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Joachim Bischoff

Mythen der New Economy

Zur politischen Ökonomie der Wissensgesellschaft

172 Seiten | 2001 | EUR 12.80 | sFr 22.90
ISBN 3-87975-808-5 1

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Dass die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie und damit die Tendenz zu einer wissensbasierten oder Neuen Ökonomie mit vielfältigen Herausforderungen – besonders für die Bürgerinnen und Bürger, die im Wesentlichen vom Verkauf ihrer Arbeitskraft oder ihres Arbeitsvermögens leben – verknüpft ist, wird im Ernst kaum jemand bestreiten wollen.

Die entscheidende Frage ist allerdings: Wird sich der Mythos von einem mehr oder minder friktionslosen Übergang in einen modernisierten Kapitalismus genauso eindeutig und genauso rasch auflösen wie die Mythen einer »Neuen Ökonomie«?

Leseprobe 1

Die Mythen der »New Economy«

Unter dem Signet »Neue Ökonomie« wird eine neue Phase der kapitalistischen Akkumulation proklamiert. Im Blickpunkt stehen dabei die Entwicklung und Effekte der Informations- und Kommunikationstechnologien (I&K oder IT). Exemplarisch für den verbreiteten Zukunftsoptimismus ist die Einschätzung des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: »Mit der Neuen Ökonomie verbinden sich die Hoffnungen und Erwartungen, dass der Wachstumspfad des Produktionspotentials als Folge permanent gestiegener Zuwachsraten der Produktivität dauerhaft höher liegen kann.« (SVR 2000, 127) Endlich soll die Produktivität wieder ansteigen und damit das wirtschaftliche Wachstum deutlich verbessert werden. Auch wenn man die Verteilungskonflikte der letzten Jahre nicht im Einzelnen vor Augen hat, leuchtet ein: Wenn das jährliche Wirtschaftswachstum wieder zunimmt, dann könnten sich die Verteilungsauseinandersetzungen entschärfen; schließlich wächst der gesamtgesellschaftliche Kuchen stärker, so dass der Streit um die einzelnen Stücke in den Hintergrund rücken könnte. Voraussetzung für eine solche Trendwende ist ein deutlicher Anstieg in den Zuwachsraten der Produktivität. Der Sachverständigenrat vermutet, dass die neue Qualität der Technologie dafür die Grundlage gelegt haben könnte: »Hierfür sorgen zum einen der technische Fortschritt im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien (I&K-Technologien), zum anderen die Anwendung dieser neuen Technologien als Querschnittstechnologien in nahezu allen Bereichen der Wirtschafts- und Arbeitswelt. Zusätzliche Wachstumspotentiale entstehen, indem über eine Verringerung der Transaktionskosten und Markteintrittsbarrieren der globale Wettbewerb gefördert sowie der Aufbau von Netzwerken ermöglicht werden. Wenn die Potentiale ausgeschöpft werden, dann kann es zu einem nachhaltigen Anstieg der Beschäftigung kommen.« (Ebda.) Diese Argumentation klingt überzeugend: Höhere Produktivität führt zu stärkerem Wirtschaftswachstum und mehr Beschäftigung; damit ist der gesellschaftliche Druck aus den Verteilungskonflikten heraus, denn die Auseinandersetzung über das Ergebnis der gesamtgesellschaftlichen Leistung ist weniger konfliktreich und die Erhöhung der Beschäftigung saniert die Sozialkassen und die öffentlichen Finanzen. Augenscheinlich gibt es eine Grundlage für das Phänomen einer neuen Revolution der Produktivkräfte: Vor allem die sprunghaft ansteigende Zahl der geschäftlichen und privaten Internet-Anschlüsse, denen eine entsprechende