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Hilde Wagner (Hrsg.)

Interventionen wider den Zeitgeist

Für eine emanzipatorische Gewerkschaftspolitik im 21. Jahrhundert
Helmut Schauer zum Übergang in den Un-Ruhestand

360 Seiten | 2001 | EUR 20.40 | sFr 36.00
ISBN 3-87975-831-X

 

»Den Gewerkschaften sind in dieser Gesellschaft kultureller Erosionen neue Funktionen in der Verteidigung unterdrückter und vielfach zerfaserter Interessen zugewachsen. Sie müssen sich mit der Umstrukturierung der betrieblichen Realität und der Vertretungsmacht in dieser Realitätsdimension gleichzeitig darauf einstellen, dass die Interessen der außerbetrieblichen Lebenszusammenhänge ihr gesellschaftspolitisches Mandat erheblich erweitern werden.
Auf keiner dieser Ebenen, ob es nun betriebsnahe Tarifpolitik ist oder politische Bildungsarbeit oder die Mitbestimmungsproblematik über wirtschaftliche Vorgänge, wird künftig eine strategische Lösung möglich sein,die den Blick vom gesellschaftlich Ganzen abziehen und auf das isolierte Besondere konzentrieren kann. ... Gesellschaftstheoretische Reflexion in Zusammenhängen berührt das gewerkschaftliche Existenzinteresse.«
Oskar Negt

