»It’s the Future, stupid« ...

Als Annett Nack-Warenycia und Torsten Teichert im Frühjahr 2021 ihr Buch so titelten, konnten weder sie noch wir ahnen, dass wir ab sofort von einer Ampel regiert werden, die sich selbst als »Zukunfts-Koalition« bezeichnet und »mehr Fortschritt wagen« will.

Dies ist ein großes Ziel und ein ehrgeiziges Projekt. Wir wollen nicht darüber spekulieren, wie schnell und in welcher Konsequenz es umgesetzt bzw. gelingen wird. Hier geht es ja vor allem um Tipps. Wenn wir uns zwei für die Ampel-Koalitionär*innen erlauben dürfen, bevor wir allen Freund*innen des VSA: Verlags und des Zeitschriftenprojekts Sozialismus.de unsere Geschenktipps offerieren, dann wären es diese: Kauft und lest das Buch von Annett und Torsten und nehmt gleich noch Das Kapital von Karl Marx hinzu! So könnt ihr mit nur geringen Investitionsmitteln für euer Projekt einen hohen Ertrag generieren.

Mit Blick auf anhaltende Lieferengpässe und Belastungen für die Kolleg:innen der Lieferdienste und der Post raten wir allen, die sich dafür entscheiden, in diesem Jahr ein VSA: Buch zu verschenken, ihre Bestellung zeitnah in der Buchhandlung ihres Vertrauens oder auch in unserem Warenkorb abzugeben. Wir wünschen eine stressfreie Vorweihnachtszeit, angenehme Festtage und vor allem natürlich Gesundheit!

Das VSA: Team und die Redakteur*innen von Sozialismus.de

Louisa Bäckermann [Lektorat | Herstellung | Presse]

In Berlin prüft aktuell eine Expert*innenkommission, wie die Enteignung großer Wohnungskonzerne möglich sein könnte. Das wünscht sich so manch eine*r zwar radikaler, ist aber trotzdem ein riesengroßer Erfolg, den die Initiative »Deutsche Wohnen & Co. enteignen« in Zeiten, in denen Mietendeckel abgeschafft und kommunale Vorkaufsrechte gekippt werden, erreicht hat. Mit dem Sammelband Wohnen. Zwischen Markt, Staat und Gesellschaft, herausgegeben von Andrej Holm, ist man jedenfalls top informiert, um in der Debatte über Vergesellschaftung mitzureden. Für alle auch außerhalb Berlins, die das Ziel verfolgen, Wohnraum langfristig der Kapitallogik zu entziehen und denen dafür noch das nötige Hintergrundwissen fehlt, ist der Band also eine spannende Lektüre über die Weihnachtszeit und eignet sich auch als Geschenk.

Ich empfehle, in diesem Jahr Socken zu schenken. Von wollig-warmen über den eleganten Kniestrumpf bis zum Ringelsöckchen, oder ganz schlicht: Socken gibt es in allerlei Variationen, für alle Geschmäcker ist etwas dabei. Sogar Modelle mit einzelnen Zehen lassen sich finden. Mensch kann sie – mit etwas handwerklichem Geschick – auch fleißig selber stricken. Eine rechts, eine links, und fertig ist die nützliche Robe für den Fuß. Eine andere (nach eigenen Angaben ziemlich faule) Socke ist Lütfiye Güzel. Die Dichterin, die ebenfalls nach Selbstaussage sicher in der Literaturszene mitmischen würde, würde sie sie bloß kennen und wissen, was das überhaupt ist, lässt alle Texter*innen, die zwei Jahre an vier bedeutungsschwangeren Zeilen werkeln, alt aussehen. Wem also Socken kaufen zu langweilig, selber stricken jedoch zu anstrengend ist, kann eines ihrer Werke, zum Beispiel die Stickersammlung »selfklebend«, per Mail direkt bei ihrem eigenen Label go-güzel-publishing erstehen. Und sollte es bald wieder möglich sein, eine Lesung von ihr zu besuchen, würde ich mir die beschenkte Person schnappen und hingehen. Man merkt dann, dass alles so düster, wie ihre Texte beim Lesen erscheinen mögen, nicht sein kann. Sich selbst zu ernst zu nehmen, hat noch niemandem wirklich genützt. Das ist dieser Tage zugegeben nicht immer ganz leicht, Lütfiye Güzel könnte helfen.

Nadine Berger [Vertrieb Sozialismus.de]

Ich verschenke jedes Jahr Christbaumkugeln – immer jedem eine individuell ausgewählte. Das ist bei uns in der Familie Tradition. Der Christbaum wird dann gemeinsam Heiligabend geschmückt und trägt jedes Jahr ein bisschen mehr Geschichte.

