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Frank Lorenz / Günter Schneider (Hrsg.)

Vertrauensarbeitszeit, Arbeitszeitkonten, Flexi-Modelle

Konzepte und betriebliche Praxis

186 Seiten | 2005 | EUR 14.80 | sFr 26.60
ISBN 3-89965-108-1 1

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Kurztext: Unternehmen und Verwaltungen haben klare Vorteile von Vertrauensarbeitszeiten, Arbeitszeitkonten und Flexi-Modellen: Ändern sich die Marktbedingungen, kann die jeweilige Organisation rasch angepasst werden. Was aber sind die Konsequenzen für die Beschäftigten, wie können sie sich gegen die negativen Konsequenzen flexibler Arbeitszeitmodelle wehren?


Arbeitszeitpolitik ist eine gesellschaftliche Gestaltungsaufgabe. Wir sind nicht nur mit dem Trendbruch der bisherigen säkularen Entwicklungstendenz der Verkürzung der Arbeitszeiten konfrontiert. Die Herrschenden betreiben deren Verlängerung, also die Rückkehr zur 40-42-Stunden-Woche.

Es geht aber auch um die Flexibilisierung der Arbeitsorganisation in Unternehmen und Verwaltungen. Gestützt auf kurzfristige betriebswirtschaftliche Ziele wird eine Revolution in der Organisation der Arbeit vorangetrieben. Das neoliberale Rezept lässt sich in einer einfachen Formel zusammenfassen: höchstmögliche Produktivität durch Flexibilität. Diese Umwälzung erreicht man durch moderne Arbeitszeitsysteme, atmende Tarifverträge mit Öffnungsklauseln und Prämierung freiwilliger Leistungen. Im Zentrum der Flexibilität stehen die Arbeitszeitkonten.

