Liebe Leserinnen und Leser,

um alle 24 Türchen des Adventskalenders zu füllen, mögen die VSA: Geschenktipps nicht ausreichen. Das eine oder andere Weihnachtspräsent mag sich darunter aber finden lassen. Die MitarbeiterInnen der Redaktion Sozialismus und des VSA: Verlags empfehlen jeweils ein Buch, an dem sie in diesem Jahr mitgewirkt haben, und ein Geschenk, das auf ihrer Wunschliste steht oder das sie selbst verschenken werden.

Wir wünschen allen LeserInnen ein buntes Fest!

Richard Detje [Lektorat | Redaktion Sozialismus | WISSENTransfer]

Es ist ein Privileg, an dieser Stelle gleich fünf Bücher in einer Neuausgabe empfehlen zu dürfen: »Politisches Denken im 20. Jahrhundert« von Frank Deppe. Ich greife in verschiedenen Kontexten und mit unterschiedlichen Fragestellungen häufig auf diese Bände zurück. Denn der Gebrauchswert, besser: Erkenntnisgewinn, ist vielschichtig. Erstens handelt es sich um die kritische Darstellung der großen politischen Strömungen und Bewegungen von der Belle Epoque bis zur Erschütterung der Pax Americana in der Gegenwart: Liberalismus, Konservatismus, Sozialismus. Nicht als Ideengeschichte, sondern als Ausdrucksformen der sozio-ökonomischen und politischen Entwicklung eines Jahrhunderts, auf das wir im Vergleich der Weltwirtschaftskrisen, der Epochen kapitalistischer Akkumulation (Fordismus) oder der Herausbildung der gesellschaftlichen und politischen Katastrophen (Faschismus) immer wieder rekurrieren. Es ist damit – zweitens – marxistische Geschichtsschreibung und Zeitdiagnose. Heruntergebrochen wird diese Darstellung auf die Einordnung zentraler Vertreter der politischen Hauptströmungenl. Wer also – drittens – in unserer Zeit eines dynamisch sich entwickelnden Rechtspopulismus beispielsweise mehr über Carl Schmitt wissen möchte, schlage in Band 2 nach. Viertens ist die Analyse politischen Denkens in einem Jahrhundert der Staatenbildung ein Beitrag zur Staatstheorie, was die Nutzanwendung in den aktuellen Debatten um Transnationalisierung und Nationalstaat unterstreicht. Schließlich geht die Perspektive über die Metropolen hinaus – exemplarisch: Lenin, Sun Yat-sen, Mao Zedong, Mahatma Gandhi, Ernesto Che Guevara. Fazit: Ein Grundlagentext und Nachschlagewerk, auf das nicht verzichtet werden kann.

»Wer die Grunderfahrung von Flucht und Vertreibung einmal gemacht hat, der arbeitet ein Leben lang an dem Problem der Ich-Findung und der Orientierungssicherheit, denn das erste, was ein Flüchtlingsdasein bewirkt, ist die Zerstörung verlässlicher Orientierung. Diese wiederherzustellen oder neu zu gründen, ist ein wesentliches Aufbauelement einer Gesellschaft, die den Menschen ein Stück Macht über die eigenen Verhältnisse zurückgeben kann.« Das schreibt Oskar Negt in seiner autobiografischen Spurensuche mit dem Titel: »Überlebensglück«. Es ist der erste Teil einer Lebensgeschichte, die von Ostpreußen, der Flucht über die Ostsee, Dänemark, das gespaltene repressive und restaurative Nachkriegsdeutschland bis zum Marx-Studium in Göttingen und Frankfurt reicht.

Maren Schlierkamp [Lektorat | Vertrieb & Werbung]

Der Lebensmittelhändler Edeka zeigt zur Weihnachtszeit erneut einen kitschigen Werbespot mit der Botschaft #Zeitschenken. Der Clip hat noch mehr Potenzial zum YouTube-Hit zu werden als sein erfolgreicher Vorgänger #heimkommen. #Zeitschenken erntet aber nicht nur viele Klicks, sondern auch Kritik. Bezugnehmend auf den Titelsong »Muss noch dies, muss noch das« fährt ein Auto mit dem fiktiven Kennzeichen »MU SS 420« vor. Die Buchstabenkombination »SS« ist in Deutschland wegen ihrer Bedeutung zur Zeit des Nationalsozialismus verboten. Grundlegendere Gesellschaftskritik äußert das Netzwerk Attac, wenn es sich am Kauf-Nix-Tag beteiligt, um zum Nachdenken über Konsum und Wachstumswahn des kapitalistischen Wirtschaftssystems anzuregen. In den USA fand die Aktion am Black Friday statt, dem Tag nach dem Erntedankfest (Thanksgiving), an dem viele Amerikaner frei haben und der Handel den Beginn der Weihnachtseinkaufssaison mit vielen Rabatten und Schnäppchen einleitet.

