Halbierung der globalen Armut bis 2015?
Für eine nachhaltige Entwicklungspolitik
Mit einem Vorwort von Hans Modrow
116 Seiten | 2002 | EUR 7.60 | sFr 14.00
ISBN 3-87975-890-5
Das Buch stellt Positionen zu verschiedenen Aspekten und Lösungsansätzen des Problems weltweit sich ausbreitender Armut in Entwicklungsländern vor. Die Autoren konzentrieren sich hierbei vor allem auf die Diskussion möglicher politischer Antworten auf dieses Phänomen.
Dabei legen sie den Schwerpunkt auf die Antworten, die von den Gesellschaften der kapitalistischen Industrieländer gegeben werden müssen, und gehen auf die Frage ein, welchen Beitrag Entwicklungspolitik dazu leisten kann. Das Buch ist die leicht bearbeitete Fassung einer Studie, die die Autoren im Januar 2002 unter dem Titel "Entwicklungspolitik und Kampf gegen die Armut" im Auftrag der PDS-Delegation in der Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke im Europäischen Parlament verfasst haben.
Nicht nur die Dimensionen der Armut in Entwicklungsländern, sondern auch ihre Verknüpfung mit den ökonomischen, sozialen, politischen Prozessen in unseren "entwickelten" Gesellschaften führen zu komplexen Problemstellungen. Mit der Suche nach Lösungen für das Problem der Massenarmut stellt sich die Frage nach den Perspektiven der Entwicklung nicht nur in jenen Regionen, sondern der Welt und der menschlichen Gesellschaft im ganzen.
Hochrangige Wissenschaftlerteams bei den internationalen Organisationen, an Universitäten und Instituten beschäftigen sich mit Millionenaufwand seit langem mit der Analyse, Theorie- und Strategieentwicklung zu diesen Fragen. Weitere Studien zu vielen Einzelfragen methodischer, definitorischer, sozialwissenschaftlicher, ökonomischer und politischer Art sind notwendig und werden auch bereits von einer großen Zahl engagierter Wissenschaftler bearbeitet, darunter besonders in zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich die Aufgabe stellen, offizielle Politik in ihren Strategien und Realisierungen kritisch und fordernd zu begleiten. Die beständige und zuverlässige partnerschaftliche Zusammenarbeit aller politischen Kräfte, die sich ernsthaft für Auswege einsetzen, mit solchen Gruppierungen halten wir für dringend erforderlich. Die vorliegende Arbeit hat sich insbesondere darum bemüht, dort entstehende Standpunkte, Überlegungen, erkannte Erfordernisse aufzugreifen und in ihrer Reichweite für eine Politik, die einem sozialistisch-humanistischem Denken verpflichtet ist, zu beleuchten. Aktuell geschah dies mit Blick die Internationale Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung (März 2002 in Monterrey, Mexiko) und den Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung (September 2002 in Johannesburg).
Die Autoren legen mithin keine erneuten Analysen und Berechnungen der Armutszustände vor. Auch gutgemeinte, kompetente und unabweisbare Vorschläge für Maßnahmen und Lösungen gibt es mehr als genug, sie müssen nicht neu erfunden werden - schon gar nicht im Alleingang von Vertretern des "Nordens" -, sondern mit politischen Partnern und zivilgesellschaftlichen Organisationen im »Süden« beraten, immer wieder in der Öffentlichkeit propagiert und vor allem umgesetzt werden. Was fehlt, ist der politische Willen bei den Herrschenden und die Durchschlagskraft des nicht mehr zu ignorierenden Druck seitens der Betroffenen und der von den verschiedensten Motivationen her um eine neue Politik bemühten Bürger und zivilgesellschaftlichen Organisationen von unten. Die Aufgabe, diesen Druck zu organisieren, steht im Kampf um jede einzelne Forderung, nicht nur für eine gesellschaftliche Umorientierung in ihrer Gesamtheit.
Probleme der Armut sind in der Tradition der mit dem Marxismus verbundenen Linken, die als das Subjekt revolutionärer Veränderungen das Proletariat bestimmte, eher unterbelichtet und meist wohltätigen Organisationen oder den Kirchen überlassen worden. Die Erhebung der "Verdammten dieser Erde", der armen Massen des Südens, zur revolutionären Kraft durch Frantz Fanon wurde von diesem Standpunkt aus ebenso zurückgewiesen wie die Gegenüberstellung von »armen« und »reichen« Ländern. Heute hat sich Armut zum sozialen Problem Nr. 1 entwickelt, dem keine gesellschaftspolitische Strömung ausweichen kann.