Leseprobe 1

Vorwort

Dass Fragen der Arbeitszeit und Arbeitszeitregelungen für Gewerkschaften, Arbeitgeber und Politik eher grundsätzlichen Charakter haben, spiegelt sich in der aktuellen Auseinandersetzung um die Dauer der Arbeitszeit wider. Siemens setzt im Sommer 2004 die 40-Stunden-Woche in zwei Betrieben durch und vermeldet im November 2004 einen Rekordgewinn in Milliardenhöhe. Einige Länder und die Bundesregierung verlängern die Arbeitszeit für Beamte. Und der Spiegel weiß, "warum die Deutschen wieder mehr arbeiten müssen". Nur durch Mehrarbeit könne die Wirtschaft in Schwung kommen und Arbeitsplätze geschaffen werden. Begleitet wird diese Entwicklung durch Forderungen vor allem aus der CDU/CSU nach der generellen Rückkehr zur 40- bzw. 42-Stunden-Woche. Unabhängig davon, dass das Problem der hohen Arbeitslosigkeit kaum durch längere Arbeitszeiten gelöst werden kann, wird durch eine zunehmende Produktion lediglich ein Beitrag zur Kostensenkung geleistet, und es bleibt offen, ob durch möglicherweise niedrigere Preise auch tatsächlich die Nachfrage steigen würde. Völlig ausgeblendet wird jedoch eine andere Entwicklung, die wir mit dem vorliegenden Band beleuchten wollen. In den letzten Jahren gab es in Folge der Verkürzung der Arbeitszeiten neue flexible Arbeitszeitmodelle. Die Interessen der Unternehmen und Betriebe beruhten dabei im Wesentlichen auf drei Punkten:   der Verlängerung der Betriebsnutzungs- und Dienstleistungszeiten;   der Variation des Arbeitsvolumens entsprechend der Auslastung und Marktnachfrage;   der Senkung von Flexibilitätskosten. Darüber hinaus gibt es bedingt durch neue technische Entwicklungen auch neue Dienstleistungsangebote und Formen der Arbeitsorganisation (24-Stunden-Callcenter). Diese flexiblen Lösungen haben grundlegende Auswirkungen auf die Arbeitszeitstrukturen insgesamt. Ein Blick in die Arbeitszeitberichterstattung der letzten zehn Jahre zeigt, dass der Anteil der Arbeit an Wochenenden deutlich ausgeweitet worden und darüber hinaus eine Zunahme der regelmäßigen Schicht- und Nachtarbeit zu verzeichnen ist. Auch der Anteil der regelmäßigen Überstunden ist deutlich angestiegen. Bemerkenswert ist, dass bezahlte Mehrarbeit abgenommen hat, wogegen der Anteil der in Freizeit ausgeglichenen Überstunden gewachsen ist. Auch Teilzeitarbeit als eine von der normalen Arbeitszeit abweichende Arbeitszeitform ist in den letzten Jahren massiv ausgeweitet worden. Zwischen 1980 und 2000 hat sich der Anteil der Teilzeitbeschäftigten auf 20% nahezu verdoppelt. Insgesamt haben sich atypische und variable Arbeitszeitformen verbreitet. Matthias Eberling[1] und andere kommen zu dem Ergebnis, dass eine grundlegende Trendwende eingetreten ist. Die in den vorangegangenen fünf Jahrzehnten dominierende Entwicklung hin zu einer stetigen, kollektiv gültigen Verkürzung der Arbeitszeit, die als Normalarbeitszeit gleichförmig von montags bis freitags verteilt worden ist, ist durch die Flexibilisierung der Dauer und der Lage der Arbeitszeiten abgelöst worden. Ein wesentliches Merkmal der neuen Flexibilisierungsform besteht darin, dass nicht nur für hochqualifizierte Fach- und Führungskräfte, sondern auch für breite Beschäftigtengruppen eine individuelle und aktive Gestaltung von Zeit ermöglicht und gefordert wird. Diese Flexibilisierung stößt aber auch auf veränderte Bedürfnisse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Vor diesem Hintergrund sind Gewerkschaften und betriebliche Interessenvertretungen mit der Frage konfrontiert, wie veränderte individuelle Bedürfnisse kollektiv geregelt werden und wie bei Verträgen zu Flexibilisierungsformen ein Schutz für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erzeugt werden kann, der sie vor der zunehmenden Willkür der Unternehmen schützt. Mit diesen Fragen haben sich Referentinnen und Referenten, Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Vierten Düsseldorfer Forums zum Arbeits- und Sozialrecht intensiv auseinander gesetzt. Wir wollen mit diesem Band zur Versachlichung der Debatte beitragen und vor allem gewerkschaftliche Interessenvertretungen unterstützen. Wir bedanken uns bei allen Referentinnen und Referenten, die ihr Manuskript überarbeitet und für diese Dokumentation zur Verfügung gestellt haben. Die Autorinnen und Autoren haben jeweils unterschiedliche Ansätze der Einbeziehung von Männern und Frauen in ihrem Schreibstil gewählt. Diesen konnten wir nicht vereinheitlichen, weisen jedoch darauf hin, dass in jedem Fall Männer und Frauen gleichermaßen angesprochen sind. Düsseldorf, im Dezember 2004
Günter Schneider / Frank Lorenz

[1] Matthias Eberling u.a.: "Prekäre Balancen – Flexible Arbeitszeiten zwischen betrieblicher Regulierung und individuellen Ansprüchen", Berlin 2004, Seite 26