Verbreitung der Computer unterliegt, werden zur Begründung einer historischen Zäsur in der Entwicklung des Kapitalismus herangezogen. In Deutschland registrieren wir im Jahr 2000 rund 20 Millionen Internet-Benutzer und Mitte des nachfolgenden Jahres soll die 30-Millionengrenze überschritten werden. Noch 1999 hatten Experten eine solche Größenordnung erst für das Jahr 2003 prognostiziert. Gleichermaßen entwickelt sich der über das Internet abgewickelte Umsatz für Waren und Dienstleistungen sprunghaft. Die Steigerungsraten sind ohne Zweifel enorm: nach rund 2,5 Mrd. DM im Jahre 1999 wird für 2004 mit 700 Mrd. DM gerechnet (siehe FAZ vom 27.1.2000, S. 16). Der Vorstandsvorsitzende der IBM Deutschland, Erwin Staudt, erwartet in den kommenden Jahren Milliardeninvestitionen, »weil die Unternehmen sich davon unter anderem auf den Kundenwunsch maßgeschneiderte Angebote, eine höhere Effizienz und Kostensenkungen von gut 20% versprechen.« (Ebda.) Zwar ist der Gründerboom im Bereich der »Software«- und »Internet«-Branche durch den Börsencrash auf Raten und etliche Firmenzusammenbrüche seit März 2000 zunächst beendet, gleichwohl rechnen sich die überlebenden Unternehmen weiterhin überdurchschnittliche Wachstumsraten aus. Einen Eindruck erhält man durch einen Blick auf die Kennzahlen von Flextronics, einem der weltgrößten Zulieferer der Elektronikindustrie. Dieses Unternehmen erzielte in den letzten Jahren einen durchschnittlichen Umsatzzuwachs von 70% und wird im Geschäftsjahr 2000/2001 einen weltweiten Umsatz von 12 Mrd. $ ausweisen; die Zahl der Beschäftigten stieg in den letzten sieben Jahren von 3.000 auf 70.000 in 27 Ländern. Flextronics profitiert nicht nur von den starken Wachstumsraten der I&K-Branche, sondern auch von dem Trend zum Umbau der Unternehmen und der damit verknüpften Tendenz zum Outsourcing. Viele Manager und Wissenschaftler sind davon überzeugt, dass sich die Ökonomie »in den nächsten zehn Jahren stärker verändern wird als in den letzten 50 Jahren« (Bill Gates nach Tzermias 2000,14). Der Präsident des Kieler Institutes für Weltwirtschaft, Horst Siebert (bekannt für seine rigorosen Plädoyers für Deregulierung und Privatisierung), vermutet, »dass die hohe Wachstumsrate in Amerika, auch wenn sie teilweise Ausdruck einer Überhitzung ist, auf den Quantensprung durch die Informations- und Kommunikationstechnik zurückgeht, mit der eine neue Technologiewelle, ein neuer (langfristiger) Kondratieff-Zyklus eingeleitet zu sein scheint. Diese Querschnittstechnologie revolutioniert die Organisation der Unternehmen, erlaubt wegen der besseren Informationsverarbeitung eine Fragmentierung der Produktion bei günstigerer Steuerbarkeit durch kleine Management-Zentralen, ermöglicht neue Absatzbeziehungen zu den Nachfragern und damit eine schnellere Reaktion auf Kundenwünsche und gestattet eine effiziente Vernetzung mit Lieferanten. Vor allem aber bringt die neue Technik neue Produkte wie die Bereitstellung von Informationen mit sich.