Armutsbekämpfung ist in Mode gekommen. Damit das Thema nicht wie die Mode wieder von der Tagesordnung verschwindet, sind kontinuierliche Anstrengungen nötig, ausgehend davon, dass es um die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaften geht. Doch es fällt auf, dass Berichte über die Entwicklung der weltweiten Armut (wie der Weltentwicklungsbericht 2001 der Weltbank mit einem umfangreichen Instrumentarium zu deren Reduzierung) die Industrieländer nicht oder höchstens am Rande mit einbeziehen.
Nach dem Regierungsbericht »Armut und Reichtum in Deutschland« - der nur etwa zwei Drittel der tatsächlich vorhandenen Vermögenswerte erfasst - besitzen 50% der deutschen Bevölkerung 4,5% der Vermögenswerte, das oberste Zehntel der Bevölkerung besitzt 42,3%. Das sind Proportionen, die an Brasilien erinnern, das Land mit der ungerechtesten Besitzverteilung auf dem für seine extreme soziale Polarisierung bekannten lateinamerikanischen Kontinent. Die nationale Armutsrate in Deutschland, für die es bezeichnenderweise keine eindeutigen Maßstäbe gibt, wird zwischen 5,7% und 20% geschätzt. Armut bei uns und Elendsbedingungen in Entwicklungsländern sind nicht dasselbe. Es gibt Systeme des sozialen Transfers, die Auswirkungen von Armut mildern; beseitigen können sie diese nicht. Arme in Deutschland verhungern zum größten Teil nicht auf der Straße, sie können Sozialhilfe in Anspruch nehmen, aber ein Leben in Würde ist auch ihnen kaum möglich, auch sie erfahren sozialen Ausschluss, Verlust von Perspektiven, persönlichkeitszerstörende Wirkungen, gesundheitliche Schäden, kulturelle Einschränkungen, kurz alle Entbehrungen des Armutszustandes, und dies inmitten einer Gesellschaft des Überflusses. Beobachtungen zu diesem weitgehend tabuisierten und individualisierten Thema zeigen, dass solche Situationen für immer mehr Menschen ein Dauerzustand werden, oft ausgehend von Langzeitarbeitslosigkeit, und immer mehr ist die Zukunft von Kindern davon betroffen. An diesem Problem darf auch der entwicklungspolitisch orientierte gesellschaftliche Diskurs nicht vorbeigehen, wenn er glaubwürdig bleiben will.
Die Autoren halten es trotzdem für wichtig, den Blick auf die Entwicklungsländer zu konzentrieren. Einmal deshalb, weil diese Länder einer neuen Gestaltung internationaler Beziehungen bedürfen, um ihre Probleme lösen zu können, und weil die heute entwickelten Länder ihnen gegenüber eine historische soziale Schuld abzutragen haben, eine Verpflichtung, der sich sozialistische Politik nicht entziehen kann. Zum andern, weil sie eine globale, internationalistische Sicht und solidarische Handlungsweise für eine unverzichtbare Voraussetzung des Kampfes um eine gerechtere Gesellschaft in unserer Zeit halten, wo immer er stattfindet. Kein Land und keine politische Kraft wird die Weltprobleme allein lösen können - alle sind bei Strafe des Untergangs aufeinander angewiesen in diesem Raumschiff Erde.
Leseprobe 1
Hans Modrow
Vorwort
Die vorliegende Studie ist keine Gebrauchsanweisung für fortschrittliche Entwicklungspolitik – sie gibt, und darin liegt ihr Vorzug, Anregungen zum Nach- und Weiterdenken.
Die Frage nach linken Positionen zu Entwicklungspolitik und Armutsbekämpfung zu beantworten, ist nicht unkompliziert, obwohl es scheinbar auch ganz einfache Antworten gibt. Nicht unkompliziert, weil es kaum möglich erscheint, jene kritischen Wertungen auch aus bürgerlichem Munde, die Äußerungen von Betroffenheit über das Ausmaß der Armut und dem Willen, ihr entgegen zu treten, noch zu übertreffen. Einfach, wenn man sich auf ein paar linke Phrasen und Parolen einlässt, die da lauten: für eine proletarische, sozialistische Revolution gegen den Imperialismus, für eine weltweite Föderation sozialistischer Republiken ohne Armut, Unterdrückung, Ungleichheit, Ausbeutung und Krieg.
