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Tobias Pflüger / Jürgen Wagner (Hrsg.)

Welt-Macht EUropa

Auf dem Weg in weltweite Kriege

340 Seiten | 2006 | EUR 19.80 | sFr 35.10
ISBN 3-89965-183-9

 

Kurztext: Zahlreiche ExpertInnen führen systematisch in die Grundlagen europäischer Sicherheitspolitik ein und dokumentieren, dass die EU zu einer aggressiv-expansionistischen Macht geworden ist, für die Krieg zur Durchsetzung ihrer Interessen die Normalität darstellt.


Das Buch beleuchtet die offiziellen Legitimationsstrategien sowie die tatsächlichen machtpolitisch-ökonomischen Interessen hinter EUropas Kriegspolitik. Anhand grundlegender EU-Dokumente und spezifischer EU-Regionalstrategien wird aufgezeigt, wie dabei sowohl Konzerninteressen und das Bestreben, die knapper werdenden Rohstoffvorkommen zu kontrollieren, eine wichtige Rolle spielen als auch die Ausweitung und Absicherung der neoliberalen Weltwirtschaftsordnung.

Diese verursacht die Verarmung weiter Teile der Weltbevölkerung und stellt so den Hauptfaktor für die gewaltsame Eskalation von Konflikten dar. Um die Globalisierungskonflikte unter Kontrolle zu halten, wird wiederum verstärkt auf militärische Mittel zurückgegriffen. So werden zunehmend hohe Beträge in EU-Rüstungsprojekte investiert und ein "militärisch-industrieller Komplex" aufgebaut. Die EU trägt somit keinesfalls zu einer friedlicheren Welt bei, sondern ist im Gegenteil für viele Kriege und Konflikte maßgeblich verantwortlich.

Die Herausgeber:
Tobias Pflüger ist Politikwissenschaftler, Mitglied des Europäischen Parlaments und Mitglied des Vorstandes der Informationsstelle Militarisierung (IMI). Jürgen Wagner ist geschäftsführender IMI-Vorstand und u.a. Autor von "Das ewige Imperium: Die US-Außenpolitik als Krisenfaktor" (2002)

Rezensionen

Friedensmacht Europa?
Ein Sammelband untersucht die herrschende Ideologie

Bis tief hinein ins linksliberale Lager reicht die Vorstellung einer pazifistischen EU, die, im Unterschied zu den USA, mit den Mitteln der Diplomatie und im Rahmen der UNO sich weltweit für Frieden einsetze. Das in allen großen Tageszeitungen veröffentlichte "Manifest für Europa" oder der vorgebliche Antikriegskurs vor allem der deutschen und französischen Regierung beim Krieg gegen den Irak trugen dazu bei, die in Europa breite Ablehnung jeglicher militärischer Konfliktlösungen in die herrschende Ideologie einer Friedensmacht Europa zu integrieren. Der von Tobias Pflüger und Jürgen Wagner herausgegebene Sammelband Weltmacht EUropa entlarvt diese Ideologie bis ins Detail.

Der erste und längste Teil ("Strukturen und Grundlagen der Weltmacht EU") beschreibt handbuchartig die historische Genese der EU und zeigt, dass die militärische Komponente hier von Beginn an eine wichtige Rolle spielte und dann vor allem mit dem Ende der Ost-West- Konfrontation eine weitere Aufwertung erfuhr. Interessant ist hier vor allem der Aufsatz von Jürgen Wagner über "Neoliberale Politik: Transatlantische Konzepte einer militärischen Absicherung der Globalisierung", der die Militarisierung weniger als Ausdruck einer wachsenden Konkurrenz zwischen den USA und der EU versteht (wie das für die deutschsprachige Linke so typisch ist), sondern in erster Linie als "gemeinsames" Projekt der kapitalistischen Kernländer zur Durchsetzung und Absicherung ihrer neoliberalen Agenda — gegen die Interessen der halbkolonialen Länder und der Lohnabhängigen in den Zentren selbst.

Im zweiten Teil ("Zwischen Nachbarschaftspolitik und globalem Einfluss") zeigen die Autoren, wie die EU in den unterschiedlichen Regionen der Welt ihre Interessen mit politischem und ökonomischem Druck und — seltener — mit militärischer Hilfe durchzusetzen versucht. Leider werden Süd-, Ost- und Südostasien nicht in die Analyse miteinbezogen.

Der dritte Teil ("Die Militarisierung von Gesellschaft, Politik und Ökonomie stoppen") beschäftigt sich mit Veränderungen innerhalb der EU. Er handelt von europäischen Waffenexporten, von der Finanzierung und dem Boom der Rüstungsindustrie, der Politik gegen Flüchtlinge und schließlich von der Kehrseite der Militarisierung: vom Sozialabbau im Innern.

Das Buch bietet über weite Strecken konkrete, sehr informative empirische Beschreibungen und ist insofern eine große Bereicherung der nach wie vor sehr dürftigen linken Literatur zur Entwicklung der EU.

Weit weniger Stellenwert wird den Fragen nach den Ursachen der Militarisierung der EU gewidmet — mit Ausnahme der Sicherung von Rohstoffen, deren Bedeutung für die militärische Expansion der EU ausführlich beschrieben wird. Zudem scheinen einige Autoren vorauszusetzen, was Gegenstand ihrer Analyse sein sollte: dass es im Interesse der EU bzw. ihrer herrschenden Klassen liege, die USA als Weltmachtführer herauszufordern und langfristig auch abzulösen.

Beispielhaft sei dafür der Aufsatz von Uli Cremer über den "Kampf der Giganten? Die Zukunft der transatlantischen Beziehungen" genannt. Cremer betont zunächst die gemeinsamen Interessen, die "in der ökonomischen Ordnung, von der beide profitieren, sowie in gemeinsamen Rohstoffinteressen" bestünden. Die potenziellen Konfliktgründe findet er konsequenterweise nicht in unterschiedlichen strategischen Interessen der herrschenden Klassen (wie das in klassischen Imperialismustheorien immer argumentiert wird), sondern in "Verselbständigungen" der politischen Sphäre. Es seien unterschiedliche "Große Strategien", eine unterschiedliche Orientierung auf NATO bzw. UNO sowie generell das Beharren der USA auf ihrer politischen und militärischen Führungsrolle sowie das Zurückweisen des unter Clinton praktizierten Multilateralismus.

Die Regierung Clinton hätte die EU in ihre Planungen etwa für den Kosovokrieg einbezogen, während die Regierung Bush ihre Kriege in Afghanistan und im Irak allein durchgesetzt habe. (Allerdings war auch keines der großen EU-Länder gegen die Bombardierung des Kosovo, die Intervention der USA geschah im Gegenteil auf ihr Drängen hin: weshalb hätte Clinton da unilateral agieren sollen?) Eine Fortführung dieses "diktatorischen Kurses" der US-Regierung wäre für Cremer auch der Hauptgrund für künftige transatlantische Konflikte: "...natürlich würde die EU versuchen, ihre Stärken auf währungspolitischem und wirtschaftlichem Gebiet auszuspielen. Daraufhin dürfte die Bush- Regierung mit rabiaterem Unilateralismus reagieren. Das wiederum dürfte die EU zu weiteren (auch militärischen) Absetzbewegungen animieren ... ein neues Wettrüsten zwischen EU und den USA [würde] ein immer realistischeres Szenario ... Am Anfang könnten militärische Kleinkonflikte bis hin zu Stellvertreterkriegen in verschiedenen Teilen der Welt stehen."

Nach der zentralen Voraussetzung dieser evolutionär anmutenden Bewegung sucht Cremer allerdings nicht (und die Frage wird auch von den anderen Autoren nicht thematisiert): Gibt es in der EU relevante Teile der herrschenden Klassen, die ein Interesse daran haben, die USA als Weltmachtführer abzulösen? Beispiel Währung: Erst jüngst mahnten führende industrielle Gruppen vor einer weiteren Aufwertung des Euro, weil das die Profitabilität empfindlich schwächen würde.

Beispiel Aufrüstung: Die USA heimsen nicht nur (private) Extragewinne durch den Krieg im Irak ein, sie tragen auch die weit höheren (sozialisierten) Kosten. Von der Sicherung der Erdölversorgung profitieren allerdings EU-Konzerne im selben Ausmaß wie US-amerikanische. Das bedeutet natürlich nicht, dass militärische Konflikte zwischen den imperialistischen Kernländern unmöglich sind, sondern nur, dass es keine Automatismen in diese Richtung gibt, wie es Lenin oder Luxemburg Anfang des 20.Jahrhunderts annahmen.

Trotz solcher und ähnlicher konzeptioneller Schwächen ist Weltmacht EUropa eines der interessantesten Bücher zu diesem Thema.

Martin Riedl in: SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2006, Seite 22

Leseprobe 1

Vorwort


Krieg als Mittel zur Durchsetzung ökonomischer und strategischer Interessen ist wieder salonfähig geworden. Auch die Europäische Union (EU) will nicht mehr "nur" ökonomischer, sondern auch militärischer "Global Player" werden. Über lange Zeit hinweg wurde der Militarisierung der EU – bis weit in linke und friedensbewegte Kreise – wenig bis keine Aufmerksamkeit geschenkt. Dies ist nicht nur deshalb tragisch, weil diese militärische Komponente dramatisch schnell weiter entwickelt wird, sondern insbesondere auch deshalb, weil sie inzwischen einen, wenn nicht den zentralen Rahmen vor allem für deutsche Militär- und auch Kriegspolitik darstellt. Gerade weil die Europäische Union häufig noch als "Zivilmacht" wahrgenommen wird, gelingt es, die aggressiv-militaristische Durchsetzung eigener Interessen unter dem EU-Deckmantel als selbstloses Unterfangen zu präsentieren.

Wenn es auch gelang, im Zuge der Kampagne gegen den europäischen Verfassungsvertrag ein Bewusstsein für diese Entwicklung zu schaffen und wenigstens in Ansätzen das Bild von der scheinbar friedlichen EU zu dekonstruieren, hat sich doch gezeigt, dass diesbezüglich weiterhin ein erhebliches Informationsdefizit besteht. Gerade auch weil der EU-Verfassungsvertrag, der diese Militarisierung vertraglich festschreiben soll, auf die eine oder andere Weise in der näheren Zukunft wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken wird, soll dieses Buch einen Beitrag dazu leisten, diese Informationslücke zu schließen. Hierfür wird im ersten Teil dieses Buches nicht nur ausführlich das erschreckende Ausmaß der Militarisierung EUropas dargestellt, sondern auch aufgezeigt, wie dabei – entgegen offiziellen Verlautbarungen – Konzerninteressen und das Bestreben, die knapper werdenden Rohstoffvorkommen zu kontrollieren, eine ebenso bedeutende Rolle spielen wie die Absicht, die Ausweitung und Absicherung der neoliberalen Weltwirtschaftsordnung militärisch zu flankieren. Darüber hinaus werden die grundlegenden außenpolitischen Instrumente, Strategien und Institutionen der EU dargestellt.