Leseprobe 1

Vorwort

Helmut Schauer eröffnete Mitte der 80er Jahre den Kongress »Prima Klima« mit dem bezeichnenden Untertitel »Wider den Zeitgeist: Erste gnadenlose Generaldebatte zur endgültigen Klärung aller unzeitgemäßen Fragen«. Um zu erklären, warum eine öffentliche Erinnerung an den SDS sinnvoll sein könnte, obwohl der lange Marsch durch die Institutionen in diesen steckenzubleiben drohte, führte er aus: Die Entscheidung für diesen Kongress »beruht auf der nicht zuletzt aus den früheren Erfahrungen gewonnenen Auffassung, dass die innere Radikalisierung kritischen Denkens, dass geistige Haltungsänderungen hin zu mehr Selbstbewusstsein, Konzentration, Angriffslust, Ironie, Witz und Phantasie, also auch die Freisetzung sinnlich-ästhetischer Energien nötig sind, um praktisch-politische Eingriffskraft zurückzugewinnen. Wie anders denn als im öffentlichen Meinungsstreit, als geistig-politische Aktion, als Kritik des herrschenden Denkens könnte das gelingen. Nur Lumpen sind bescheiden, sagt Goethe.« (in: Prima Klima, Protokolle, Hamburg 1987: 8) Damit beschrieb Helmut Schauer ein Programm, das ihm nicht nur zu dem Ruf verhalf, sein Markenzeichen sei die »Kongress-Politik«, sondern das auch Motor war und ist für seine unentwegten Anregungen zu Arbeitstreffen, Forschungsprojekten und politischen Aktivitäten unterschiedlichster Art. Wie kaum ein anderer versucht Helmut Schauer bis heute theoretischen Diskurs und praktisch-politisches Engagement zusammenzubringen – immer bedacht darauf, die Bedeutung alltagskultureller Dimensionen dabei nicht zu vernachlässigen. So äußerte er kürzlich nach einem Aufenthalt bei einer befreundeten Gewerkschaft im Ausland, bei dem es geselliger zuging als bei uns üblich, hätte er einmal genügend Zeit, würde er über die wichtige Frage der Bedeutung des Witzes in der Alltagskultur der Gewerkschaften forschen. In keiner der Stationen seines Werdegangs – nach Mechanikerlehre und Gewerkschaftsjugend, Student und Landes- später Bundesvorsitzender des SDS, Theatermacher, Sozialwissenschaftler und Gewerkschaftssekretär – hat er eine Seite dieses Ensembles ganz ausgeblendet, auch wenn sie in der unmittelbaren Tätigkeit nicht gefragt und manchmal sogar unerwünscht war. So standen für ihn – wie für viele SDS-Aktivisten – ab Mitte der 60er Jahre die Aneignung kritischer Theorie der kapitalistischen Gesellschaft und die Auseinandersetzung mit den großen Themen der Zeit – Verteidigung der demokratischen Freiheitsrechte und Kampf gegen den Vietnamkrieg – auf der Tagesordnung. Gleichzeitig setzte er sich für eine Bündnispolitik mit Gewerkschaften, Kirchen und weiteren gesellschaftlichen Gruppen ein. Als Sozialwissenschaftler beim Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen sah er sich nicht nur einer kritischen Sozialforschung verpflichtet, sondern versuchte mit seinem Forschungsprojekt über die Tarifpolitik der IG Metall zugleich ein ehrgeiziges Vorhaben umzusetzen: nämlich die IG Metall zu einer »umfassenden Repolitisierung« zu bewegen. Bei der IG Metall als seinem »Gravitationszentrum« (Dabrowski) schließlich angekommen, wurde er bis heute nicht müde, neue gesellschaftspolitische Konzeptionen einzufordern und gegen phantasie- und perspektivloses Lavieren und funktionalistische Anpassung anzugehen. Anders als in den 70er und beginnenden 80er Jahren, in denen es doch zumindest einen breiten öffentlichen Diskurs über die Reformbedürftigkeit der Republik und eine lebhafte Auseinandersetzungen über ein »anderes Leben und Arbeiten« gab, ist heute von einer vergleichbaren Aufbruchstimmung nichts mehr zu spüren. Helmut Schauer beklagt denn auch einen »Verfall des Politischen als einem Feld, auf dem es um Richtungen, Konzepte, um Vorstellungen von der besseren, vernünftigeren Gestaltung der gesellschaftlichen und politischen Angelegenheiten als Ganzem geht« (in: Politisierung der Verteilungsfrage, Supplement Sozialismus 7-8/99:14). Dass auch die Gewerkschaften Produkte der heutigen Zeit sind und als solche vom Verfall des Politischen ergriffen, schützt sie nicht vor der bisweilen beißenden Kritik Helmut Schauers. Immer wieder prangerte er in jüngster Vergangenheit an, dass sie der Welle neoliberaler Mobilisierung zu wenig entgegensetzten und sich aufgrund des Verlusts an politischen Konzepten im puren Tagesgeschäft verlieren würden. Das alte und neue Ziel, Voraussetzungen für eine bessere und demokratischere Gesellschaft zu schaffen, werde damit verfehlt. Auf tarifpolitischem Terrain setzt er sich – unermüdlich und streitbar – für eine Politisierung der Verteilungsfrage unter den Vorzeichen des Shareholder-Kapitalismus ein. Und nicht minder vehement für eine Öffnung in Richtung internationaler und europäischer Solidarität. Obgleich manchmal der Verzweiflung nahe, resigniert oder aufgegeben hat Helmut Schauer nie. Bis heute haben ihn seine vitale, lebensbejahende Haltung und seine Einbettung in vielfältige soziale Kontakte davor bewahrt. Sein Wirkungs- und Freundeskreis ist beachtlich, er spiegelt die vielseitigen Interessen und Aktivitäten Helmut Schauers wider. Die beeindruckende Vielfalt des politischen Freundeskreises zeigt zudem, dass die Linke weder in ihren theoretischen Zugängen noch in ihren gesellschaftlichen Praxisfeldern so verengt ist, wie ihr gerne nachgesagt wird. Die Autorinnen und Autoren dieses Buches haben Helmut Schauer in unterschiedlichen Phasen begleitet. Ihr Spektrum deckt ein weites Feld ab: Sie kommen aus den Bereichen der Sozialwissenschaft, der Forschungsinstitute, der Politik, der Medien und der Gewerkschaften. Die Beiträge sind beredte Beispiele dafür, dass Helmut Schauer in vielen Werdegängen und Gedankengebäuden markante Spuren hinterlassen hat. Dass ein Buch den Schritt Helmut Schauers von der IG Metall in den Unruhestand begleitet, verdankt sich nicht nur der Mitarbeit der Autorinnen und Autoren, sondern wesentlich auch dem engagierten Einsatz von Gabriele Sterkel und Richard Detje (VSA-Verlag). Beide haben die Abenteuer dieses in ungewöhnlich kurzer Zeit realisierten Projektes von der Konzeption bis zur Endfassung nicht nur miterlebt, sondern mit gemeistert. Frankfurt, im Oktober 2001
Hilde Wagner