Die Studie lässt sich weder auf die eine noch auf die andere Variante ein. Sie kann und will dazu beitragen, Entwicklungspolitik grundsätzlich in ihrer Vielschichtigkeit und Komplexität zu beleuchten, über Alternativen, auch über Sozialismus, neu, gründlich und zielstrebig nachzudenken.
Im Mittelpunkt aller Überlegungen muss die Frage nach künftigen sinnvollen Anstrengungen und wirkungsvollen, schlüssigen und überzeugenden Konzeptionen stehen. Um neue Antworten zu finden, sind geschichtliche Betrachtungen und objektive Analysen der Gegenwart unverzichtbar. Es ist ein Vorzug der Studie, dass alle diese drei Ebenen in die Betrachtung einbezogen wurden.
In den 1970er Jahren richtete die Sozialdemokratie unter Führung von Willy Brandt ihre besondere Aufmerksamkeit auf die Nord-Süd-Problematik und auf die Bekämpfung der Armut. Drei Gründe waren dafür ausschlaggebend:
Erstens hatte das Ende des Kolonialismus nach dem Zweiten Weltkrieg die Ausbreitung der Armut in den Ländern der sogenannten Dritten Welt nicht gebremst, sondern in gewisser Weise noch beschleunigt. Die sozialen Probleme der Reichtumsverteilung kulminierten in wachsenden Spannungen zwischen dem industrialisierten Norden und dem postkolonialen Süden.
Zweitens entfaltete sich die Bewegung der blockfreien Staaten, die auf friedliche Koexistenz und auf die Überwindung der Folgen des Kolonialismus gerichtet war.
Drittens wurden die Gegensätze und auch die Beispielwirkungen der beiden gesellschaftlichen Systeme – Kapitalismus und Sozialismus – auch in den Entwicklungsländern, besonders in Afrika, spürbar.
Beide Systeme sahen in der Armut und ihrer Bekämpfung eine Herausforderung, die auf ganz unterschiedliche, zum Teil gegensätzliche Art und Weise angenommen wurde. Die eine Seite setzte auf Marktwirtschaft, den Zugriff auf die Rohstoffe und Naturressourcen und den politischen Einfluss der einstigen Kolonialmächte. Die andere Seite stützte sich mehr auf ideologische Überzeugung und gesellschaftliche Veränderungen, die als nichtkapitalistischer Weg charakterisiert und zur theoretischen Konzeption erhoben wurden. Im Mittelpunkt standen dabei Veränderungen der Eigentumsformen. Nicht unberücksichtigt darf der militärische Faktor bleiben – sei es nun die Ausrüstung der Armee mit den Waffen der jeweiligen Paktsysteme oder der direkte Einsatz von Truppen, wie z.B. kubanischer Soldaten in Angola. Die unrühmliche Rolle, die vor allem die westlichen Geheimdienste spielten, wird durch die Ermordung des ersten kongolesischen Ministerpräsidenten Patrice Lumumba 1961 belegt.
Der Zusammenbruch des Kolonialsystems und die Ausdehnung des Einflussbereichs des Sozialismus bedeutete zweifellos einen schweren Rückschlag für den Imperialismus. Um seinen Bewegungsspielraum auszudehnen und für die sich zuspitzende Systemauseinandersetzung zusätzliche Reserven zu mobilisieren, schwenkte der Kapitalismus in den 1970er Jahren auf den Weg des Neoliberalismus ein; umfassend prägte sich diese Tendenz in den 1980er und 1990er Jahren nach dem Ende der Sowjetunion und dem Zusammenbruch des sozialistischen Staatensystems aus, begünstigt durch das Fehlen wirksamer Gegenkräfte und gesellschaftlicher Alternativen. Doch je stärker sich der globalisierte Kapitalismus entfaltete, desto schneller geriet er an seine Grenzen, desto stärker zeigten sich die Symptome der Systemkrise, wie die zahlreichen Zusammenbrüche von nationalen Währungssystemen und damit auch staatlichen Strukturen offenbarten. Immer deutlicher tritt zu Tage, dass der ungezügelte kapitalistische Markt keine moralischen Werte kennt und in seinem eigentlichen Wesen unmoralisch ist. Auf dem Markt kann sich nur der behaupten, der an maximalem Profit beteiligt ist oder für maximalen Profit bürgt. Die schon von Karl Popper entworfene »Offene Gesellschaft« ist dem Profitstreben unterworfen und ausgeliefert, sie wird von innen her zunehmend bedroht, eingeschränkt und mehr und mehr aufgehoben.
