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Bernard Cassen / Susan George / Horst-Eberhard Richter / Jean Ziegler u.a.

Eine andere Welt ist möglich!

Herausgegeben von Attac Deutschland

168 Seiten | 2002 | EUR 8.00 | sFr 14.70
ISBN 3-87975-845-X 1

Titel nicht lieferbar!

 

Die Dokumentation der ersten deutschlandweiten Konferenz von Attac spannt einen Bogen über das beeindruckende Themenspektrum dieses globalisierungskritischen Bündnisses und zeigt Wege des erfolgreichen Engagements für eine »andere Welt« auf.


»Globalisierung ist kein Schicksal – eine andere Welt ist möglich!« – unter diesem Motto diskutierten im Oktober 2001 die mehr als 3.000 TeilnehmerInnen des ersten deutschlandweiten Attac-Kongresses in Berlin über die Folgen neoliberaler Globalisierung und Alternativen zu ihr.

Neben den Podiumsdiskussionen bestand für die TeilnehmerInnen in über 70 Arbeitsgruppen viel Raum zu spannender und auch kontroverser Diskussion. »Dieser Kongress«, so Susan George, »hat gezeigt, dass es auch zu schwierigen Themen wie der neoliberalen Globalisierung Massenbewegungen geben kann. Die Kritiker sind nicht mehr in der Defensive, sondern haben die Offensive ergriffen.«

Der Attac-Kongress gab wichtige Impulse für die weitere Vernetzung und Profilschärfung dieses Bündnisses, das – erst 1998 in Frankreich gegründet – inzwischen weltweit über 55.000 Mitglieder umfasst und auch in der Bundesrepublik rasant wächst (auf derzeit mehr als 4.000). Mit seinen vielfältigen und kreativen Aktionsformen erlaubt es TeilnehmerInnen aus unterschiedlichen sozialen Bewegungen und Institutionen – von Gewerkschaften über Friedens- und Menschenrechtsinitiativen bis zu kapitalismuskritischen Gruppen – sich in die breite Bewegung gegen die Allmacht des Marktes einzubringen.

Der Tagungsband »Eine andere Welt ist möglich« dokumentiert die Reden und Diskussionsbeiträge. Außerdem werden die Ergebnisse einzelner Arbeitsgruppen präsentiert.

Leseprobe 1

Peter Wahl
Vorwort Es gibt Probleme, über die freut man sich, wenn sie plötzlich über einen kommen. Der Berliner Kongress, der in diesem Buch dokumentiert wird, war ein solches Problem für den bundesweiten Koordinierungskreis von Attac. Als im Februar 2001 die ersten Planungen für den Kongress gemacht wurden, gingen wir von einer Teilnahmezahl in der Größenordnung von 600 aus – und selbst das schien manchen zu hoch gegriffen – hatte Attac Deutschland damals doch gerade mal 450 Mitglieder. Dann kamen die spektakulären Protestaktionen beim Weltwirtschaftsgipfel in Genua, die einen Durchbruch für die globalisierungskritische Bewegung brachten. Es wurde schnell klar, dass der ursprünglich geplante Veranstaltungsort nicht ausreichen würde. Die schwierige Suche nach größeren Räumlichkeiten endete – nicht zuletzt Dank der diskreten Hilfe eines ehemaligen Bundesfinanzministers – damit, dass der Kongress dort stattfinden konnte, wo er hingehörte: ins Audimax der Technischen Universität Berlin. Denn dort hatte schon der legendäre Vietnamkongress der 68er stattgefunden und 1988 der große Gegenkongress zur IWF- und Weltbanktagung in – damals noch – West-Berlin. Und in der Tat: Der Genius loci war wieder spürbar. Die 3.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, davon mehr als die Hälfte junge Leute, die Aufbruchstimmung, das Medienecho dokumentierten, dass die globalisierungskritische Bewegung auch in der Bundesrepublik zu einem ernst zu nehmenden Faktor geworden war. Allen Unkenrufen zum Trotz hatten auch die Terroranschläge des 11. September daran nichts ändern können. Seither ist Attac unaufhaltsam gewachsen. Drei Monate nach dem Kongress hatte sich die Mitgliederzahl verzehnfacht, 70 lokale Gruppen gründeten sich. Attac ist zu einem Hoffnungsträger für all jene geworden, die sich mit der Zuschauerdemokratie nicht mehr zufrieden geben wollen, die die Nase voll haben von immer wieder gebrochenen Wahlversprechen, gewendeten Parteien und einer Politik, die als alternativloser Sachzwang verkauft wird. Heute ist zu offensichtlich, dass die zwei Jahrzehnte neoliberal deformierter Globalisierung zu viele Verlierer und nur ganz wenige Gewinner hervorgebracht haben, als dass ein »Weiter so« noch möglich wäre. Attac artikuliert den Wunsch nach einem Politikwechsel. Der Erfolg des Slogans »Eine andere Welt ist möglich« kommt nicht von ungefähr. Die globalisierungskritische Bewegung steht noch am Anfang. Erfolgsgarantie gibt es nicht. Es ist nicht jeden Tag Kongress, auch die Mühen der Ebene wollen bewältigt werden. Wir hoffen, dass der vorliegende Band dabei etwas Unterstützung bietet.