Seit Jahrzehnten befinden sich die Gewerkschaften in den meisten Industrienationen im Niedergang. Um so optimistischer stimmt das Buch Macht. Gemeinsame Sache. Denn die Autorin Jane McAlevey ist überzeugt: Beschäftigte können auch unter den heutigen Bedingungen noch große Erfolge erzielen, und die Gewerkschaften und mit ihnen die Macht der arbeitenden Klasse wiederaufgebaut werden. Sie schildert zunächst, wie es der US-amerikanischen Gewerkschaftsbewegung in den 1930er Jahrenn gelang, mit entschlossenem Organizing und Massenstreiks den »New Deal« und damit Ansätze eines Sozialstaates zu erkämpfen. Ein Anknüpfen an diese Erfahrungen hält die Autorin für zukunftsweisend, denn der Wiederaufbau starker Gewerkschaften, so ihre Botschaft, kann ein zentraler Beitrag zur Lösung aktueller Probleme sein: dem Kampf gegen den Rechtspopulismus wie auch einer Bewältigung der Klimakrise. Eine ermutigende Lektüre in oft düsteren Zeiten!

Joachim Bischoff [Lektorat | Redaktion Sozialismus.de]

Drei Jahrzehnte nach dem Scheitern des Staatssozialismus erleben wir eine neue Lust auf Sozialismus. Diese Renaissance hängt mit den Defiziten des aktuellen Kapitalismus zusammen. Sie fügt sich ein in einen weltweiten Aufschwung von sozialen und politischen Protestbewegungen. Frank Deppe untersucht in seinem Buch SOZIALISMUS Fehlentwicklungen und Deformationen, prüft die Neuansätze. »Sozialistische Ideen und deren praktische Umsetzung haben sich von Anfang an auf vielfältige Weise ausdifferenziert – und in jeder geschichtlichen Epoche konfigurieren sich die Kräfte, Programme und Strategien im Kampf für den Sozialismus neu.« Der Rückblick auf die Geschichte des Sozialismus des 20. Jahrhunderts zeigt dem Autor, dass alle praktischen Versuche, eine nicht-kapitalistische Gesellschaftsformation zu entwickeln, keinem einheitlichen Entwicklungsmodell gefolgt sind. Die Geschichte ist voller Widersprüche und widerlegt sowohl lineare Geschichtskonzeptionen vom gleichsam unaufhaltsamen Aufstieg des Sozialismus als auch alle Versuche, die vielfältigen Wege auf ein »Modell« zu reduzieren. Die Impulse einer starken Klassenbewegung entstehen in den Kämpfen um Arbeit, Leben und Anerkennung. Ob sich allerdings aus dem »großen Chaos« zu Beginn des 21. Jahrhundert eine neue Zukunftsperspektive für dieses Projekt eröffnen wird, lässt Frank Deppe bewusst offen.

Seit der Pariser Kommune 1871 ist der Sozialismus im welthistorischen Bewusstsein und als Gegenstand der wissenschaftlichen Auseinandersetzungen bis heute präsent. Vorstellungen, Projekte und Ziele der Kommune für ein anderes Arbeiten, Leben und Zusammenleben haben sich seither weiterverbreitet. Wir können und müssen aus diesen Vorboten und Niederlagen beim Kampf um eine neuen Gesellschaft lernen. Dabei ist der Essay Luxus für alle. Die politische Gedankenwelt der Pariser Kommune von Kristin Ross über die Nachwirkung dieses frühen Versuchs einer nichtkapitalistischen Gesellschaft hilfreich. Ihr Buch bringt Marx’ Aussage, dass die größte Errungenschaft der Pariser Kommune ihr »eigenes arbeitendes Dasein« gewesen ist, auf den Punkt. 72 Tage trotzten die Aufständischen der Pariser Kommune im Winter 1870/71 der Restauration der reaktionären Kräfte. Kristin Ross zeigt die Vielfalt einer Neuordnung des sozialen Lebens: die Modernität der Ideen, die Neuerfindung der politischen Willensbildung in Klubs und Volksversammlungen, die Reform des Bildungswesens, die Pläne zur Umgestaltung von Kunst und Handwerk, die Überwindung der hierarchische Trennung von Kopf- und Handarbeit und der Unterdrückung von Frauen und nicht zuletzt die Vorstellung eines luxe communal als eines Reichtums für alle.