Die Gesellschaften, der Staat, stehen vor der Herausforderung, sich zu Werten, Normen und Grundregeln für das Funktionieren einer Gemeinschaft zu bekennen und sie praktisch durchzusetzen. Wer daher gegen die Armut vorgehen will, muss die Frage nach der Verteilung der Güter, des privaten und gesellschaftlichen Reichtums stellen. An solidarischem Teilen, an einer Umverteilung oder wenigstens Einschränkung des Reichtums führt kein Weg vorbei – das gilt für die Staaten des Nordens im Hinblick auf den Süden, das gilt aber auch für die Entwicklungsländer selbst.
Entwicklungspolitik war niemals Selbstzweck oder selbstlos, auch nicht zu der Zeit, als sie unter sozialistischem Vorzeichen stand. Doch wie kaum jemals zuvor gerieten in den letzten Jahren humanitäre Kriterien in den Hintergrund, dominierten politische und geostrategische Machtinteressen. Entwicklungshilfe wurde ganz offen an das Wohlverhalten der Empfängerländer geknüpft, was nichts anderes bedeutete, als dass die betreffenden Länder sich marktwirtschaftlich, mehr aber noch außenpolitisch nach den Wünschen der Geberstaaten zu richten hatten.
Das Absurde dabei ist, dass die Geberstaaten ihre Entwicklungshilfe im Laufe de letzten Jahre immer weiter gedrosselt haben. Hoch und heilig hatten sie versprochen, 0,7% des Bruttoinlandsproduktes für Entwicklungshilfe einzusetzen – tatsächlich belief sich in Deutschland und anderen Industriestaaten dieser Satz auf 0,25%. Die jetzt nach langem Feilschen vereinbarten 0,39% werden, darin sind sich die Experten einig, nicht ausreichen, um die Zielstellung, bis zum Jahr 2015 die Zahl der Armen in der Welt zu halbieren, zu erfüllen. Zudem werden bei dem Einsatz und der Verwendung der in die Milliarden gehenden Summen die Prinzipien des Marktes immer spürbarer. Die Nichtregierungsorganisationen werden zunehmend durch private Unternehmer verdrängt. Bei infrastrukturellen Großprojekten wie z.B. beim Straßenbau oder der Errichtung von Staudämmen ist gesichert, dass ein großer Teil der eingesetzten Mittel als Profit in die Geberländer zurückfließt. Die Großbanken verdienen sich eine goldene Nase an den Mitteln, die die Entwicklungsländer für Schuldentilgung und Zinszahlung aufwenden müssen. Ein genereller Schuldenerlass ist überfällig. Auf der Tagesordnung steht eine Wende in der Entwicklungspolitik.
Alle Veränderungen, deren Zeugen wir sind, haben etwas mit der Tatsache zu tun, dass es nach dem Zerfall der Sowjetunion nur noch eine Weltmacht gibt – die USA, die ihre Hegemonie auf allen Gebieten mit brachialer Gewalt demonstrieren. Gleichwohl kann sich auch die Nummer Eins nicht sicher sein, dass diese Dominanz für alle Zeiten anhält, denn zumindest mit China erwächst den USA im 21. Jahrhundert ein ernsthafter Konkurrent, und ob sich Russland auf Dauer mit der Rolle einer zweitrangigen Macht abfinden wird, ist auch nicht sicher. Deshalb verfolgt Washington gezielt eine Politik der Ausweitung und Absicherung der erreichten Stellung in der Welt. Dabei geht es um die Schaffung einer neuen geostrategischen Lage mit einer gesicherten Vorherrschaft der USA, vor allem um den ungehinderten Zugang zu den sich verknappenden Rohstoffen. Soweit sie diese benötigen, ist die NATO ein Mittel zur Durchsetzung der Vorherrschaft. Hingegen sind die UNO und die OSZE eher hinderlich, deshalb sabotieren die USA systematisch deren Wirken. Belege für das ausschließlich von eigenen Machtinteressen bestimmte Vorgehen sind der Golfkrieg, der Balkankrieg, der Feldzug gegen Afghanistan und möglicherweise bald auch weitere Staaten ebenso wie die parteiische Haltung im Nahostkonflikt oder die Nichtteilnahme am Kyoto-Umweltabkommen.