Der so vermittelte Überblick wird in einem zweiten Teil um die Darstellung europäischer Interessenspolitik anhand spezifischer Regionalstrategien ergänzt – also die Praxis der EU-Außen-, Militär- und Kriegspolitik. Im dritten Teil wird schließlich auf Kosten und Auswirkungen dieser Entwicklung in der EU, aber auch auf mögliche politische Alternativen eingegangen.

Unser Ziel als Herausgeber ist es, mit diesem Buch einen umfassenden Einblick in die Militarisierung EUropas zu vermitteln, indem diese in ihren Auswirkungen in einem breiteren Rahmen als üblich analysiert wird. So kann eine Vielzahl bislang vernachlässigter Aspekte im Kontext dieser Militarisierung betrachtet werden. Darüber hinaus wollen wir damit auch zu einer kontinuierlichen Beschäftigung mit diesem Thema anregen. Die hier versammelten Beiträge sollen eine Wissensressource darstellen, auf die für weitere Analysen zurückgegriffen werden kann. Die Informationsstelle Militarisierung (IMI) wird zu diesem Zweck eine eigens der Militarisierung EUropas gewidmete Internetseite (http://www.imi-online.de/eu-projekt/) einrichten, auf der kontinuierlich die weitere Entwicklung analysiert und kritisiert wird.

Danken möchten wir an dieser Stelle den zahlreichen Autorinnen und Autoren dieses Buches sowie dem Evangelischen Entwicklungsdienst (EED), der diese Veröffentlichung unterstützte. Die meiste Arbeit für dieses Buch wurde im Büro der Tübinger Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. bewältigt, aus deren Reihen auch ein Großteil der AutorInnen kommt. Deshalb gilt unser Dank nicht zuletzt all denen, die dazu beitragen, dass von und in IMI nun schon seit zehn Jahren eine konsequente antimilitaristische Arbeit geleistet werden kann.

Tübingen, Mai 2006
Michael Haid, Claudia Haydt, Christoph Marischka, Tobias Pflüger und Jürgen Wagner


Leseprobe 2

Michael Haid
Made in Germany – Deutschlands Rolle bei der Militarisierung der EU


Seit 1999 wurde die Europäische Union in "Lichtgeschwindigkeit" (Javier Solana) militarisiert. In der Zwischenzeit ist ein Verfassungsvertrag vorgelegt, der die politischen und militärischen Grundlagen für eine EU, die den Anspruch hegt, ein globaler Akteur zu sein, nach seiner Ratifizierung in die Wirklichkeit umsetzen würde. Dazu gehört auch eine Sicherheitsstrategie, die militärische Gewaltanwendung zur Absicherung europäischer Interessen definiert. Ferner wurde die europäische Eingreiftruppe aufgestellt, die sich nun zusammen mit den Kampfgruppen ("Battlegroups") zu einer Interventionsarmee zur Durchsetzung eben jener Interessen entwickelt. Auch eine rüstungstechnische Basis für die Militärmacht EU wurde durch den Rüstungskonzern EADS und kostspielige Großprojekte wie das Transportflugzeug Airbus A 400 M geschaffen.

Diese Entwicklungen fielen nicht vom Himmel. Akteure in der EU haben zielgerichtet auf diese Entwicklung hingearbeitet. Insbesondere Deutschland betreibt nachdrücklich eine Politik, welche die Europäische Union militarisiert. Peter Struck bezeichnete in einer Rede Deutschland sogar als "Vorreiter"[1] dieses Prozesses. Deshalb soll im Folgenden die deutsche Rolle bei der Militarisierung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EU in den oben angesprochenen Bereichen genauer analysiert werden.

1. Warum Deutschland die EU militarisiert

Das Großprojekt der rot-grünen wie der vorangegangenen Bundesregierung bestand in der Vereinheitlichung der Politiken von europäischen Staaten in immer mehr Bereichen zu einem weitestgehenden einheitlichen Bundesstaat Europäische Union. Den Grund hierfür beschrieb ganz offen der der Bundeswehr nahe stehende Journalist Rolf Clement in einer Fachpublikation: "Es liegt im Interesse deutscher Außen- und Sicherheitspolitik, dass sie sich in Bündnisse eingliedert. Dies ist mittlerweile ein Teil der deutschen Staatsräson geworden. Dafür sprechen nicht in erster Linie geschichtliche Gründe. Dass es deutsche Sonderwege nicht mehr geben soll, liegt daran, dass die Bundesrepublik in diesem Rahmen ihre Interessen besser durchsetzen kann als im Alleingang."[2]

Angesichts des Bedeutungsgehalts dieser Aussage relativiert sich das angebliche Bestreben Deutschlands, aus der Vergangenheit gelernt zu haben, und sich in einem friedlichen, zusammenwachsenden Europa zu integrieren, dramatisch. Es besteht kein Anlass zu glauben, der EU-Integrationsprozess werde von allen Staaten gemeinsam bestimmt und in gleichberechtigter Teilhabe getragen. Vielmehr versucht Deutschland als einer der dominantesten Akteure in der EU, ihre Politik zu bestimmen und für seine eigenen Belange zu nutzen. Besonderer Wert wird dabei auf die Außen- und Militärpolitik gelegt, da es ein offizielles Ziel der Bundesregierung ist, eine so genannte Europäische Sicherheits- und Verteidigungsunion innerhalb der EU zu schmieden.[3]

Joseph Fischer formulierte in einer Grundsatzrede im Mai 2000, wie die weitere EU-Integration realisiert werden solle. Erstens sollten die Machtverhältnisse zwischen den einzelnen EU-Staaten, besonders eine Umgewichtung der Stimmverhältnisse im Rat der Staats- und Regierungschefs zugunsten der bevölkerungsreichen EU-Mitglieder, neu festgesetzt werden. Zweitens sollten Kompetenzen der EU-Entscheidungsgremien hauptsächlich in der Außen- und Militärpolitik dahingehend neu geordnet werden, als einerseits Entschlussverfahren vereinfacht werden sollten, um ein "Gravitationszentrum" aus "handlungswilligen" Staaten innerhalb der Union zu ermöglichen, andererseits EU-Institutionen (Stichwort: EU-Außenminister) geschaffen werden sollten, die außenpolitische und militärische Kompetenzen auf sich vereinigen. All dies sollte in einem Verfassungsvertrag für alle EU-Staaten verbindlich fixiert werden.[4]

Ein Grund für die erste Forderung kann sicherlich in der Befürchtung der Bundesregierung gesehen werden, dass die ab dem 1. Mai 2004 um zehn neue Mitglieder erweiterte EU an "Handlungsfähigkeit" einbüßen werde und damit die großen Staaten gegenüber der wachsenden Zahl von kleinen und mittleren Staaten an Gewicht innerhalb der Union verlieren würden.[5] Auch die zweite Forderung war für Fischers Ambitionen zentral, denn nur durch eine Neuordnung von Machtbefugnissen der einzelnen Institutionen konnte die seiner Vorstellung von einer global agierenden EU entsprechende außenpolitische Machtkonzentration realisiert werden.

Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Hans-Martin Bury, äußerte sich zur Motivation der Bundesregierung, einen Verfassungsvertrag mit eben diesen Inhalten durchzusetzen: "Die Verfassung wird Europa handlungsfähiger machen. Das ist notwendig, weil wir in der EU auch die Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung sehen. […] Doch es geht nicht nur um die Handlungsfähigkeit der EU, wir diskutieren im Zusammenhang mit der Ratifizierung der Europäischen Verfassung auch über die Handlungsfähigkeit Deutschlands in Europa. Um deutsche Interessen – und wer wollte ernsthaft bestreiten, dass es die auch in Zukunft geben wird – wirkungsvoll zu vertreten, brauchen wir einen handlungsfähigen Bundesstaat."[6]

Welche Interessen hier auf jeden Fall auch gemeint waren, verrät wiederum Rolf Clement: "Als Land ohne Rohstoffe ist Deutschland darauf angewiesen, dass es Zugang zu Rohstoffen und später zu den Absatzmärkten hat. Somit sind die Rohstoffregionen – die Transportwege von dort, die Absatzregionen, die Transportwege dorthin – zentrale Orientierungspunkte deutscher Interessen. Es sind also zunächst einmal Wirtschaftsinteressen."[7]

Angela Merkel profilierte sich als Sicherheitspolitikerin, indem sie die Koordinaten (ihrer) deutschen Außenpolitik als ein Dreieck mit den sich gegenseitig bedingenden Seiten Militarismus, neoliberalen Reformen im Inneren zur Steigerung der ökonomischen Potenz sowie Machtentfaltung auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2005 umriss: "Die Wahrheit ist einfach: Wer starkes Wachstum in Europa aufweist, kann erstrangigen Einfluss geltend machen. Deutschlands und Europas Wirtschaftskraft sind auf das engste verknüpft. […] Die Fähigkeit, deutsche Interessen durchzusetzen, auch militärische Kapazitäten aufzubauen, hängt ganz wesentlich von unserer Wirtschaftskraft ab. Deshalb muss deutsche Politik den Prozess der wirtschaftlichen Reformen entschieden fortsetzen, weil daraus auch die Kraft für außen- und sicherheitspolitischen Gestaltungsraum erwächst."[8]

2. Der EU-Verfassungsvertrag und das militarisierte Kerneuropa

Auf dem EU-Gipfel in Laeken im Dezember 2001 wurde für das Frühjahr 2002 die Einberufung eines Konvents beschlossen, der einen Entwurf des Verfassungsvertrages ausarbeiten und diesen dann den Staats- und Regierungschefs zur Abstimmung vorlegen sollte. Nicht verwunderlich ist es, dass von den großen, durchsetzungsfähigen Akteuren über ihre Vertreter im Konvent das Ziel verfolgt wurde, ihre Interessen in Verfassungs- und Gesetzesform zu gießen und so ihre Vorstellungen und Absichten für alle anderen Mitgliedstaaten verbindlich festzuschreiben.