« (Siebert 2000, 15) Es sind also verschiedene Dimensionen, die mit dem Paradigma von der »New Economy« angesprochen werden: Bezugspunkt ist die Prosperität der letzten Jahre in Amerika, und damit geht es um einen Zusammenhang von höherem Wirtschaftswachstum, dem Kursfeuerwerk bei den Aktien von Technologie-, Telekommunikations- und Medienwerten, die als Träger des neuen Zeitalters gelten, einer neuen Konsumwelle und einem rigorosen Umbau der Unternehmenslandschaft. Im Zentrum dieser vermeintlich neuen Revolutionierung von Ökonomie und Gesellschaft soll der technologische Fortschritt stehen: Die rasche Ausbreitung des Computers erlaube eine neue Qualität der Vernetzung der Welt. Die Perfektionierung des Wettbewerbs setze sich in einen Rückgang der Transaktionskosten, eine Steigerung der Produktivität, eine Verbesserung der Kontrolle und Steuerung von Unternehmen um. »Die Folge dieser Entwicklung sei der Tod der Inflation, prophezeien die Anhänger der New Economy. Sie verkünden das Ende des Konjunkturzyklus.« (Beck, H., 2000, 13) Von einzelnen Vertretern wird selbst die werttheoretische Grundlage der kapitalistischen Ökonomie in Zweifel gezogen und damit vom Ende der traditionellen Wirtschaftstheorie gesprochen. Auf der anderen Seite wird ausdrücklich vor solchen Schlussfolgerungen gewarnt. Es sei bloßer Überschwang oder Einbildung, dass die »New Economy« neue ökonomische Gesetze hervorbringt, die Inflation unmöglich macht und den Konjunkturzyklus abschafft, weil »vollkommene Konkurrenz« entstehe. Peter Glotz spricht in diesem Zusammenhang von krausen Ideen über den digitalen Kapitalismus, der allerdings auch für ihn eine neue Phase in der Wirtschaftsgeschichte markiert. (Glotz 2000) »Die Märkte werden auch im Zeitalter des Internet nicht vollkommen sein. Sinkende Transaktionskosten schaffen noch keine vollkommene Konkurrenz... Und auch mit der Verabschiedung des Konjunkturzyklus sollte man vorsichtig sein. Warum sollten Lagerhaltungszyklen, Prognoseunsicherheiten oder Zeitverzögerungen sowie Koordinationsschwierigkeiten zwischen Produzenten und Konsumenten im Zeitalter der digitalen Ökonomie gänzlich der Vergangenheit angehören? Nein, all diese angeblich radikalen Neuerungen sind nichts anderes als ein gewaltiger Mythos... ›At the end of the day cashflow is cashflow‹.« (Ebda.) Vordergründig könnte es so aussehen, dass die Ökonomen und durch die Medien auch die breite Öffentlichkeit unter Auswertung von gesamtwirtschaftlichen Trends oder zumindest für die wirtschaftliche Entwicklung relevanten Fakten zu dem Bewusstsein eines neuen historischen Entwicklungsabschnitts der Kapitalakkumulation gelangt sind. Aber auch diesmal hat die Eule der Minerva ihren Flug erst in der Dämmerung angetreten. Die Proklamation eines neuen Entwicklungsabschnittes ist das Produkt der späten 90er Jahre. »Der Terminus ›Neues Zeitalter‹ wurde auf die Wirtschaft angewendet, nachdem der Börsenboom der 90er Jahre ein Ausmaß erreicht hatte, das die Öffentlichkeit verblüfft zur Kenntnis nahm; und im Zentrum aller Neue-Ära-Geschichten stand der Aktienmarkt... Die Neue-Ära-Theorie entstand im Wesentlichen als Interpretation post festum.« (Shiller 2000, 117f.) Die Öffentlichkeit reagierte auf den Aktienboom und auf die vermeintlichen Traumgewinne, die durch Privatisierung und Börsenkapitalisierung von einem Großteil der einstigen Unternehmen des öffentlichen Sektors (Telekommunikation, Energie, Transport) auch für Kleinanleger möglich wurden. Die Steigerung des Wirtschaftswachstums in den USA nach der Rezession von 1991 auf durchschnittlich 3,5%, die Steigerung der Produktivitätsraten, der Übergang zu ausgeglichenen öffentlichen Haushalten und die Absenkung der Arbeitslosenrate begeisterten einen Teil der Experten und Publizisten; die Phantasie einer neuen Prosperitätskonstellation wurde durch