Zeit sollte man sich auch nehmen, um in Michael Tötebergs reich bebildertem Buch Filmstadt Hamburg zu schmökern. Neben Stars wie Fatih Akin, Hans Albers, Götz George, Hildegard Knef, Sophia Loren, Inge Meysel, Heinz Rühmann und Wim Wenders sind es die Studios und Schauplätze, die Hamburg zur Movietown machten und immer noch machen. Tötebergs Geschichten laden ein zu einem virtuellen und auch tatsächlichen Spaziergang durch Hamburgs Filmhistorie.

Gerd Siebecke [Lektorat | Herstellung | Redaktion Sozialismus]

Ein Rezept für Weihnachtskekse enthält die »Kleine Weltküche« auch – denn es handelt sich um ein Buch mit Kochrezepten von Geflüchteten und Freunden. Also hat Herausgeberin Ulrike Hinrichs »Oma Wilhelmsburgs Braune Kuchen« ausgegraben, bei denen sie bis heute »immer noch den Weihnachtsmann rauschmecke«. Ansonsten lässt sich aus den Rezepten aus Afghanistan, Albanien, Bosnien, Deutschland, Ghana, Griechenland, Kolumbien, Irak, Mali, Peru, Senegal, Serbien, Syrien und der Türkei auch ein viergängiges Weihnachtsmenü oder Jahresendessen zusammenstellen. Und selbst für faule Köche hat Günther Spiegel, der andere Herausgeber, eine Lösung: die »Faule Pizza« mit einer Scheibe Brot, Salami, Käse, viel Ketchup und italienischer Kräutermischung, fertig in eineinhalb Minuten in der Mikrowelle. Das Buch ist ein Gesamtkunstwerk, von den Beteiligten kunterbunt illustriert. Kaufen, Lesen, Staunen, Nachkochen und Essen!

Dass auch Vincent Klink, der schreibende Meister am Herd und an der Basstrompete auf der Wielandshöhe in Stuttgart, ein Gesamtkunstwerk ist, wissen die LeserInnen der Geschenketipps aus den Vorjahren. Jetzt hat er die wichtigsten Schriften von Grimod de la Reynière, eines »Gourmand der ersten Stunde und Zeitgenossen der Französischen Revolution« wieder entdeckt und serviert dessen »Grundzüge des gastronomischen Anstands« – zusammen mit eigenen Rezepten. Die Überlegungen des »Vordenkers der wohlüberlegten Nahrungsaufnahme« sind Ausdruck seiner Zeit, aber überholt sind sie keineswegs, vieles hat »immer noch Gültigkeit und könnte uns gegen den hirnentleerten ›Eventismus‹ und die geschmacklosen Distinktionsrituale unserer Zeit wappnen«, denn das »Nichtwissen um die kulturellen Fundamente des Essens und Trinkens erklärt manchen Größenwahn der heutigen Kochkünstler« (Klink). Wohl wahr!

Marion Fisch [Lektorat | Herstellung | Redaktion Sozialismus]

»Nachbar Polen, was ist los?«, fragte eine MDR-Sendung im Februar. Wer die polnischen Nachbarinnen und Nachbarn und ihre jüngere politische Geschichte besser verstehen will, erhält mit dem Buch »Polens Rolle rückwärts« gehaltvollen gedanklichen Treibstoff. Die Autoren, der Publizist Krzysztof Pilawski und der Rosa-Luxemburg-Forscher Holger Politt, zeigen, wie es dazu kommen konnte, dass engstirnig-nationalkonservative Kräfte in ihrem Land die gesellschaftliche Hegemonie und in Warschau die Regierungsmacht erlangten – und vor welchen Aufgaben die polnische Linke steht, um den Rollback nicht nur zu stoppen, sondern wieder eigene, fortschrittliche Wege zur sozialen Gerechtigkeit – in Polen und Europa – einzuschlagen.