Juliane Deppe [Lektorat | Öffentlichkeitsarbeit]

»In der Weihnachtsbäckerei, gibt es manche Leckerei …« Und besonders gerne mag ich Elisenlebkuchen. Und wie so oft, verbirgt sich auch hinter diesem Namen eine Geschichte. Man erzählt sich, dass ein Nürnberger Lebkuchenbäcker eine Tochter namens Elisabeth hatte, die schwer erkrankte. Er soll sehr verzweifelt gewesen sein – war doch seine Frau bereits verstorben. Und auch keine Ärztin, kein Arzt und kein Medikament konnten Elisabeth heilen. So ging der Vater in seine Backstube und kreierte einen außergewöhnlichen Lebkuchen: mit vielen Gewürzen und ganz ohne Mehl. Außerdem verzierte er das neue Gebäck. Elisabeth soll sich bereits beim Anblick des schönen Lebkuchens außergewöhnlich gefreut haben. Nachdem sie diesen gegessen hatte, wurde sie erstaunlicherweise wieder gesund. Und von nun an gab es den Elisenlebkuchen. Vor einer Coronaerkrankung schützt uns dieser Lebkuchen nicht. Aber es macht nicht nur Freude, diesen zu backen, sondern auch an die Liebsten zu verschenken. Und ich verspreche euch und Ihnen, dass sich darüber gefreut werden wird. Ich spreche aus Erfahrung!

Der Trend, Weihnachtsgeschenke online zu erwerben, setzt sich fort: Laut einer deutschlandweiten Umfrage wollten im Jahr 2020 81% der Internetnutzer*innen ihre Präsente online kaufen, 2013 waren es noch 49%. Sicherlich wird in diesem Jahr aufgrund der Corona-Pandemie erneut auf Online-Shopping zurückgegriffen. Viele nutzen Amazon, weil dort online fast alles erhältlich ist. Ein Blick hinter die Kulissen des Versandriesen zeigt, dass dieser seine Arbeiter*innen mehr schlecht als recht behandelt: saisonal oder befristete Beschäftigungsverhältnisse, kaum Mitbestimmung sowie die Ablehnung von Betriebsrät*innen und von Verhandlungen mit Gewerkschaften. Sabrina Apicella berichtet darüber in ihrem Buch Das Prinzip Amazon und zeigt, dass die Belegschaften dies nicht widerstandslos hinnehmen. Sie stellt zudem dar, wodurch die besondere Situation von Saisonarbeiter*innen gekennzeichnet ist, welche individuellen Motive den Streiks zugrunde liegen und vor welchen Herausforderungen gewerkschaftliche Organisierung von Amazon-Beschäftigten steht.

Jan Dreier [sehr aktiver Praktikant bis zum Jahresende 2021]

Für alle, die Süßigkeiten verschenken wollen, habe ich einen heißen Tipp: die Schokolade von FairAfric. Zwar ist mittlerweile so ziemlich jedes Unternehmen, das Schokolade in welcher Form auch immer anbietet, auf den »Gerechtigkeitszug« aufgesprungen. So wollen auch Nestlé, Mondelèz, Ritter Sport und Co. plötzlich »nachhaltige« Schokolade zu fairen Bedingungen für die Kakaobäuer*innen herstellen. Angesichts der Tatsache, dass diese und ihre Familien nach wie vor mehrheitlich in materieller Armut leben, sind Zweifel angebracht, ob diese Konzerne wirklich ökologisch und vor allem sozial nachhaltig produzieren. Demgegenüber erhalten die Bäuer*innen von FairAfric deutlich mehr für die Tonne Kakao gezahlt als selbst von FairTrade oder gar von den genannten Unternehmen. Außerdem verarbeitet FairAfric den in Ghana angebauten Kakao im Land selbst mit ghanaischen Beschäftigten weiter – und zahlt gute Löhne. Nach den viel diskutierten und letztlich gescheiterten Entwürfen für ein Lieferkettengesetz ist FairAfric ein Beispiel dafür, wie eine etwas gerechtere Verteilung des Gewinns tatsächlich aussehen könnte. Hinzu kommt, dass die über das Label vertriebene Schokolade superlecker schmeckt!

Der kamerunische Philosoph und postkoloniale Theoretiker Achille Mbembe hat mit seiner Aussage, dass die israelische Politik gegenüber den Palästinenser*innen schlimmer als das Apartheidsregime in Südafrika sei und die Besetzung des Westjordanlandes einer Kolonialisierung gleiche, für Aufsehen gesorgt, was zu seiner Ausladung als Eröffnungsredner von der Ruhrtriennale 2020 führte. Micha Brumlik, Sohn jüdischer Eltern und anerkannter Autor zur Geschichte des Judentums und zeitgenössischen jüdischen Themen, bringt mit seinem klugen Buch Postkolonialer Antisemitismus? Ordnung in die Debatte. Insbesondere in den Kapiteln »Der transatlantische Sklavenhandel, das Entstehen des modernen Rassismus und die Genealogie der Massenvernichtung« und »Zionismus und postkoloniale Kritik« leuchtet er zudem historische und theoretische Hintergründe aus. Allen, die sich ein klareres Bild über die Antisemitismusvorwürfe gegenüber Achille Mbembe machen und etwas über Postkolonialismus sowie Zionismus lernen wollen, lege ich dieses Buch sehr ans Herz. Zusätzlich empfehle ich Hajo Funkes Black Lives Matter in Deutschland, der die weltweiten Kämpfe der Black-Lives-Matter-Bewegung in Verbindung mit postkolonialen Konflikten sieht und fundiertes Grundlagenmaterial für die Kämpfe der Dekolonialisierungsbewegungen liefert.