Leseprobe 2

Susan George
Wir sind nicht mehr in der Defensive Die wirklich interessante Frage ist natürlich: Wozu organisieren wir uns? Warum sind wir hier? Früher war die Politik viel einfacher. Wenn man sagte: »USA raus aus Vietnam« oder »Stoppt die Apartheid jetzt«, wussten alle, was gemeint war. Jetzt müssen wir viel mehr Erklärungen darüber abgeben, wie das Weltsystem funktioniert. Die Medien haben uns lange vorgehalten, dass es unmöglich sei, eine Massenbewegung zu komplexen Ideen zu organisieren. Sie sagten uns, dass ihre LeserInnen oder ZuhörerInnen nichts von solchen »technischen« oder »trockenen« Themen hören wollten. Attac Deutschland, wie all die anderen nationalen Attac-Bewegungen, beweist genau das Gegenteil. Die Leute wollen die Kräfte der Globalisierung verstehen, die ihr Leben beeinflussen, und deshalb nennt sich Attac – zumindest in Frankreich – »Bewegung der Volksbildung, die auf Handlung ausgerichtet ist«. Wir lernen und organisieren uns für nichts Geringeres als die Zukunft, die Welt zu verändern. Deutschland ist in diesem Zusammenhang ein außerordentlich wichtiger Spieler: Es ist die drittgrößte Wirtschaftskraft in der Welt, eine beachtliche Macht in Europa und in der Welt und, ehrlich gesagt, werden wir ohne euch nicht sehr weit kommen. Deshalb freuen sich alle Attac-Gruppen über euren Erfolg und werden die Neuigkeiten von diesem Kongress begrüßen. Ich habe gute Nachrichten für euch, für uns alle. Wir sind nicht länger in der Defensive. Diese Bewegung hat bereits die Rahmenbedingungen und die Themen der Debatte verändert. Wir haben die zuständigen Stellen gezwungen, unsere Argumente ernst zu nehmen. Der Neoliberalismus ist nicht länger die dominante Religion in der Welt, aus dem einfachen Grund, dass er nicht funktioniert. Wir bekämpfen seine Ideologie. Bald, so denke ich, werden wir ihn ganz zerschlagen haben. Wir arbeiten auf verschiedenen Ebenen. Erstens müssen wir versuchen, neue fürchterliche Ereignisse zu verhindern. Die Neoliberalen haben nicht aufgegeben, ganz im Gegenteil, und sie ergreifen immer aufs Neue die Initiative. Zum Beispiel haben wir verhindert, dass das Multilaterale Investitionsabkommen fertig gestellt wurde. In Nizza haben wir letztes Jahr im Dezember verhindert, dass mit einer qualifizierten Mehrheit das beschlossen wurde, was Kommissar Pascal Lamy unbedingt durchsetzen wollte, zumindest haben wir es für Handelsabkommen in den Bereichen Erziehung, Gesundheit und Kultur verhindert, was schon etwas ist. Wir versuchen, die öffentlichen Dienstleistungen zu schützen, die überall bedroht sind, und wir werden bald gegen die WTO [1] und die neue Runde, auf die sie hoffen, demonstrieren. Wir arbeiten auch für neue Rechte und gegen die krassen Ungleichheiten in der Welt. Ich werde nicht weiter auf die Einzelheiten eingehen. Wir wollen neue Rechte und Garantien für die Menschen weltweit. Die Probleme, mit denen wir konfrontiert werden, sind durch die Globalisierung entstanden und die Lösungen müssen per definitionem international sein. Seit den schrecklichen Ereignissen vom 11. September haben viele Massenmedien versucht, die Bewegung auf primitivste Art und Weise zu kriminalisieren. Die Argumentation lautet folgendermaßen: »Antiglobalisierung ist gleich Antiamerikanismus ist gleich stillschweigende Unterstützung für den Terrorismus«. Das ist Unsinn. Unser Programm ist angesichts dieser Ereignisse notwendiger und relevanter denn je. Ich habe meine Vorstellungen dazu in einem so genannten »Weltweiten Vertrag« (»Planetary Contract«) [2] zusammengefasst. Man kann vier Eckpunkte oder »Krisenbereiche« ausmachen, die – das ist keine Überraschung – untereinander in engem Zusammenhang stehen:   Der erste ist der Bereich der Umweltzerstörung, gekennzeichnet durch den Klimawechsel, der wiederum vor allem auf die übermäßige, lähmende und unsinnige Abhängigkeit des Westens von fossilen Brennstoffen zurückzuführen ist. Zu diesem Bereich gehören auch Luft- und Wasserverschmutzung, massive Artenvernichtung, schwindende Bodenfruchtbarkeit, Abholzung und dergleichen.   