den Aktienboom befördert. Mit dem Crash auf Raten, der vor allem im Bereich der Technologie- und Medienwerte im Jahre 2000 eine massive Korrektur der Aktiennotierungen brachte, und dem Übergang der USA in eine Krisen- und Stagnationsphase des Konjunkturzyklus hat sich die Euphorie über den neuen Entwicklungsabschnitt gelegt. Allerdings ist die »New Economy« nicht nur eine geplatzte spekulative Finanzblase, sondern die Informations- und Kommunikationstechnologien haben die Strukturen der Wertschöpfung und die Konsummuster größerer Teile der Bevölkerung geändert. Zweifellos hat sich durch die Kursverluste an den Börsen für Unternehmen aus dem Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien eine realitätsorientiertere Betrachtung durchgesetzt. Mit der Korrektur der Notierungen an den Wertpapierbörsen ist aber das Innovationspotential der Informations- und Kommunikationstechnologie nicht verschwunden. Angetrieben von der neuen Technologie sind vor allem die hochentwickelten kapitalistischen Gesellschaften einem Prozess beschleunigter Modernisierung unterworfen: »Gegenwärtig vollzieht sich eine tiefgreifende Umwälzung ausnahmslos aller gesellschaftlichen Lebensbereiche. Arbeit, das grundlegende Verhältnis zwischen Mensch und Natur sowie Mensch und Mensch, ist nicht mehr ausschließlich stofflich, sondern seit Mitte des 20. Jahrhunderts auch über elektronische Gegenstände und damit subatomar, wir können durchaus auch sagen, sub- oder im-material, vermittelt.« (Raisin 2000, 661) New Economy ungeschminkt Das Manager-Magazin, ganz im Zeittrend, antwortet auf die Frage, was von der »New Economy« nach dem langgezogenen Crash für die Aktienwerte der Technologie-, Medien- und Telekommunikationsunternehmen übrig bleibt: »Die Revolution ist vorbei. Es lebe die Revolution... Es ist wie am Roulettetisch: nur wenige gewinnen. Die meisten verlieren.« (Die Internet-Lüge, in: Manager-Magazin 1/01, S. 168. Im Folgenden werden die Hauptpunkte der Kritik des Manager-Magazins zusammengefasst.) Schlussfolgerung: Die Neue Ökonomie, mit dem Internet als Zentrum, ist eine großartige Innovation. Die alten Regeln der kapitalistischen Ökonomie gelten aber auch in der New Economy. Nachdem eine erste Welle von Abwertung die Aktienkapitale der New Economy gebeutelt hat, werden die populärsten Mythen aufgegriffen. Mythos 1: Wahr ist, dass die I&K-Technologie viele Unternehmen und damit die gesamte Ökonomie produktiver macht. Falsch ist, dass sie für einen zyklenfreien Aufschwung ohne Inflation sorgt.
Mythos 2: In vielen Branchen lassen sich die Kosten senken. Mit einer Machtverschiebung zu Gunsten der Verbraucher hat das nichts zu tun.
Mythos 3: Entfernungen und Agglomerationen spielen nach wie vor eine Rolle. Ballungsräume werden zu Brutstätten der New Economy.
Mythos 4: Nur wenige Start-ups werden sich durchsetzen. Auch im digitalen Kapitalismus machen die internationalen Konzerne das Geschäft.
Mythos 5: Die meisten Shareholder haben die Preisentwicklung der Aktien überschätzt. Die große Gier endet in einem großen Crash.
Mythos 6: In der neuen Ökonomie regiert keineswegs eine andere Entgeltordnung. Angestellte in Internet-Unternehmen verdienen in der Regel schlechter als die in der Old Economy. Allerdings werden sie durch Aktienoptionen am Erfolg oder Shareholder value der Unternehmen beteiligt.