Marion Fisch [Lektorat | Herstellung | Redaktion Sozialismus.de]

Wer auch zu Weihnachten auf die Spuren von allzu oft unbeachteten Frauenschicksalen aufmerksam machen will, kann in diesem Jahr mit dem Buch Augustes Töchter eine umfangreiche familienbiografisch-sozialpolitische Studie verschenken. Sie spannt einen Bogen über 150 Jahre und bietet viele lebendige Briefzitate als Quellen. Der Schwerpunkt liegt auf der Geschichte von Ilse Elsner, der Mutter der Autorin Gine Elsner, die in den letzten Jahren umfassende Forschungen vor allem zur Geschichte der Arbeitsmedizin in der NS-Zeit vorgelegt hat. Die in einfachsten Verhältnissen aufgewachsene sozialdemokratische Politikerin Ilse Elsner (1910-1996) bildet in diesem Buch den anschaulichen Hintergrund für die vielen Hindernisse, die sich Frauen bis heute in den Weg stellen, wenn sie nach Unabhängigkeit streben.

Mit Literaturkalendern wiederum kann im Jahreslauf immer wieder neu auf klassische und weniger klassische Wegmarken literarischen Lebens aufmerksam gemacht werden. Empfohlen werden soll hier unter dem inzwischen reichhaltigen Angebot der traditionsreiche Aufbau-Literaturkalender. Er steht in diesem Jahr unter dem Motto »Träum ein wenig, bevor du denkst« und bietet Woche für Woche altbekannte Begleiter oder Überraschungsgäste und damit interessante, mit oft wenig bekannten Fotografien illustrierte Verweise auf bekannte und unbekannte Autorinnen und Autoren aus der östlichen wie westlichen Sphäre der Literatur.

Harald Heck [Herstellung | Korrektorat]

Als Geburtstagsgeschenk zum 150. Geburtstag von Rosa Luxemburg legte der VSA: Verlag eine schön gestaltete und dennoch wohlfeile Halbleinenausgabe mit einer ansehnlichen Bildstrecke vor. Die Autoren Michael Brie und Jörn Schütrumpf zeigen darin, warum ihr Lebens-Werk weiterhin nachhallt und es für die Linke wichtig ist, sich jenseits aller fühligen Faszination damit zu beschäftigen. Sie blicken vor allem auf ihr »wichtigstes Werk«, ihr Leben, das davon geprägt war, mit dem Aussprechen der Wahrheit die Welt zu verändern – ein Leben, schonungslos gegen sich selbst, eingesetzt, um einen Beitrag für die Überwindung von Unterdrückung, Ausbeutung und Krieg zu leisten. Die Darstellung regt dazu an, sich als Leser*in einen eigenen Zugang zu ihrem Leben und Wirken zu verschaffen. Was als Geburtstagsgeschenk konzipiert war, funktioniert gleichermaßen als Weihnachtsgeschenk für alle, die wissen wollen, was bleiben wird von dieser eigensinnigen Frau, die durch keine einzige der Gefängniszellen, in die man sie wieder und wieder steckte, je im Zaum gehalten werden konnte.

Kleinkünstler heißen so, weil ihnen die großen Bühnen versperrt sind und sie von Funk & Fernsehen ignoriert werden. Der Wahl-Berliner Sebastian Krämer ist seit Jahren Stammkünstler etlicher Kleinbühnen und seine Tonkunst fand jüngst Lob & Anerkennung durch die Jury der Deutschen Schallplattenkritik, die ihm den Jahrespreis für seine aktuelle Produktion verlieh: Liebeslieder an deine Tante. So skurril die Vorstellung, der liebsten Tante ein Liebeslied zu widmen, so gewohnt schnurrig, überraschend und wortgewandt böse geht es in allen Liedern zu. Im November dieses Jahres bekannte Krämer im Hamburger »Polittbüro«, Gründer eines neues Genres zu sein: »Traurige Kinderlieder«. Wer etwa beim Hören des Bonustracks »Taumelidau« auf dem genannten Album den Weg in die Kindheit antritt, beschreitet glückselige Pfade. Es geht nicht um den Rückzug ins Kindische, sondern das Besinnen aufs je eigene Kindliche: Das, was man im falschen Leben realisiert, ist wenig anderes als der Versuch, die Kindheit verwandelnd einzuholen. Krämer komponiert »Vergnügte Elegien«, die auch zum Weinen sind, aber es bereitet ein diabolisches Vergnügen zuzuhören. Das ist große Kunst. Damit sie auch danach klingt, wird der Pianist mit der stets falsch gebundenen Krawatte und der nuancenreichen Stimme vom Ensemble Sonnenunter-Gang und vom Quartett Bowhéme Berlin begleitet.