Leseprobe 2

Karlheinz A. Geißler
Surfing the Zeitgeist
Fünf Interventionen gegen den eiligen Geist »Individualisierung« heißt das postmoderne Attraktivitätsprogramm, das unsere Heilserwartungen, zumindest aber unsere Ansprüche im Hinblick auf mehr Freiheit, begrifflich zum Ausdruck bringt. Rund um die Uhr, unabhängig vom Datum, vom Wochentag und den Jahreszeiten, wollen wir individuell, und das heißt, je nach Lust, Laune und aktuellem Bedürfnis, einkaufen, uns amüsieren und – wenn’s denn sein muss – auch arbeiten. Alles das, was das Leben der Menschen einrahmt, wie etwa Traditionen, gesellschaftliche Konventionen, politische Rahmenbedingungen, religiöse Normen und ethische Wertvorstellungen, alles das wird immer häufiger und lauter als unzulässige Einengung und Einschränkung von Selbstverwirklichungsansprüchen erlebt. An’s Paradies glauben wir zwar immer noch, aber in der säkularisierten Form des Supermarktes. Dass wir es dort nicht allzu lange aushalten, ist die Strafe für den Sündenfall in jenem Paradies, aus dem wir vertrieben wurden. Täuschen wir uns nicht, der Erfolg des groß angelegten Individualisierungsprogramms wird nicht den Subjekten, er wird den Firmen, den Betrieben, den Ämtern zugute kommen. Diese nämlich betreiben mit dem attraktiven Etikett der Individualisierung und mit den damit einhergehenden falschen Freiheitsversprechen nichts anderes als profitable Rationalisierung. Das heißt, wir erhalten nur jene Freiheiten, die sich für die Institutionen und Organisationen in Geldgewinne transferieren lassen. Banküberweisungen vom PC aus, Benzin selbsttätig einfüllen, Müll in der häuslichen Küche sortieren und all überall, beim Hotelfrühstück, in der Volkshochschule wie auch im »Kaufparadies«, der freundliche Hinweis: »Sie dürfen sich selbst bedienen«. Leider aber muss man das auch; und eben dies schränkt die gewonnene Freiheit wieder entscheidend ein. Völlig aus den Augen – und leider auch aus dem Sinn – scheint dabei der triviale Sachverhalt geraten zu sein, dass die Individualisierung ein gesellschaftlich gesteuerter Prozess ist. Er setzt Gesellschaft als wichtiges Steuerungselement voraus, also jenes Sozialsystem, dem man durch Individualisierung eigentlich entfliehen will. Oder sollte möglicherweise die Idee der Individualisierung darin ihre Erfüllung finden, dass sich die Menschen nurmehr durch ihre jeweils eigene Art hektisch sein zu können und zu dürfen unterscheiden? Verschwenderisches Zeitsparen Zeitsparen, angetrieben durch die Verpflichtung, Zeit in Geld zu verrechnen, wurzelt in der Sünde der Habgier, die ehemals zu einer der sieben Todsünden zählte. Habgier geht in vielen Fällen mit ihrem Gegenteil, der Verschwendung, einher. Zeit wird nämlich auch in großem Maße dafür verschleudert, noch mehr Zeit zu sparen. Dies ähnelt jener vielfach zu beobachtenden widersprüchlichen Entscheidung, hohe Kosten auf sich zu nehmen, um ein kostengünstigeres Kleidungsstück oder ein preisreduziertes Möbelteil zu erwerben. Menschen, die so handeln, löschen ihren Durst mit Meerwasser. Im Computer findet diese wenig konsequente »Logik« ihre zumindest vorläufige Erfüllung: Es handelt sich bei ihm um jene Zeitsparmaschine, die uns gegenwärtig am meisten Zeit kostet. Zeitsparen wird, ohne dass das auffallen würde, mit zeitweise exzessiver Zeitverschwendung in einen problemlosen Einklang gebracht. Die Zeitverschwendung am PC wird durch dessen Möglichkeiten, immer wieder Zeit sparen zu