Über ein erhellendes Zitat zur Konstruktion historischer Identität in diesem Buch wurde ich wiederum auf den Roman »Sandberg« von Joanna Bator aufmerksam, den ich ebenfalls gerne zum Verschenken empfehle. Er handelt von drei Generationen einer nach 1945 zwangsweise aus Ostpolen umgesiedelten Familie. Einen Zweig dieser Familie verschlägt es in einen sozialistischen, buchstäblich erodierenden Plattenbau von Piaskowa Gora (dt. Sandberg, ein Stadtteil von Wałbrzych, dem ehemaligen Waldenburg). Ein traurig-komischer Ausflug nach Osteuropa, in dem Geschichte in lebendig geschilderten Einzelschicksalen verkörpert und in einem bilderreichen Stil erzählt wird – wo sonst begegnen wir einem Priester, der in seinem Beichtstuhl sitzt wie die Füllung in der Schokolade …?

Björn Radke [Redaktion Sozialismus]

Anfang 2016 haben Wolfgang Niedeckens BAP ihr 18. Album »Lebenslänglich« veröffentlicht. Sie brachten die Platte auch auf die Bühne, z.B. im Neuköllner Heimathafen in Berlin, wo die Kölschrocker die neuen Songs schon einen Tag vor dem offiziellen Release vor Publikum spielten. Für alle anderen gibt es jetzt mit »Lebenslänglich im Heimathafen« einen Mitschnitt dieses besonderen Abends, und zwar in Bild und Ton. Die Special-Edition auf insgesamt drei CDs und einer DVD enthält das neue Album (CD 1), dazu das Livealbum »Lebenslänglich im Heimathafen« (CD 2), auf dem außerdem u.a. »Verdamp lang her« und eine Coverversion von David Bowies »Heroes« zu hören sind. Schließlich gibt es auf der CD 3 die Songs, die Wolfgang Niedecken in diesem Jahr beim Vox-Tauschkonzert »Sing meinen Song« zum Besten gegeben hat. Die DVD enthält den Film vom Albumreleasekonzert. Empfehlenswert nicht nur für KölnerInnen.

»Europa, bitte links abbiegen« titelte die taz am 31.10. ihren Bericht über die Streitschrift von Klaus Busch, Axel Troost, Gesine Schwan, Frank Bsirske, Joachim Bischoff, Mechthild Schrooten und Harald Wolf. Und das neue deutschland schrieb am 1.11., die AutorInnen »nehmen sich der linken Euro- und Institutionenkritik mit Respekt an, kommen aber auf ganz andere Antworten als die Anhänger eines ›Lexit‹... Das Büchlein ist gewissermaßen das Gegenteil von jener Nicht-Diskussion, die sich ... entweder auf gegenseitiges Abverlangen von ›Verlässlichkeit‹ in EU-Fragen beschränkt oder aber ... Anti-EU-Rhetorik bedient.« So kommt eine überfällige Diskussion in Gang, was genau die Absicht der Streitschrift »Europa geht auch solidarisch!« ist.

Klaus Schneider [Lektorat | Buchhaltung | Redaktion Sozialismus]

Angesichts der Weltlage könnte manch einer die Neigung verspüren, sich zu Erholungszwecken in fremden Welten zu verlieren. Das kann mithilfe von Büchern, Filmen oder eben Videospielen passieren. Empfohlen sei das für die PlayStation 4 erschienene »The Last Guardian« der japanischen Ausnahmekönner von »Team ICO«. In der Gestalt eines kleinen Jungen müssen wir das Vertrauen eines monströsen Vogel-Katzen-Wesens gewinnen. Damit die beiden auch als Team funktionieren und sich der zahlreichen Gefahren erwehren können, muss viel gegenseitiges Vertrauen aufgebaut werden. Dadurch, dass das Tier mit viel Liebe zum Detail animiert ist, entwickelt es eine sehr Respekt einflößende Präsenz. Umso intensiver und emotionaler ist dann das Band, das sich zwischen Junge und Tier zu knüpfen beginnt. »The Last Guardian« ist eine berührende Geschichte über ein ungleiches Duo, von dem man sich für ein paar Stunden in diesem Winter gerne verzaubern lässt.