Julia Koppke [Vertrieb & Korrektorat]

In ihrem im Februar 2021 erschienenen Buch Dunkelnacht erzählt die mit der Hamburger Ehrenbürgerwürde ausgezeichnete Autorin Kirsten Boie eine wahre Begebenheit in der bayerischen Kleinstadt Penzberg im Jahr 1945, wenige Tage vor Ende des von den Nationalsozialisten angezettelten Krieges: Während die Amerikaner schon kurz vor der Stadt standen, einige Dorfbewohner*innen bestrebt waren, das Dorf friedlich zu übergeben und der von den Nationalsozialisten abgesetzte ehemalige Bürgermeister sein Amt wieder einzunehmen versuchte, töteten Soldaten und ein Mob 16 Männer und Frauen wegen »Hochverrats«. Alle Mörder von Penzberg wurden später freigesprochen.

Von Verzweiflung und der Sehnsucht nach Freiheit sind die Erinnerungen des KZ-Überlebenden René Baumer, der 1944 als Résistance-Angehöriger gemeinsam mit seinem Vater von der Gestapo verhaftet wurde. Nach sechs Wochen Haft wurde er in das KZ Neuengamme gebracht, einen Monat später in das Nebenlager Hannover-Stöcken; die Befreiung erlebte er im KZ Bergen-Belsen. Seine Berichte und Zeichnungen aus der KZ-Haft entdeckte sein Neffe Daniel Contamin erst nach seinem Tod 1982 und veröffentliche sie zunächst 2004 in Frankreich. Der Verein Gegen das Vergessen ./. NS-Zwangsarbeit, Hannover sorgte dafür, dass sie in unserem Verlag im Frühjahr 2021 erscheinen konnte. Belit Onay, der Oberbürgermeister von Hannover, steuerte ein Grußwort bei, Daniel Contamin ein Vorwort und die Historikerin und Autorin Janet von Stillfried den Beitrag »Vom Überleben und Sterben, von Freundschaft und Mitgefühl … René Baumer und das KZ Stöcken in Hannover«.  

Christoph Lieber [Redaktion Sozialismus.de]

»Transformation« braucht Strategie … Alle Welt setzt angesichts der globalen sozial-ökologischen Krisen und Herausforderungen auf Transformation. Auch die neue Ampelkoalition. Aber die Ernüchterung ist groß. Denn jede Große Transformation braucht Momente des Durchbruchs und der Beschleunigung – verbindende Mobilisierung strategischer Herausforderungen. Mit seiner Flugschrift Transformation heißt, das Ganze wagen macht Michael Brie am Beispiel der »ökonomischen Mobilisierung im Kampf gegen den Faschismus – USA 1940-1945« die Anforderungen an eine durchschlagende Transformation für heute historisch und empirisch plastisch. Denn ein einfacher (Rück)Bezug auf den historischen New Deal der 1930er Jahre bleibt verkürzt, wurden doch die Chancen für eine Große Transformation über den Kapitalismus hinaus durch die US-Kriegswirtschaft wieder eingebunden. Erst der New Deal und der Übergang zur Kriegswirtschaft zusammengenommen lassen sich als Testfall für eine Great Transformation exemplarisch auswerten. Dies leistet Bries spannend zu lesende Flugschrift mitsamt den strategischen Verknüpfungen für heute.

