von »Mehrfachberechtigungsscheinen« für neun Besuche innerhalb von drei Monaten in Ost-Berlin und der DDR. Am 6. Oktober erlässt die DDR eine Amnestie für 32.000 Häftlinge, am 16. Oktober entzieht die DDR-Regierung mit dem »Gesetz zur Regelung von Fragen der Staatsbürgerschaft« allen vor dem 1. Januar 1972 aus der DDR Geflohenen die Staatsbürgerschaft, stellt deren Strafverfolgung ein und erlaubt ihnen die Einreise in die DDR, einen Tag später tritt der Verkehrsvertrag zwischen der DDR und der Bundesrepublik in Kraft.

Bereits im Juni hatte die US-Polizei im Hauptquartier der Demokratischen Partei im Watergate-Gebäudekomplex von Washington fünf Einbrecher verhaftet, die versucht hatten, Abhörwanzen zu installieren und Dokumente zu fotografieren. Präsident Nixon erklärte kurz darauf, dass zwischen dem Einbruch und dem Weißen Haus keine Verbindung bestehe. Am 10. Oktober teilen demgegenüber FBI-Agenten mit, dass der Einbruch Teil einer politischen Sabotageaktion des Weißen Hauses sei, weshalb Richard M. Nixon 1974 als bislang einziger amerikanischer Präsident seinen Rücktritt erklären muss, um einem formellen Amtsenthebungsverfahren zuvorzukommen.

Vom 10. bis 14. Oktober besucht Bundesaußenminister Walter Scheel China. Während des Besuches kommt es am 11. Oktober zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China. Günter Gaus, der zum bei solchen Besuchen üblichen Journalisten-Tross gehörte, berichtet im Spiegel: »Es hatte mit Bonhomie begonnen. Scheels erster Partner war der stellvertretende Ministerpräsident Li Hsiannian, 67, Mitglied des überalterten Politbüros und Wirtschaftsfachmann. Der Bonner Gast schmeichelte dem alten Herrn mit einem Lob auf die schwarze Luxuslimousine, mit der Scheel am Flughafen abgeholt worden war. (Einen Tag später zwang ein Kurzschluß beim Starten Scheel und Frau Mildred zum überstürzten Aussteigen: der Wagen qualmte aus allen Ritzen.) Danach riet Zigarrenraucher Scheel dem Vizepremier von den Zigaretten ab.«

Am 28. Oktober startet in Toulouse der Airbus A 300 – eine Gemeinschaftsentwicklung deutscher, französischer, britischer, niederländischer und spanischer Flugzeugfirmen – zum Jungfernflug.

Vor 40 Jahren: November 1972

Am 13. November richtet ein Orkantief namens Quimburga u.a. in Norddeutschland schwere Schäden an. Das in die Annalen auch als Niedersachsenorkan eingegangene Unwetter verursacht allein in Deutschland einen Sachschaden von 1,34 Mrd. DM. Der Orkan fordert insgesamt mindestens 73 Menschenleben. Besonders schwer betroffen sind Niedersachsen und Bremen, wo allein 21 Menschen ums Leben kommen, in der DDR 16. Fast alle wichtigen Verkehrsverbindungen sind unterbrochen, es kommt zu tagelangen Stromausfällen.

Im VSA: Verlag erscheint das zweite Buch des »Projekt Klassenanalyse« unter dem Titel Leninismus – neue Stufe des wissenschaftlichen Sozialismus? In zwei Halbbänden untersuchen die AutorInnen auf 777 Seiten das »Verhältnis von Marxscher Theorie, Klassenanalyse und revolutionärer Taktik bei W.I. Lenin«. Sie räumen mit dem Vorurteil auf, dass der Leninismus eine Weiterentwicklung des wissenschaftlichen Sozialismus sei, und stellen Lenin »auf die Füße«. Kein Wunder, dass dies bei VertreterInnen der »kommunistischen Weltbewegung« nicht auf Begeisterung stößt. Der Verlag durfte sich seitdem besonderer Beobachtung von dieser Seite sicher sein – bis hin zu Einreiseverboten in die DDR und Verbannung seiner Bücher aus den collektiv-Buchläden.

In Sachen Verhandlungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik über den Grundlagenvertrag will die Bundesregierung vor den vorgezogenen Bundestagswahlen zu einem befriedigenden Abschluss kommen. Wenn es schwierig wird, muss Egon Bahr ran. Der Spiegel notiert am 6.11.1972: »In Ost und West hat Egon Bahr das letzte Wort. West-Kanzler Willy Brandt verweist in Fragen der Deutschlandpolitik auf die Kompetenz seines Staatssekretärs: ›Da müssen Sie Egon Bahr fragen.‹ Und SED-Parteichef Erich Honecker fügte sich auch schon einmal dem Unterhändler: ›Wenn Sie das sagen, Herr Bahr, dann müssen wir das wohl machen.‹ ... Und in Moskau nahm sich der erste Mann der östlichen Führungsmacht, KP-Chef Leonid Breschnew, vier Stunden Zeit für den Emissär. ... Für Krisen hat der erfahrene Unterhändler ein erprobtes Spezialrezept: den Direktkontakt zur Spitze.« Details können in Egon Bahrs Erinnerungen Ostwärts und nichts vergessen! nachgelesen werden.