können, legitimiert. Hegel hat, ohne solche Geräte zu kennen, dafür bereits den geeigneten Begriff bereitgestellt: Er spricht von einer »gegenseitigen Bestimmung«. Der Kapitalismus lebt von dieser gegenseitigen Bestimmung und er lebt gut davon. Das Paradox des verschwenderischen Sparens und der sparsamen Verschwendung treibt die ökonomischen Dynamiken voran und verführt die Menschen zu immer größerem Konsum ohne schlechtem Gewissen. Wie sollte man sonst für die verbreitete Motivation eine Erklärung finden, anlässlich eines Sonderangebotes statt der einen benötigten Bratpfanne gleich drei zu kaufen, nur weil man dabei am Preis des Einzelstückes 15% spart? Das bürgerliche Streben nach Wohlstand, nach der durch Güterwohlstand erfüllten Zeit, die man sich durch Zeitsparanstrengungen erarbeitet, rotiert letztlich um einen leeren Kern. Weil man das weiß, zumindest aber ahnt, lässt man von den hektischen Zeitsparanstrengungen meist auch dann nicht ab, wenn man bereits im Wohlstand lebt. So wird die Tragödie des »Sinn«-losen Lebens und des leeren Selbst durch die Banalität des ununterbrochenen Konsums, der zur Sucht wird, verschleiert. Einstmals zog man in die Welt, um Geld zu verdienen, und dies mit dem Ziel, irgendwann einmal kein Geld mehr verdienen zu müssen. Nur allzu oft endete dieses Vorhaben aber dort, wo sich das Geld jene Menschen verdient, die sich mit der Absicht, Geld zu erwerben, auf ihren Lebensweg machten. In einem Leben, das notwendigerweise mit dem Tod endet, können Zeitsparanstrengungen immer nur vergebliche und daher tragische Versuche sein, dem Naturgesetz der Endlichkeit durch leere Betriebsamkeit zu entkommen. Das einzige, an dem man wirklich sparen sollte, sind Zeitsparanstrengungen. Fordschritt Henry Ford, die Verkörperung des Fortschrittes, prophezeite: »Ich werde ein Auto für die breite Masse bauen ... Es wird so niedrig im Preis sein, dass jeder, der ein gutes Gehalt bezieht, Besitzer eines solchen Wagens werden kann – und sich mit seiner Familie in Stunden der Freude an dem ergötzen kann, was Gott an großen Weiten geschaffen hat... (Lacey, R., Ford: The Men and the machine, New York 1986: 93) In der Tat, vieles davon ist eingetreten. Wir sind ein Volk von Autofahrern geworden und dies in weit extremerem Ausmaß als Ford sich das gewünscht und vorgestellt hat. Die Kategorien eines Zweit- oder sogar die eines Drittwagens waren ihm unbekannt. Vielleicht wollte er auch davon gar nichts wissen, weil er ahnte, dass dereinst – und das ist heute in der Landeshauptstadt München Realität – auf ein Kind statistisch gerechnet fünf Autos kommen. Hingegen lag Ford jedoch mit seiner Prognose, dass sich die Autobesitzer mit Freude an jenem ergötzen werden, »was Gott an großen Weiten geschaffen hat«, daneben. Das tun heute viel eher jene, die ihr Auto stehen lassen, die zu Fuß gehen, oder sich des Fahrrads bedienen. Das Auto als Verkehrsmittel für die breite Masse hatte nämlich zur Folge, dass es schließlich immer weniger dieser gottgeschaffenen Weiten gibt, und dass die noch erfahrbaren, immer seltener »für’s Ergötzen« zur Verfügung stehen. Das Auto ist zuallererst ein Mittel zur ziellosen Flucht geworden. So endet das Ford’sche Glücksversprechen schließlich im kilometerlangen Stau und in den großen Weiten, die nicht Gott geschaffen hat, sondern der saure Regen. Die Autobahn, von der Ernst Bloch meinte, dass sie zwar imposant aber doch etwas flach sei, ist unser Schicksal. Weder