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Norbert Wohlfahrt / Werner Zühlke

Ende der kommunalen Selbstverwaltung

Zur politischen Steuerung im "Konzern Stadt"

144 Seiten | 2005 | EUR 12.80 | sFr 23.20
ISBN 3-89965-135-9 1

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Kurztext: Die Autoren legen eine kritische Studie über den Zerfall lokaler Demokratie und öffentlicher Infrastruktur im Zeitalter der globalen Ökonomie vor.


Die zunehmende Schwächung der politischen Handlungsfähigkeit auf lokaler Ebene gefährdet die Zukunft unserer Demokratie. In diesem Buch werden die Konsequenzen neoliberaler und neosozialer Modernisierung des kommunalen Bereichs und die politischen Steuerungsmodelle wie "Konzern Stadt", "Bürgerkommune" u.ä. dargestellt. Wird diese Entwicklung sich weitgehend unbemerkt und ohne großen Widerstand fortsetzen? Die Antwort auf diese Frage wird nicht zuletzt davon abhängen, ob die BürgerInnen den schleichenden Verlust von Lebensqualität in den Städten und Gemeinden unkommentiert hinnehmen oder eine auf sozialen Ausgleich ausgerichtete Infrastrukturpolitik einfordern.

Für Beschäftigte in den Kommunen, engagierte und politisch aktive BürgerInnen, die sich für eine Stärkung kommunaler Demokratie einsetzen, werden in diesem Buch Analysen, Argumente und Alternativen geliefert.

Die Autoren:

Norbert Wohlfahrt, Professor für Sozialmanagement an der Evangelischen Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe. Werner Zühlke, Dipl. Soz., ehemaliger Direktor des Instituts für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS) in Dortmund.