In den USA verliert am 7. November 1972 der demokratische Herausforderer George McGovern bei den Präsidentschaftswahlen gegen Richard Nixon. Mit 61% stimmen mehr amerikanische WählerInnen als je zuvor für einen Republikaner. »Mitglieder aus Nixons Wahlkampf-Komitee organisieren einen Einbruch bei den Demokraten und werden auf frischer Tat erwischt – so what (was solls): ›Politik ist ein schmutziges Geschäft‹, glauben Millionen mit dem Bürger Phil Steward aus Arlington, Virginia. Amerikanische Flugzeuge werfen über Nordvietnam mehr Bomben ab als je in einem anderen Krieg zuvor – so what: ›Wir brauchen den wirtschaftlichen Aufschwung, den der Krieg bringt‹, erklärt ungerührt ein Elektronik-Fachmann in Baltimore.« (Der Spiegel 13.11.)

Vorgezogene Bundestagswahlen finden am 19. November statt. Bundeskanzler Willy Brandt hatte am 20. September die Vertrauensfrage gestellt, bei der sich sämtliche Bundesminister enthielten, Bundespräsident Gustav Heinemann daraufhin den Bundestag aufgelöst. Im Ergebnis der Wahlen wird die SPD erstmals zur stärksten Bundestagsfraktion. Bei einer Wahlbeteiligung von 91,1% erhält die SPD 45,8%, die CDU 44,9% und die FDP 8,4%. Kanzleramtsminister Horst Ehmke spricht von »einem Traumergebnis«. Vor dem Palais Schaumburg ziehen die Jungsozialisten mit Fackeln auf. Bei der Siegesfeier im Kanzlerbungalow ist auch Ted Kennedy zugegen, der seiner Frau Joan den Kanzler mit den Worten »This is the greatest man« vorstellt.

In Paris sorgt ein Modemacher für Aufregung: der junge Deutsche zeigt nicht nur Luxus-Kleider (800 bis 1.000 DM), sondern prägt einen ganzen Nostalgiestil für die 20er, 30er und 50er Jahre. Der Spiegel polemisiert: »Im Stil Kitsch war Karl nicht zu schlagen. Und auch seine neuen Sommerkleidchen erinnern an schöne, ferne Zeiten. Faltenröcke wedeln unter dünnen Seidenblusen, die Hosen flattern wie Pyjamas aus dünnster bedruckter Seide. Ärmel aus teurem Chiffon werden aufgekrempelt. Pullover über Schultern und Turbane auf den Kopf geschlungen.« Im Hintergrund wickelt Karl die lukrativeren Nebengeschäfte ab: Pullover für Timwear, Schuhe für Valentino, Stoffpelze für Monsieur Z und billige Kleider (100 Mark) für die Marke Gadging. Karl Lagerfeld, damals 34, lässt nichts aus, was Geld bringt – wie sein Vater, der in Hamburg Glücksklee-Dosenmilch produzierte.

Vor 40 Jahren: Dezember 1972

Im Deutschen Fernsehen wird am 13. Dezember 1972 die erste Folge des Musikladen ausgestrahlt, der von Radio Bremen produziert wird und bis November 1984 insgesamt 90 Folgen erlebt. In der ersten Sendung sind u.a. dabei: Johnny Cash mit »San Quentin«, Chuck Berry mit »School days« und die Everly Brothers mit »Dream, dream, dream«. Moderatorin der Sendung ist u.a. Uschi Nerke, die zuvor bereits durch den ebenfalls von Radio Bremen produzierten Beat-Club geführt hatte, der am 9. Dezember 1972 ein letztes Mal zu sehen war.

Im VSA: Verlag erscheint Diskussionsband 1: Klassenbewusstsein und Partei als Vorläufer der Zeitschrift, die ab Januar 1976 als Beiträge zum Wissenschaftlichen Sozialismus und bis heute unter dem Titel Sozialismus erscheint. Das Frühjahrsprogramms 1973, für das weitere archiv-drucke und eine neue Reihe Interpretationen zum »Kapital« vorbereitet werden, wirft seine Schatten voraus. Das Team beginnt sich außerdem auf die Suche nach einem neuen Verlagssitz zu machen, was auf Hindernisse stößt. Das Bezirksamt Kreuzberg von Berlin ergänzt die Absage einer Bewerbung um Gewerberäume mit dem Hinweis: »Gleichzeitig weisen wir vorsorglich darauf hin, daß auch in anderen von uns verwalteten landeseigenen Gebäuden für Ihre Zwecke geeignete Räume nicht zur Vermietung zu Verfügung stehen.«

Bereits am 7. Dezember 1972 startet leicht verspätet die Apollo-17-Mission, nachdem der Countdown 30 Sekunden vor dem geplanten Zeitpunkt abgebrochen wurde, weil ein Computer ausfiel. Auf dem Weg zum Mond gelingt der Besatzung das berühmte Foto Blue Marble mit Blick auf Afrika und den indischen Ozean. Mit dem Mondauto, das nach einer Panne mit Mondkarten, Klebeband und Klammern aus der Innenbeleuchtung der Mondfähre wieder zusammengeflickt wurde, legen die Astronauten später 34 Kilometer zurück. Am 14. Dezember 1972 verlässt Kommandant Eugene Cernan Cernan als bislang letzter Mensch die Mondoberfläche, das Mondauto bleibt auf dem Planeten zurück.

Am 14. Dezember 1972 wählt der Deutsche Bundestag Willy Brandt ein zweites Mal zum Bundeskanzler. Die SPD war bei den Neuwahlen im November mit 45,8% erstmals stärkste Bundestagsfraktion geworden.

Am 21. Dezember wird in der Hauptstadt der DDR der vom Bundesminister für besondere Aufgaben Egon Bahr gemeinsam mit DDR-Staatssekretär Michael Kohl ausgehandelte Grundlagenvertrag zwischen der DDR und der Bundesrepublik von den beiden Verhandlungspartern unterzeichnet.

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