Der zweite ist der Bereich der Armut und der Ungleichheit, mit immer größerer Ungleichheit und schlechterer Verteilung des Wohlstandes, der Arbeit und der Ressourcen sowohl innerhalb als auch zwischen den Staaten, die das bestehende Nord-Süd-Gefälle verstärken und ein umfassendes Ungerechtigkeitsgefühl entstehen lassen.   Der dritte Bereich ist die Krise von Demokratie und Machtbeteiligung (empowerment) überall auf der Welt, verbunden mit der Kontrolle durch Eliten, die ihrerseits auf große Ungleichheiten zurückgeht. Formal demokratische Prozesse (Wahlen etc.) wurden in vielen Ländern abgehalten, besonders nach dem Fall der Berliner Mauer, aber wirkliche Partizipation des Volkes bleibt die Ausnahme, und die meisten Völker sowohl aus dem Norden als auch aus dem Süden haben, wenn überhaupt, wenig Kontrolle über die Rahmenbedingungen ihres Lebens.   Der vierte Bereich ist die drohende Wirtschaftskrise, die Rezession oder Depression. Ernst zu nehmende und strukturell bedingte Überkapazitäten gibt es inzwischen in praktisch allen Industrie- und Dienstleistungssektoren; die unbestrittene und immer gegenwärtige Gefahr von Massenarbeitslosigkeit und Ausschluss muss zu den anderen Belastungen hinzugezählt werden. Als ob das alles noch nicht genug wäre, hat mit dem 11. September ein Zeitalter grundlegender Unsicherheit und post-staatlicher Konflikte begonnen. Wir haben einen schattenhaften, undefinierten und nicht an ein Land gebundenen Feind vor uns, der nicht für traditionelle Ziele kämpft, der keine der während der letzten Jahrhunderte entwickelten Regeln der Kriegsführung respektiert und der den ganzen Schrecken der Unvorhersehbarkeit in die Heime und Arbeitsplätze der Wohlhabenden, der DemokratInnen und der Gesetzestreuen bringt. Wir müssen um jeden Preis den »Zusammenprall der Zivilisationen« à la Samuel Huntington vermeiden. Genau dieses Szenario wünschen sich Bin Laden und seine fundamentalistisch-faschistischen Gefolgsleute sehnlichst, weil sie glauben, dass willkürliche US-amerikanische Aktionen gegen arabische ZivilistInnen Millionen von Muslimen radikalisieren und zu einem umfassenden Heiligen Krieg gegen den verhassten Westen führen werden. Wenn wir gemeinsam vorankommen wollen, müssen wir strategisch denken. Jetzt müssen wir uns an das erinnern, was der große chinesische General Sun Tsu vor 2500 Jahren gesagt hat: »Tu nicht, was du am liebsten tun willst. Tu das, von dem dein Gegner am wenigsten möchte, dass du es tust.« Die Terroristen möchten gern, dass die Ungleichheiten in der Welt weiter bestehen, weil sie wissen, dass sie Wut und Verärgerung hervorrufen, auf Grund derer sich leicht Terroristen rekrutieren lassen. Welche Wege müssen wir beschreiten, um diese Ziele zu vereiteln und gleichzeitig in den oben beschriebenen Krisenbereichen Abhilfe zu schaffen? Diese Wege existieren, aber bis jetzt scheinen unsere Politiker wie gelähmt zu sein und keine Visionen zu haben. Unsere neoliberalen Gegner sind nicht dumm und wollen ihre Macht und ihren Profit behalten. Macht und Profit wurden in der Geschichte noch nie freiwillig aufgegeben, und dies wird auch in Zukunft nicht geschehen. Wir werden weiter dafür kämpfen müssen, dass dieses Ergebnis unvermeidbar wird. Eine neue, modernisierte und globalisierte keynesianische Strategie ist nötig, nicht