auf der Schnellstraße noch auf dem Qualifikation-Highway werden wir zu jener Geduld kommen, die laut biblischer Verheißung der Schlüssel zum Himmelreich ist. Zeitkannibalismus Eines der herausragenden und unumstrittenen Zeichen für den zivilisatorischen Fortschritt in dieser Welt ist die Abschaffung des Kannibalismus. Neuerdings scheint er zurückzukehren und immer mehr Anhänger zu finden, ohne dass dies als zivilisatorischer Rückschritt bewertet werden würde. Ganz im Gegenteil. Gerade die Wiedereinführung des Kannibalismus scheint als Fortschrittssymbol willkommen zu sein. Aber ein entscheidender Unterschied zum Kannibalismus vergangener Tage ist es, dass er besonders in den hochentwickelten Industriegesellschaften seine Anhänger findet. »Die Schnellen fressen die Langsamen«: Diese Schlagzeile, mal als ein zur Steigerung der Arbeitsmotivation genutztes Motto, mal als beschreibende Aussage über die kapitalistische Realität verwendet, kann man inzwischen in beinahe allen Wirtschaftsmagazinen, in den Tageszeitungen und in den diversen Sendungen der elektronischen Medien lesen. Trotzdem – oder gerade deshalb – sollte man stutzig werden: Haben wir den Kannibalismus in der unterentwickelten Welt vielleicht nur deshalb abgeschafft, um ihn dann bei uns selbst wieder einzuführen? Wer weiß? Oder enden wir schließlich dort, wo wir angefangen haben? Fragen und Irritationen. Für eine orientierende Antwort fehlt uns die Zeit. Die Beschleunigung frisst auch sie. Wir Zeitfresser, wir kannibalistischen Fortschrittler. Wir haben es gesagt bekommen Hans Christoph Binswanger, ein ökonomisch bewanderter Gelehrter von der Hochschule in St. Gallen, hat Goethes »Faust« in einer höchst originellen und lehrreichen Art und Weise interpretiert. Faust wettet mit Mephisto, so Binswangers Interpretation, um die »Zeit«, denn er glaubt – wie der moderne Mensch – nicht mehr an eine Zeit, die jenseits des Diesseits existiert. Die Erfüllung der Wünsche muss also – wenn sie denn überhaupt jemals erfolgt – auf der Erde geschehen. In der Wette zwischen Faust und Mephistoteles geht es daher um die Frage, ob es möglich sei, mithilfe ökonomischen Handelns den Augenblick des höchsten Glücks zu erreichen. Diesen eben will Faust und mit ihm die gesamte moderne Menschheit festhalten. Die Grundlagen dafür sind, so Goethe mit einer Pointierung wie es kein ökonomisches Lehrbuch besser könnte, die Geldschöpfung sowie das Eigentumsrecht als das Recht die Natur zu beherrschen, und drittens der Einsatz von Energie und Maschinen sowie die Notwendigkeit von wiederholten Investitionen. Goethe aber macht uns, neben der inzwischen gut belegbaren wohlstandsfördernden Funktion dieser Grundlagen des erhofften Glücks, auch auf die Gefahren aufmerksam, die diese, wie eine Schleppe, mit sich führen. Eben diese sind wir heute gezwungen, zur Kenntnis zu nehmen. Nach Binswanger sind es drei Bedrohungen, auf die Goethe am Ende seines Dramas aufmerksam macht:
Erstens: Die Vernichtung des Schönen.
Zweitens: Die Erhöhung der Risiken.
Drittens: Der Verlust der Gegenwart durch die permanente Sorge um die Zukunft. Die Größe und die Aktualität des Goethe’schen Dramas zeigt sich u.a. daran, dass wir im 3. Jahrtausend mit jenen Problemen und Bedrohungen konfrontiert sind, die Goethe bereits zu Beginn der Beschleunigungsgeschichte erkannte und beschrieb. Das Drama ist heute jedoch ungleich größer. Es spielt sich in der Realität und nicht mehr auf der Bühne ab.