Mythos 7: Auch die Unternehmen der »New Economy« kennen Hierarchien. Nach der Desillusionierung hat das Nachdenken über eine faire Arbeitsordnung begonnen. Die Wiederentdeckung von Führung, Organisation und Interessenausgleich ist eine Herausforderung für die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften. Angesichts dieser Fehleinschätzungen und Fehlentwicklungen könnte man zu dem Schluss kommen, bei der Neuen Ökonomie handele es sich um eine reine Modeerscheinung, die bereits am Verschwinden sei, bevor sie von einer breiteren Öffentlichkeit erst richtig wahrgenommen wird. Bei dem »Crash auf Raten« im Jahr 2000 seien so viele Werte vernichtet worden, dass den Unternehmen das Attribut »Geldvernichtungsmaschinen« (cash burn) angeheftet wurde. Die »New Economy« erscheint als ein Feld, auf dem potenzielle Pleitefirmen, also Unternehmen ohne realistische Gewinnerwartung, zu Höchstpreisen an den Wertpapierbörsen gehandelt wurden. Jetzt ist der Zorn über die Kapitalvernichtung von weitgehender Ernüchterung abgelöst worden. Gleichwohl wird daran festgehalten, dass sich mit der flächendeckenden Diffusion von Elektronik, Informatik, Telekommunikation und Internet die Wirtschaftsstrukturen und die gesellschaftlichen Verhältnisse der hochentwickelten kapitalistischen Länder rapide verändern. Letztlich löse die »New Economy« einen Veränderungsschub aus, der nur mit jenem durch die Dampfmaschine oder durch die Elektrizität zu vergleichen sei. Trotz massiver Kapitalvernichtung und anhaltender Pleitewelle gelte die These: Durch die Auflösung der »New Economy« in die Old Economy werde sich das revolutionäre Potenzial erst voll entfalten. Insofern dominiert nicht die Trauer darüber, modernen Mythen erlegen zu sein, sondern der alte Anspruch der bürgerlichen Klassen: Es lebe die Revolution! Nimmt man den DGB-Vorsitzenden mit seiner Positionsbestimmung zur »New Economy« als für die Gewerkschaften repräsentativ, dann weichen sie der Revolution oder den Fragen, »die sich mit den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien für die Arbeits- und Lebenswelt ergeben, nicht aus. Sie sind also nicht, wie gelegentlich behauptet wird, Kinder des Industriezeitalters, die den wirtschaftlichen Wandel altersschwach und mit einem verständnislosen Kopfschütteln wahrnehmen.« (Schulte 2001, 65) Zu Recht kritisiert der DGB-Vorsitzende die geplatzten Versprechen oder die Mythen des wirtschaftlichen Wandels: Steigerung der Produktivität, Verstetigung von Konjunktur und Preisentwicklung, Rückgang der Transaktionskosten und gleichwohl Anstieg der Beschäftigung. Auch mit dem neuen Stil in der Arbeit und den privaten Lebensverhältnissen sei es nicht soweit her, wie von den Protagonisten immer versprochen werde. »Insbesondere Versprechungen im Hinblick auf die Wirtschaft haben es an sich. dass sie übertrieben sind und nicht eingehalten werden. Und es ist gut, dass die Perspektiven der ›Neuen Ökonomie‹ inzwischen mit größerem Realismus gesehen werden. Die massiven Kurseinbrüche auf dem neuen Markt in jüngster Zeit haben nicht nur an den Börsen zur Ernüchterung geführt. Sie haben auch den Beschäftigten in den Informations- und Kommunikationsunternehmen vor Augen geführt, wie sich ihre Aktiendepots plötzlich in Luft auflösten. Die Vorgänge werfen die Frage auf, ob wir es wirklich mit einer ›Neuen Ökonomie‹ im Sinn einer neuen Wirtschaftswelt zu tun haben. Es ist nämlich nicht zu übersehen, dass sich bislang zu wenige der Versprechen bewahrheitet haben.