… und »verbindende Linien«. Transformation bedeutet grenzüberschreitend den Raum der Möglichkeiten zu erweitern und neue Verbindungen herzustellen. Die Zeichnungen Realität und Imagination sensibilisieren dafür: »[M]it Zeichnungen können Sie nicht nur in die Unendlichkeit des Raumes gehen, sondern auch die Zeit verändern«, gibt der »Berliner Sokrates« Klaus Heinrich (1927-2020) den Betrachter*innen seiner Zeichnungen mit auf den Weg. Der Religionsphilosoph, charismatische Gelehrte und studentische Mitbegründer der Freien Universität in Berlin, bekannt durch seine völlig frei und buchstäblich »in Bewegung« gehaltenen »Dahlemer Vorlesungen«, bewahrte sich neben Forschung und Lehre eine charakteristische Verbindung zur Kindheit (»Zeichnen ist eine Linie um etwas Gedachtes«, weiß der Kindermund). Aus den vorwiegend zwischen den späten 1940er Jahren und 2020, oft auf leeren Rückseiten von hektographierten Protokollen, Flugblättern oder vervielfältigten Wochenmenüs der Mensa entstandenen mehr als 3.000 Blättern kann man erstmals eine Auswahl in der Veröffentlichung »bestaunen«. Ein gemeinsamer Zug fast aller Zeichnungen ist die »verbindende Linie«, das unbewusste Bestreben, miteinander Verwobenes zu skizzieren. Mit leichter Hand. Auch für den heutigen Betrachter sind Klaus Heinrichs Zeichnungen voller Inspirationen.

Bernhard Müller [Lektorat | Buchhaltung | Redaktion Sozialismus.de]

Historisch interessierten Leser*innen sei das Buch »Kampf gegen das Judenthum«: Gustav Stille (1845–1920) von Hans-Jürgen Döscher empfohlen. Stille, Mediziner und Schriftsteller, war einer der frühen intellektuellen Vorkämpfer des Antisemitismus. »Rasse« und »Lebensraum«, »Volkskraft« und »Weltpolitik« bildeten die Axiome seines innen- und außenpolitischen Programms, mit dem er zentrale Ideologeme des Nationalsozialismus antizipierte. Biografie, Zielsetzungen und Rezeption Stilles werfen ein neues Licht auf die Entstehung und Reichweite des Rassen-Antisemitismus in Deutschland. Im Buch dokumentiert ist auch ein Briefwechsel zwischen Stille und Karl Kautsky, in dem dieser nachfragt, wie man Schwangerschaften verhindern könne. Weshalb konsultierte dieser zur Klärung der Frage keinen sozialistischen Arzt, sondern den Reaktionär Stille?

Der Aufstieg Chinas wirft Fragen auf: Was ist das Erfolgsgeheimnis von Chinas Entwicklung zur Weltwirtschaftsmacht? Was ist das Spezifische des Sozialismus »chinesischer Prägung«? Wie ist die wachsende soziale Spaltung im Land zu erklären, und was macht die KP dagegen. Und wie verhält es sich mit politischer Teilhabe, Freiheit und Demokratie? Autor*innen aus der Volksrepublik versuchen in dem von Yang Ping und Jan Turowski herausgegebenen Buch Sozialismusdebatte chinesischer Prägung authentische Antworten auf diese Fragen zu geben. Der erste Band der Reihe »LinkerChinaDiskurs« ist zentralen Orientierungspunkten der innerchinesischen Sozialismusdebatte gewidmet. Die Frage, was von einer politischen Führung zu halten ist, die offiziell die Einführung eines spezifischen »chinesischen« Sozialismus verfolgt, die noch immer bestehende große soziale Ungleichheit bekämpft und zugleich eine ausgeprägte, zunehmend digital unterstützte sozialer Kontrolle praktiziert, ist auch das Thema von Wolfgang Müllers Die Rätsel Chinas – Wiederaufstieg einer Weltmacht. Es beruht auf langjährigen beruflichen Erfahrungen des Autors in China selbst.

Björn Radke [Redaktion Sozialismus.de]

Was wäre, wenn Unternehmen, Gesellschaft und Regierung ein gemeinsames Ziel ins Auge fassen – mit geteiltem Risiko und geteilter Belohnung! In ihrem neuen Buch Mission. Auf dem Weg zu einer neuen Wirtschaft entwickelt die Ökonomin Mariana Mazzucato eine Skizze, nach der nicht nur die Kosten und das Risiko, sondern auch der Ertrag und die Fortschritte in der Gesellschaft fair verteilt werden. Nur so können Klimawandel, Ungleichheit und bedrohliche Krankheiten angegangen und bekämpft werden. Der Autorin geht es darum, »dass sich der Staat, will er ehrgeizige Resultate erzielen, von innen heraus ändern muss, und das – und wie – er seine Interaktion mit anderen Akteuren zu ändern hat. [...] Es braucht eine fundamental neue Beziehung zwischen allen Wirtschaftsakteuren, die willens und fähig sind, komplexe Probleme anzugehen, um tatsächlich relevante Ergebnisse zu erreichen.« Der Erfolg einer »Mission« für eine zukuftsorientierte Politik der Nachhaltigkeit zur Bewältigung der Klimakrise sei zwar ein schwieriges Unterfangen. Es erfordere eine »Zusammenarbeit über die üblichen Silos unserer Verwaltung hinweg«. Ein Buch mit sicherlich zum Streit anregenden Thesen, aber geeignet den Kopf zu lüften.