Leseprobe 2

Monika Schwarz
Arbeitszeit und Arbeitsmarkt in der aktuellen Standortdebatte Es war das Ziel der in diesem Buch dokumentierten gemeinsamen Arbeitstagung vom ver.di Landesbezirk NRW mit der Landesarbeitsgemeinschaft Arbeit und Leben, ein Stück zukunftsorientierter Gesellschaftspolitik zu betreiben, in der wir gemeinsam unsere Kompetenz und unsere Handlungsfähigkeit in der Ausgestaltung   von Volumen,   Lage,   Aufteilung,   und Steuerung
der Arbeitszeit in den Betrieben unseres Landes durch Dialog und Erfahrungsaustausch verbessern und erweitern. Damit heben wir uns ab von der aktuell geführten Diskussion zur Rückkehr zur 40 Stunden Woche ohne Lohnausgleich, ausgelöst durch den Kompromiss zwischen IG Metall und der Siemens AG zur Erhaltung von ca. 2.000 Arbeitsplätzen in NRW. Es ist immerhin als ein gewerkschaftlicher Erfolg zu betrachten, wenn 2.000 Arbeitsplätze – zunächst nur garantiert für zwei Jahre – für den Industriestandort Deutschland erhalten werden können. Es ist aber auch genauso wichtig, sich mit der Wirkung und dem Preis eines solchen "Kompromisses" auseinander zu setzen. Dabei möchte ich bewusst auf die Auseinandersetzung mit den bekannten Claqueuren für eine solche Politik wie Michael Rogowski, Edmund Stoiber, Friedrich Merz, Angela Merkel und einigen Politikern aus dem Regierungslager verzichten. Die Bevölkerung hat sich ebenso wie die Gewerkschaften an die eintönige Begleitmusik, die aus diesem Lager zu jedem Akt der neoliberalen Entwicklung der Politik ertönt, gewöhnt. Der Vorgang bei Siemens zeigt ein zentrales Problem der Wirtschaftslenkung in unserem Lande auf: Nicht alles, was betriebswirtschaftlich vernünftig sein mag (auch wenn das im Falle Siemens noch stark zu bezweifeln ist), ist auch volkswirtschaftlich gesehen vernünftig. Dabei hatte das Vorgehen des Siemens-Vorstandes offensichtlich nicht primär eine betriebswirtschaftliche Begründung, sondern war ganz gezielt auf eine ordnungspolitische Veränderung in der Tarifauseinandersetzung mit den Gewerkschaften abgestellt. Was bedeutet der Schritt im Einzelnen? Durch Heraufsetzung der Arbeitszeit wird nicht, wie häufig behauptet, die Produktivität gesteigert, sondern lediglich die Produktmenge je Arbeitnehmer im Rahmen der Gesamtarbeitszeit. Echte Produktivitätssteigerung zielt ab auf Stundenproduktivität und ist erreichbar durch technisch organisatorische Optimierung von Produktions-Betriebsabläufen. Genau dieses hat die deutsche Industrie in den vergangenen Jahrzehnten konkurrenzfähig gemacht. Wer allerdings den Siemens-Weg beschreitet, folgt dem Modell der englischen Volkswirtschaft in den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts mit den bekannten sozialen Verwerfungen. Die Arbeitszeiterhöhung ohne Lohnausgleich mag für das Unternehmen Siemens und für alle diejenigen, die in Deutschland wieder die 40-Stunden-Woche einführen wollen, kurzfristig betrachtet wie ein Erfolg aussehen. Für uns ist es ein Signal in die falsche Richtung. Der Industriestandort Deutschland ist in den letzten Jahren zum Exportweltmeister avanciert. Auch der Laie muss die Politiker und Wirtschaftskapitäne nach dem Widerspruch fragen, zwischen diesem ersten Platz auf der Weltliste der Exportnationen und den ach so maroden Verhältnissen an diesem Wirtschaftsstandort. Bereits jetzt liegt die größte Gefahr für unser Wirtschafts- und Sozialsystem in der Schieflage zwischen Export und Binnennachfrage. Steuereinnahmen und Einnahmen für die Sozialkassen lassen sich nur durch eine Belebung der Binnenkonjunktur steigern, und eben für diese Binnenkonjunktur sind Lohnsenkungen und Arbeitszeiterhöhungen pures Gift. So gesehen ist die Folge dieser Politik weiterer Sozialabbau in unserem Land. Generell muss zur Produktionsstandortverlagerung in Europa angemerkt werden, dass die Erweiterung der EU darauf angelegt ist, die Wirtschafts- und Lebensverhältnisse in dieser Europäischen Union auf mittlere Sicht anzugleichen. Das bedeutet, dass sich mittelfristig die Löhne und die Lebenshaltungskosten auch in