Deutschland und Frankreich starteten deshalb über ihre Konventsvertreter Joseph Fischer und Dominique de Villepin im November 2002 eine gemeinsame Initiative zur Fortentwicklung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP). Einen entsprechenden Forderungskatalog hatten Gerhard Schröder und der französische Präsident Jacques Chirac bereits zuvor auf einem Gipfel in Schwerin am 30. Juli 2002 ausgehandelt.[9]

Der Katalog beinhaltete die Forderung, die EU zu einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion auszubauen. Dies ist die Grundvoraussetzung für einen global agierenden Akteur EU. Die Brisanz dieses Schrittes liegt darin verborgen, dass eine eigenständige EU-Militärallianz in Washington als Kampfansage an die uneingeschränkte Führungsrolle der USA angesehen wird. Außerdem sollten die militärischen Fähigkeiten verbessert, sprich qualitativ aufgerüstet und eine europäische Rüstungsagentur gegründet werden.[10]

Mitte Januar 2003 brachten Schröder und Chirac ihren deutsch-französischen Beitrag zur Reform der europäischen Institutionen in den Konvent ein.[11] Die Bedeutung dieser Initiative schätzt Peter Norman als sehr hoch ein: "Die gemeinsamen deutsch-französischen Vorschläge zu den Institutionen stellten einen Wendepunkt im Leben des Konvents dar. [...] Der Text gab den Ton der Debatte um die Institutionen für den Rest des Konvents an."[12] Der Umbau der institutionellen Architektur der EU hin zu einer so genannten Flexibilisierung der Entscheidungsverfahren, zu der Installierung einer Kerngruppe von "handlungswilligen" Staaten und die Vereinigung militärischer und außenpolitischer Kompetenzen im Amt des europäischen Außenministers lagen damit fest. Erst danach, am 6. Februar 2003, legte das Präsidium des Konvents seinen ersten Entwurf für die zukünftige institutionelle Architektur der EU vor.

Auf dem Brüsseler EU-Gipfel im Dezember 2003 konnte keine Einigung über den Verfassungsentwurf des Konvents erzielt werden (s. o., S. 123 im Beitrag von Andreas Wehr). Aus der Erkenntnis heraus, dass aus unterschiedlichen Gründen niemals alle EU-Staaten den Willen oder die Fähigkeit haben würden, "Handlungsfähigkeit" zu beweisen, wurde die Kerneuropa-Idee der CDU-Politiker Wolfgang Schäuble und Karl Lamers von 1994,[13] die Joseph Fischer in seiner Grundsatzrede wieder aufgegriffen hatte, zur außenpolitischen Leitlinie der deutschen und französischen Regierung erhoben.

Als es deutlich wurde, dass die Vorstellungen von Berlin und Paris hinsichtlich der Entwicklung einer Europäischen Verteidigungsunion bei anderen EU-Mitgliedern auf Ablehnung stießen und wohl in dieser Form keine Aufnahme in den Verfassungsvertrag finden würden, wurde das Konzept der strukturierten Zusammenarbeit – die akribisch ausformulierte, im Verfassungsvertrag verankerte Fassung eines militarisierten Kerneuropa – aus der Taufe gehoben. "Die Handlungsfähigkeit Europas liegt in vitalem Interesse Deutschlands. In der erweiterten, heterogenen EU kann geopolitische Handlungsfähigkeit nur dann erreicht werden, wenn Deutschland in gemeinsamer Führung mit Frankreich, möglichst auch mit Großbritannien, die differenzierte Integration der EU betreibt, d.h. die Bildung einer Gruppe integrations- und handlungswilliger EU-Staaten als Gravitations- und Aktionszentrum (mit offener Beitrittsmöglichkeit). [...] Aus der prioritären europäischen Grundorientierung Deutschlands folgt die außenpolitische Maxime, die erweiterte EU durch die verstärkte und strukturierte Zusammenarbeit einer Kerngruppe handlungsfähig zu machen",[14] so der Politologe Werner Link über die Absichten, die mit der strukturierten Zusammenarbeit verfolgt wurden.

Die Entstehungsgeschichte der strukturierten Zusammenarbeit dokumentierte er folgendermaßen: "Deutschland und Frankreich haben die Initiative für eine derartige ›strukturierte Zusammenarbeit‹ ergriffen. Und dann haben sie zusammen mit Großbritannien [auf dem deutsch-französisch-britischen Gipfel in Berlin am 20. September 2003] einen Protokollvermerk [auf der EU-Außenministerkonferenz in Neapel am 28./29. November 2003] zu den betreffenden Verfassungsartikeln erarbeitet, in dem sie [...] die Bedingungen und verbindlichen Leistungen benennen, an die der Beitritt zur Verteidigungsunion geknüpft ist."[15] Die wohl zutreffendste Beschreibung der deutschen EU-Vision ist, dass sich nach Inkrafttreten des Verfassungsvertrages ein strategisch handelndes Europa etablieren und die Führung und Machtprojektion das militärische Kerneuropa übernehmen wird.

3. Der "Plan B" im Falle eines Scheiterns des Verfassungsvertrages

Der Verfassungsvertrag wurde in Detailfragen überarbeitet, am 18. Juni 2004 auf dem Brüsseler EU-Gipfel schließlich verabschiedet und am 29. Oktober 2004 in Rom von allen Staats- und Regierungschefs unterzeichnet. Aufschlussreich ist, wie sich die Stimmengewichtung im Vergleich zwischen dem Verfassungsvertrag und dem bisher gültigen Vertrag von Nizza von 2000 verändert hat. Deutschland steigerte seinen Stimmenanteil im Rat von 9 auf 18,2%, was den größten Zugewinn unter allen Staaten, nämlich von 9,2%, ausmacht. Frankreich vergrößerte sein Gewicht von 9 auf 13,2% und gewinnt dabei 4,2% hinzu. Großbritannien kommt mit einer Steigerung um 4 von 9% auf 13% der Stimmen und Italien schafft es, von seinen 9 auf 12,6% zu kommen und damit seinen Anteil um 3,6% anzuheben. Spanien wurde mit einem Zugewinn um 0,6% von 8,4 auf 9% abgefunden, und Polen blieb konstant bei 8,4%. Alle anderen Staaten verloren im Vergleich zur bisherigen Formel im Vertrag von Nizza zwischen 0,5 und 1,5% an Stimmen.[16] So dürfte klar sein, wer aus machtpolitischen Gründen ein spezielles Interesse an einem möglichst raschen Inkrafttreten des Verfassungsvertrages hat: die bevölkerungsreichsten Staaten mit Deutschland an der Spitze.

Jedoch ist dies seit der Ablehnung der Referenden in Frankreich und den Niederlanden am 29. Mai und 1. Juni 2005 in Frage gestellt. Darauf bezog sich eine Stellungnahme des Centrums für angewandte Politikforschung (CAP) in München, eines unter anderem von der Bundesregierung, dem Bertelsmann Konzern und deutschen Großbanken finanzierten Politikinstituts,[17] das seit seiner Gründung 1995 die Bundesregierungen in der Gestaltung ihrer EU-Politik berät. Das CAP gilt als der in Deutschland wichtigste Vordenker in der Konstruktion der Europäischen Union und stellte schon vielfach unter Beweis, dass es seine Initiativen auch auf EU-Ebene durchsetzen kann.

So reagierte das Institut nach Bekanntwerden der Ablehnungen rasch, indem es die künftige Handlungsanleitung für die EU-Regierungen in der so genannten Verfassungskrise vorgab (treffender wäre die Bezeichnung Krise der EU-Staats- und Regierungschefs gewesen). Im Falle eines Scheiterns der Ratifizierung müsse der "Kernbestand an Verfassungsneuerungen" in die schon bestehenden Verträge übertragen bzw. "gerettet" werden. Der Kernbestand setze sich hauptsächlich – welch Zufall – aus der "Reform des institutionellen Systems der EU" zusammen. Insbesondere die "Weiterentwicklung der Entscheidungs- und Abstimmungsverfahren" (die "Rettung" der "Handlungsfähigkeit") und die "Reform der differenzierten Integration" (die "Rettung" des militarisierten Kerneuropa) stehen im Mittelpunkt.[18]

Für den GASP-/ESVP-Bereich wurde eine gesonderte Option entworfen. Die militärpolitischen Elemente des Verfassungsvertrages seien nicht von einer Ratifizierung des Vertrages abhängig zu machen. Sie befänden sich längst im Aufbau, seien nicht mehr rückgängig zu machen, von früheren Verträgen gedeckt oder durch noch zu schaffende zwischenstaatliche Vereinbarungen zu legitimieren. Insbesondere ist – ebenfalls nicht überraschend – von der Einführung des Amtes eines Europäischen Außenministers, der herausragende außen- und militärpolitische Kompetenzen auf sich vereinigen würde, den erweiterten EU-Militärmissionen, der so genannten Europäischen Verteidigungsagentur und der ständigen strukturierten Zusammenarbeit die Rede. Die Ratifizierung des Verfassungsvertrags sei nur dahingehend entscheidend, dass die Legitimität der außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen des von Deutschland mitgeführten Kerneuropa sowie das daraus resultierende Handeln aus einem, von allen EU-Mitgliedstaaten akzeptierten Rahmen hervorgehen solle.[19]

Während die Regierungschefs im Juni 2005 zunächst eine "Phase der Reflexion" ankündigten und sich ratlos gaben, wurden insbesondere die militärischen Elemente des Verfassungsvertrages (Rüstungsagentur, Strukturierte Zusammenarbeit), ungeachtet seiner Ablehnung in Frankreich und den Niederlanden und weitgehend auch unbeachtet von den europäischen Öffentlichkeiten, umgesetzt. Was mit dem Vertragswerk selbst geschehen soll, ist hingegen weiterhin unklar. Die britische Regierung möchte das Dokument am liebsten beerdigen, und die französische Regierung unter Chirac ist derzeit innenpolitisch zu schwach, um sich weiterhin für die von der Bevölkerung bereits abgelehnte Verfassung einzusetzen. Mit der EU-Ratspräsidentschaft Österreichs wird dennoch der lange beschlossene "Plan D" in die Tat umgesetzt: Eine breite (Des-)Informationskampagne zu den vermeintlichen Vorteilen des Verfassungsentwurfs für die EU-Bürger. Dabei kann die EU auf umfangreiche Studien von Think-Tanks wie dem CAP zurückgreifen, welche bereits ermittelt haben, was für Informationen in welchen Ländern die Wahrscheinlichkeit einer Zustimmung erhöhen können. Deutschland wird im ersten Halbjahr 2007 die Ratspräsidentschaft übernehmen und aus der neuen Bundesregierung und dem Umkreis des Verfassungskonvents werden die Stimmen lauter, die behaupten, dann könnten die Referenden in den Niederlanden und Frankreich, die bis dahin beide eine neue Regierung haben werden, wiederholt werden. Ein Plan, dem selbst das CAP skeptisch gegenübersteht: Wenn in dieser Weise der Wählerwille ignoriert werde, könnte sich die Ablehnung der Verfassung insgesamt erhöhen.[20] Offenbar führt die realistische Einschätzung, dass es für Deutschland keine günstigere Konstruktion der EU geben wird als die im Verfassungsvertrag vorgeschlagene, zu einem gewissen Realitätsverlust hinsichtlich der Chancen, diesen zu retten.