Um dem Nerdtum weiter zu huldigen, geht's vom Videospiel zum Comic. Denn auch hier steht ein schwieriger Akt der Bändigung an. Statt des Federkleids unseres obigen gefiederten Freundes haben wir es aber mit einem überaus ikonischen Wuschelbart zu tun: mit dem von Karl Marx. Mindestens genauso in alle Himmelsrichtungen strebend wirken auch manche Gedankengebäude in den Bänden von »Das Kapital«. Deshalb ist es so verdienstvoll, dass Jari Banas aus dem ersten Band einen sehr vergnüglichen Comic gemacht hat: »›Das Kapital‹ als Comic. Für Einsteigerinnen und Einsteiger«. Sein großes Kunststück besteht darin, dass er die komplexen marxschen Gedanken nicht simplifiziert und entstellt. Er verpackt sie stattdessen in Bilder, die diesen wie angegossen passen. So werden die Grundzüge des marxschen Kapitals schnell verständlich gemacht – vor allem mit viel Jari-Humor! Umso schöner, dass die aktualisierte Ausgabe mit 16 neuen Seiten daherkommt und Marx in das digitale Smartphone-Zeitalter katapultiert. Ob dieser es schafft, aus »Pokémon Go«-Spielern die Revolution anzettelnde »Kapital«-Leser zu machen, sei hier nicht verraten.

Joachim Bischoff [Lektorat | Redaktion Sozialismus]

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts leben wir in einer Welt zunehmender Arbeitslosigkeit und Verarmung, prekärer Beschäftigungsformen mit rapidem Ansteigen stressbedingter und psychosozialer Krankheiten, von Verteilungskämpfen um knapper werdende Ressourcen und Energiequellen, Umweltzerstörung, asymmetrischen Kriegen und Terrorismus. Hinzu kommt eine Autoritätskrise demokratischer Repräsentation, da sich politische und ökonomische Macht bei einer immer weniger greifbaren Minderheit konzentriert. Mit dem von Aaron Tauss herausgegebenen Buch »Sozial-ökologische Transformationen: Das Ende des Kapitalismus denken« wollen die Autoren über die aktuelle Krisenanalyse hinaus über antikapitalistische Perspektiven informieren und im Sinne von Blochs »konkreter Utopie« Gegenentwürfe skizzieren. Ihr Ausgangspunkt: Der Kapitalismus bringt kontinuierlich auch Möglichkeiten seiner Überwindung hervor. Deshalb lautet die Herausforderung, diese sichtbar zu machen und Strategien zu entwickeln, mit denen sich die Potenziale verknüpfen und verstärken lassen.

Eine etwas andere Sicht liefert der an der University of New York lehrende Ökonom Branko Milanovic. Er hat in seinem neuen Buch »Die ungleiche Welt. Migration, das Eine Prozent und die Zukunft der Mittelschicht« die Einkommensentwicklung auf globaler Ebene untersucht. Sein Fazit: In der Hochzeit der Globalisierung – von 1988 bis 2008 –  haben die Mittelschichten in den Schwellenländern vor allem Ostasiens bei den Einkommen deutlich zulegen können, während sie in den westlichen Industrienationen real an Einkommen verloren haben. Die Verlierer der Globalisierung wohnen in den vernachlässigten Regionen der USA, Großbritanniens, Frankreichs, Deutschlands, Italiens und auch der Schweiz. Wenn diese in Wahlen oder Referenden ein Ventil erhalten, ihre Gefühle kundzutun, dann tun sie es auch. In den USA verdienten die Leute schon vor der Finanzkrise wenig, sie fühlten sich aber reicher, weil sie von ihrer Bank mit billigen Krediten versorgt wurden. Als die Blase platzte, stellten sie fest: Es bleibt nicht viel übrig. Globalisierung macht die armen Länder ärmer und die reichen reicher – so viele KritikerInnen. Die Ironie der Geschichte: Das ist nur die halbe Wahrheit. Zumindest in China und Indien sind die Einkommen zum Teil erheblich gestiegen. Umgekehrt hat in den USA die Ungleichheit ein Ausmaß erreicht, das wichtige Errungenschaften gefährdet. Wenn Normalverdienern der Zugang zu einer guten Ausbildung versperrt wird, weil sie sich den Besuch einer Universität nicht leisten können, wenn Superreiche die politische Agenda beeinflussen, dann sind das Merkmale einer plutokratischen Herrschaft.