Die Terroranschläge vom 11. September 2001, die in der ganzen Welt Abscheu und Entsetzen hervorgerufen haben, markierten keinen Wendepunkt in der Politik Washingtons, sondern wirken eher wie ein Katalysator der Pläne, die die USA mit dem Amtsantritt Bushs und des hinter ihm stehenden Militärisch-Industriellen Komplexes und der Ölindustrie verfolgten. Die Anschläge selbst harren noch immer einer vertieften Analyse und der wirklichen Aufdeckung der Kräfte und Interessen, die dabei im Spiel waren, wobei die Rolle der Geheimdienste und der Finanzspekulanten besonderer Aufmerksamkeit bedarf.
Klar ist jedoch schon jetzt: Krieg als Reaktion auf die Terroranschläge bedeutet, Grausamkeit mit Grausamkeit zu beantworten und den Krieg wieder zu einem Mittel der Politik zu machen. Es gehört zu den unrühmlichsten Seiten der Schröder-Fischer-Regierung, dass sie uneingeschränkte Solidarität mit einer Politik schwört, die die Welt in neue Unsicherheiten stürzt.
Weder der Terror selbst wird durch diesen Krieg zerschlagen noch wird der Kreislauf von Armut und aus Verzweiflung geborenem Terror durchbrochen. Im Gegenteil, der Krieg reißt neue Wunden auf, sät neuen Hass, schafft neue Märtyrer – wie die Ereignisse im Nahen Osten, aber auch in anderen Teilen der Welt verdeutlichen. Der Krieg beseitigt nicht die Hunger und Armut bedingenden Faktoren wie die ungerechte Verteilung von Ressourcen (Wasser, Land), sondern trägt zur Stabilisierung des Ungleichgewichtes und zur Niederhaltung der Entrechteten bei.
Es ist ein ermutigendes Zeichen, dass sich die Gegenkräfte organisieren; das Weltsozialforum von Porto Alegre ist dafür das beste Beispiel. Es ist mehr als eine zufällige Bewegung: Die Gegner der kapitalistischen Globalisierung haben begonnen, sich den Kreisläufen von Profit und Armut, von Weltherrschaft und Unterdrückung in den Weg zu stellen und nach Auswegen, Alternativen zu suchen. Die von Porto Alegre ausgesandte Botschaft, dass eine andere Welt als die derzeitige möglich ist, verhallt nicht ungehört. Es zeugt von Nachdenklichkeit, wenn der Präsident der EU-Kommission, Romano Prodi, vor dem Europäischen Parlament erklärte, man müsse nach Solidarität und sozialer Gerechtigkeit streben und aufhören, oberflächlich über gesellschaftliche Herausforderungen zu reden.
Die linken Kräfte, vor allem linke Parteien, stehen vor der Aufgabe, mit allen ihren Möglichkeiten dem globalen Kapitalismus und seiner neoliberalen Politik der verschärften Ausbeutung, der sozialen Polarisierung, des Demokratieabbaus im Inneren und der Militarisierung der Außenpolitik entgegenzutreten. Die Potenzen der Parlamente sind dafür noch entschiedener zu nutzen; zugleich gilt es, dem außerparlamentarischen Kampf noch mehr politische Inhalte und gesellschaftsverändernde Ziele zu verleihen.
Natürlich geht es zunächst um das Heute und Hier – dafür gibt die Studie nicht zuletzt mit den Erwartungen an linke Politik auf EU-Ebene wertvolle Anregungen und Orientierungen. Es bleibt aber auch die Frage nach einer gesellschaftlichen Alternative, die über den globalisierten Kapitalismus hinaus weist. Wer Armut zurückdrängen und ausmerzen, sozialer Gerechtigkeit den Weg bereiten will, muss auch über den Sozialismus nachdenken. Es gehört zur Pflicht linker Parteien, aktiv und konstruktiv an den demokratischen Massenbewegungen dieser Zeit teilzunehmen. Es ist aber auch ihre Verantwortung, als politisch organisierte Kraft Alternativen aufzuzeigen, nach neuen Inhalten, Wegen und Zielen zu einer neuen sozialistischen Gesellschaft zu suchen und zu streben.