4. Die Europäische Verteidigungsstrategie

Parallel zur Militarisierung des Verfassungsvertrages wurde von den EU-Staats- und Regierungschefs ein Prozess eingeleitet, eine Strategie zu initiieren, die den EU-Militarisierungsprozess legitimieren und eine entsprechende Handlungstheorie skizzieren sollte. Die im Dezember 2003 veröffentlichte Europäische Sicherheitsstrategie (ESS) bildete die erstmals formulierte strategische Grundlage der EU, sich als Großmacht zu begreifen und den Anspruch zu verfolgen, sich so als (Mit-)Führungsmacht in der Welt zu positionieren. Das im Mai 2004 erschienene Europäische Verteidigungsdokument (EVD) differenzierte die ESS aus, erstellte Krisenszenarien, konzipierte die zu ihrer Bewältigung angeblich nötigen Militärmissionen und kann als "Blaupause für Europas Kriege der Zukunft"[21] gelten.

Die Erstellung dieses EU-"Sicherheitskonzepts" wurde maßgeblich von dem schon vorgestellten Politikberatungszentrum CAP beeinflusst. Am 7. Juni 2004 erschien im Rahmen eines Gemeinschaftsprojekts der Forschungsgruppe Politik der Bertelsmann Stiftung und des CAP ein Strategiepapier mit dem Titel "Eine Europäische Verteidigungsstrategie" (EVS).[22]

Den Autoren Julian Lindley-French und Franco Algieri stand ein sechsköpfiges Beratungsgremium zur Seite, das personell den inhaltlichen Austausch zwischen diesem Papier und dem am Pariser EU-Institut für Sicherheitsstudien (ISS) entstehenden EVD sicherte. Am 27. Mai 2004 wurde in Brüssel die EVS im Rahmen der Panel Diskussion "What 'Finalité' for European Defence?" präsentiert. Das deutsche Strategiepapier erfuhr eine große Resonanz, die sich allein schon dadurch äußerte, dass das EVS von Hilmar Linnenkamp, Vize-Leiter der Europäischen Verteidigungsagentur, und dem Direktor der Strategieplanungs- und Frühwarneinheit im Stab Javier Solanas (praktisch dessen "rechte Hand"), Christoph Heusgen, den EU-Strategen vorgestellt wurde.

Die EVS ist ein "Sicherheitskonzept", das sich auf die Rahmenbedingungen der ESS bezieht, davon Militärmissionen ableitet und vorgibt, was sich in den nationalen Armeen und Rüstungsprogrammen ändern müsse, damit die EU eine globale Kriegsführungsfähigkeit erlangt. Das Spektrum dieser Missionen ist in Tabelle 1 einzusehen und reicht von diplomatischen Tätigkeiten bis zu Präventivkriegen (Hervorhebungen wurden vom Autor kursiv wiedergegeben).

Alle EU-Staaten wurden je nach ihrer Fähigkeit, an Missionen teilzunehmen, eingeteilt. Daraus entsteht eine militärische und politische Struktur der EU, die in einer dreigliedrigen Pyramide wiedergegeben werden kann: (1) die militärische Führung der Operationen soll beim Triumvirat Deutschland, Frankreich und Großbritannien liegen, die die Fähigkeit zu fortgeschrittener Interventionskriegsführung ("Advanced Expeditionary Warfare") hätten, (2) die Niederlande, Italien, Spanien und Polen hätten die Fähigkeit zur Erfüllung des mittleren Spektrums der Petersberg-Missionen[23] und (3) die restlichen EU-Staaten hätten die Fähigkeit zur Ausführung des unteren Spektrums der Petersberg-Missionen und könnten sich nur durch die Spezialisierung auf bestimmte militärische Nischenbereiche hervortun (S. 30-32). Die EVS kann als die deutsche Vision einer militarisierten EU gesehen werden, mit dem Herrschaftsbündnis des Triumvirats als Zentrum.

Allerdings sehen die Autoren des Papiers noch eine Widerstandsquelle gegen diesen Wahnsinn, die hoffentlich nie versiegen wird: "Der politische Rückhalt einer jeden Europäischen Streitmacht ist wesentlich, da es lebenswichtig ist, dass eine starke Wählerschaft der europäischen öffentlichen Meinung beides, das Europäische Verteidigungskonzept wie Militäroperationen, die in der ESS enthalten sind, unterstützt. Tatsächlich existiert eine klare Verbindung zwischen der europäischen Öffentlichkeit und Europas Fähigkeit, ernsthaft militärische Macht zu projizieren. Das ist das Dilemma der Europäischen Verteidigung."[24]

5. Die EU-Streitmacht: die Eingreiftruppe und die Kampfgruppen

Um dieses Konzept realisieren zu können, wird in der EVS ein 170.000 SoldatInnen starker Truppenpool gefordert, der unter Beachtung der Rotationsverfahren ein EU-Angriffskorps zur Kriegsführung vorsieht. Dieses Korps besteht aus der Europäischen Eingreiftruppe von 60.000 SoldatInnen und den Kampfgruppen, als Besatzungs- und "Stabilisierungs"-Truppen soll zusätzlich eine zweite Streitmacht bereitstehen (S. 27). Auch bei der politischen Durchsetzung und dem militärischen Aufbau dieser Streitmacht war die Bundesregierung äußerst aktiv beteiligt. Nachdem auf dem britisch-französischen Treffen in St. Malo im Dezember 1998 politisch der Weg für EU-Truppen geebnet wurde, sah es die Bundesregierung als die Hauptaufgabe ihrer EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 1999 an, eine europäische Eingreiftruppe aufzubauen. Antrieb dieser Entwicklung war die während des Jugoslawienkriegs 1999 gereifte Erkenntnis, dass die USA die führenden EU-Staaten an ihren Entscheidungen nicht beteiligten und von ihren globalen Machtspielen ausschlossen. Um auf der internationalen Bühne mitmischen zu können, hatten Schröder und Chirac auf ihrem Gipfel in Toulouse am 29. Mai 1999 angekündigt, dass nach der Währungsunion die Errichtung einer gemeinsamen EU-Streitmacht das nächste strategische Projekt sein müsse.[25] Die Absichten der damaligen Bundesregierung an einer EU-Armee sind klar: "Wer einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat anstrebt, der muss Weltordnungspolitik machen wollen – und auch können. Eine deutsche Außenpolitik mit weltweiter Verantwortung und Handlungsfähigkeit ist jedoch nur möglich im Rahmen einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EU einschließlich einer gemeinsamen militärischen Komponente, die es folglich aktiv mitzugestalten gilt."[26]

Die deutsche Ratspräsidentschaft erarbeitete einen Vorschlag, in welchem sie für die Schaffung von militärischen Strukturen zur Durchführung von Petersberg-Missionen warb, die unter Rückgriff auf NATO-Fähigkeiten oder als autonome EU-Einsätze auszuführen seien.[27] Dazu machte die Bundesregierung weiterhin konkrete Forderungen auf einem informellen Treffen der EU-Außenminister in Eltville am 13./14. März 1999 für die Gestaltung der Europäischen Eingreiftruppe und der erforderlichen militärpolitischen Gremien.[28] Auf dem EU-Gipfel in Köln im Juni 1999 wurde das deutsche Programm angenommen, und auf dem Gipfel in Helsinki im Dezember 1999 wurde die Aufstellung der Europäischen Eingreiftruppe beschlossen.

Wie auch schon bei der Generierung der Eingreiftruppe, ging die erste Initiative zum Aufbau der Kampfgruppen von Paris und London aus. Diesbezügliche Vorüberlegungen wurden auf den britisch-französischen Treffen in Le Touquet am 4. Februar 2003 und London am 24. November 2003 angestellt. Hierbei wurde der Vorschlag an die übrigen EU-Staaten gerichtet, zu Kampfeinsätzen in Konflikten die Möglichkeiten autonomer EU-Operationen in Zusammenarbeit mit der UN zu prüfen.[29] Nachdem der EU-Rat in Brüssel im Dezember 2003 den Vorschlag im Grundsatz billigte, schloss sich auch Deutschland an.

In einem gemeinsamen Papier der drei Staaten mit dem Titel "Food for Thought" vom 10. Februar 2004 schlugen sie vor, die EU solle schnell einsetzbare Truppen in der Größe von Kampfgruppen ("battle group sized forces") für autonome Operationen zur Konfliktprävention, Friedenserhaltung und Friedenserzwingung (eine verharmlosende Umschreibung für Krieg) aufbauen.[30] Die trilaterale Initiative wurde auf dem Treffen der EU-Verteidigungsminister am 22. November 2004 angenommen. Danach haben bisher 18 EU-Staaten Zusagen für den Aufbau von 13 Kampfgruppen abgegeben, die als Speerspitze der schnellen Eingreiftruppe der EU gelten.[31] (Näheres zu ihrer Struktur siehe im Abschnitt "The making of: Militärmacht Europa" in diesem Band, S. 9ff.)

Die Kampfgruppen bzw. Battlegroups sind in vielerlei Hinsicht bedeutend. Das Konzept ist das Herzstück der militärischen Aspekte der Sicherheitsstrategie, es ist Teil des EU-Rüstungsprogramms European Headline Goal 2010, und es bildet eine wichtige Voraussetzung für die Teilnahme an der strukturierten Zusammenarbeit. Bei der EU-Eingreiftruppe sowie bei den Kampfgruppen versuchte Berlin über die schlichte Bereitstellung eines großen Anteils auch möglichst viel politisches Durchsetzungsvermögen zu generieren.