Bernhard Müller [Lektorat | Buchhaltung | Redaktion Sozialismus]

Ungleichheit ist zu dem Schlüsselproblem der Gegenwart geworden. Zwischen Superreich und Bettelarm klafft heute weltweit ein Abgrund, der tiefer und breiter ist denn je. Ungleichheit führt in vielen Ländern dazu, dass sich Menschen zurückgesetzt, nicht anerkannt fühlen. Das ist der Humus, auf dem dann Ressentiments und Rechtspopulismus gedeihen. Anthony Atkins, einer der führenden Experten im Feld der Ungleichheitsforschung, zieht in seinem neuen Buch »Ungleichheit. Was wir dagegen tun können« eine umfassende Bilanz der Entwicklung der Ungleichheit vor allem in der kapitalistischen Hauptländern. Seit den 1980er Jahren sind danach die Verteilungsverhältnisse (wieder) völlig aus den Fugen geraten. »Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Sozialstaat ausgebaut, und progressive Einkommen- und Erbschaftssteuern sollten die Konzentration von Vermögen reduzieren. Davon ist seit den 1980er-Jahren und dem Siegeszug des Neoliberalen keine Rede mehr. Die Spitzensteuersätze sind heute viel niedriger als vor dreißig Jahren. Sozialleistungen werden in vielen Ländern gekürzt, Billiglöhne angeboten und prekäre Arbeitsverhältnisse geschaffen.« Die gut nachvollziehbare Darstellung gibt dem Buch den Charakter eines Einführungstexts und Lehrbuchs. Atkinson macht umfassende Vorschläge für staatliche Maßnahmen zur Verringerung von Ungleichheit. Dabei geht er auch auf mögliche Einwände ein. Ein nüchternes, aber auch optimistisches Buch: »Wenn wir bereit sind, den größeren Wohlstand, über den wir heute verfügen, zu nutzen, um diese Probleme anzugehen, und wenn wir akzeptieren, dass diese Ressourcen gleicher verteilt werden müssen, dann gibt es in der Tat genügend Gründe für Optimismus.« Die Zukunft liege weitgehend in unserer Hand.

Kann eine Gesellschaftsformation nur enden, wenn sie von einer besseren abgelöst wird? Diese Frage treibt diverse Autoren um – von Wolfgang Streeck bis Slavoj Žižek. Frühe Ökonomen (Ricardo, Keynes, Schumpeter u.a.) haben den Untergang des Kapitalismus infolge von sozialen Verwerfungen zum Thema gemacht. Moderne Untergangstheoretiker behaupten, der Kapitalismus verende von selbst. Wie das gehen soll, wird nicht erklärt. Um zu verstehen, was um uns herum stattfindet, benötigen wir einen realistischen Blick auf Übergangs- und Zerfallszeiten. Kapitalismus hat immer nur funktioniert, wenn es für ihn eine globale Ordnungsmacht gab – im 19. Jahrhundert Großbritannien, im 20. die USA. Inzwischen gerät die Weltordnung mehr und mehr aus den Fugen: eine Gesellschaft ohne Ausgleichungsprozesse, Sicherheit und Solidarität, von Zynismus zerfressen und ständig von platzenden Vermögensblasen bedroht, zusammengehalten von grenzenloser Konsumlust am Rande der ökologischen Möglichkeiten – das kann nicht gutgehen. Aber was kommt danach? Wer sind die Akteure, die den Kapitalismus in eine humanere, sozialere und nachhaltigere Gesellschaft transformieren? Gibt es die überhaupt noch? Und was ist ihre Agenda? Auf diese Fragen suchen Joachim Bischoff und Klaus Steinitz in ihrem Buch »Götterdämmerung des Kapitalismus?« eine Antwort.

Johannes Tesfai [Lektorat | Vertrieb | Redaktion Sozialismus]

Welche Ursachen hat der religiöse Fundamentalismus? Diese Frage stellen sich viele WissenschaftlerInnen und Intellektuelle nicht erst seit dem Bürgerkrieg in Syrien. Auch Friedrich Steinfeld hat sich in seinem neuen Buch »Religiöser und politischer Fundamentalismus im Aufwind. Die Sehnsucht nach Identität« diese Frage gestellt. Anders als viele Autoren zu diesem Thema sucht er ganz grundsätzlich nach dem religiösen Bedürfnis in den gegenwärtigen und vergangenen Gesellschaften. Fundamentalismus zeigt sich so als Produkt der Moderne, trotz seiner rückwärtsgewandten Bezüge. Denn die Moderne war und ist auch immer ein Ort, der Mythen produziert und bewahrt. Eine kritische Perspektive auf Religion erscheint gerade zu Weihnachten durchaus passend.