Auch wenn es falsch ist, die »neuen« Bundesländer als eine einzige AfD-Hochburg zu beschreiben, bleibt die Frage, warum die Partei dort mehr Wähler*innenstimmen mobilisieren kann als anderswo. Ein Faktor sind die Narben und Ängste, die der Transformationsprozess nach 1989/90 hinterlassen hat, da der Systemwechsel zum Kapitalismus bis heute nicht sozialverträglich überwunden wurde. Das Buch »Ein Volk steht auf – und geht zum Arbeitsamt« von Herrmann Vinke hilft, am konkreten Beispiel des Agierens der »Treuhand« nachzuvollziehen, was die »Wende« für die Menschen in der ehemaligen DDR konkret bedeutete. Der Autor lässt die Betroffenen zu Wort kommen, die oft über Jahre hinweg mutig und entschlossen für den Erhalt von Arbeitsplätzen gekämpft haben. Sie sind Zeitzeugen der jüngsten deutschen Geschichte, die 30 Jahre später endlich das ehrliche Eingeständnis verdienen, dass damals etwas grundlegend schief gelaufen ist. Diese Geschichte der Treuhand von unten war überfällig, ihre Lektüre macht nachdenklich und deutlich zugleich, wie notwendig eine  grundlegende Korrektur der Politik für und in den Bundesländern im Osten ist.

Bernhard Sander [Redaktion Sozialismus.de]

Die Lage der arbeitenden Klassen findet auch nach Abschluss des Engels-Jahres in deutschen literarischen Kreisen noch Beachtung. Deshalb gleich drei Empfehlungen: Das laut Frankfurter Allgemeine Zeitung meistgespielte Stück der Saison ist die Einrichtung von Édouard Louis kurzem autobiografischen Text Wer hat meinen Vater umgebracht für die Bühne. Der Franzose macht sich zum Sprachrohr der prekär Beschäftigten, deren Einkommen dank Sozialabbau unter den historisch-moralischen Wert der Arbeitskraft gedrückt wird – einschließlich deren Verachtung seitens der Feuilletons. »In Bezug auf Queerness war die Diskussionskultur in Deutschland offen. In Bezug auf Armut und die Gewalt, die der Staat Arbeitslosen antut, war das nicht der Fall«, sagt der Autor, der in der schmalen Schrift auch die Schwierigkeiten des eigenen Coming Outs gegenüber dem Vater beschreibt. In seinem gerade erschienenen neuesten Text Die Freiheit einer Frau erzählt er schonungslos und liebevoll von seiner Mutter. Ob der Vorwurf von Louis gegen das literarische Frankreich auch den Versroman (!) Am laufenden Band von Joseph Ponthus trifft, mag die Leserschaft selbst entscheiden. Er schildert, mit Zitaten aus der literarischen Hochkultur versetzt, den zermürbenden Alltag als Leiharbeiter in nordfranzösischen Fisch- und Fleischverarbeitungsfabriken.

Bevor es in die vier Landtagswahlen des Jahres 2022 geht, sollten politisch Aktive einen Blick risikieren in das neue Buch von Harald Wolf: (Nicht)Regieren ist auch keine Lösung. Die teils lähmende Debatte ist ja älter als die Linkspartei, Syriza oder grüne Fundis. Die französischen Kommunist*innen konnten ihren Niedergang mit dem Austritt aus der Regierung unter Mitterrand 1983 ebensowenig aufhalten wie mit dem Durchhalten in der »Gauche Plurielle« 20 Jahre später. Was lässt sich für die zukünftigen Aufgaben lernen? Die Linke, groß oder klein geschrieben, steht in dem immerwährenden Dilemma: Integration in den bürgerlich-parlamentarischen Betrieb und den gesellschaftlichen Mainstream auf der einen und notwendige Autonomie gesellschaftsverändernder Bewegungen auf der anderen Seite. »Diesem real existierenden Widerspruch kann man jedoch nicht entgehen, indem man sich jeweils auf einer Seite des Widerspruchs festsetzt.« Harald Wolf sucht also nach Antworten auf die Fragen zum Charakter und der Funktionsweise des bürgerlichen Staates, zu der Rolle von Parteien und gesellschaftlichen Bewegungen und ihrem Verhältnis zum Staat – kurz zu einer realistischen linken Strategie der Transformation.