Leseprobe 1

Vorwort: Globalisierung und lokale Demokratie

Wenn in der Öffentlichkeit von Gefährdung der Demokratie gesprochen wird, dann ist von der Demokratie auf nationaler Ebene die Rede, kaum von lokaler Demokratie. Dabei ist eine zunehmende Schwächung der politischen Handlungsfähigkeit auf lokaler Ebene für die Zukunft unserer Demokratie nicht weniger brisant. Es ist der sich verschärfende Globalisierungsprozess, der für die Nationalstaaten eine "postnationale Konstellation" (Habermas 1998) innerhalb einer "entfesselten Welt" (Giddens 2001) geschaffen hat. Die durch die politisch durchgesetzte Globalisierung verursachten negativen Folgen für die Demokratie treten auf nationaler und übernationaler Ebene besonders scharf hervor. "Als ›Globalisierung‹ bezeichnet man gemeinhin die gerichteten Prozesse der weltweiten Ausbreitung von Handel und Produktion, von Güter- und Finanzmärkten, von Moden, Medien und Programmen, Nachrichten und Kommunikationsnetzen, Verkehrsströmen und Migrationsbewegungen, von Risiken der Großtechnologie, Umweltschäden und Epidemien, von organisiertem Verbrechen und Terrorismus" (Habermas 2004: 174). Diese "Intensivierung weltweiter sozialer Beziehungen" (Giddens 1995: 85) ist in der letzten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch Politik und Wirtschaft insbesondere auf wirtschaftspolitischem Gebiet gezielt vorwärts getrieben worden:   Außenwirtschaftliche Liberalisierung, d.h. grenzüberschreitende Produktion und unumschränkter Handel von Gütern und Dienstleistungen;   Liberalisierung der Finanzmärkte, d.h. unbeschränkter Zahlungsverkehr und Devisenhandel;   Liberalisierung der Arbeitsmärkte, d.h. Einbeziehung eines Arbeitskräfteüberangebots in Billiglohnländern;   Schaffung weltweiter technischer Voraussetzungen der Kommunikation und der Steuerung, d.h. globale Durchsetzung der Innovationen im Bereich der Mikroelektronik und der Telekommunikation. In der allgemeinen Konkurrenz um Investoren, die sich immer mehr an weltweit vernetzten Finanz- und Arbeitsmärkten orientieren, versuchen die Nationalstaaten, durch Kostenanpassung (Senkung von Steuern, Lohnnebenkosten) die Standortpolitik der Unternehmen günstig zu beeinflussen. Trotz aller Zugeständnisse, welche unter dem Stichwort "Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit" dem Staat abgerungen werden, entzieht sich die Wirtschaft mehr und mehr dem Zugriff des Staates. Thurow stellt fest: "Die Globalisierung der Wirtschaft treibt einen Keil zwischen die nationalen politischen Institutionen und deren Bemühungen, wirtschaftliche Entwicklungen in bestimmte Richtungen und internationale Wirtschaftskräfte in bestimmte Bahnen zu lenken. In der heutigen Welt entscheidet nicht mehr die nationale Politik über Wirtschaftskräfte, sondern es entsteht eine globale Wirtschaft, in der außerhalb jeder nationalen Einflusssphäre angesiedelte geoökonomische Kräfte die nationale Wirtschaftspolitik eines Landes diktieren. Mit der Internationalisierung verlieren die Regierungen der Einzelstaaten viele der Druckmittel, mit deren Hilfe sie die Wirtschaft bisher kontrollieren konnten" (Thurow 1998: 173). Die Regierungen haben durch die radikale Liberalisierung immer weniger Einfluss auf die Steuerung und Gestaltung der Wirtschaft. Globalisierung heißt Befreiung der Wirtschaft "aus national begrenzter Macht und Kontrolle" (Welzk 1996: 1198). Am Horizont der wirtschaftlichen Globalisierung zeichnet sich eine "entstaatlichte Weltmarktgesellschaft" (Habermas 2004) ab. Der Liberale Ralf Dahrendorf beschreibt die Globalisierung als "eine große neue Produktivkraft", die überkommene Strukturen sprengt und neue Horizonte eröffnet, aber auch mit Gefahren des sozialen Ausschlusses und der Entwurzelung bis hin zur Anomie verbunden ist (Dahrendorf 2004: 236). Die Globalisierung führt aus seiner Sicht zu neuen sozialen Ungleichheiten, zu Gewinnern und Verlierern der Globalisierung, und zum Aufstieg einer neuen globalen Klasse. Dahrendorfs besonderes Anliegen gilt der repräsentativen Demokratie, die grundsätzlich durch die Globalisierung gefährdet erscheint. Er weist auf die Beschränkung der Rolle der Parlamente hin, in denen er nach wie vor "das richtige Vehikel für Regierungskontrolle und für Reform durch Diskurs und Mehrheitsentscheidung" (ebd.: 275) sieht. Nach Dahrendorf erleben wir infolge des Globalisierungsprozesses eine Schwächung der Nationalstaaten und eine Verschiebung der Kräfte hin zu multinationalen Organisationen und Korporationen. "Die Entscheidungen sind aus dem traditionellen Raum der Demokratie ausgewandert." (Dahrendorf 2002: 17) Die Nationalstaaten haben Souveränitätsverluste hinnehmen müssen. Die wichtigen außen- und wirtschaftspolitischen Beschlüsse werden jetzt jenseits der Grenzen des Nationalstaates von Institutionen wie UNO, NATO, EU, Weltbank, WTO, IWF oder von multinationalen Konzernen gefasst. Aber es ist nicht nur die Beschränkung der Handlungsfähigkeit nationaler Parlamente allein. Hinzu kommt, dass die internationalen Institutionen, in denen jetzt die großen Entscheidungen getroffen werden, selbst keine oder höchst unzureichende demokratische Verfahrensweisen entwickeln. "Globalisierung heißt also immer zugleich Entdemokratisierung. Es gibt keine Verfahren zur Ablösung der Entscheidungsträger. Es gibt keine berechenbaren Kontrollmechanismen, keine checks and balances. Es gibt schon gar keine systematische Methode, die Interessen und Meinungen der Betroffenen, geschweige denn des Weltvolkes insgesamt, in die Entscheidungen einzubringen." (Dahrendorf 2003: 124) Selbst die Struktur der EU entspricht für Dahrendorf nicht den demokratischen Kriterien, die sie von den Beitrittsländern verlangt (ebd. 2002: 34). Die Macht des Europaparlaments ist trotz aller Reformen begrenzt geblieben; es hat bedeutend weniger Kompetenzen als ein echtes Parlament. Um den Demokratiedefiziten im internationalen Bereich zu begegnen, hält Dahrendorf es für nötig, die Prinzipien der Demokratie zu überdenken und andersartige Vorkehrungen für ihre Umsetzung zu treffen. Während das Prinzip des gewaltlosen politischen Wechsels, z.B. durch rigorose Begrenzung der Amtsdauer, sowie das Prinzip der Errichtung von Kontrollsystemen, durch systematische rechtliche Entscheidungsprüfung und durch Gegenexperten, auch jenseits der nationalstaatlichen Ebene durchsetzbar erscheinen, sieht er die größten Schwierigkeiten bei der Rolle des Volkes als "Protagonist des politischen Handelns", beim Prinzip der Volkssouveränität. Besserer Zugang zu Informationen, größere Öffentlichkeit von Entscheidungen, die Ausübung des Rechts auf Kritik, Nichtregierungsorganisationen, Demonstrationen, Kundgebungen usw. sind zwar wichtige Formen demokratischer Teilhabe, können jedoch die Kluft zwischen Volk und Macht letztlich nicht schließen (ebd.: 41ff.). Auch die Ergänzung durch direkte Formen der Demokratie stellen keine Kompensation dar. "Volksentscheide sind eine Folge der zunehmenden Schwäche der zwischen Volk und Macht vermittelnden, intermediären Instanzen. Mein Haupteinwand gegen das Referendum lautet, dass es nur Schnappschüsse gibt." (ebd.: 75) Ähnlich wie Dahrendorf diskutieren viele Autoren die Probleme der repräsentativen Demokratie auf nationaler, europäischer und globaler Ebene. Während in Politik und Wissenschaft diese in manchen Punkten durchaus kontroverse Diskussion andauert und vermutlich auch nach Einführung einer europäischen Verfassung nicht verstummen wird, steht ein mögliches Demokratiedefizit der kommunalen Selbstverwaltung in den Städten und Gemeinden offenbar außerhalb jeglicher Debatte. Nach Dahrendorf finden die Prinzipien der Demokratie gerade im lokalen Bereich Anwendung. Unter dem Stichwort "Glokalisierung" diskutiert er das Verhältnis von Global und Lokal und lehnt einen Regionalismus scharf ab, weil dieser nicht aus dem Wunsch nach demokratischer Selbstbestimmung, sondern aus dem Wunsch nach Homogenität und Abgrenzung geboren ist. Die Gemeindeautonomie dagegen ist für ihn eine der stärksten Stützen der Demokratie (Dahrendorf 2003: 116ff.). Für Richard Münch bietet die Globalisierung sogar Chancen für eine Stärkung der lokalen Demokratie. Der Souveränitätsverlust des Nationalstaates muss nämlich nicht nur eine Verlagerung seiner Kompetenzen nach oben bedeuten. "Vielmehr ist auch deren Rückkehr nach unten auf die Ebene von Städten, Gemeinden, Regionen und Bundesländern möglich. Diese neuen Gestaltungschancen müssen auf den unteren Ebenen aber auch aufgegriffen und in eine Erneuerung von lokaler Demokratie umgesetzt werden. Stadt und Gemeinde müssen als Orte des Zusammenlebens wieder entdeckt werden. Der zunehmende Standortwettbewerb verlangt weniger von ganzen Nationen als vielmehr von lokalen Gemeinden besondere Anstrengungen, das Leben innerhalb ihrer Grenzen attraktiv zu gestalten. Hier eröffnen sich bessere Chancen für die Verwirklichung der republikanischen Idee von Demokratie, als dies auf der Ebene des Nationalstaats jemals möglich war." (Münch 1998: 408) In einem überschaubaren politischen Gemeinwesen sollen die Bürger nicht nur als bourgeois (Privatbürger), sondern als citoyens (Staatsbürger) gemeinsam darüber reflektieren und im Sinne des Allgemeininteresses darüber entscheiden, wie sie leben wollen. "Mit der Stärkung der lokalen Politik gewänne die republikanische Idee der Demokratie eine unter der Herrschaft des Nationalstaates nicht denkbare Bedeutung. Um diesen Chancen einer Wiederbelebung lokaler Demokratie im republikanischen Sinn gerecht zu werden, müssen die Bürger ihre Gemeinde wieder in Besitz nehmen, unter ihr mehr verstehen als den zufälligen Ort von Arbeit und/oder Wohnen. Ihre Gemeinde müssen sie wieder zu ihrem Lebensmittelpunkt machen, der sie wegen seiner besonderen Identität und inneren Vielfalt auch für einen großen Teil ihrer Zeit an sich binden kann. Das kann ihnen nur gelingen, wenn Städte und Gemeinden zu ihrem eigenen Charakter und ihrer Unverwechselbarkeit zurückfinden und gegen den Strom der globalen Angleichung ihrer Gesichter schwimmen. Das auf diesem Wege neu entstehende Gefühl der lokalen Solidarität von gleichwohl global vernetzten Bürgern schafft neue Möglichkeiten der gegenseitigen Unterstützung." (ebd.: 409) Die "Gestaltung des guten Lebens" als lokale Aufgabe unter den Bedingungen der Globalisierung (ebd.: 408) stellt an die Gemeinden besondere Anforderungen. Dazu gehören beispielsweise Der verschärfte Standortwettbewerb, der von den Gemeinden immense Maßnahmen zur Steigerung ihrer Anziehungskraft für Wirtschaftsbetriebe verlangt; eine Bereitschaft der Privatunternehmen, sich für die Lebensqualität ihres Standortes zu engagieren; der schwierige Ausgleich der vielen konfligierenden Ansprüche an die Raumnutzung innerhalb der Gemeinde; die Förderung sozialer und ethnischer Integration; die Notwendigkeit für finanzielle Ausgleichsleistungen der nationalen und supranationalen Politik, um räumliche und soziale Ungleichgewichte aufzufangen; die Sicherung der sozialen Infrastruktur bei abnehmender Finanzkraft des Staates usw. Hier tun sich nach Münch für die Bürger der Gemeinden neue Chancen der selbständigen Gestaltung ihres Lebensraumes als "Orte des guten Lebens" auf. Ob sich in diesem Rahmen tatsächlich bessere Chancen für die Verwirklichung lokaler Demokratie eröffnen, muss allerdings angezweifelt werden. Im Zeitalter der Globalisierung hat sich das "Gehäuse der Hörigkeit", wie Max Weber die Konsequenzen einer Herrschaft der Bürokratie beschrieb, für die Kommunen gewandelt. Die alte Staatsbürokratie ist in den Hintergrund gerückt, neue Bürokratien haben sich aufgebaut, die das Schicksal der Kommunen stärker als bisher der Staat determinieren. Eine bürokratische Maschinerie hat sich aufgetan, bestehend aus EU-Administration, Weltbank, Welthandelsorganisation, Internationaler Währungsfonds, Großbanken, transnationalen Konzernzentralen, Rating-Agenturen usw. Ihr Agieren ist intransparent und gehorcht eigenen Gesetzlichkeiten, die den Kommunen fremd sind. In diesen engen Abhängigkeitsrahmen sind die Kommunen eingezwängt und zugleich vor die Aufgabe gestellt, die sozialen Folgen der internationalen Bürokratieherrschaft abzuarbeiten. Diese ungreifbaren und unangreifbaren Kräfte zwingen die Kommunen dazu, das politische Effizienzprinzip, die Förderung des Gemeinwohls immer weiter in den Hintergrund zu drängen. Finanziell geraten die Kommunen in eine immer größer werdende Schieflage, wodurch ihre Integrationsfunktion, d.h. ihre Fähigkeit zur Daseinsvorsorge und zum sozialen Ausgleich, in Frage gestellt wird. Die Kommunen als politisch bestimmte Gemeinwesen werden zunehmend reduziert auf ihre Funktion als Wirtschaftsstandorte. Vor allem aber ist das Organisationsprinzip der freien Selbstverwaltung von Auflösungserscheinungen betroffen. Obwohl die kommunale Selbstverwaltung, so scheint es, aus Staat und Gesellschaft nicht mehr wegzudenken ist, ist sie in Prozesse der Ökonomisierung und Privatisierung eingebunden, die einen Substanzverlust der lokalen Politik zur Folge haben. Die Kommunen sind entgegen den Erwartungen vieler Autoren nicht dabei, die lokale Demokratie zu erneuern, sondern sie bauen sie Schritt für Schritt ab, um dem durch die Globalisierung und ihren Folgewirkungen ausgelösten Druck standzuhalten. Der Appell an die republikanische Tugend bürgerschaftlicher Mitwirkung kann höchstens dazu dienen, diese Tatsache zu verschleiern.

Leseprobe 2

Ausblick: Die Zukunft lokaler Daseinsvorsorge im investiven Sozialstaat

In der sozialwissenschaftlichen und sozialpolitischen Gegenwartsliteratur finden sich einflussreiche Beiträge (z.B. von Mitgliedern der vom Bundeskanzler eingesetzten Benchmarking-Kommission), in denen zur Kennzeichnung des Kerns des deutschen Sozialstaatsmodells der Begriff "Status" verwendet wird. Der Begriff "Status" soll zum Ausdruck bringen, dass im engeren Bereich der Sozialversicherung lohnorientierte und umlagefinanzierte Systeme dominieren, mit deren Hilfe der individuelle Lebensstandard gehalten werden soll (vgl. Heinze 2003). Der Begriff "Status" soll aber auch die Rolle der Verbände und sonstiger Organisationen in Deutschland zum Ausdruck bringen: "Die Zuweisung bestimmter Vorrechte stabilisiert nicht nur die unabhängige Verhandlungsmacht von Gewerkschaften und Arbeitgebern. Sie verstärkt auch den Einfluss von Spitzenverbänden in sozial- und gesundheitspolitischen Feldern (allen voran der Wohlfahrtsverbände) oder bestimmter Berufsgruppen wie dem Handwerk." (ebd.: 2) Gefordert wird nun, dass diese statusorientierte Sozialpolitik durch eine sozialinvestive Sozialpolitik ersetzt werden soll. Angeknüpft wird dabei an Konzepte eines aktivierenden Sozialstaats, der eine Neuaufteilung der Verantwortlichkeiten zwischen Markt, Staat und Zivilgesellschaft realisieren und die Rechte und Pflichten gesellschaftlicher Akteure in eine neue Balance bringen soll (Maxime des Fördern und Fordern). Der Wohlfahrtsstaat ist seit einigen Jahren nicht nur Objekt der Kritik, sondern auch schon längst Objekt praktischer Veränderungen geworden, d.h. weltweit wird der Wohlfahrtsstaat alter Prägung verändert, was man – je nach Intention des jeweiligen nationalen Programms – als Umbau oder als Abbau bezeichnet. Fasst man die Entwicklungen in den europäischen Wohlfahrtsstaaten ins Auge, dann lassen sich seit einigen Jahren Konturen eines neuen Leitbilds für die "Modernisierung" des alten Wohlfahrtsstaates erkennen. Konsequente neoliberale Politik geht gewöhnlich in Richtung "schlanker Staat" und will nur noch einen "residualen Wohlfahrtsstaat" für die wirklich Bedürftigen. Eine solche Modernisierungsstrategie ist in Europa weniger konsensfähig als im anglo-amerikanischen Bereich. In Europa hat sich unter sozialdemokratischer Führung eine "Politik des Dritten Weges" (Giddens 1997, 1999, SPD 2001) zur Reform des Wohlfahrtsstaates entwickelt. Der "Dritte Weg" verfolgt ähnlich wie der "schlanke Staat" den Abbau und Umbau des Wohlfahrtsstaates; in Staat und Gesellschaft sollen auf den verschiedensten Ebenen Markt- und Wettbewerbselemente eingebaut werden, um deren Effizienz angesichts der Globalisierung zu steigern; der Um- und Rückbau des Sozialstaats findet aber unter der Losung statt, dass in Zeiten der Globalisierung bzw. Europäisierung der Sozialstaat auch weiterhin zur Sicherung des gesellschaftlichen Zusammenhalts gebraucht wird; aus Wettbewerbsgründen mit anderen Wirtschaftsstandorten dieser Welt müssten aber Leistungstiefe und Finanzierung neu organisiert werden. Durch angebotsorientierte Politik soll die Wirtschaft für den globalisierten Wettbewerb gestärkt werden; durch präventive wie durch kompensatorische Sozial-, Familien- wie Bildungspolitik soll auf der anderen Seite der Bürger dazu befähigt werden, (wieder) aktiv am Marktgeschehen teilzunehmen. Der Staat investiert – so sein heutiges Selbstbild – in die "employability" (Beschäftigungsfähigkeit) seiner Bürger und Sozialtransfers sollen deshalb investiven Charakter haben und weniger konsumtiven Zwecken dienen (vgl. Priddat 2000a, 2000b, Streeck 1998). Andererseits will der neue Sozialstaat auch diejenigen aktivieren, die nicht (mehr) am Wirtschaftsleben teilnehmen und sie wieder dem Arbeitsmarkt zuführen; Zielgruppen der Aktivierungspolitik sind vor allem Arbeitslose und Sozialhilfebezieher (vgl. Leisering/Hilkert 2000). Alle Modernisierungsstrategien des Dritten Weges verfolgen mehr oder weniger das hier skizzierte Grundanliegen. Investive Sozialpolitik will also neben dem Qualifikationsniveau vor allem die sozialen und kommunikativen Kompetenzen wie die Mobilitäts- und Arbeitsmarktchancen fördern und sich präventiv um Gruppen kümmern, die zu Sozialleistungsempfängern werden könnten oder sonst wie vermehrt sozialstaatliche Leistungen in Anspruch nehmen könnten. Aktivierungspolitik und investive Sozialpolitik sind Strategien zur Herstellung bzw. Wiederherstellung individueller Wettbewerbsfähigkeit und deshalb spricht man auch verschiedentlich offen davon, dass das alte Sozialstaatspostulat von der "Hilfe zur Selbsthilfe" zu ersetzen sei durch das neue Sozialstaatspostulat: "Hilfe im Wettbewerb"; denn die neuen sich ausbildenden Wohlfahrtsfahrtregime stünden "unter Wettbewerbsdruck" und müssten "der Disziplin des Marktes" unterstellt werden (Streeck 1998: 45). Diese Neujustierung des Wohlfahrtsstaates ist mit verschiedenen Labels bedacht worden: die einen sprechen vom "Schumpeterschen Workfare-Staat" (Jessop 2002), andere vom "produktivistischen Umbau des Sozialstaates" (Nullmeier 2003), einer "Sozialpolitik für den Markt" (Homann/Pries 1996) oder vom "angebotsorientierten Sozialstaat" (Dahme/Wohlfahrt 2003). Klar ist, die Sozialpolitik soll stärker an die Wirtschaftspolitik heranrücken, um "Weltmarkttauglichkeit", den globalen Standortwettbewerb zu fördern; sozialstaatliche Sicherungssysteme müssten so umgebaut werden, dass sie "nicht die wirtschaftliche Innovation und Prosperität hemmen" (Merkel 2003), heißt es. Beide Strategien sind demnach darauf ausgerichtet, die Erwerbsfähigkeit des Bürgers sowie dessen Produktivität zu erhöhen. Hinter dem verbreiteten und viel benutzen Slogan von der Sicherung der Zukunftsfähigkeit des Sozialstaates verbirgt sich folglich ein ganz neues Sozialmodell, nämlich die Sicherung und Steigerung der kollektiven wie der individuellen Wettbewerbsfähigkeit durch die industrie- und wirtschaftspolitische Indienstnahme und Neujustierung der Sozialpolitik. Der investive Sozialstaat bleibt ein aktivierender Staat, weil investive Politik auch nur aktivierend betrieben werden kann: Aktiviert werden "Innovations- und Beschäftigungspotentiale", der Niedriglohnsektor als Arbeitsmarkt für weniger qualifizierte Dienstleistungsarbeit und die so genannte Eigenverantwortung des Bürgers (vgl. Heinz 2002: 176ff.). Die Aktivierungspolitik dehnt sich über den ursprünglich engen Bereich der Sozialhilfepolitik aus und wird zum bestimmenden Merkmal der Sozialpolitik. Für die Kommunen und ihre Politik der Daseinsvorsorge hat diese Entwicklung erhebliche Konsequenzen. Eine kommunale Daseinsvorsorgepolitik, die sich an den Grundsätzen investiver Sozialpolitik orientiert, verändert ihre traditionelle Gestalt grundlegend. Einige sich schon gegenwärtig andeutende Tendenzen seien abschließend benannt: a) Die notwendige Selektivität moderner Sozialpolitik: Investive Sozialpolitik bringt notwendigerweise Selektivitäten mit sich. Bei einer Sozialpolitik im Interesse der Wirtschaftspolitik bietet sich die Einteilung der Gesellschaft in produktive und unproduktive Gruppen als Entscheidungshilfe für die (selektiven) Investitionen geradezu an. Gefördert würden bzw. investiert würde dann vorrangig in produktive und potentiell (zukünftig) produktive Gruppen. Für diese Gruppen werden Investitionen getätigt, während für aus dem Wirtschaftsleben Ausscheidende nur die Existenzsicherung oder Grundversorgung bleibt. Die Denkfigur aus der amerikanischen Armutsdebatte, wo würdige von unwürdigen Armen getrennt werden, steht hier Pate. Eine andere Spannungs- und Konfliktlinie der investiven Sozialpolitik zeichnet sich in der Familienpolitik ab. Dort werden Kinderlose und Familien schon seit einiger Zeit gegeneinander ausgespielt und steuerliche Vergünstigungen der einen Gruppe zu Lasten der anderen gefordert und vorbereitet. Der immer schon dominante "Familialismus" (Lessenich 2003: 158) der deutschen Sozialpolitik wird durch die investive Sozialpolitik gefördert und noch verstärkt. Eine in diesem Sinne konsequent durchgeführte soziale Investitionspolitik muss den integrativen Anspruch des alten Sozialstaats, der in den wesentlichen Sozialstaatspostulaten festgeschrieben ist, aufgeben und wäre das Einfalltor für eine selektive Sozialpolitik, der nicht mehr alle gesellschaftlichen Gruppen gleich viel wert sind. Diese neue Selektivität wird gegenwärtig in einer primär sozialethisch geführten Debatte um neue Gerechtigkeitsprinzipien begründet und die notwendige Abkehr vom Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit gefordert. b) Die Neujustierung der Gerechtigkeitsdebatte: Angesichts der vehement geführten gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um die Zukunft des Sozialstaats wird im sozialethischen Diskurs eine "überbordende Gerechtigkeitsrhetorik" im Wohlfahrtsstaat ausgemacht und es werden hierfür allein Motive der "Wählerbewirtschaftung" als verantwortlich betrachtet (Kersting 2003). Getreu dem Motto "nichts kann dem Interesse dienlicher sein als die Koinzidenz mit der Moral" (ebd.: 109) wird in Gerechtigkeitsparolen in erster Linie der Versuch gesehen, "das Verteilungsgezänk der Gruppen mit einem moralsematischen Firnis" (ebd.: 107) zu überziehen. Gerechtigkeit – so heißt es deshalb – dürfe man angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen nicht nur als Verteilungsgerechtigkeit verstehen. Höchste Priorität habe heute die "Produktionsgerechtigkeit", denn Umverteilung sei nicht gerecht, "wenn sie zu Lasten des gesellschaftlichen Wohlstands" (Heinze 2003) zu Stande kommt. Umverteilung könne nur funktionieren, wenn dadurch das Gemeinwohl nicht gefährdet würde. "Andere Gerechtigkeitswerte" müssten demnach zurückstehen, wenn sie zu Lasten der Produktionsgerechtigkeit gehen". Soziale Gerechtigkeit sei zwar nicht mit Innovation und Effizienz gleichzusetzen, "wohl aber eng damit verknüpft... Innovations- und Modernisierungsprozesse insbesondere ökonomischer Art sichern soziale Gerechtigkeit, indem sie den Kuchen optimieren, der verteilt werden kann" (Heinze 2003). Die "Umwertung aller Werte" in Richtung Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität ist auch in der Grundwertedebatte in vollem Gange und die Durchsetzung der "ökonomischen Logik" (Merkel 2003) prägt den Gerechtigkeitsdiskurs. Aktivierungspolitisch gewendeten Gerechtigkeitstheorien (vgl. Maaser 2003) geht es vor allem darum, Wettbewerbsfähigkeit, Produktivität und Effizienz zuerst zu freiheitsfördernden und dann zu wohlfahrtssteigernden Grundwerten zu adeln, wie der Durchsetzung der "ökonomischen Logik" (Merkel 2003) – auch über die Marktwirtschaft hinaus – zu dienen. Umverteilungspolitische Zielsetzungen werden nicht negiert oder wegdeduziert, aber doch als nachgeordnete Zielstellung betrachtet, als Ziel, das in der Wertehierarchie weiter hinten anstehen muss. Verwunderlich ist an dieser Gerechtigkeitsdebatte, dass besonders viele Sozialwissenschaftler in vorderster Front mitdenken, und sich dabei die ökonomische Lehrformel zu eigen machen, dass Wohlstand, wenn er denn wieder in ausreichendem Maße produziert würde, von allein – wie von unsichtbarer Hand – bis nach unten, also zu den unteren Schichten, durchsickern würde, dass der Kuchen dann auch wieder verteilt würde. Dass die Verteilung von Wohlstand von den gesellschaftlichen Machtverhältnissen abhängig ist, wird gegenwärtig weder politisch noch im Mainstream des sozialpolitischen Diskurses verhandelt. Wenn Gerechtigkeit im Rahmen des Aktivierungsparadigmas von einer ethischen Kategorie zu einem verhandelbaren "politischen Gut" wird und nur noch situationsabhängig durch die "Gemeinschaft" definiert werden soll, dann wird soziale Gerechtigkeit nicht nur abhängig von wechselnden politischen Mehrheiten, sondern auch von der Haushaltslage der öffentlichen Hand einerseits wie von der Spendenbereitschaft (Mildtätigkeit) der Bürger andererseits. Die Protagonisten dieser Gerechtigkeitskonzeption sehen die Probleme und schlagen vor, Fairness statt Gerechtigkeit zum regulativen Prinzip des Risikoausgleichs in der Markt- und Wettbewerbsgesellschaft zu erheben, weil das einerseits ehrlicher sei und dadurch andererseits die im Gerechtigkeitsbegriff immer noch mitschwingende Staatskonnotation eliminiert würde. Gerechtigkeit und Ungleichheit schließen sich im modernen sozialethischen Diskurs nicht mehr aus – im Gegenteil: die Forderung nach einer Aufgabe traditioneller auf Gleichwertigkeit ausgerichteter Normen hat nun auch schon die Regionen erfasst und der Bundespräsident hat in der Logik sozialinvestiver Politik auch hier für mehr Ehrlichkeit plädiert. c) Zunehmende Sozialspaltung als Konsequenz investiver Sozialpolitik: Die neue zivile Bürgergesellschaft, die vielfach als Gegenentwurf zum Neoliberalismus gehandelt wird, soll – so die Programmphilosophie – durch den gleichzeitigen Rückgriff auf neoliberale und kommunitaristische Elemente konstruiert werden: Gemeinschaft und Zwang auf der einen Seite, Selbstverantwortung und Selbststeuerung auf der anderen. Der investive und aktivierende Staat sieht in seinem Bild einer nach Effizienz staatlicher Intervention, familialer Solidarität und bürgerschaftlichen Gemeinsinn strebenden zivilen Bürgergesellschaft keinen Widerspruch. In Ergänzung dazu lässt sich festhalten: Stärkere Markt- und Wettbewerbsförmigkeit ist – wiederum auf allen Politikebenen – zum Credo in allen Politikbereichen, darunter besonders in den Bereichen der Versorgung mit kollektiven, traditionell öffentlichen Güter und Dienstleistungen geworden. Sollte der lokale Sozialstaat davon unberührt bleiben? Natürlich nicht. Das Gegenteil ist der Fall. Die Kommunen sind Vorreiter bei der Privatisierung, Teilprivatisierung und beim "Verleasen" und "Outsourcing" von ehemals kommunalen Wohnungsgesellschaften, Stadtwerken, Energieversorgung, Stadtreinigung/Grünpflege, Nahverkehrsbetrieben etc. geworden. Selbst die Privatisierung von Schulen ist kein Tabu mehr (vgl. Wohlfahrt/Zühlke 2001). Insbesondere die großen Städte sind von der Sozialspaltung der Gesellschaft, der sozialstaatlichen Deregulierung und Finanzknappheit öffentlicher Haushalte betroffen. Wenn nun – wie dies mit wenigen "rot-grünen" Ausnahmen der Fall ist – auf zentralstaatlicher Ebene die Sozialleistungen bei Arbeitslosigkeit, Krankheit und Rente gekürzt werden, schlägt dies zwangsläufig nach "unten" durch, einerseits in der Form von zunehmender Armut und Armutsrisiken sozial benachteiligter Bürger, andererseits in Form von höheren Sozialausgaben und geringeren Einnahmen der Kommunen. Die Wirtschaft und der selbständige Mittelstand fordern von den Kommunen ein kapitalfreundliches Klima und gute Standortbedingungen in Form von attraktiven Gewerbeflächen, Citys, Kulturhighlights und niedrigen Gewerbesteuern. Die Suburbanisierung, bzw. der Wegzug von mittelständischen Haushalten über die Stadtgrenzen in die "Speckgürtel" im Umland der Städte und der damit verbundene Einbruch von Einkommenssteuern führen ebenfalls zu kostenträchtigen "Gegenstrategien", um Wegzüge dieser Gruppen aufzuhalten oder um wenigstens ihre Kaufkraft an die Städte zu binden; z.B. in Form der Ausweisung von "Filetflächen" für die Wohneigentumsbildung und des Ausbaus glitzernder Citys. Die immobilen Armen bleiben in den Städten, sie bringen nichts ein und kosten die Kommunen viel Geld vor allem in der Form der Sozial- und Jugendhilfe. In diesem Spagat der Bedienung von vor- und nachrangigen Interessen, der Finanzmisere der Kommunalhaushalte und der interkommunalen Konkurrenz ist ziemlich klar, welche Interessen mit den knappen Mitteln von der Kommunalpolitik der meisten Städte primär bedient werden: die der Wirtschaft, die der einkommensstarken und kaufkräftigen Bürger und nicht die der immobilen, kostenaufwendigen Armutsbevölkerung. Damit ist nahe liegend und auch vielfältig nachweisbar, dass die gesamtstaatlichen Deregulierungen durch lokalpolitische ergänzt werden und einen massiven Leistungsabbau des lokalen Sozialstaates befördern. In den Bereichen der Sozialhilfe- und Jugendhilfepolitik und bei den sozialen Infrastrukturen lässt sich das vielfach belegen. Verfehlt wäre die Annahme, dass die Kommunen dabei nur getriebene "Opfer" der ökonomischen und zentralstaatlichen Deregulierungen sind und keine Handlungsspielräume für eine sozialintegrative Stadtpolitik hätten. Sie sind Akteure der sozialstaatlichen Umprogrammierung und setzen im Vertrauen auf die Wirkung angebotsorientierter Wirtschaftspolitik auf die heilsamen Instrumente von Steuerentlastung, Förderung der Unternehmen und Senkung der Sozialleistungsquote. Wohin bewegt sich also der lokale Staat? Unsere Untersuchung hat zu dem Ergebnis geführt, dass das Ende der lokalen Demokratie durch verschiedene Entwicklungen vorgezeichnet ist, deren Unumkehrbarkeit kaum von der Hand zu weisen ist. Alle Modernisierungsprogramme weisen in die Richtung einer einseitig auf die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen ausgerichteten Politik, in deren Folge soziale Infrastrukturpolitik immer mehr zur abhängigen Variable des internationalen Geschäftserfolgs wird. Die schrittweise "Auflösung" der kommunalen Selbstverwaltung begleitet diesen Prozess und stellt einen bemerkenswerten Akt politisch gewollter und inszenierter Selbstenthauptung dar. Ob diese Entwicklung – wie bislang beobachtbar – sich weitgehend unbemerkt und ohne großen Widerstand fortsetzt, wird nicht zuletzt davon abhängen, ob die Bürgerinnen und Bürger den schleichenden Verlust von Lebensqualität in den Städten und Gemeinden unkommentiert hinnehmen oder eine auf sozialen Ausgleich ausgerichtete Infrastrukturpolitik einfordern. Es steht allerdings zu befürchten, dass in Zukunft auf kommunaler Ebene sicherheits- und ordnungspolitische Konzepte als Ergänzung zum investiven Staat einen weiteren Aufschwung nehmen wird und damit der Kampf gegen die Armen in wachsendem Maße den Kampf gegen die Armut ersetzen wird. Welchen Erfolg die Forderung nach einer auf sozialen Ausgleich ausgerichteten Infrastrukturpolitik auf lokaler Ebene haben wird, hängt davon ab, ob sie politisch wirksam vertreten werden kann. In Anbetracht des weitgehenden Substanzverlustes der kommunalen Parlamente bleibt dies fraglich. Allerdings gibt es tendenziell Überlegungen und Handlungsansätze, die andere politische Artikulationsformen präferieren und ihnen zumindest eine kompensatorische Funktion zubilligen. Zu nennen wären öffentliche Partizipation, betriebliche Mitbestimmung, Beteiligungsmanagement, Dezentralisierung der Förderpolitik, kooperations- und verhandlungsdemokratische Verfahren. Wir wollen abschließend diese Konzepte, die die Möglichkeit eines kompensatorischen Reagierens auf die schleichende Entmachtung der Räte zum Gegenstand haben, kurz skizzieren. (1) Zu den bekanntesten Formen zählen die der Partizipation der Bürgerschaft. Darunter fallen zunächst die kommunalrechtlich verbrieften Elemente direkter Demokratie, z.B. Einwohnerversammlung und Einwohnerantrag, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid. Darüber hinaus gibt es aber auch bestimmte Verfahren, in denen die Bürger ihre individuellen Interessen vertreten können, z.B. Stadt- und Stadtteilkonferenzen, Zukunftswerkstätten, Planungszellen, Bürgerbefragungen und -initiativen. Ihr häufigster Anwendungsbereich ist die Stadtentwicklungs- und Bauleitplanung. Diese Verfahren bedürfen jedoch einer satzungsmäßigen Verankerung und institutionellen Verfestigung, um dauerhaft wirksam werden zu können. (2) Auf die Partizipation der Kommunalbeschäftigten im Konzern Stadt zielen in erster Linie die Überlegungen der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di). Die Gewerkschaft fordert eine aktive Beteiligung der Beschäftigten und einen demokratischen Ablauf der Verwaltungsmodernisierung mit Vereinbarungen zwischen Dienststellenleitungen und den Interessenvertretungen der Beschäftigten. Dabei geht es um eine adäquate Gewährleistung öffentlicher Aufgaben im Ausgliederungs- und Privatisierungsprozess, aber auch um die Wahrung von Besitz- und Rechtsständen der Beschäftigten. Da durch Ausgliederung und Privatisierung kommunaler Aufgaben und Dienste die Arbeitnehmerinteressen und -rechte aufgesplittert werden, sind die gewerkschaftlichen Überlegungen vor allem auf die Einrichtung von konzernweiten Beschäftigtenvertretungen in den Kommunen gerichtet, um in Zukunft gemeinsame Interessen einheitlich wahrnehmen zu können. Da keine gesetzlichen Grundlagen für die Institutionalisierung von Konzernarbeitnehmervertretungen bestehen, soll ihre Einrichtung in den Städten auf freiwilliger Basis angestrebt werden. (3) In vielen Städten sind im Zuge des Ausgliederungs- und Privatisierungsprozesses Beteiligungsverwaltungen aufgebaut worden. Sie sollen zum einen die Verwaltung und die Kommunalvertreter über wirtschaftliche Zustände und Entwicklungen im Konzern Stadt informieren. Zum anderen sollen sie dazu beitragen, den Einfluss auf die ausgegliederten und privatisierten Betriebe nicht zu verlieren. Die Wirksamkeit des Beteiligungsmanagements hängt davon ab, ob ein funktionierendes Beteiligungscontrolling entwickelt werden kann, das auf Zielvereinbarungen zwischen Verwaltung und Betrieben und der Überwachung dieser Vorgaben beruht. (4) Mehr Selbständigkeit der Kommunen im Rahmen der übergeordneten Förderpraxis ist eine alte Forderung der Kommunalpolitik. In diesem Zusammenhang wurde von der Enquetekommission Zukunft der Städte des Landtags Nordrhein-Westfalen der Gedanke ins Spiel gebracht, durch dezentralisierte Förderpolitik der Länder den politischen Handlungsrahmen der kommunalen Selbstverwaltung zu verbreitern. Die Kommunen sollten zukünftig deutlich mehr Handlungsautonomie und Eigenverantwortung durch integrierte Förderung und budgetierte Mittelzuweisungen erhalten. Die Städteförderung sollte durch Dezentralisierung eine bessere ressortübergreifende Bündelung und Verknüpfung der verschiedenen Politikbereiche wie Städtebau-, Wohnungs- und Sozialpolitik sowie der Wirtschaftsförderung und Infrastrukturpolitik erfahren. Über die Verwendung der budgetierten Mittel und über die einzelnen Maßnahmen sollen die Kommunen weitgehend selbst bestimmen. (5) In den Kommunen sind zum Teil kooperations- und verhandlungsdemokratische Verfahren zwischen Verwaltungen, Unternehmen, Verbänden, Vereinen, Initiativen gebräuchlich, die von freiwilligen Verpflichtungen bis zu bindenden Vereinbarungen reichen. Im Idealfall könnte sich im Rahmen dieser Kooperation so etwas wie eine städtische Verantwortungsgemeinschaft herausbilden, die der gemeinsamen Sorge um das kommunale Gemeinwohl verpflichtet ist. Unter dem Stichwort "public governance" werden dabei hybride Steuerungsarrangements diskutiert, die nicht lediglich den wachsenden Wettbewerb, sondern die Dualität von Wettbewerb und Kooperation in den Blick nehmen (vgl. Oppen/Sack/Wegener 2005). Angestrebt wird dabei, dass für problemangemessene Lösungen auf Grund wechselseitiger Abhängigkeiten Akteure aus unterschiedlichen Bereichen zusammenarbeiten, ihre Ressourcen poolen und Netzwerke bilden. Im Ergebnis soll dadurch nicht nur eine verbesserte Akzeptanz, sondern eine Steigerung sozialen Kapitals herbeigeführt werden, das einer Gemeinwohlverantwortung in der Gesellschaft zu Grunde liegt. In der sozialwissenschaftlichen Steuerungstheorie wird schon seit längerem über Netzwerke als höherrangige Steuerungsform jenseits von Markt und Hierarchie nachgedacht (vgl. Dahme 2000). Netzwerk und Markt können sich ergänzen, da es sich um soziale Ordnungsformen mit unterschiedlichem Zeithorizont und dementsprechend unterschiedlicher Rationalität handelt. Koordinieren Märkte kurzfristige Interessen in einer stabilen Umwelt, so Netzwerke eher langfristige in einer unsicheren Umwelt. Blickt man über die rein betriebswirtschaftliche Ebene hinaus, dann entpuppen sich die neuen Netzwerkarrangements allerdings oftmals als neuartige Formen der "Konzentration von Macht ohne Zentralisierung" (Sennett 1998), denn vernetzte, flexible, dezentralisierte Produktions- und Organisationsformen zeichnen sich bei genauerem Hinsehen auch dadurch aus, dass zentrale große Organisationen die Netzwerke steuern und die Koordination durch Netzwerkbildung durch neue Hierarchiestrukturen überlagert oder zurückgedrängt wird. (6) Angesichts der unaufhaltsamen Privatisierungstendenz und der im new public management angelegten Trennung von Gewährleistungs- und Durchführungsverantwortung wird als weitere Alternative der Erhalt der kommunalen Eigenproduktion ins Spiel gebracht (vgl. Sternatz 2005). Dabei geht es nicht nur darum, dass die Kommunen nie die gesamte Eigenproduktion abgeben sollten, sondern um die strategische Option der Beeinflussung von Qualitätsstandards. Wenn die Kommune zumindest einen Teil der Dienstleistung selbst betreibt, dann – so die Argumentation – ist sie auch noch handlungsfähig, wenn es zu Monopolen in der Privatwirtschaft kommt. Zudem behält die öffentliche Verwaltung eigenes Produktions-know-how. Resümiert man die zu Privatisierung, Ausgliederung und Marktöffnung diskutierten Alternativen, dann zeigt sich, dass diese wiederum auf eine noch funktionierende Steuerungskapazität der lokalen Räte verweisen. Hier sind in jüngster Zeit Entwicklungen zu beobachten, die zeigen, dass die mit der Privatisierung einhergehende Zerstörung der kommunalen Daseinsvorsorge durch die Bürgerinnen und Bürger durchaus wahrgenommen wird und diese in Bürgerbegehren Privatisierungsentscheidungen rückgängig gemacht haben. Je klarer die Bürgerinnen und Bürger ihre Vorstellungen einer kommunalen Daseinsvorsorge artikulieren und geltend machen, desto deutlicher wird der Tatbestand, dass die Entwicklung öffentlicher Dienstleistungen und Unternehmen durchaus beeinflussbar ist und Alternativen zur Verfügung stehen. Der Mainstream der gegenwärtigen Entwicklung weist allerdings nach wie vor in die andere Richtung. Damit wird der Einfluss auf die Weiterentwicklung von kommunaler Infrastruktur und damit auf die Lebensqualität in den Kommunen aufgegeben und die kommunale Politik zum Vollzugsorgan administrativ vorgegebener Funktionen degradiert. Dass diese Entwicklung gerade durch die lokale Politik aktiv vorangetrieben wird, gehört zu den Paradoxien der kommunalen Selbstverwaltung. Was einst mit den Stichworten "Bürgernähe" und "soziale Integrationsmaschine" als Errungenschaft des rheinischen Kapitalismus abgehandelt wurde, gilt nun als nicht mehr zukunftsfähig. Ob und wie die Bürgerinnen und Bürger auf diese Entwicklung reagieren, bleibt abzuwarten.

Leseprobe 3



Inhalt:

Vorbemerkung
Vorwort: Globalisierung und lokale Demokratie (Leseprobe)
Kapitel 1
Selbstverwaltung perdu?

Kapitel 2
Ökonomisierung der Selbstverwaltung


1. Betriebswirtschaftliche Bürokratisierung

Dezentrale Führungs- und Organisationsstruktur
Output-Steuerung
Wettbewerb und Kundenorientierung

2. Verwaltung des Mangels
Kapitel 3
Privatisierung des Öffentlichen


1. Ausgliederung und Privatisierung öffentlicher Aufgaben

Sport
Kultur
Soziales
Ver- und Entsorgung
Fazit

2. Öffentliche Inanspruchnahme des Privaten: die Bürgergesellschaft
Kapitel 4
Fragmentarisierung der politischen Steuerung


1. Konzern Stadt

2. Bürgerkommune

3. Local Governance

4. Neoregionalismus
Kapitel 5
Destabilisierung des kommunalpolitischen Systems


1. Entdemokratisierung

2. Ambivalente Stadtentwicklung

3. Abbau öffentlicher Güter und Räume
Kapitel 6
Sozialintegration als Steuerungsproblem


1. Schrumpfung der Städte

Wirtschaft und Finanzen
Wohnungsmarkt
Infrastruktur
Sozialstruktur
Stadtstruktur
Gegenstrategien

2. Sozialräumliche Entwicklung

Segregation
Soziale Stadt

3. Sicherheit und Ordnung
Kapitel 7
Szenarien lokaler Demokratie

Ausblick: Die Zukunft lokaler Daseinsvorsorge im investiven Sozialstaat (Leseprobe)
Literatur

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