« (Ebda. 66) Diese defensive Kritik ist charakteristisch für viele Positionsbestimmungen in den Gewerkschaften; es geht nicht nur um den illusionären Charakter oder die modernen Mythen einer wissensbasierten Ökonomie. Es geht entscheidend darum, ob durch diesen »Wandel« die realexistierenden gesellschaftlichen Widersprüche tendenziell gemildert oder gar aufgehoben werden können, oder ob sich die Gewerkschaften auf eine massive Zuspitzung von sozialer Ungleichheit und Benachteiligung von sozialen Schichten einstellen müssen. Die Mehrheitssozialdemokratie in Europa gibt in dieser Hinsicht eine eindeutige Positionsbestimmung: Das strategische Konzept der »Neuen Mitte« zielt im Kern auf die anspruchsvollen, gebildeten und meist gut informierten Beschäftigten des modernen Kapitalismus. Dieser beginne in der Bundesrepublik gerade damit, seine gesellschaftlichen Blockierungen abzuschütteln. Dem Gebot der Globalisierung, Privatisierung und Individualisierung entsprächen der überlieferte Sozialstaat und die traditionelle gewerkschaftliche Interessenvertretung nicht. Interessenvertretung von Beschäftigten und sozial Benachteiligten mache nur Sinn, soweit die Unternehmensziele und die Wettbewerbsposition des bundesdeutschen Kapitals nicht gefährdet werden. Insofern habe Deutschland mit der Sozialpartnerschaft, dem Bündnis für Arbeit, Wettbewerbsfähigkeit und Ausbildung sowie dem Institut der Betriebsverfassung letztlich sogar einen Vorteil für den Übergang zu einer wissensbasierten Ökonomie: »Die zum Rheinischen Kapitalismus gehörende Mitbestimmungstradition, die ursprünglich den Kapitaleignern abgerungen wurde, und die bis heute von vielen mehr klassen-kämpferisch orientierten Gewerkschaften in der ganzen Welt als Kooperativismus und Co- Management abgelehnt wird, kann auf dem Wege in die neue Wirtschaft durchaus eine Brückenfunktion haben. Denn schon jetzt gleichen sich die Standpunkte der Kapitalvertreter, der Vertreter der leitenden Angestellten und der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat an, wenn es um die Zukunft des Unternehmens geht. Allerdings wird sich die Mitbestimmungskultur unterhalb des Aufsichtsrates ändern. Und das stellt Gewerkschaften vor enorme Herausforderungen.« (Mosdorf 2001, 168) Dass die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie und damit die Tendenz zu einer wissensbasierten oder Neuen Ökonomie mit vielfältigen Herausforderungen - besonders für die Bürgerinnen und Bürger, die im Wesentlichen vom Verkauf ihrer Arbeitskraft oder ihres Arbeitsvermögens leben - verknüpft ist, wird im Ernst kaum jemand bestreiten wollen. Die entscheidende Frage ist allerdings: Wird sich der Mythos von einem mehr oder minder friktionslosen Übergang in einen modernisierten Kapitalismus genauso eindeutig und genauso rasch auflösen wie die Mythen einer »Neuen Ökonomie«?

Inhalt:

Die Mythen der »New Economy«
Kapitel 1
Was ist die »New Economy«?
Kapitel 2
Bubble economy?
Kapitel 3
Veränderungen durch die I- und K-Technologie
Kapitel 4
Eine neue lange Welle – neues Akkumulationsregime – allgemeines Gesetz der kapitalistischen Akkumulation
Kapitel 5
Digitaler oder High-Tech-Kapitalismus – von der Amerikanisierung zur Globalisierung
Kapitel 6
Renaissance des Kapitalismus?
Kapitel 7
Digitaler Kapitalismus – Widersprüche und soziale Emanzipation
Literatur

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