Inhalt:
Hans Modrow: Vorwort
Einleitung
1. Armut im 21. Jahrhundert
Tendenzen der Armutsentwicklung in den letzten zwei Jahrzehnten / Wachsende Armut und wachsender Reichtum in der Welt von heute / Menschenunwürdige Armut als existenzielle Bedrohung gesellschaftlicher Ordnungen / Ursachen und Faktoren beschleunigter Armutsentwicklung in Entwicklungsländern / Afrika – ein Lehrbeispiel / Lateinamerika: wachsende Polarisierung von Arm und Reich / Die Lehren der Asienkrise
2. Entwicklungspolitik und Armutsbekämpfung
Die Wahrnehmung der Armut in der offiziellen entwicklungspolitischen Diskussion und Strategiebildung / Aus der Milleniums- Erklärung der Vereinten Nationen / Die Strategie der Weltbank zur Reduzierung der Armut / Armutsbekämpfung in der Entwicklungspolitik der Europäischen Union und der Bundesrepublik Deutschland / Die Ergebnisse der Weltkonferenz zur Finanzierung von Entwicklung
3. Alternative Ansätze
Armutsbekämpfung als ein Element von Gesellschaftspolitik / Die Notwendigkeit einer plurizentrischen Gestaltung der Globalisierung / Notwendige internationale Bedingungen für Entwicklung und die Verantwortung des Nordens / Die Eigenverantwortung der Länder des Südens – alternative Ansätze für die Gestaltung der gesellschaftlichen Entwicklung in Ländern der Dritten Welt / Die internationale Zusammenarbeit der Gegenkräfte gegen die neoliberale Globalisierung – Probleme und Perspektiven
Schlussgedanken
Literatur
Autorenreferenz
Helma Chrenko, geb. 1938, Germanistin, Historikerin, Politikwissenschaftlerin, Dr. phil., Dr. sc. phil., Lehre und Forschungen insbesondere zu Gegenwartsproblemen lateinamerikanischer Länder. Dozentur und Professur an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften Berlin (bis 1990). Vorstandsmitglied der Entwicklungspolitischen Gesellschaft (EpoG e.V.), Koordinatorin des Arbeitskreises Lateinamerika bei der PDS. Veröffentlichungen u.a.: Probleme des revolutionären Kampfes in Lateinamerika (1977), Bauernbewegung und Agrarreform in Peru (1979), Probleme der Entwicklung und Lage der Arbeiterklasse Lateinamerikas in der Gegenwart (Brasilien, Mexiko, Venezuela) (1981), Sozialreformismus und Arbeiterbewegung in Lateinamerika (1982), Lateinamerika: neue Etappe im Ringen um nationale und soziale Befreiung (1984), Lateinamerika, Kleines Nachschlagewerk (Mitautorin, 1985), Internationale Arbeiterbewegung in Daten (Mitautorin, 1986), Entwicklungsländer heute (Mitautorin, 1989).
Peter Stier, geb. 1931, Dr. oec., Dr. habil., Professor für Ökonomik der Entwicklungsländer an der Hochschule für Ökonomie in Berlin bis 1991, Arbeitsschwerpunkte: Globalisierung, Weltwirtschaft, Nord-Süd-Beziehungen, LDC. Arbeit in verschiedenen internationalen Organisationen (UNESCO, UNIDO, UNCTAD); seit 1990 Vorsitzender der Entwicklungspolitischen Gesellschaft (EpoG e.V.). Veröffentlichungen u.a.: Indien – Bilanz und Perspektiven (1970, Mitautor), Industrie – Industrieplanung (1981, Mitautor), Entwicklungsländer am Scheideweg (1984, Mitautor), Handbuch Entwicklungsländer (1988, Herausgeber), Ergebnisse und Perspektiven kapitalistischer Transformation in der Dritten Welt (1989), Globalisierung – Mythos, Realität, Herausforderung (1998, Mitautor), Noch die internationale Solidarität (2000).
Hans Modrow, geb. 1928, vorletzter Ministerpräsident der DDR, Ehrenvorsitzender der PDS, Mitglied des Europäischen Parlaments, Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL)