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Frank Bsirske / Margret Mönig-Raane / Gabriele Sterkel / Jörg Wiedemuth (Hrsg.)

Es ist Zeit:

Logbuch für die ver.di-Arbeitszeitinitiative

280 Seiten | 2004 | EUR 16.80 | sFr 30.00
ISBN 3-89965-075-1 1

Titel nicht lieferbar!

 

Kurztext:
Von der neuen arbeitszeitpolitischen Initiative der Gewerkschaft ver.di wird in diesem Buch berichtet. Eine Initiative, die nicht in Stabstellen ausgedacht, sondern mit den Beschäftigten entwickelt wird: "Nimm dir die Zeit, damit die Arbeit nicht maßlos wird!"


 

Erinnert sich noch jemand? Zeit für Leben, Arbeit und Lieben. Das war 1984, als die Sonne der 35-Stunden-Woche aufging. 20 Jahre später ist Schluss mit Lustig: 40 Wochenarbeitsstunden sind wieder das Maß, nun aber massiv flexibilisiert. Im Dienstleistungssektor wurden die bezahlten Überstunden in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Und mit Zeitkonten lässt sich das betriebliche Arbeitszeitkontingent den Schwankungen von Konjunktur und Auftragslage anpassen – mit einer kleineren Personaldecke. Schaut man genauer hin, stellt man erstens fest, dass arbeitszeitpolitische Flexibilisierung eingefügt ist in Unternehmenskonzepte, in denen Vorgesetztenkontrolle durch Marktsteuerung am Arbeitsplatz ersetzt wird. Und zweitens zeigt sich, dass die neuen Realitäten höchst ambivalent sind: Einerseits frisst "Arbeit" zunehmend "Leben", andererseits treffen Arbeitszeitkonten oder "Vertrauensarbeitszeiten" auf Gegenliebe, weil sie Selbständigkeit und Zeitsouveränität versprechen.

Ist gewerkschaftlich gestaltete Arbeitszeitpolitik unter diesen Bedingungen, gerade in dem so buntscheckigen, scheinbar kein Maß kennenden Dienstleistungssektor überhaupt noch möglich? Die Antwort lautet "Ja", wenn
– Arbeit und Leben neu komponiert werden: Die Beschäftigten haben sehr wohl ein Interesse an verlässlichen und auch kürzeren Arbeitszeiten; sie haben aber auch ein verändertes Leistungsbewusstsein.
– Arbeitszeitpolitik unterschiedliche Lebenskonzepte ausbalanciert. Eine neue Verteilung von Arbeit und Zeit muss dort ansetzen, wo die Vertiefung von Spaltung droht: am Geschlechter- und Generationenverhältnis, der Teilhabe an Bildung, beruflichem Aufstieg und dem Bedürfnis nach Selbstverwirklichung.
– Die Beschäftigten mehr Einfluss auf Lage und Verteilung ihrer Arbeitszeit erhalten, kollektive Mitbestimmungsrechte der Arbeit ein Maß geben und "Leitplanken" das Abweicen von tariflichen Normen regeln.