Deutschland stellt allein knapp ein Drittel der EU-Eingreiftruppe. Bei den Kampfgruppen wird das deutsche Dominanzstreben noch deutlicher. Paris und London bevorzugten die Beteiligung an drei bzw. zwei Kampfgruppen, Berlin hingegen erklärte im November 2004 die Beteiligung an vier multinationalen Kampfgruppen mit elf anderen EU-Staaten. Diese Absichtserklärung wurde von Struck im April 2005 noch intensiviert, indem er die Beteiligung an nun insgesamt sieben Kampfgruppen preisgab, die in der folgenden Tabelle aufgelistet sind.[32]

Die rüstungstechnische Basis für eine global agierende Militärmacht EU war bis Ende der 1990er Jahre nicht vorhanden. Erst durch die Fusion deutscher, französischer und spanischer Firmen zum Großrüstungskonzern EADS am 10. Juli 2000 waren die Voraussetzungen erfüllt. Die EADS wurde einerseits als strategische Alternative zu den US-Kriegswaffenkonzernen, andererseits zur eigenständigen Bewältigung der europäischen Aufrüstung, gegründet.

Der Staatssekretär im Verteidigungsministerium Walter Kolbow führt zur Konzentration der europäischen Rüstungsfirmen aus, wer diese vorantrieb: "Die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Rüstungsindustrie wird verbessert, die europäische Industrie- und Technologiebasis gestärkt. Ich bin froh, dass Deutschland wesentliche Interessen – zum Teil gegen erheblichen Widerstand – durchsetzen konnte."[33]

Das wahrscheinlich wichtigste Projekt im Rahmen autonomer EU-Aufrüstung und Konkurrenz zur USA ist die Entwicklung und Beschaffung des schweren Mehrzwecktransporters Airbus A 400 M. Obwohl amerikanische und russische Alternativangebote erhebliche Vorteile versprachen, setzte sich Deutschland bei den sieben Beschafferstaaten durch: Der Auftrag sollte im EU-Rahmen an Airbus gehen, um dem Unternehmen auch eine finanzielle Grundlage für zukünftige Großprojekte zu schaffen.

Der strategische Lufttransport wird in Militärfachkreisen als elementar für die Durchführung der proklamierten EU-Interventionsstrategie angesehen. Der vormalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping hatte dies erkannt und regte den strategischen Lufttransport für die EU an. Der ehemalige Luftwaffen-Inspekteur Gerhard Back attestierte seinem damaligen Chef, die Idee für eine EU-Lufttransportflotte gehabt und deren emsige Durchsetzung betrieben zu haben: "Das Thema ›Europäisches Lufttransportkommando‹ ist kein neues Thema. Wie sie wissen, ist unser Minister [...] der Erfinder einer solchen Einrichtung. Deshalb hat er dieses Projekt schon mehrfach im internationalen Bereich angesprochen. So war es auch nicht verwunderlich, dass der deutsch-französische Gipfel vom 30. November 1999 in Paris als ›Initiativ-Gipfel‹ für die Einrichtung eines Europäischen Kommandos genutzt wurde."[34]

In mehreren Schritten wurde in der Folgezeit durch ein Konsortium von EU-Staaten ein strategisches EU-Lufttransportkommando vereinbart. Herzstück dieses Kommandos ist natürlich die Beschaffung des Airbus A 400 M. Am 27. Mai 2003 wurde der Vertrag über insgesamt 180 Maschinen zwischen Airbus Military SL und der Beschaffungsagentur OCCAR, welche die sieben Bestellerstaaten vertritt, geschlossen. Aufschlussreich ist auch hier nicht nur, dass die Initiative für ein EU-Lufttransportkommando von Deutschland ausging und es mit Frankreich zusammen die Anschaffung des A 400 M in der EU durchsetzte, ebenso dominiert es durch die Größe seines nationalen Beschaffungsanteils den strategischen Lufttransport der EU. Die einzelnen Bestellungen lauteten: 60 (ursprünglich 73) Maschinen für Deutschland, 50 für Frankreich, 27 für Spanien, 25 für Großbritannien, 10 für die Türkei, 7 für Belgien und 1 für Luxemburg.[35]

Deutschland muss als Hauptinitiator der in diesem Beitrag skizzierten fatalen Entwicklung angesehen werden. Berlin verfolgt das Ziel, durch die Militarisierung die Europäische Union als eine Führungsmacht in der Welt zu positionieren und über pure Machtpolitik innerhalb der EU diese als ökonomisch stärkstes Mitglied des Triumvirats mit Paris und London zusammen zu dominieren. Wie die Kritik hieran ansetzen muss, dafür gibt obiges Zitat aus der Europäischen Verteidigungsstrategie Hinweise: "Tatsächlich existiert eine klare Verbindung zwischen der europäischen Öffentlichkeit und Europas Fähigkeit, ernsthaft militärische Macht zu projizieren. Das ist das Dilemma der Europäischen Verteidigung." Genau hier muss die kritische Öffentlichkeit ansetzen.

[1] Struck, Peter: Friedenspolitik und Streitkräfte, in: Gießmann, Hans J. (Hrsg.): Master of Peace and Security Studies 2002/2003, Dezember 2003, S. 7-18, S. 14.
[2] Clement, Rolf: Die neue Bundeswehr als Instrument deutscher Außenpolitik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 11/2004, S. 40-46, S. 46.
[3] Vgl. Bundesministerium der Verteidigung: Verteidigungspolitische Richtlinien, 21.5. 2003, S. 24.
[4] Vgl. Fischer, Joschka: Vom Staatenverbund zur Föderation – Gedanken über die Finalität der europäischen Integration, 12.5.2000, URL: http://www.auswaertiges-amt.de.
[5] Vgl. Wehr, Andreas: Europa ohne Demokratie? Die Europäische Verfassungsdebatte – Bilanz, Kritik und Alternativen, Köln 2004, S. 18, sowie seinen Beitrag "Wer regiert in Europa?" in diesem Band, S. 123ff.
[6] Bury, Hans-Martin: Die Europäische Verfassung ist die Geburtsurkunde der Vereinigten Staaten von Europa, Rede vor dem Deutschen Bundestag, Berlin, 24.2.2005.
[7] Clement 2004, S. 42.
[8] Merkel, Angela: Koordinaten der Außen- und Sicherheitspolitik, 12.2.2005, URL: http://www.cducsu.de.
[9] Vgl. Schröder, Gerhard/Chirac, Jacques: Schwerin Statement. Franco-German Defence and Security Summit, 30 July 2002, in: Haine, Jean- Yves (comp.): From Laeken to Copenhagen. European Defence: core documents, February 2003, S. 115-117.
[10] Vgl. Fischer, Joschka/de Villepin, Dominique: Gemeinsame deutsch-französische Vorschläge für den Europäischen Konvent zum Bereich Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, 22.11.2002.
[11] Vgl. Schröder, Gerhard/Chirac, Jacques: Deutsch-französischer Beitrag für den Europäischen Konvent zum institutionellen Aufbau der Union, 16.1.2003.
[12] Norman, Peter: The Accidental Constitution. The Story of the European Convention, 2001, S. 22, zitiert nach: Wehr 2004, S. 38.
[13] Vgl. Schäuble, Wolfgang/Lamers, Karl: Überlegungen zur europäischen Politik, 1.9.1994, URL: http://www.cducsu.de.
[14] Link, Werner: Grundlinien der außenpolitischen Orientierung Deutschlands, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 11/2004, S. 3-8, S. 8.
[15] Ebd., S. 5.
[16] Vgl. Pflüger, Tobias: Vertragliche Militarisierung oder Warum der EU-Verfassungsvertrag friedensgefährdend ist, in: Ausdruck – Das IMI-Magazin (Dezember 2004), S. 3-5, S. 3.
[17] Vgl. Oberansmayr, Gerald: Auf dem Weg zur Supermacht. Die Militarisierung der Europäischen Union, Wien 2004, S. 31.
[18] Centrum für angewandte Politikforschung: Ein Vertrag zur Reform des Vertrags von Nizza, Juni 2005, URL: http://www.cap-lmu.de.
[19] Algieri, Franco/Bauer, Thomas/Brummer, Klaus: Entwicklungspotential auch ohne Verfassungsvertrag: Optionen für GASP und ESVP, 1.8.2005, URL: http://www.cap-lmu.de.
[20] Thalmaier, Bettina: Nach den gescheiterten Referenden: Die Zukunft des Verfassungsvertrages, CAP-Analyse 2/2005.
[21] Vgl. Wagner, Jürgen: Die Blaupause für Europas Kriege der Zukunft: Das European Defence Paper, IMI- Analyse Nr. 38/2004.
[22] Vgl. Lindley-French, Julian/Algieri, Franco: A European Defence Strategy, 2004. Die nachfolgenden, in Klammern stehenden Seitenangaben beziehen sich auf dieses Dokument.
[23] Humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen gem. Artikel 17 Absatz 2 des EU-Vertrages.
[24] Lindley-French/Algieri 2004, S. 16.
[25] Vgl. Franco-German Defence and Security Council: Declaration, 29 May 1999, in: Rutten, Maartje (comp.): From St. Malo to Nice. European defence: core documents, May 2001.
[26] Küchle, Hartmut: EU-Rüstungsmarkt erfordert nationale Industriepolitik, in: Strategie und Technik, März 2005, S. 8-11, S. 10.
[27] Vgl. German Presidency Paper: Informal Reflection at WEU on Europe’s Security and Defence, 24 February 1999, in: Rutten 2001, S. 27-29.
[28] Vgl. Informal meeting of EU foreign ministers: German proposal. Strengthening the common policy on security and defence, Eltville 13-14, March 1999, in: Rutten 2001, S. 31.
[29] Vgl. Franco British Summit: Franco-British Declaration. Strengthening European Cooperation in Security and Defence, 4 February 2003, in: Missiroli, Antonio (comp.): From Copenhagen to Brussels. European defence: core documents, Dezember 2003, S. 36-39, S. 37f.; Franco-British Summit: Franco-British Declaration. Strengthening European Cooperation in Security and Defence, 24 November 2003, in: Missiroli, Antonio (comp.): From Copenhagen to Brussels. European defence: core documents, Dezember 2003, S. 280- 282, S. 283.
[30] Vgl. Britisch-französisch-deutsches Dokument 2004.
[31] Vgl. General Affairs and External Relations Council: Brussels, 22 Novembre 2004, in: Gnesotto, Nicole (comp.): EU security and defence, core documents, Febraury 2005, S. 278-316, S. 298f.
[32] Vgl. Struck, Peter: Europäische Sicherheit – politische Ziele und operative Fähigkeiten, 12.4.2005, URL: http://www.bmvg.de.
[33] Kolbow, Walter: Rede auf der Handelsblatt-Konferenz "Sicherheitspolitik und Verteidigungsindustrie. Die Zukunft Europas", 8.7.2004.
[34] Back, Gerhard: Reform der Luftwaffe – Konzentration auf unmittelbare Einsatzaufgaben, in: Europäische Sicherheit, Juni 2001, S. 14-19, S. 18.
[35] Vgl. Preylowski, Peter: Produktion der A 400 M hat begonnen, in: Strategie & Technik, März 2005, S. 34- 37, S. 34.


Leseprobe 3

Uwe Reinecke
Perspektiven für eine andere Welt eröffnen


"Eine andere Welt ist möglich!", lautet das Motto der globalisierungskritischen Bewegung von Attac. Mit dieser selbstbewusst geäußerten Überzeugung treten Menschen in aller Welt der vorherrschenden Politik der Globalisierung und Militarisierung, also dem Kapitalismus, entgegen. Aber gibt es angesichts so vieler schlechter Nachrichten und Rückschritte überhaupt eine Perspektive für eine friedliche Welt? Was kann die für dieses Ziel aktiven Menschen weiterhin motivieren?

Drei Schlaglichter sollen kurz Möglichkeiten benennen: Am 14. Juli 1788 glaubte niemand daran, dass genau ein Jahr später Rufe nach "Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit (Solidarität)" laut durch die Pariser Straßen schallen würden. Die revolutionären Veränderungen in Frankreich erfassten damals Europa und wirken in der Welt bis heute nach.

Die erfreulichen Ergebnisse der Referenden gegen die EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden zeigen, dass anhaltender Protest erfolgreich sein kann, auch wenn damit der Verfassungsentwurf nicht zurückgenommen ist und teilweise dessen Inhalte schon umgesetzt werden.

Im Folgenden soll gezeigt werden, dass Perspektiven für eine demokratische und zivile Gesellschaft sehr wohl bestehen. Zunächst gehe ich auf die gegenwärtige Militarisierung in Staat und Gesellschaft ein. Danach werden Alternativen aufgezeigt, und als drittes wird es um den Weg gehen, der zu den Alternativen hinführen kann. Am Schluss folgt eine Bewertung der Chancen auf Umsetzung.

1. Keine "Friedensdividende"

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem damit verbundenen Wegfall der Blockkonfrontation keimte zunächst die Hoffnung auf eine "Friedensdividende" auf. Tatsächlich wurde nach Beendigung des "Kalten Krieges" Anfang der 1990er Jahre kurzfristig abgerüstet. Man sprach sogar vom "Ende der Geschichte".[1] Aber bereits mit dem zweiten Golfkrieg 1991 kam es wieder zu Aufrüstungstendenzen. Die Regierungen der NATO-Staaten zogen aus den "Erfahrungen" des Golfkriegs die Konsequenz, dass die Waffensysteme "modernisiert" werden müssten. Die Staaten des ehemaligen "Warschauer Vertrages" rüsteten – nach ihrem Verständnis – nach. Staaten in anderen Regionen der Welt mischten dabei mit.

Alte Waffen gelangten so auf den Weltwaffenmarkt und damit in die so genannte Dritte Welt. Sie wurden danach in den abgebenden Staaten durch neue "moderne" Waffen ersetzt. Gegenwärtig sehen wir uns damit einer gigantischen Militarisierung gegenüber.

Die Ereignisse vom 11. September 2001 führten zum "Krieg gegen den Terror". Dieser werde "mindestens zehn Jahre dauern" und fast "weltweit geführt werden".[2] Die Kriege gegen Afghanistan 2001ff. und den Irak 2003ff. werden als ein Teil dieses "Krieges gegen den Terror" angesehen.

Diese permanente Kriegssituation, die durch die Erklärung des NATO-Bündnisfalls[3] besteht, hat nicht nur zu einer weiteren Aufrüstung geführt, sondern die Außenpolitik insgesamt zunehmend zur Militärpolitik verkommen lassen. Diplomatische Beziehungen werden unter dem Gesichtspunkt der Unterstützung des "Krieges gegen Terror" neu bewertet. "Gemeinschaft der Willigen" einerseits sowie "Altes Europa" und "Achse des Bösen" andererseits sind nur einige der Stichworte, die diese Einteilung beschreiben.

Gravierend ist auch die Militarisierung der Innenpolitik. So wurden "Antiterrorgesetze" geschaffen bzw. verschärft. Damit werden elementare BürgerInnenrechte massiv eingeschränkt. Das Abhören von Telefongesprächen ist in der Bundesrepublik mittlerweile Alltag und wird weder parlamentarisch noch richterlich wirksam kontrolliert, geschweige denn unterbunden. Das Speichern von Autokennzeichen beim Einfahren in einen Tunnel oder die Videoüberwachung "öffentlicher Plätze" soll hier nur am Rande erwähnt sein.

Mit der Ausweitung der willkürlichen Kontrolle der BürgerInnen durch Behörden, Polizeien und andere Regierungsstellen geht auch eine gravierende Einschränkung der Bewegungsfreiheit für "AusländerInnen" und als solche definierte Menschen einher. Besonders trifft dies auf als "arabisch oder muslimisch aussehend" erkannte Menschen zu.[4] Es geht dabei offensichtlich nur um Diffamierung und Stigmatisierung einer Bevölkerungsgruppe und um das Schüren von Angst in der Bevölkerung. Das erfüllt schon den Tatbestand des staatlichen Rassismus. Für "AusländerInnen" gelten Sondergesetze, die in Deutschland zur Reisebeschränkung für AusländerInnen führen.[5] Auch müssen in diesem Zusammenhang Abschiebehaft und Abschiebungen aus Deutschland heraus erwähnt werden. Letztere ließen sich immer öfter nicht mehr mit Linienflugzeugen durchführen, weil andere Fluggäste sich nicht hinsetzten und damit den Start der Maschine verhinderten.[6] Einige EU-Staaten – darunter Deutschland – schieben deswegen nun gemeinsam mit speziell gecharterten Maschinen ab. Die Abschiebemaschinerie läuft unbeobachtet weiter.

Dramatische Spitze der allgemeinen staatlichen Hetzjagdstimmung ist die Tötung des Brasilianers Menendez in London am 22. Juli 2005. Er habe "verdächtige Kleidung getragen und sich auffällig verhalten", hieß es aus Polizeikreisen. Als diese Darstellung mit Hilfe von Zeugenaussagen und Videoaufnahmen widerlegt wurde, glaubte der Polizeichef befehlen zu können, man möge "die Polizei doch nicht vorverurteilen".

Repression gab es selbstverständlich auch schon während des "Kalten Krieges". Doch der rund 50 Jahre währende "Kalte Krieg" wurde im Wesentlichen zwischen zwei klar abgegrenzten Militärblöcken geführt. Der "Eiserne Vorhang" grenzte den Wirkungskreis der jeweiligen Macht räumlich ein.

Das ist nun grundlegend anders. Eine räumliche Einschränkung gibt es nicht mehr. Peter Strucks Äußerung, "Mögliches Einsatzgebiet der Bundeswehr ist die ganze Welt",[7] verdeutlicht das.

Hinzu kommt, dass der angebliche Feind ("Islamistische Terroristen") sich nicht hinter einem "Eisernen Vorhang" befindet, sondern quasi überall anzutreffen ist. So jedenfalls erklären uns die Militärexperten die Situation. Das rechtfertigt dann all die Repressionsmaßnahmen im Inneren und die Militäraktionen nach außen.

Wenn man den erkannten Militarismus überwinden will, muss man zu Beginn seine Grundidee benennen. Dem Militarismus liegt eine Logik zugrunde, die vom Recht des Stärkeren ausgeht. Der Stärkere setzt seine Macht gegen die Schwächeren durch.[8] Das führt zum Bestreben aller, selber stark zu sein. Damit wird eine Ungleichheit festgeschrieben, die eine gerechte und friedliche Welt verunmöglicht. Ideen, die das verändern wollen, werden als Bedrohung empfunden und bekämpft. Dabei geraten Ursachen von Konflikten naturgemäß aus dem Blick.

2. Das TINA-Syndrom gedanklich überwinden

Es dürfte deutlich geworden sein, dass wir in der Zeit einer nach innen und außen gerichteten Militarisierung leben. Es könnten der im ersten Absatz aufgeführten Liste noch etliche Punkte hinzugefügt werden. Dennoch wollen wir uns jetzt den Alternativen zuwenden, die es selbstverständlich auch gibt.

Das von der Politik häufig vertretene TINA-Syndrom ("there is no alternative?)[9] bedeutet, freundlich ausgedrückt, ein hohes Maß an Fantasielosigkeit der gegenwärtig herrschenden Politik.

Friedensbewegungen und soziale Bewegungen dagegen erkennen die vorgebliche Alternativlosigkeit nicht an und gehen von einer diametral anderen Grundidee aus. Nicht die Macht des Stärkeren, sondern die Gleichheit aller bildet deren Grundlage. Krieg als Mittel der Politik verbietet sich deshalb automatisch. Konflikte müssen anders angegangen werden.

Ihre Existenz soll dabei nicht geleugnet werden, aber das Überhöhen hilft nur denen, die am Streit oder sogar Krieg verdienen. Streitigkeiten der Staaten sind in Wahrheit Streitigkeiten der herrschenden Klassen und Regierungen. Das hat nur sehr wenig mit der Mehrheit der Menschen einer Region zu tun. Den Beherrschten muss klar werden, dass die Herrschenden völlig ohne Legitimität handeln und dass sie selber ein legitimes Recht auf ein ziviles, also freies Leben haben.

Jeder Krieg endet letztlich mit Verhandlungen, und nach jedem Krieg ist Versöhnungsarbeit nötig. Verhandlungen und Versöhnung sind aber besser und schneller ohne Gräber zu haben.

Konflikte sind also anders als kriegerisch zu lösen. Ursachen von Kriegen sind nicht nationaler oder religiöser Art. Religion und Nation werden nur propagandistisch eingesetzt für den Krieg und im Krieg. Eine wahrhaft demokratische und zivile Gesellschaft ist für rassistische, nationalistische oder religiöse Kriegshetze aber nicht empfänglich. Dass viele Menschen tatsächlich Angst vor "dem islamistischen Terror" haben, zeigt, dass die Propaganda funktioniert und wir von dieser selbstbewussten und freien Gesellschaft noch weit entfernt sind. Daher steht am Anfang der Aufbau einer solchen Gesellschaft. Beispiele ziviler Gesellschaftsansätze und zivilen Handelns gibt es viele: Der Porto Alegre-Prozess[10] und alles, was sich bis heute schon daraus entwickelt hat, ist hier an erster Stelle zu nennen. Das Weltsozialforum ist eine der Antworten auf die militaristische Welt von heute. "Fragend schreiten wir voran"[11] gilt als das Motto einer neuen zivilen Gesellschaft von unten, also der sozialen Bewegungen allgemein.

Darauf wird mit Repression und staatlicher Gewalt reagiert. Wenn sich Staats- und Regierungschefs auf ihren "Gipfeln" nur noch in entlegenen Orten und militärisch abgeschottet treffen können, so ist das einerseits eine schreckliche Entwicklung, andererseits ist es eine Ermutigung. Zeigt es doch, dass die Alternativen ernst genommen werden und vielleicht sogar die herrschenden Verhältnisse kippen können. Die Kriminalisierung der Gegner der gegenwärtigen Politik bis hin zum generellen Terrorismusverdacht schreckt immer weniger Menschen ab. Sie entlarvt auch den exzessiv verwendeten Terrorbegriff der Regierenden. Wenn die Menschen in den "Bewegungen von unten" genauso inflationär und pauschal wie Moslems dem Terrorverdacht ausgesetzt sind, kann man diesen Verdacht immer weniger ernst nehmen.

3. Keine Angst vor Veränderungen

Der Weg hin zu den Alternativen kann nur demokratisch und zivil organisiert und beschritten werden. Das bedeutet, dass wir wieder ein Bewusstsein der internationalen Solidarität fördern und Kriege nicht nur verbal, sondern strukturell ausschließen müssen.

Das bereits erwähnte Weltsozialforum (WSF) will massive Veränderungen erreichen. Diese Änderungen im Zusammenleben in der Welt werden als unumgänglich erkannt. Daher wird der Weg "fragend weiter gegangen". Er organisiert sich von unten. Geprägt von der Überzeugung, dass nur eine solidarische Welt die Probleme auf sozialer, ökonomischer und ökologischer Seite lösen kann, gehen die am WSF beteiligten Gruppen und Personen in zahlreichen grenzüberschreitenden Initiativen Beispiel gebend voran.

Die Staaten der "westlichen Welt" sehen sich gezwungen, darauf Antworten zu finden. Daher verkündeten sie einen "Schuldenerlass".[12]Die Armut in der Welt soll bekämpft werden, so hieß es unisono auf dem G8-Gipfel in Edinburgh im Sommer 2005. Die jährliche Entwicklungshilfe soll endlich 0,7% des BIP erreichen. Dieses Versprechen ist bereits sehr alt, es wurde erstmals in den 1970er Jahren vor der UN gegeben und ist nicht gehalten worden.

Kritisch anzumerken ist dabei: Angesichts der schlimmen Erfahrungen mit "Entwicklungshilfe" (Zerstörung einheimischer Märkte z.B.)[13] können die Menschen in der so genannten Dritten Welt nur dankbar und froh darüber sein, dass das Versprechen bisher nicht eingehalten wurde. Nicht "Entwicklungshilfe", sondern faire Entwicklungschancen bei fairem Welthandel sind gefordert. Das wird nicht von oben geschenkt, sondern muss von unten organisiert werden. So gibt es mehrere Kooperativen, die sich Partner in Europa gesucht haben, um einen "fairen Handel" zu betreiben. Faire und gesunde Arbeitsbedingungen und faire Preise sind die Philosophie solcher Verbünde. Dieses System verbunden mit nachhaltiger Produktion ist nicht nur beispielgebend, sondern bringt qualitativ gute Ware auf den Markt und hat nichts von dem Schmuddelimage einer verachteten Alternativszene. "Fair-Trade"-Produkte haben so selbst die Regale von Supermärkten erreicht.

Zu der "anderen Welt" gehört neben dem solidarischen Welthandel vor allem auch eine demokratische Gesellschaft. Das bedeutet, dass eine politische Partizipation der Menschen an Entscheidungen in der Kommune, der Region, dem Staat und darüber hinaus erreicht werden muss. Auch hier ist wieder Südamerika den Europäern weit voraus. Millionenstädte lassen dort ihre BürgerInnen über den Haushalt bestimmen[14] und fahren seit Jahren gut damit. Die Korruption wurde deutlich gesenkt, die Sicherheit der BürgerInnen nahm deutlich zu und die Schulden der Kommunen gingen stark zurück. Als Antwort auf das positive Beispiel aus Porto Alegre fiel in Deutschland der Politik nur ein halbherziger Modellversuch in sechs Städten in NRW unter Leitung der Bertelsmann-Stiftung ein. Die Städte Oldenburg und Göttingen – an diesem Modell nicht beteiligt – erstellen eine Broschüre zum Haushalt. Mitentscheiden dürfen die BürgerInnen selbstverständlich nicht. So werden Zukunftschancen vergeben. Die Antwort auf die gegenwärtigen Herausforderungen ist Beteiligung und nicht Bevormundung.

Fairer Welthandel und demokratische Strukturen bilden einige der Voraussetzungen für die schwierige Aufgabe der Konfliktbewältigung. Konfliktursachen erkennen und benennen, um diese mit zivilen Mitteln zu entschärfen, ist das Ziel des IPPNW-Projekts "Root Causes of Conflicts".[15] Dabei wird der zunehmenden Begehrlichkeit "westlicher Staaten", in von diesen als "failing states" (Versager-Staaten) bezeichneten Ländern intervenieren zu wollen, eine klare Absage erteilt. Militärische Mittel als Konfliktlösung werden nicht akzeptiert und für überflüssig erachtet, da bereits vorher zivile diplomatische Wege erfolgreich beschritten werden sollen.

Root Causes of Conflicts bemüht sich darum, die tatsächlichen Ursachen sozialer oder wirtschaftlicher Art zu ergründen. Machtansprüche und Ansprüche auf Rohstoffe und Märkte[16] sind oft als wahre Ursachen für Interventionswünsche einiger Staaten zu erkennen, während die vorgegebene Verhinderung einer "humanitären Katastrophe"[17] oder der vorgebliche Kampf gegen einen imaginären Terror[18] höchstens im Hintergrund eine Rolle spielt.

4. Es gibt sie doch, die antikapitalistische Perspektive

Festzuhalten ist, dass unsere Gesellschaft sich nach innen und außen militarisiert hat. Dieser Prozess hob die Anfang der 1990er Jahre bestehende Hoffnung auf Abrüstung und Erlangung des Weltfriedens auf. Aus Sicht der ProtagonistInnen dieser politischen Entwicklung verläuft das erfolgreich. Denn bei Diskussionen von BürgerInnen über die neue Bundeswehr als Interventionsarmee heißt es häufig, dass diese Entwicklung begrüßt werde, denn man müsse etwas gegen den Unilateralismus der US-Macht unternehmen. Die große Mehrheit der Bevölkerung scheint zufrieden. Die Wahlergebnisse der letzten Jahre[19] und die geringe Beteiligung bei Protesten scheinen das zu bestätigen.

Alternativen sind vorhanden, aber sie haben es schwer, sich im öffentlichen Diskurs zu behaupten. Sie werden als Utopie oder als undurchführbar diffamiert.[20] Der gegenwärtigen Politik mangelt es aber nicht an Alternativen, sondern den Alternativen mangelt es an Unterstützung und Durchsetzungskraft. Daher fällt mein Fazit insgesamt nur verhalten optimistisch aus.

Nicht die vage Aussicht auf nahen Erfolg kann motivierend sein, sondern die feste Überzeugung, sich auf der richtigen Seite zu befinden und das Richtige zu tun. Der positiven Vorbilder sind reichlich. Die Erfahrung, ganz gewiss nicht allein, sondern international vernetzt zu sein, hilft über das Plattwalzen durch die veröffentlichte Meinung hinweg. Die Beharrlichkeit der falschen Politik ist mit Beharrlichkeit in der Ablehnung eben dieser Politik zu beantworten. Langfristig ergibt sich damit eine antikapitalistische und antimilitaristische Perspektive.

[1] Das griff der damalige Außenminister Joseph Martin Fischer 2005 auf und nannte sein neues Buch "Die Rückkehr der Geschichte".
[2] US-Präsident George W. Bush im Herbst 2001 in einer Rede zum Afghanistan-Krieg.
[3] Am 2.10.2001 hat die NATO offiziell nach Artikel 5 des NATO-Vertrages vom April 1949 zum ersten Mal in ihrer bis dahin 52jährigen Geschichte den Bündnisfall erklärt und bis heute nicht aufgehoben.
[4] Antirassismus-Gruppen haben mehrmals stichprobenartig beobachtet und dokumentiert, wie auf deutschen Bahnhöfen vornehmlich so genannte Ausländer vom Bundesgrenzschutz kontrolliert werden. Je dunkler die Hautfarbe, desto größer die Gefahr der verdachtsunabhängigen Kontrolle.
[5] Die Residenzpflicht besteht seit 1982 und verbietet im §56 Asylverfahrensgesetz das Verlassen eines zugewiesenen Landkreises bzw. einer Großstadt. Die Residenzpflicht hat übrigens ihren Ursprung in der Kolonialpolitik Deutschlands. Für Schwarze galt keine Reisefreiheit und alle mussten Kennmarken offen tragen.
[6] Diese Form des "zivilen Ungehorsams" wurde von Pro Asyl und IPPNW sowie vielen weiteren Gruppen eingefordert und offenbar mehrfach praktiziert.
[7] Minister Peter Struck am 13.1.2004 in "Wegmarken für den neuen Kurs". Die "Wegmarken" stellen eine Art Wegbeschreibung über den Fortgang der 4. Verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundeswehr (VPR) vom 21.5.2003 dar.
[8] Nach Spehr, Christoph in: alaska, Zeitschrift des BUKO, Mai 2003.
[9] Besonders geprägt durch die britische Premierministerin Margaret Thatcher in den 1980er Jahren.
[10] Seit dem ersten WSF am 25.1.2001 spricht man vom Porto Alegre-Prozess.
[11] "Preguntando caminamos" ist das Motto der Zapatisten.
[12] Der Evangelische Kirchentag im Juni 1999 in Stuttgart stand u.a. unter dem Motto "Schuldenerlassjahr 2000". Dieser auch internationale Druck von unten bewegte die G7-Staaten später zum Schuldenerlass für die als ärmste Staaten geltenden Länder.
[13] Schon 1985 von Brigitte Erler in "Tödliche Hilfe" beschrieben.
[14] Die südbrasilianische Millionenstadt Porto Alegre machte 1989 den Anfang. Mehr als 400 Städte und Regionen folgten. Der so genannte Bürgerhaushalt wird von der Stadt offiziell wie geschildert bilanziert.
[15] Vollständig: Root Causes of Conflicts in the Age of Total Markets (= Grundursachen für Konflikte und Kriege im Zeitalter des totalen Marktes) ist ein Projekt der "Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung".
[16] Aufgabe der Bundeswehr ist es laut den 3. Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) vom 26.11.1992 u.a., "den ungehinderten Zugang zu Rohstoffen und Märkten in aller Welt zu sichern". Rühes Nachfolger Struck ergänzt das im Mai 2003 (4. VPR) mit dem Ausspruch: "Deutschlands Sicherheit wird zukünftig auch am Hindukusch verteidigt."
[17] Diese diente als Begründung für den Angriffskrieg gegen Jugoslawien 1999, wobei man vorgab, Vertreibungen zu verhindern. Die NATO veröffentlichte am 31.3.1999 eine Mitteilung, in der es hieß: "Mit Beginn des Bombardements setzte eine massenhafte Vertreibung ein."
[18] Begründung für den Krieg gegen Afghanistan 2001. Als Begründung für den Irakkrieg wurde sie 2003 nachgeschoben, weil die vorgeblich vorhandenen Massenvernichtungswaffen im Irak doch nicht gefunden werden konnten.
[19] Wenn auch Parteien, die eine Regierung stellen, ausgetauscht werden, so wird noch kein vollständiger Politikwechsel vollzogen. Im Gegenteil wird die Kontinuität der Politik von allen im Bundestag vertretenen Fraktionen – mit Ausnahme der Linkspartei vielleicht – vertreten. Dies wurde besonders im Oktober 1998 beim Wechsel zu Rot-Grün von den Kanzlern Helmut Kohl und Gerhard Schröder betont. Die "große Koalition" unter Kanzlerin Merkel bestätigt diese Kontinuität deutscher Politik erneut.
[20] Der neu geschaffene Begriff der "Alternativen" wandte sich zunächst Ende der 1970er Jahre gegen die "GRÜNEN". Ex-Minister Joseph Martin alias "Joschka" Fischer hält nun seinerseits Alternativen für ausgeschlossen.


Inhalt:

Vorwort (Leseprobe)

Teil 1: Strukturen und Grundlagen der Weltmacht EU

The making of: Militärmacht EUropa

Konzernmacht Europa

Geschichtlicher Abriss der europäischen Integration

Neoliberale Geopolitik: Transatlantische Konzepte einer militärischen Absicherung der Globalisierung

EUropas verfasste Militarisierung: Verfassung – Sicherheitsstrategie und Defence Paper

Institutionalisierte Machtentfaltung: Zur Struktur und Funktionsweise der EU-Außenpolitik

Die Ideologie: Europa

Kolonialismus im Namen der menschlichen Sicherheit

Wer regiert in Europa? Die neue Hegemonialordnung des Europäischen Verfassungsvertrages

Made in Germany – Deutschlands Rolle bei der Militarisierung der EU (Leseprobe)

Teil 2: Zwischen Nachbarschaftspolitik und globalem Einfluss

Die Balkanpolitik der Europäischen Union: Koloniale Traditionen in neuem Gewand

Europäische Geopolitik: Die EU, die Türkei und die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen

Die Nah- und Mittelostpolitik der EU: Kontrollstrategien im zivilen Gewand

Osterweiterung: Hegemoniale Ambitionen der Europäischen Union

Reicht Europa bis nach Kasachstan?

Projekt Russland: Wie sich die EU nach Osten erstreckt

Die EU im Wettlauf um die Märkte Lateinamerikas

Kampf der Giganten? Die Zukunft der transatlantischen Beziehungen

Europas Platz an Afrikas Sonne

Teil 3: Die Militarisierung von Gesellschaft, Politik und Ökonomie stoppen

Die EU-Rüstungsexportpolitik: Gefahr für die globale Sicherheit oder friedenspolitische Chance?

Die Finanzierung der EU-Militarisierung

"Wir empfehlen Rüstungsaktien": EU-Rüstungskonzerne auf Expansionskurs

Zwei Seiten einer Medaille: Sozialabbau im Inneren und Militarisierung nach außen

Militarisierte Bevölkerungspolitik – zum Umgang der EU mit Flüchtlingen

Zivilisierung des Militärischen oder Militarisierung des Zivilen?

Perspektiven für eine andere Welt eröffnen (Leseprobe)

Anhang
Abkürzungen
Zum Weiterlesen/Internetquellen
Die Autorinnen und Autoren

Autorenreferenz

Andrea Anton lebt in Berlin und studiert dort Geografie und Politikwissenschaft. Sie engagiert sich u.a. bei FelS (Für eine linke Strömung).

André Bank ist Politikwissenschaftler, Doktorand am Zentrum für Konfliktforschung der Philipps-Universität Marburg und Beirat der Informationsstelle Militarisierung ((IMI). Seine Arbeitsschwerpunkte sind Staats- und Konflikttheorien sowie Regional- und Innenpolitik im Nahen und Mittleren Osten, insbesondere Irak, Iran, Jordanien und Syrien.

Lutz Brangsch ist Wirtschaftswissenschaftler und Bereichsleiter für Politische Bildung bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin.

Uli Cremer war Sprecher des Fachbereichs Außenpolitik von Bündnis 90/Die Grünen und 1999 Initiator der GRÜNEN Anti-Kriegs-Initiative. Letzte Veröffentlichung: "Enttäuschung friedenspolitischer Hoffnungen", in: "Schwarzbuch Rot-Grün", Hamburg 2005.

Kai Ehlers ist Publizist, Transformationsforscher und Initiator von Projekten der interkulturellen Kooperation. Jüngste Buchveröffentlichung: "Russland: Aufbruch oder Umbruch? Zwischen alter Macht und neuer Ordnung – Gespräche und Impressionen", Dornach 2005.

Michael Haid ist Experte für deutsche und europäische Sicherheitspolitik und Beirat der Informationsstelle Militarisierung.

Martin Hantke ist Diplom-Politologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter von Tobias Pflüger im Europäischen Parlament.

Claudia Haydt ist Religionssoziologin und Mitglied im Vorstand der Informationsstelle Militarisierung. Sie ist u.a. Autorin des AttacBasisTextes 5, "Globalisierung und Krieg", Hamburg 2003.

Stephan Heidbrink ist Politikwissenschaftler und arbeitet bei der Forschungsgruppe Europäische Integration (FEI) an der Philipps-Universität Marburg. Jüngste Veröffentlichung: "US-Hegemonie und europäische Integration – Die militärpolitischen Konfigurationen Europas im transatlantischen Spannungsfeld", FEI-Arbeitspapier Nr. 25/2005.

Lühr Henken ist Vorstandsmitglied des Hamburger Forums für Völkerverständigung und weltweite Abrüstung e.V., Mitglied im SprecherInnenrat des Bundesausschusses Friedensratschlag und Beirat der Informationsstelle Militarisierung.

Hannes Hofbauer ist Historiker, Journalist und lebt in Wien. Er veröffentlichte u.a. das Buch "Osterweiterung: Vom Drang nach Osten zur peripheren EU-Integration", Wien 2003.

Lydia Krüger ist Politologin und promovierte über Finanzkrisen in Schwellenländern an der Universität Trier. Sie ist Mitarbeiterin der Europaabgeordneten Sahra Wagenknecht und im wissenschaftlichen Beirat von Attac.

Christoph Marischka ist Beirat der Informationsstelle Militarisierung und hat zuletzt die Studie "Friedliche Kriege? Auf dem Weg zum Weltpolizeistaat", isw-Spezial Nr. 19 (Oktober 2005), veröffentlicht.

Arno Neuber ist (einer von vier) Sprechern der DKP Baden-Württemberg, IMI-Beirat und aktiv im Karlsruher Friedensbündnis. Er ist u.a. Autor von "Militärmacht Europa – Die EU auf dem Weg zur globalen Interventionsmacht?, isw-Report 56.

Tobias Pflüger ist Politikwissenschaftler M.A. Er ist Mitglied der Linksfraktion (GUE/NGL) des Europäischen Parlaments, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss und Koordinator der Linksfraktion im Unterausschuss Sicherheit und Verteidigung. Zudem ist er Vorstandsmitglied der Informationsstelle Militarisierung und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von Attac.

Johannes Plotzki ist Mitglied im Beirat der Informationsstelle Militarisierung und Mitarbeiter von Tobias Pflüger (MdEP). Er lebte längere Zeit in Mexiko, u.a. als Menschenrechtsbeobachter.

Uwe Reinecke ist Historiker und Journalist. Er engagiert sich u.a. im Göttinger Antikriegsbündnis, im Bundesausschuss Friedensratschlag und in der KZ-Gedenkstätte Moringen. Er ist Beirat der Informationsstelle Militarisierung.

Jürgen Wagner ist Politikwissenschaftler, geschäftsführender Vorstand der Informationsstelle Militarisierung, Redaktionsmitglied von Wissenschaft und Frieden und u.a. Autor des Buches "Das ewige Imperium. Die US-Außenpolitik als Krisenfaktor", Hamburg 2002.

Andreas Wehr ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL) im Europäischen Parlament. Er veröffentlichte u.a. das Buch "Europa ohne Demokratie? Die europäische Verfassungsdebatte – Bilanz, Kritik und Alternativen", Köln 2004.

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