Gerd Siebecke [Lektorat | Herstellung | Redaktion Sozialismus.de]

»Wer  baute das siebentorige Theben? In den Büchern stehen die Namen von Königen. Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?« lässt Bertolt Brecht einen »lesenden Arbeiter« fragen. Ähnliches gilt für die Geschichte der niedersächsischen Metropole Hannover. Zu der gibt es zahlreiche Bücher, insbesondere über die Zeit nach 1945. Aber in ihnen sind bis auf wenige Ausnahmen handelnde Personen vor allem Politiker und Unternehmer. Arbeiterinnen, Arbeiter und Angestellte kommen darin allenfalls am Rande vor. Anstelle das bloß anzuprangern, haben die Kolleg*innen der IG Metall vor Ort die Initiative ergriffen und ein Redaktionsteam beauftragt, »unsere Geschichte – die Geschichte der Beschäftigten in der Metallindustrie und im Handwerk sowie ihrer gewerkschaftlichen Interessenvertreter in der Zeit von 1945 bis 2010« aufzuschreiben. Entstanden ist das reich bebilderte Buch Streiten und gestalten. Im Zentrum stehen die gewerkschaftlichen Kämpfe in den hannoverschen Betrieben, in Tarifrunden und bei gesellschaftlichen Konflikten vor dem Hintergrund der politischen und ökonomischen Situation der jeweiligen Zeitperiode. Über 50 Zeitzeugen werden portraitiert und geben ein detailliertes Bild über die Arbeits- und Lebensbedingungen. Insofern finden Leser*innen in dem Band auch ein gewerkschaftliches Zeitpanorama jener Zeit – nicht nur aus der Sicht von Hannover.

Das neue Buch Ein Bauch spaziert durch Venedig meines Lieblingskochs Vincent Klink erscheint erst am 17. Mai 2022. Wer für das bevorstehenden Fest mehr als einen Buchgutschein dafür verschenken will, kann ggf. einen neuen Holzschnitt des Küchenmeisters erwerben oder auch einen Geschenkgutschein für ein Abendessen auf der Stuttgarter Wielandshöhe. Für beides ist ein höherer Betrag anzusetzen. Wer sich allerdings den Grundideen für nachhaltiges und gesundes Kochen und Essen Klinks nähern möchte, braucht dafür gar nichts bezahlen. Auf der Website seines Restaurants gibt es kostenlos diverse Überlebensrezepte – von einem Eintopf über Gnocchi (»Wer ›Gnotschi‹ sagt, wird mit der Serviette erschlagen.«) bis hin zu original Maultaschen. Und auch zu meiner bevorzugten Lieblingsspeise Risotto schrieb er zurecht bereits 2017 in seinem Tagebuch: »Je mehr Butter, umso mehr Genuss.«

Túpac Stuer [hilft immer & überall aus]

Ich empfehle zuächst das Buch Lauftraining – Die Anatomie verstehen von Chris Napie für alle, die sich mit Laufen auch mal theoretisch auseinandersetzen wollen – für Einsteiger*innen und Fortgeschrittene. Bei der Anatomie angefangen über Technik, Vorbeugung von Verletzungen und Stärkung bis zum jeweiligen Training ist das Buch aus wissenschaftlicher Sicht im Detail und kompakt geschrieben. Die sehr anschaulichen Abschnitte lassen sich auch unabhängig voneinander lesen. Dargestellt werden auch Faktoren, die das Laufen beeinflussen (etwa beim individuellen Laufstil) – bis hin zu einer möglichen Transformation der eigenen Performance über fünf Kilometer bis zum Marathon.

Mit anderen Transformationen und Zeitdiagnosen sind die Autor*innen des Buches Das Chaos verstehen befasst. Gezeigt werden zunächst die eigensinnigen und mehrdimensionalen Krisen zu Beginn des 21. Jahrhunderts: Klimakatastrophe, soziale Krisen, Finanz- und Euro-Krise bis einschließlich Corona. Nach einer Umfrage des renommierten IFOP-Instituts zufolge glauben immer mehr Menschen in den westlichen Ländern an einen Zusammenbruch der Zivilisation in den nächsten Jahren, wie in der Einleitung herausgestellt wird. Das gesellschaftliche Klima in südostasiatischen Ländern sei dagegen, z.B. aufgrund des wirtschaftlichen Aufstiegs, eher positiv. Ein Grund für das Chaos sehen die Autor*innen nicht nur im Missmanagement der Corona-Krise, sondern auch in Entscheidungsprozessen durch mächtige Unternehmen und Wirtschaftsverbände – bis in die unmittelbare Gesetzgebung hinein. Und sie diskutieren »Was tun, um nicht in Panik, lähmenden Zynismus oder Resignation zu verfallen?« Eine Antwort könnte in einer Transformation durch planvolle Lenkung bestehen.


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