Leseprobe 3



Inhalt:

Einmischung als Prinzip


Vorwort
Hartmut Dabrowski
Eingriffe als ständige Aufgabe: oder das Leben als politische Sisyphusiade
Bodo von Greiff
Helmut Schauer und der kategorische Imperativ

Intellektuelle und Politik


Oskar Negt
»Nichts ist praktischer als eine gute Theorie«
Zur Dialektik von kritischer Gesellschaftstheorie und emanzipatorischer Politik
Frank Deppe
Gewerkschaften und Intellektuelle

Arbeit im Shareholder-Kapitalismus


Michael Schumann
Sozialstrukturelle Ausdifferenzierung und Pluralisierung der Solidarität
Joachim Bergmann
Krisenerfahrungen und Zukunftsängste
Günter Bechtle / Dieter Sauer
Fordismus als Zwischenspiel?
Zur heterogenen und ambivalenten Entwicklung des gegenwärtigen Kapitalismus
Hans-Jürgen Urban
Der Arbeitskraftunternehmer – Ein neues Produkt der Spektakel-Soziologie?
Erinnerung an die Zukunft der Arbeit
Gespräch zwischen Ingrid Kurz-Scherf und Jutta Roitsch
Karlheinz A. Geißler
Surfing the Zeitgeist
Frieder Otto Wolf
Was tut die ausgebeutete Klasse, wenn sie kämpft?
Einige Überlegungen zur Neulektüre der Darstellung des »Kampfs um den Normalarbeitstag« im »Kapital«

Gewerkschafts- und Tarifpolitik als gesellschaftliches Projekt


Jürgen Peters
Zwischen politischem Lohn und »beschäftigungsorientierter Tarifpolitik«
Der tarifpolitische Einfluss auf die Einkommensverteilung
Edwin Schudlich
Zum historischen Verhältnis von Entlohnungsform und Arbeitsorganisation
Armin Schild / Hermann Unterhinninghofen
1972 – heute – Zukunft
Stationen und Wirkungsgrade der gewerkschaftlichen Tarifpolitik
Hartmut Schulz / Frank Teichmüller
Betriebsnahe Tarifpolitik
Die IG Metall stärken – den Flächentarifvertrag verteidigen
Reinhard Bispinck / Thorsten Schulten
Zur Kritik der wettbewerbsorientierten Tarifpolitik
Klaus Lang
Die Zukunft der Gewerkschaften
Bodo Zeuner
Alternative Zukunftspfade der deutschen Gewerkschaften
»Wie alles anfing ...«
Eine Widmung von Lionel van der Meulen

Im politischen Feld


Claus Koch
Der linke Impuls
Rupert von Plottnitz
Kapitalismus ohne Politik?
Tilman Fichter / Helga Ziemann
Berufliche Qualifikation und freiheitliche Selbstbestimmung
Joachim Bischoff / Richard Detje
Der dritte Weg und seine Kritiker
Sybille Stamm
Terror und Politik
Gewerkschaften müssen Motor der Friedensbewegung sein
Jürgen Seifert
Europäische Staatsgründung durch Verfassungsgebung
Verfassungsdebatten und Machtentscheidung

Internationale Bewegungen wider die globale Kapitaldominanz


Birgit Mahnkopf / Elmar Altvater
Ortloser Widerstand überall
Heinz Bierbaum
Eine Bewegung für ein soziales Europa
Zur transnationalen Zusammenarbeit der Gewerkschaften
Jakob Moneta
Europäische Gewerkschaften vor neuen Herausforderungen
Reinhard Kuhlmann
Soziale Kontrolle im europäischen Regelungsmodell
Europäische Lohnkoordinierung in der Metallwirtschaft
Bart Samyn
Tarifpolitik zwischen europäischer Koordinierung und nationalen Bündnissen

Autorenreferenz

Elmar Altvater ist Professor für Politikwissenschaft / Politische Ökonomie an der FU Berlin. Günter Bechtle ist Professor für Soziologie in München und Berlin. Joachim Bergmann ist emeritierter Professor für Soziologie an der TU Darmstadt. Heinz Bierbaum ist Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik und Wirtschaft und Leiter des INFO-Instituts in Saarbrücken. Joachim Bischoff ist Redakteur der Zeitschrift Sozialismus in Hamburg. Reinhard Bispinck ist Leiter des Tarifarchivs im Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf. Hartmut Dabrowski ist Soziologe, arbeitete am Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen und als Referent beim Betriebsrat der Volkswagen AG in Wolfsburg. Frank Deppe ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Marburg. Richard Detje ist Redakteur der Zeitschrift Sozialismus in Hamburg. Tilmann Fichter ist Politikwissenschaftler und arbeitete bis April 2001 als Referent für Schulung und Bildung beim SPD-Parteivorstand in Berlin. Karl-Heinz Geissler ist Professor für Wirtschaftspädagogik an der Universität der Bundeswehr in München. Bodo von Greiff ist Politikwissenschaftler in Berlin und Herausgeber der Zeitschrift Leviathan. Claus Koch ist Publizist in Berlin. Reinhard Kuhlmann ist Generalsekretär des Europäischen Metallgewerkschaftsbundes in Brüssel. Ingrid Kurz-Scherf ist Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Marburg. Klaus Lang ist Leiter der Abteilung 1. Vorsitzender/Koordinierung/Politische Planung beim Vorstand der IG Metall in Frankfurt. Birgit Mahnkopf ist Professorin für Soziologie an der Fachhochschule für Wirtschaft in Berlin. Lionel van der Meulen ist Journalist, arbeitet beim Hessischen Rundfunk in Frankfurt. Jakob Moneta ist ehemaliger Chefredakteur der Zeitschrift Metall in Frankfurt. Oskar Negt ist Professor für Soziologie an der Universität Hannover. Jürgen Peters ist 2. Vorsitzender der IG Metall, zuständig u.a. für Tarifpolitik, Wirtschaft, Organisation und Personal. Rupert von Plottnitz war bis 1999 hessischer Justizminister, arbeitet als Rechtsanwalt in Frankfurt. Jutta Roitsch war von 1968 bis September 2001 Redakteurin bei der Frankfurter Rundschau. Bart Samyn ist stellvertretender Generalsekretär des Europäischen Metallgewerkschaftsbundes in Brüssel, zuständig für Tarifpolitik. Dieter Sauer ist Volkswirt und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung in München. Armin Schild ist Gewerkschaftssekretär in der Abteilung Tarifpolitik beim Vorstand der IG Metall in Frankfurt. Edwin Schudlich war bis 1991 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialforschung, in Frankfurt arbeitet seitdem als Gewerkschaftssekretär beim DGB-Landesbezirk Hessen. Torsten Schulten ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf. Hartmut Schulz ist Gewerkschaftssekretär bei der IG Metall, Bezirk Küste, in Hamburg. Michael Schumann ist Professor für Soziologie an der Universität Göttingen und Präsident des Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen. Jürgen Seifert ist emeritierter Professor für Politische Wissenschaften an der Universität Hannover. Sybille Stamm ist Vorsitzende des ver.di-Landesbezirks Baden-Württemberg. Frank Teichmüller ist Bezirksleiter der IG Metall, Bezirk Küste, in Hamburg. Hermann Unterhinninghofen ist Gewerkschaftssekretär in der Abteilung Tarifpolitik beim Vorstand der IG Metall in Frankfurt. Hans-Jürgen Urban ist Leiter der Abteilung Sozialpolitik beim Vorstand der IG Metall in Frankfurt. Hilde Wagner ist Gewerkschaftssekretärin in der Abteilung Tarifpolitik beim Vorstand der IG Metall in Frankfurt. Frieder Otto Wolf war Mitglied des Europaparlaments und ist Privatdozent an der FU Berlin. Bodo Zeuner ist Professor für Politikwissenschaft an der FU Berlin. Helga Ziemann ist Bildungs- und Organisationsspezialistin und arbeitete bis April 2001 als Referentin für Schulung und Bildung beim SPD-Parteivorstand.

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