Ein Sachbuch wurde dieses Jahr besonders intensiv diskutiert: Didier Eribons »Rückkehr nach Reims«. Der Autor versucht eine Begründung für den Aufstieg der Rechten in Frankreich zu liefern, aber auch gleichzeitig seine eigene Biografie aufzuarbeiten. Ausgangspunkt ist seine Verwunderung über die Selbstverständlichkeit, mit der seine eigenen Verwandten mittlerweile rechts wählen. Denn der Bildungsaufsteiger Eribon kommt aus einer Arbeiterfamilie, die durch das Milieu der sozialistischen und kommunistischen Parteien geprägt war. Eribon liefert mit seinem essayistischen Stil eine interessante Zeitdiagnose der französischen Gegenwart, gleichzeitig zeigt er ein vergangenes Panorama der französischen Gesellschaft und ihrer Milieus, wie sie es so nicht mehr gibt.

Christoph Lieber [Redaktion Sozialismus]

Rechtzeitig zum hundertsten Jahrestag der russischen Revolution(en) ist die deutsche Neuübersetzung von »Die Baugrube« von Andrej Platonow (1899-1951 erschienen, dem Kafka unter den frühen sowjetischen Schriftstellern. Als Anhänger der Oktoberrevolution und Bolschewik bringt er wie kein anderer die Widersprüche und Paradoxien im Aufbau des Sozialismus insbesondere nach der »zweiten Revolution« von oben (1928ff.) in eine phantastische Sprache, in der das Neusprech der Sowjetepoche kollidiert mit der alten bäuerlichen Rede und der Sprache der Bibel, Dialektales mit Folkloristischem und Flüchen, Abkürzungen mit Bandwurmausdrücken, Verstandenes mit Unverstandenem. Entsprechend schief und brüchig ist die Grammatik dieses Romans, dessen eigentlicher Akteur die Sprache selbst ist. Der 1930 abgeschlossene und zu Lebzeiten nicht veröffentlichbare Roman spielt in der Epoche des ersten Fünfjahrplans und bringt zwei für die damalige Zeit typische Schauplätze zusammen: das Projekt des Baus eines gigantischen Hauses als Wohnstätte für das Proletariat und die 1929 einsetzende Kollektivierung der Landwirtschaft. Aber die überzogenen Kraftanstrengungen des »Sozialismus in einem Lande« hinterlassen eine mörderische Grube. Von diesem Scheitern eines Turmbaus zu Babel kündigen schon die ersten drei Sätze: »Am dreißigsten Jahrestag seines persönlichen Lebens gab man Woschtschew die Abrechnung von der kleinen Maschinenfabrik, wo er die Mittel für seine Existenz beschaffte. Im Entlassungsdokument schrieb man ihm, er werde von der Produktion entfernt infolge der wachsenden Kraftschwäche in ihm und seiner Nachdenklichkeit im allgemeinen Tempo der Arbeit. Woschtschew nahm in der Wohnung die Sachen in einen Sack und ging nach draußen, um an der Luft besser seine Zukunft zu verstehen.«

Wem von diesen gut platzierten Hieben Platonows beim Weiterlesen die Hände zittern, sollte parallel dazu seine Sozialismusvorstellungen an Jan Hoffs »Befreiung heute« wieder aufrichten, der »emanzipationstheoretisches Denken und historische Hintergründe« aus dem engen Korsett von Bolschewismus und dem »Manko am Proletariat« entlässt: Hoff spannt einen beeindruckenden Bogen emanzipatorischen Denkens von Marxens Kritik der politischen Ökonomie, dem Anarchismus eines Bakunin und Kropotkin über die revolutionären Denkansätze bei Lukács und Korsch und die Renaissance nach 1945 und mit der 68er Bewegung bis hin zu den krisen- und emanzipationstheoretischen Debatten im Kontext von Globalisierung, Finanzmarktkapitalismus und Neuer Marx-Lektüre. Die jeweiligen Inspirationsquellen bei Marx, Lenin, libertären Sozialisten bis zum Anarchisten David Graeber werden auf ihre Emanzipationsvorstellungen hin fokussiert und damit der Leser mit einem reichhaltigen Panorama an Systemsprengsätzen entlassen, die die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft immer noch bereithält. Darüber hinaus halten die LeserInnen eine aktualisierte »Bibliographie des revolutionären Sozialismus« (Rudi Dutschke 1966) auf der Höhe der Zeit in der Hand.

© 2016 VSA: Verlag Hamburg GmbH