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Mario Keßler

Exil und Nach-Exil

Vertriebene Intellektuelle im 20. Jahrhundert

180 Seiten | 2002 | EUR 13.80
ISBN 3-87975-877-8 1

Titel nicht lieferbar!

 

Das Buch enthält Studien zu Ernst Bloch, Hermann Duncker, Albert Einstein, Ossip K. Flechtheim, Walter Grab, Stefan Heym, Alfred Kantorowicz, Leo Kofler, Leo Löwenthal, Richard Löwenthal, Hans Mayer, Arthur Rosenberg, Josef Winternitz sowie über exilierte und remigrierte Historiker und Politikwissenschaftler.


Nach 1933 mussten zahlreiche Wissenschaftler, Schriftsteller und andere Intellektuelle Deutschland und Österreich verlassen. Politisch verfolgt oder als rassisch »unrein« gebrandmarkt, konnten oder wollten sie unter der Nazidiktatur nicht leben. Der vorliegende Band zeichnet ihre ineinandergreifenden politischen und wissenschaftlichen Wege nach. Auch nach dem Sieg über Hitler erlebten sie in ihren neuen Heimatländern wie auch als Rückkehrer in der DDR oder der Bundesrepublik neue Schwierigkeiten, wo immer sie die Aufarbeitung der Vergangenheit als Grundlage staatsbürgerlichen Handelns nahmen.

Der Autor:
Dr. Mario Kessler, Jg. 1955, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Zeithistorische Forschung und Privatdozent am Historischen Institut der Universität Potsdam. Er ist Mitherausgeber von »Ketzer im Kommunismus. 23 biographische Essays« (VSA-Verlag 2000).

Leseprobe 1

Vorwort

Das 20. Jahrhundert war ein Jahrhundert der Vertreibungen. Die gewaltsame Umsiedlung nationaler Minderheiten, nach dem Ersten Weltkrieg durch die Friedensverträge sanktioniert, barg den Keim neuer kriegerischer Konflikte in sich. Die planmäßige Austreibung ganzer Volksgruppen löste, wie Einsichtigen schon damals klar war, nicht eines der schwelenden Probleme, sondern wurde während des ganzen Jahrhunderts zur Hypothek der oft nur kurzzeitigen »Sieger der Geschichte«. Die Türkei ohne ihre griechischen Bürger, die Tschechoslowakei (fast) ohne Deutsche, Ägypten und der Irak ohne Juden, Algerien ohne Franzosen – all diese Länder wurden materiell und geistig ärmer, der Zugewinn, den die Herrschenden an geraubtem Gut einheimsten, war bald aufgebraucht, die Verluste wurden mit zeitlichem Abstand immer spürbarer. Noch mehr wurde die Austreibung politisch Andersdenkender ein Signum des 20. Jahrhunderts. Nach dem Ersten Weltkrieg vertrieb Sowjetrussland den Teil seiner geistigen Elite, der sich dem bolschewistischen Regime nicht unterwerfen wollte. Zur gleichen Zeit wurden im Zeichen des »Roten Schreckens« (»Red Scare«) eingewanderte Amerikaner gezwungen, die USA wieder zu verlassen, da man sie kommunistischer Sympathien verdächtigte. Besonders die Intellektuellen erwiesen sich immer wieder als Zielscheibe von Argwohn, Hass und Gewalt. Der Intellektuelle sei, schrieb Maurice Barrès am Ende des 19. Jahrhunderts, ein geistig tätiges Individuum, das unabhängig von seiner beruflichen Stellung ein soziales Ideal vertritt, welches sich auf Vernunft gründen lässt, nicht aber auf Nationalismus und Rasse. Genau darauf beruhte jedoch das Denken von Barrès und all jener, die im Dreyfus-Prozess Antisemitismus, Antiparlamentarismus, Intellektuellenfeindschaft und Sozialistenhass miteinander verbanden. Es bedurfte jedoch des Ersten Weltkrieges, um all diese Elemente in einer politikfähigen Ideologie zusammenzuführen: dem Faschismus. Dieser erfuhr im nazistischen Rassenstaat seinen grausigen Tiefpunkt. Ab 1933 mussten Wissenschaftler, Schriftsteller und andere Intellektuelle Deutschland und Österreich verlassen. Politisch verfolgt oder als rassisch unrein gebrandmarkt, konnten oder wollten sie unter der Nazidiktatur nicht leben. Der vorliegende Band zeichnet in zwölf Beiträgen ihre ineinandergreifenden politischen und wissenschaftlichen Wege nach. Doch auch nach dem Sieg über Hitler erlebten sie im Nach-Exil, sei es in ihren neuen Heimatländern, sei es als Rückkehrer in der DDR oder der Bundesrepublik, neue Schwierigkeiten, wo immer sie die Aufarbeitung der Vergangenheit als Grundlage staatsbürgerlichen Handelns nahmen. Zwar waren Intellektuelle keineswegs die einzigen Opfer des Naziterrors. Doch führte bei ihnen das erlittene Schicksal zu wissenschaftlicher Reflexion. Die Zeit, in der sie von Hörsaal, Archiv oder Redaktionsstube getrennt waren, prägte auch ihr späteres Werk wie ihr politisches Verhalten. Die hier behandelten Wissenschaftler und Schriftsteller hatten bei allen Unterschieden gemeinsam, dass sie ihre Entscheidung, die sie in die oder an die Seite der sozialistischen Bewegung führte, niemals rückgängig machten. Dies wurde ihnen nur selten gedankt, und im »eigenen« Lager wurden sie ebenso häufig wie grundlos als »unsichere Kantonisten« angesehen. Aus historischer Perspektive bleibt freilich zu fragen, ob ihre aus der Exilerfahrung geschärfte Sensibilität für Defizite der eigenen Gesellschaft nicht auch Denkanstöße für die Gegenwart vermittelt. Diese Frage liegt den hier versammelten zwölf Beiträgen zugrunde, die in den Jahren 1991 bis 2002 entstanden. Zu einem nicht geringen Teil wurden sie zuerst in der Hamburger Zeitschrift »Sozialismus« veröffentlicht, deren marxistische Kritik am sowjetischen Regime sie einst in der DDR zur Konterbande werden ließ. Andere Teile des Buches gingen aus Konferenzbeiträgen hervor. Sie alle wurden für den Druck geringfügig überarbeitet, wobei ich auf die Hilfe von Christa Schneider vom Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung zurückgreifen konnte. Ihr bin ich ebenso dankbar wie den Verlagen und Zeitschriften, die die Genehmigung für den Nachdruck erteilten, und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin, die einen Druckkostenzuschuss zur Verfügung stellte. Berlin und Potsdam, den 7. Juli 2002
Mario Keßler

Inhalt:

Vorwort (Leseprobe!)
Albert Einsteins politisches Denken
Zwischen Ost und West: Ernst Bloch, Hans Mayer,Leo Kofler und Alfred Kantorowicz
Josef Winternitz zwischen Prag, Berlin und London
Hermann Duncker. Ein Exilant als Opfer Hitlers und Stalins
Im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik: Arthur Rosenberg
Jakobinismus, Demokratie und Arbeiterbewegung: Walter Grab
Deutsche Politikwissenschaft im amerikanischen Exil
Geschichte und Futurologie: Ossip K. Flechtheim
Ein unbequemer Aufklärer: Richard Löwenthal
Mitgemacht hat er nie: Leo Löwenthal
Remigranten als Historiker in der frühen DDR
Denkt doch endlich nach! Das Vermächtnis des Stefan Heym
Textnachweise
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