den neuen Beitrittsländern dem europäischen Durchschnittsniveau angleichen werden. Also ist der Zeitraum, von niedrigeren Löhnen zu profitieren, zeitlich begrenzt. Außerdem wird bei sinkenden Einkommen in den so genannten Hochlohnländern Deutschland, Frankreich und Italien der Absatz dieser Produkte immer schwieriger. Sinkende Produktionszahlen können aber sehr schnell den geringen Vorteil durch niedrigere Löhne aufzehren. Der Siemens-Konzern leidet keine Not. Er macht Milliardengewinne. Bei allem Verständnis dafür, dass für die Produktion kostengünstige Standorte gefunden werden sollen, muss doch die Frage erlaubt sein, wer den Siemens-Konzern in seine heutige Position gebracht hat. Wer hat mit dazu beigetragen, dass die Siemens-Handys und andere Siemens-Produkte wesentliche Marktanteile auf dem Weltmarkt erringen konnten? Es war doch genau diese Belegschaft, die dem Konzern diese Position verschafft hat! Die Auseinandersetzung bei Siemens hat also nicht nur eine betriebswirtschaftliche Bedeutung, sondern auch eine moralische Dimension. Diese wird von den neoliberalen Scharfmachern nicht nur übersehen, sondern geradezu verneint, indem sie dieser erpresserischen Politik Beifall zollen. Dass eine andere Politik in diesem Land möglich ist, zeigt das Beispiel der Tarifverträge bei der Deutschen Telekom, die ich hier kurz skizzieren will: Durch die beständigen Gespräche und Verhandlungen zwischen ver.di und dem Vorstand der Deutschen Telekom AG ist es seit der gegen unseren Widerstand durchgesetzten Privatisierung im Jahre 1995 gelungen sicherzustellen,   dass das Unternehmen "sozialverträglich" privatisiert wurde,   dass die Umsätze stiegen,   dass das Personal maßvoll reduziert wurde,   und dass die Produktivität erhöht wurde,
ohne betriebsbedingte Beendigungskündigungen auszusprechen. Die Tarifverträge um den Rationalisierungsschutz bei der Telekom wurden in diesem Zeitraum ständig verändert und der jeweiligen Lage des Unternehmens angepasst. Eine der Voraussetzungen für den Erfolg dieser Politik war nicht nur das Aushandeln der Tarifverträge, sondern auch die Tatsache, dass die Betriebsräte und die Gesamtbetriebsräte bei den Unternehmen der Deutschen Telekom AG diese Tarifverträge im Unternehmen konsequent umgesetzt und durch die Vereinbarungen zum zentralen Interessensausgleich (ZIAG) ergänzt haben. Die wesentlichen Erfolge des zuletzt abgeschlossenen Tarifvertrages sind:   Betriebsbedingte Beendigungskündigungen sind bis zum 31.12.2008 ausgeschlossen.   Es wurde ein Moratorium zum Beschäftigungsbündnis bei der Deutschen Telekom vereinbart, welches auch sicherstellt, dass der Tarifvertrag nicht durch Ausgliederungen aus der T-Com und Anwendung des § 613 a BGB unterlaufen wird.   Die Einführung der 34-Stunden-Woche, wobei zugegebenermaßen nur ein Teillohnausgleich erreicht wurde.   Allerdings hat diese 34-Stunden-Woche mit Teillohnausgleich eine Beschäftigungswirkung von ca. 10.000 neuen Arbeitsplätzen.   Die Beamtinnen und Beamten werden den gleichen Anwendungsprinzipien wie die gewerblichen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unterworfen.   Trotz dieses beschäftigungswirksamen Kompromisses werden die Entgelte zum 1. Januar 2005 um 2,7% erhöht.   Bei Verbleib in der Beschäftigungsgesellschaft Vivento ist bei Nichtbeschäftigung ein Gehalt von 85% garantiert.   Vivento ist verpflichtet, innerhalb von drei Monaten eine Beschäftigung anzubieten.   Bei vorübergehender Beschäftigung und bei Fehlen eines Angebotes innerhalb von drei Monaten wird das Entgelt auf 100% aufgestockt.   Ab 1. Januar 2005 folgt in Vivento eine individuelle Entgeltsicherung auf 91,25% des Jahresendzielgehaltes. Auch dieses Gehalt wird um 2,7% aufgestockt. Damit ist ein Modell von beschäftigungssichernder Tarifarbeit geschaffen worden, welches sich wohltuend von den allgemeinen Tendenzen in der Bundesrepublik abhebt. Von entscheidender Bedeutung für die Beamtinnen und Beamten bei der Telekom AG wird die Veränderung des Postpersonalrechtsgesetzes sein. Die aufmerksamen LeserInnen werden bemerkt haben, dass der Begriff "Reform" für den Schritt vermieden wurde, welcher die Umwandlung der – noch verbliebenen – Sonderzuwendungen bei den Beamtinnen und Beamten möglich macht. Angepeilt ist auch für die privatisierten Unternehmen Post und Postbank, durch die Streichung bzw. Reduzierung der Sonderzuwendungen diese Privatunternehmen zu entlasten. Diesem Schritt wird sich ver.di vehement entgegenstellen. Dem allgemeinen Trend entsprechend soll im Personalrechtsgesetz auch an der Stellschraube der Arbeitszeitregelung gedreht werden. Der jetzige Gesetzentwurf sieht vor, dass Überzeitarbeit primär durch Entgeltzahlungen abgegolten werden soll. Dass dieses verheerende Auswirkungen auf die Praktizierung der Arbeitszeit-Tarifverträge haben wird, liegt auf der Hand. Auch gegen diese und weitere Änderungen wird sich ver.di mit allem Nachdruck wehren. Wir werden verhindern müssen, dass mit dem Postpersonalrechtsgesetz die gleichen unverantwortlichen Fehler begangen werden, wie sie der Gesetzgeber mit der Öffnungsklausel bei Landesregelungen bei den Beamtinnen und Beamten betrieben hat. Wir erleben dieses Beispiel gerade aktuell auch in unserem Bundesland Nordrhein-Westfalen. Die Landesregierung geht in Erfüllung ihrer Mini-Agenda 2010 – dem so genannten Düsseldorfer Signal – hin, verlängert die Arbeitszeit der Beamtinnen und Beamten und kürzt die Sonderzuwendungen bzw. streicht sie teilweise gänzlich. Dann tritt das ein, wovor ver.di und die Gewerkschaften im DGB gewarnt haben. Die Tarifgemeinschaft der Länder kündigt unter Hinweis auf die Gleichbehandlung die entsprechenden Tarifverträge und versucht dieses durch den Rechtsbruch zu legalisieren. Neueingestellten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern werden außerhalb der Tarifverträge erhöhte Arbeitszeiten in die Arbeitsverträge hineingeschrieben. ver.di NRW reagierte auf diese Art des Tarifdiktats mit zahlreichen Warnstreiks. Ein weiteres trauriges Kapitel der Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik unseres Bundeslandes ist der Verlust von – vom Vorstand der Post angekündigten – 1.600 Arbeitsplätzen, die bei der Zusammenlegung der Töchterfirmen DAL, Danzas und Euroexpress wegfallen sollen. Auch hier ist ver.di zuversichtlich, dass es gelingt, durch Vereinbarungen mit dem Konzern für die betroffenen Beschäftigten betriebsbedingte Beendigungskündigungen zu vermeiden, und dass andere Arbeitsplätze im Konzern gesucht und gefunden werden. Auf lange Sicht gesehen könnte sich auch der Postvorstand in Sachen Beschäftigungssicherung an den Tarifverträgen der Telekom orientieren. Die Finanzierung des Bundeshaushaltes des Jahres 2005 durch den verstärkten Verkauf von Post- und Telekom-Aktien durch die Bundesregierung wird fatale Folgen haben. Nicht nur wird durch die Ankündigung des Verkaufs auch die Kursentwicklung negativ beeinflusst, was wiederum die große Masse der Kleinaktionäre schädigt, sondern mit dem Verkauf der Anteile zieht sich die Bundesregierung als Anteilseignerin Stück für Stück aus der sozialen Verantwortung für diese Unternehmen zurück, was dazu führen kann, dass eine beschäftigungsorientierte Personalpolitik in diesen Unternehmen erschwert wird, weil sich die Mehrheitsverhältnisse in den Vorständen und Aktionärsversammlungen verschieben. Auch diese Form der Haushaltssanierung ist letztendlich Ergebnis einer verfehlten Politik, die eine Schwächung der Binnennachfrage in Kauf nimmt, die wiederum Einnahmeausfälle und ein langsamer wachsendes Sozialprodukt zur Folge hat. Damit sind wir bei einem Schlüsselthema der aktuellen Diskussion: Es betrifft die Auseinandersetzung zwischen so genannten Reformbefürwortern und Reformgegnern. Es ist bedauerlich, dass anstelle einer fruchtbaren inhaltlichen Auseinandersetzung zwischen Gewerkschaften und Parteien seitens der Bundesregierung die Flucht in die öffentliche Polemik gesucht wird. Dabei wird möglicherweise so viel Vertrauenskapital zerschlagen, dass eine spätere sachbezogene Diskussion erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht wird. Aus der Flut von Wortmeldungen in den aktuellen Auseinandersetzungen möchte ich die Äußerung von Kurt Beck – immerhin einer der stellvertretenden Parteivorsitzenden der SPD – herausgreifen. Dieser empfiehlt den Gewerkschaften öffentlich, sich vorbehaltlos der Reformpolitik der Bundesregierung anzuschließen. Ähnliche Parolen waren auf dem Krisenparteitag der SPD in Nordrhein-Westfalen zu vernehmen. An dieser Stelle fällt es schwer, Polemik zu vermeiden, daher der kurze Versuch, einige wenige sachliche Argumente entgegenzuhalten:   ver.di und die deutschen Gewerkschaften sind nicht nur einfach gegen eine Politik bzw. gegen die Politik der Bundesregierung, sondern sie haben Alternativen aufgezeichnet, die für jedermann lesbar an vielen Stellen und in Broschüren veröffentlicht sind und zuletzt auf dem großen Perspektivenkongress im Mai 2004 von ver.di und IG Metall zusammen mit zahlreichen VertreterInnen sozialer Bewegungen in Berlin diskutiert wurden.[1]   Gewerkschaften haben eine demokratische Binnenstruktur. Ihre Politik und Programmatik wird durch die Mitglieder bestimmt. Wir aber fragen, wo war denn die große parteiinterne Programmdiskussion vor der Agenda 2010? Welchen Einfluss konnten die Fraktionen im Deutschen Bundestag auf die Agenda 2010 nehmen? Wie weit waren die Parteigliederungen der Regierungsparteien im Entstehungsprozess der Agenda einbezogen?   Folgen die Gewerkschaften den Empfehlungen von Kurt Beck und anderer führender Vertreter der Bundesregierung, begehen sie den gleichen Fehler wie die SPD. Sie würden nicht nur eine falsche ungerechte Wirtschafts-, Steuer- und Sozialpolitik betreiben, sondern sich auch von ihrem Klientel verabschieden. Anders als bei der SPD besteht dieses Klientel allerdings nicht aus Wählerinnen und Wählern, sondern aus mehr als 2,5 Millionen Mitgliedern. Die Gewerkschaften sind nach ihrer Satzung verpflichtet, die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten. Sich von dieser Politik zu trennen hieße, Betrug an zahlenden Mitgliedern zu begehen. Und gesellschaftspolitisch hieße dies, all denjenigen, die sich in den vergangenen Jahren bei den Wahlen von der Politik völlig verabschiedet haben, den letzten Hoffnungsschimmer zu nehmen, die letzte moralische Instanz für die Arbeitnehmerinteressen aufzugeben und ebenfalls auf neoliberalen Anpassungskurs zu gehen. Gewerkschaften sind nicht nur dazu da, gute Ratschläge zu empfangen, sondern sie sind auch gerne bereit, welche zu erteilen. Gemeinsam mit der Gruppe alternativer Wirtschaftswissenschaftler – der so genannten Memogruppe – sind wir durchaus in der Lage, aktuelle Wirtschaftsdaten der Bundesrepublik zu ermitteln, zu interpretieren und auf dem Hintergrund der demografischen Entwicklung alternative Zukunftskonzepte zu entwickeln. Umgekehrt müsste sich die Politik erst einmal seriös mit den Ergebnissen der Hartz-Gesetze auseinander setzen. Es wäre z.B. zu fragen: Mit welchem Ergebnis haben die Personal-Service-Agenturen gearbeitet? Wie sieht bei ihnen das Preis-Leistungsverhältnis aus? Wie hoch sind die Vermittlungskosten durch die hohen Zuschüsse der Bundesanstalt? Wie viel Prozent der PSA-Plätze sind an Langzeitarbeitslose gefallen? Wie viel über 50-jährige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer konnten vermittelt werden? Und welche Auswirkungen haben   die Zumutbarkeitskriterien,   die Sperrzeitregelungen,   die Mini- und Midi-Jobs,   die Ich-AG? Und so weiter und sofort. Gerade vor dem Hintergrund der sich verschlechternden und verschärfenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen haben die Tarifautonomie und die Gestaltungspolitik der Betriebsräte in den Betrieben einen besonderen Stellenwert als Gegenpotenzial. Unsere gemeinsame Tagung sollte dazu beitragen, weitere Hintergründe aufzuzeigen und miteinander zu diskutieren, damit der interessengeleiteten Polemik in diesem Lande positive Beispiele entgegengesetzt werden können. Dies ist gelungen, wie die Beiträge in diesem Buch zeigen.