Leseprobe 1

Frank Bsirske
Vorwort Die Länge der Arbeitszeit ist – nach zwanzig Jahren – wieder ein bedeutendes Thema in der Bundesrepublik. Vor zwanzig Jahren haben die Gewerkschaften mit wochenlangen Streiks den Einstieg in die 35-Stunden-Woche erkämpft. Mit der 35-Stunden-Woche verband sich ein gesellschaftliches Reformprojekt zur Beschäftigungssicherung, zur Humanisierung der Arbeit und gleichzeitig für eine andere Verteilung der Arbeit zwischen den Geschlechtern. Die 35-Stunden-Woche – sie konnte nur in wenigen Branchen durchgesetzt werden – markiert den vorläufigen Höhepunkt in der Arbeitszeitpolitik. In den vergangenen Jahren ist es den Arbeitgebern gelungen, die Verkürzung der Wochenarbeitszeit nicht nur zu stoppen, sondern im Gegenteil ihre Verlängerung zu fordern und teilweise durchzusetzen. Die Unternehmer fordern zunehmend Arbeitszeitverlängerungen ohne Lohnausgleich. Ihr Ziel ist die Senkung der Lohnkosten – die Strategie der Arbeitszeitverlängerung scheint hier den Unternehmen am wenigsten konfliktträchtig. Diese Offensive der Arbeitgeber ist seit dem Streik um die 35-Stunden-Woche in der ostdeutschen Metallindustrie und der Niederlage der IG Metall systematisch in den Medien mit einer massiven Kampagne von neoliberalen Wirtschaftsinstituten, Politikern und Unternehmensverbänden gegen die »deutschen Freizeitweltmeister«, für »mehr Wettbewerbsfähigkeit«, gegen »zu hohe Lohnkosten« und für Arbeitszeitverlängerung vorbereitet worden. Setzten sich die Arbeitgeber mit diesen Forderungen durch, hätte das – ganz abgesehen von der Zumutung längerer Arbeitszeiten für die betroffenen Menschen – dramatische Konsequenzen: Wenn die, die Arbeit haben, noch mehr arbeiten, erhöht das die Arbeitslosigkeit. Die Gewerkschaften würden geschwächt und die Lohndumpingspirale in Europa würde – einmal mehr – durch Deutschland vorangetrieben. In keinem europäischen Land gibt es ähnlich massive Forderungen nach Arbeitszeitverlängerung und in keinem europäischen Land wurde die Flexibilisierung der Arbeitszeit – zum Beispiel durch Arbeitszeitkonten – so weit vorangetrieben wie in Deutschland. Die Flexibilisierung hat zur Reduzierung der Lohnkosten geführt, und sie hat dafür in gewissem Umfang arbeitszeitverlängernde Effekte in Kauf genommen. Auch ohne Arbeitszeitverlängerung ist die Lohnentwicklung im europäischen Vergleich in Deutschland schon seit einigen Jahren besonders niedrig: Das WSI stellt in seinem jüngsten Tarifbericht fest, dass Deutschland 2003 und 2004 in der Lohnentwicklung im europäischen Vergleich die Schlussposition eingenommen habe – entgegen dem europäischen Trend wurde der Verteilungsspielraum aus der Summe der Preis- und Produktivitätsentwicklung nicht ausgeschöpft. Der Bevölkerung wird eingeredet, die deutsche Wirtschaft sei nicht wettbewerbsfähig – dabei sind wir Exportweltmeister; unsere Löhne seien zu hoch – dabei findet seit über zwanzig Jahren eine Umverteilung zugunsten der Kapitaleinkommen statt. Während der Weltwirtschaft neuerdings ein Wachstum von 5% prognostiziert wird, hat Deutschland mit 1,5% Wachstumsprognose kaum die Stagnation überwunden, weil die Binnennachfrage durch zu niedrige Lohnerhöhungen und fehlende öffentliche Investitionen in den letzten Jahren zu schwach war. Wir liegen bei den Arbeitszeiten im europäischen Vergleich im Mittelfeld. Die richtige Richtung heißt bei diesen Rahmenbedingungen nicht Arbeitszeitverlängerung, sondern Arbeitszeitverkürzung. Deshalb hat ver.di in schwierigem Umfeld eine Arbeitszeitinitiative aufgelegt. Diese Arbeitszeitinitiative will zunächst das Erreichte verteidigen und die Arbeitszeitverlängerungen abwehren. Dafür werden wir unsere Kräfte bündeln müssen. Wir sind aber auch der Auffassung, dass ohne eine positive Utopie und ohne die Frage nach dem »Wie wollen wir morgen leben?« gewerkschaftliche Arbeitszeitpolitik nicht erfolgreich sein kann. Eine zukunftsfähige gewerkschaftliche Arbeitszeitpolitik muss an den Problemen und Bedürfnissen der Menschen ansetzen und sie muss die zahlreichen weit verbreiteten Vorurteile aufgreifen, die vom Mainstream der Medien heute verbreitet werden. Die ver.di Arbeitszeitinitiative ist beteiligungsorientiert, sie setzt an den unterschiedlichen Problemen und Handlungsnotwendigkeiten in unseren vielfältigen Branchen an, und sie ist an den (lebensweltlichen) Interessen der Menschen orientiert. Damit diese Ausrichtung fundiert möglich wird, hat ver.di in einer groß angelegten wissenschaftlichen Bestandsaufnahme die Arbeitszeitsituation und der Arbeitszeitwünsche der Beschäftigten in Erfahrung gebracht und analysiert. Erste Ergebnisse liegen nun vor und werden hier dokumentiert. Sie geben einen umfassenden Überblick über die aktuelle Entwicklung in den Dienstleistungsbranchen. Mit dem »Logbuch der ver.di Arbeitszeitinitiative« ist ein erster Schritt getan im Verständigungsprozess unserer Organisation über unsere zukünftige Arbeitszeitpolitik. Wir setzen uns für eine andere Zeitverteilung ein, die Erwerbsarbeit besser verteilt, die Emanzipation und ein Leben in Würde für alle möglich macht.

Inhalt:

Frank Bsirske
Vorwort (Leseprobe)
Gabriele Sterkel
Arbeitszeitinitiative auf schwierigem Terrain
Jörg Wiedemuth
Das Wettrechnen der Milchmädchen
Arbeitszeitverlängerung als Allheilmittel gegen Wachstumsschwäche und Arbeitsmarktkrise
Steffen Lehndorff / Alexandra Wagner
Arbeitszeiten und Arbeitszeitregulierung in Deutschland
Eine Bestandsaufnahme
Peter Ellguth / Markus Promberger
Arbeitszeiten in der öffentlichen und privaten Dienstleistungswirtschaft
Eine Branchenanalyse mit Daten des IAB-Betriebspanels
Thomas Haipeter
Zwischen den Zonen der Stabilität und Entkoppelung
Arbeitszeiten und Arbeitszeitregulierung bei den Zeitungsverlagen
Dieter Sauer / Volker Döhl / Nick Kratzer / Kira Marrs
Arbeiten ohne (Zeit-)Maß?
Ein neues Verhältnis von Arbeitszeit- und Leistungspolitik
Eckart Hildebrandt / Kristina Thurau-Vetter
"Destandardisierung von Lebensläufen – Gestaltungsmöglichkeiten von Lebensarbeitszeit"
Steffen Lehndorff / Alexandra Wagner
"Mein Engagement hängt von den konkreten Bedingungen ab"
Welche Arbeitszeitprobleme haben Dienstleistungsbeschäftigte, was erwarten sie von ver.di?
Sylvia Skrabs
Good Practice in der Arbeitszeitgestaltung
Margret Mönig-Raane
Wem gehört die Zeit?Koordinaten einer anderen Zeitverteilung

Anhang:
Der Lebenslauf der ver.di-Arbeitszeitinitiative 2002-2004

Autorenreferenz

Frank Bsirske ist Vorsitzender der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Berlin. Volker Döhl ist Mitarbeiter am Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung, München. Peter Ellguth ist Mitarbeiter am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit, Nürnberg. Thomas Haipeter ist Mitarbeiter am Institut für Arbeit und Technik, Gelsenkirchen. Eckart Hildebrandt ist Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum Berlin, Abteilung Arbeitsmarktpolitik und Beschäftigung. Nick Kratzer ist Mitarbeiter am Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung, München. Steffen Lehndorff ist Direktor des Forschungsschwerpunktes Arbeitszeit und Arbeitsorganisation am Institut für Arbeit und Technik, Gelsenkirchen. Kira Marrs ist Mitarbeiterin am Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung, München. Margret Mönig-Raane ist stellvertretende Vorsitzende der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Berlin. Markus Promberger ist Mitarbeiter am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit, Nürnberg. Dieter Sauer ist Mitarbeiter am Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung, München, und Professor für Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität, Jena. Sylvia Skrabs ist Gewerkschaftssekretärin in der tarifpolitischen Grundsatzabteilung von ver.di, Berlin. Gabriele Sterkel ist Gewerkschaftssekretärin in der tarifpolitischen Grundsatzabteilung von ver.di, Berlin. Kristina Thurau-Vetter ist Mitarbeiterin am Wissenschaftszentrum Berlin. Alexandra Wagner ist Geschäftsführerin des FIA-Forschungsteams Internationaler Arbeitsmarkt, Berlin. Jörg Wiedemuth ist Leiter der tarifpolitischen Grundsatzabteilung von ver.di, Berlin.

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