[1] Siehe die Dokumentation Frank Bsirske/Luciana Castellina/Friedhelm Hengsbach/Nele Hirsch/Jürgen Peters u.a., Perspektiven! Soziale Bewegungen und Gewerkschaften, Hamburg 2004

Leseprobe 3



Inhalt:

Vorwort (Leseprobe)
Monika Schwarz
Arbeitszeit und Arbeitsmarkt in der aktuellen Standortdebatte (Leseprobe)
Friedhelm Hengsbach SJ
Der öffentliche Streit um Arbeits- und Lebenszeiten
Hartmut Seifert
Entwicklungstrends der Arbeitszeit und neue zeitpolitische Herausforderungen
Klaus Peters
Wie Krokodile Vertrauen schaffen
Die neue Selbständigkeit im Unternehmen: Arbeiten ohne Ende?
Peter Knauth / Sonia Hornberger
Gesundheitliche Belastungen und flexible Arbeitszeiten
Frank Lorenz
Rechtliche Rahmenbedingungen für betriebliche Arbeitszeitpolitik
Wilbert Gregor / Josef Bednarski
Beschäftigungsorientierte Arbeitszeitgestaltung
Das Beispiel der Telekom AG
Harald Wolf / Frank Lorenz
Arbeitszeitregelungen bei der Deutschen Post AG
Judith Alda / Marion Tok
Eine große Bühnenshow... – aber wie sieht es hinterm Vorhang aus?
Arbeitszeiten im Einzelhandel
Olaf Schröder / Christian Tödt
Flexible Arbeit im Gesundheitswesen
Flexible Arbeitszeiten zwischen individuellen Bedürfnissen, unternehmerischen Strategien und gewerkschaftlicher Politik
Diskussion
Anhang
Detailliertes Tagungsprogramm des Vierten Düsseldorfer Forums zum Arbeits- und Sozialrecht
Ankündigung des Fünften Düsseldorfer Forums zum Arbeitsund Sozialrecht zum Thema "Haben wir das verdient? Verteilungsgerechtigkeit, solidarische Lohnpolitik und betriebliche Vergütungsregelungen"

Autorenreferenz

Judith Alda, ver.di Landesfachbereichsvorsitzende Handel Nordrhein-Westfalen, Betriebsratsvorsitzende Kaufhof Essen Josef Bednarski, Betriebsratsvorsitzender der T-Com Privatniederlassung West Karin Gerlich, ver.di-Landesbezirk Nordrhein-Westfalen, Abteilung Tarifpolitik Wilbert Gregor, ver.di-Landesbezirk Nordrhein-Westfalen, Abteilung Beamte Prof. Dr. Friedhelm Hengsbach SJ, Philosophisch-Theologische Hochschule St. Georgen, Frankfurt a.M. Dr. Sonia Hornberger, Mitarbeiterin in der Abteilung Arbeitswissenschaft am Institut für Industriebetriebslehre und Industrielle Produktion der Universität Karlsruhe (TH) Prof. Dr. Peter Knauth, Leiter der Abteilung Arbeitswissenschaft am Institut für Industriebetriebslehre und Industrielle Produktion der Universität Karlsruhe (TH) Dr. Frank Lorenz, Rechtsanwalt in Düsseldorf Dr. Klaus Peters, cogito Institut für Autonomieforschung, Köln Alexandra Scheele, Projekt GendA-Netzwerk, Sozialwissenschaftliches Forschungszentrum Berlin-Brandenburg e.V. (SFZ) Günter Schneider, Landesgeschäftsführer Arbeit und Leben DGB/VHS Nordrhein-Westfalen e.V. Olaf Schröder, DGB-Bildungswerk NRW e.V. Monika Schwarz, ver.di-Landesbezirksleitung Nordrhein-Westfalen Dr. Hartmut Seifert, Abteilungsleiter des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf Dr. Christian Tödt, Arzt und stellvertretender Betriebsratsvorsitzender des Gemeinschaftskrankenhauses Herdecke Marion Tok, ver.di Bildung und Beratung NRW Michael Weidinger, Dr. Hoff-Weidinger-Hermann Arbeitszeitberatung, Berlin Harald Wolf, ver.di-Landesbezirk Nordrhein-Westfalen, Fachbereich 10

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