nur in den Vereinigten Staaten oder in Europa, sondern weltweit. Wir brauchen großzügige, auf die Krisen ausgerichtete Ressourcenspritzen für die globale Wirtschaft. Sie müssen an umweltgerechte Erneuerung, Armutsbekämpfung und demokratische Regierungsformen geknüpft sein. Zu solch einem »Weltweiten Vertrag« (»Planetary Contract«) würden folgende Elemente gehören:   Umweltgerechte Erneuerung und Wiedergutmachung: Der Westen sollte seine kurzsichtige Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen überwinden, weil sie hauptsächlich in Ländern erzeugt werden, die trotz aller Vorsichtsmaßnahmen in das fundamentalistische Lager überlaufen könnten und deren erste Maßnahme es wäre, den Zusammenbruch der westlichen Wirtschaft zu verursachen. Wir brauchen ein Programm für die sofortige Massenproduktion von Solar- und anderen erneuerbaren Energien sowie sauberen Technologien, wenn nötig durch Subventionen und Exportkredite, sowie im Norden die Beseitigung von Umweltschäden, im Süden Wiederaufforstung und überall Schutzmaßnahmen.   Armutsbekämpfungsmaßnahmen, die ein menschenwürdiges Leben für alle sichern: Mehrere Organisationen der Vereinten Nationen haben versichert, dass sie Trinkwasser, angemessene Ernährung, einfache Unterkünfte, Gesundheitsversorgung und Ausbildung für alle Menschen auf der Erde für weniger als 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr über zehn Jahre bereitstellen könnten.   Demokratische Bindung: Niemand möchte eine Wiederholung der Geschichte der vergangenen Jahrzehnte erleben, mit Eliten, die sowohl den gesamten Gewinn aus dem Handel als auch aus der Entwicklungshilfe für sich in Anspruch nahmen. BürgerInnen des Westens und des Nordens unterstützen Entwicklungshilfe für arme Länder unter der Bedingung, dass die Ressourcen diejenigen erreichen, die sie benötigen. Deswegen wird von den Regierungen des Südens verlangt, dass sie VertreterInnen ihrer Zivilgesellschaft an der Verwaltung und Verteilung der Ressourcen beteiligen, die ihnen aus dem »Weltweiten Vertrag« zustehen. Alle Gesellschaften, egal wie arm, haben Organisationen, die Bauern, ArbeiterInnen, Frauen, die Geschäftswelt und so weiter vertreten, und die je nach Regierung mehr oder weniger frei agieren können. Arabische und/oder muslimische Länder, die dem »Weltweiten Vertrag« beitreten möchten, müssten große Bereitschaft zeigen, ihre eigenen fundamentalistischen Elemente zu isolieren. Es wäre oft hilfreich, VertreterInnen der NRO [3] des Nordens und der Zivilgesellschaften einzubeziehen, die bereits mit unabhängigen Gruppen des Südens gearbeitet haben, um sicherzustellen, dass die Regierung und die Elite nicht einfach manipulieren oder die »Zivilgesellschaft« ersetzen. Keine Regierung sollte gezwungen werden, sich dem »Weltweiten Vertrag« anzuschließen, aber wenn er einmal angenommen wurde, dann müsste die demokratische (oder in jeglicher Hinsicht anti-fundamentalistische) Bindung auch akzeptiert werden, ohne dass von Seiten der Regierung Beschuldigungen wie »Einmischung« oder »Neokolonialismus« vorgebracht werden. Das Modell des städtischen Finanzplanungsprozesses von Porto Alegre (Brasilien) sollte die Verteilung der Ressourcen inspirieren. In dieser Stadt mit 1,3 Millionen EinwohnerInnen erhalten gewählte Nachbarschaftsorganisationen Budgets, die sie für ihre demokratisch festgesetzten Prioritäten ausgeben können. Verschwendung und Korruption sind praktisch verschwunden. Der »Weltweite Vertrag« sollte auch eine Reihe von unabhängigen, professionellen BuchprüferInnen vorsehen, die die Kompetenz haben, in Fällen von erwiesener Korruption der Regierungen oder Elitegruppen ein sofortiges Ende der Auszahlungen zu empfehlen.

Finanzierung des »Weltweiten Vertrags«

Auch wenn zweifelsohne viel mehr Mittel bereitgestellt werden könnten, sollten 200 Milliarden US-Dollar pro Jahr ausreichen, die Krisenbereiche zu bekämpfen und gleichzeitig die Welt vom Rand der Rezession zurückzuziehen, wo sie im Moment steht. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die USA mehr als drei Prozent ihres Bruttosozialprodukts für den Marshall-Plan in dem Wissen ausgegeben, dass der Wiederaufbau Europas als bevorzugter Handelspartner im gegenseitigen Interesse war. Eine neue Situation, bei der alle nur gewinnen, kann jetzt auf globaler Ebene geschaffen werden, wobei folgende Aspekte berücksichtigt werden müssen:   Die Offizielle Entwicklungshilfe (ODA) [4] beläuft sich im Moment auf etwa 50 Milliarden US-Dollar. Sie sollte zusammengeführt werden und die Länder des Nordens sollten sie nicht länger als exportfördernde Maßnahme ansehen. NRO-Verwaltungen, die momentan in vielen Ländern von den Entwicklungshilfe-Budgets ihrer Regierungen abhängig sind, würden sich einer solchen Maßnahme vermutlich widersetzen. Diese Position sollte abgelehnt werden.   Schuldenerlasse könnten einen großen Beitrag leisten. Voraussetzung für den Verzicht des Nordens auf Schuldentilgung müsste wiederum demokratische Bindung sein.   Schließung von Steueroasen und hartes Durchgreifen gegen Geldwäsche und Finanzkriminalität aller Art. Den Regierungen stünden neue Einnahmen zur Verfügung, die bis jetzt von der internationalen Mafia in Anspruch genommen wurden. Ein umstrittener Vorschlag ist: Drogen legalisieren, sie in (nüchternen, unspektakulären) Läden zu fairen Preisen unter Regierungsaufsicht verkaufen und besteuern. Würde das nicht Millionen an Einkünften bringen und vermutlich gleichzeitig die Zahl der Drogenabhängigen reduzieren sowie sicherlich die Gefahr der Zerstörung Kolumbiens durch das Sprühen von Insektiziden und Pestiziden vermindern?   Einführung einer Art Tobinsteuer auf Währungs- und internationale Finanztransaktionen – eine »Art« Tobinsteuer, weil Professor Tobins klassischer Vorschlag möglicherweise nicht mehr den aktuellen Gegebenheiten entspricht, da sie ursprünglich dafür vorgesehen war, die Spekulation einzudämmen und nicht dafür, Einnahmen zu schaffen.   Internationale Besteuerung von zwischenstaatlichen Firmenfusionen und -aufkäufen, die mittlerweile rund 80 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen ausmachen.   Eine »Einheitliche Gewinnsteuer« [5] für die transnationalen Konzerne (TNC). Eine solche Steuer wäre den BürgerInnen aus Gründen der Steuergerechtigkeit leicht zu vermitteln, weil die TNC jetzt weidlich von internen Verrechnungspreisen und kreativer Buchführung Gebrauch machen und weniger als den ihnen zukommenden Anteil der Staatshaushalte im Norden bezahlen, während die Steuerbelastung zunehmend auf Einkommen und Konsum fällt. Sie würde auch den Druck auf die Dritte-Welt-Länder vermindern, diesen Konzernen Steueroasen anzubieten. Ein Teil der »Einheitlichen Gewinnsteuer« könnte für den »Weltweiten Vertrag« bereitgestellt werden.   George Soros’ Vorschlag zu Sonderziehungsrechten würde automatisch auch seinen Platz in dem neuen Arsenal finanzieller Maßnahmen finden. Es gibt ausreichend Mittel und Wege, den »Weltweiten Vertrag« zu finanzieren, solange ein zugrunde liegendes Prinzip anerkannt wird: Für eine globalisierte Welt brauchen wir globale Besteuerung und Umverteilung.

Verwaltung des »Weltweiten Vertrages«

Die BürgerInnenbewegungen haben wenig Vertrauen in die bestehenden internationalen Institutionen. Der institutionelle Leerraum ist das Haupthindernis, dem wir uns gegenüber sehen, wenn wir sagen »Eine andere Welt ist möglich«. Internationalen Institutionen mit Macht wird kein Vertrauen entgegengebracht; diejenigen, die Vertrauen genießen, haben keine Macht. Wir würden lieber eine neue Institution mit der Verwaltung des »Weltweiten Vertrags« beauftragen als eine aufpolierte Weltbank oder den IWF, die beide stark diskreditiert sind. Das soll nicht heißen, dass einzelne Personen, die in diesen Institutionen arbeiten, ausgeschlossen werden sollten. Viele von ihnen haben unschätzbare Erfahrung und könnten einen wichtigen Beitrag leisten, sofern sie willens und in der Lage sind, nach den neuen Regeln zu spielen. Der Punkt ist, dass wir nicht länger Strukturen akzeptieren können, in denen Regierungen und nur Regierungen vertreten sind. Die Charta der Vereinten Nationen beginnt mit: »Wir, die Völker der Vereinten Nationen«. Es ist an der Zeit, dass den Völkern wieder der ihnen zustehende Platz eingeräumt und die Zivilgesellschaft ins Spiel gebracht wird. Unter der Voraussetzung, dass ein System der Überprüfungen und Gegengewichte (»Checks and Balances«) etabliert, die Beteiligung der BürgerInnen an der Regierung (s.o.) in den einzelnen Ländern garantiert ist und es zahlreiche bewegliche Einheiten von Anti-Korruptionswächtern gibt, sind verschiedene Verwaltungsstrukturen vorstellbar. Experten aus existierenden UN-Organisationen könnten rekrutiert, die Bürokratie auf ein Minimum reduziert und Länderquoten für Personal abgeschafft werden. Ein unabhängiger Vorstand mit wirklicher Macht, den Administrator und die leitenden Angestellten zu sanktionieren, sollte eingerichtet werden. Der »Weltweite Vertrag« wäre kein Allheilmittel gegen menschliche Bosheit oder fundamentalistischen Fanatismus oder Faschismus – noch könnte irgendetwas sonst dies sein. Wir wissen, dass diejenigen, die die Terroristen finanziell ausstatten, kein Interesse an den Armen oder an Gerechtigkeit haben. Tatsache ist jedoch, dass sie aus der Armut und der Ungerechtigkeit hervorgehen, die einen fruchtbaren Boden für Verärgerung bilden. Die Vereinigten Staaten haben eine keineswegs perfekte Vorgeschichte, sie haben Embargos auferlegt, gebombt, zahllose ZivilistInnen verletzt und getötet. »Die Verdammten der Erde« wissen diese Dinge. Sie wissen, dass ihre Leben nicht so wertvoll sind wie die der Menschen des Westens, und sie wissen auch genau, was ihnen verweigert wird, weil Globalisierung auch die unmittelbare und weite Verbreitung von Informationen und Bildern bedeutet. Ich sehe mindestens drei Gefahren, die uns in diesem Kampf abbremsen oder womöglich zu unserer Niederlage führen könnten. Wir müssen um jeden Preis vermeiden, diesen Gefahren nachzugeben.   Die erste Gefahr ist theologische, doktrinäre Reinheit. Die Linken, Progressiven waren schon immer dafür bekannt, nach Reinheit zu verlangen, was natürlich Spaltungen nach sich zieht und zu Machtlosigkeit und Irrelevanz führt. Lasst uns nie in die Stellung eines kreisförmigen Exekutionskommandos kommen, mit unseren Gewehren aufeinander gerichtet: Wir sollten uns stattdessen nach außen wenden und auf unsere Gegner zielen. Wir sollten uns auf das konzentrieren, was uns eint, und darauf, Allianzen aufzubauen. Wir brauchen nicht in allen kleineren Punkten einer Meinung zu sein, um gemeinsam an den wichtigen Themen arbeiten zu können. Wir müssen Bündnisse aufbauen, zunächst starke Koalitionen auf nationaler Ebene. Sie sind die Basis der gesamten Bewegung. Nur wenn wir starke Koalitionen haben, können wir eine starke internationale Bewegung aufbauen.   Die zweite Gefahr ist, der Gewalt nachzugeben oder gewalttätige Elemente in unseren Reihen zuzulassen. Unsere Feinde suchen nach jeder Gelegenheit, uns zu kriminalisieren. Sie haben ihre Kampagne am 12. September wieder aufgenommen, und wir dürfen ihnen keinerlei Vorwand liefern. Obwohl ich die Argumente bezüglich struktureller Gewalt sehr wohl kenne, und obwohl ich weiß, dass der Staat weitaus gewalttätiger sein kann als jene Personen, die sagen, sie seien auf unserer Seite, glaube ich immer noch, dass wir uns gewalttätigen Elementen verweigern und sie isolieren müssen, weil sie undemokratisch sind. Sie zerstören die geduldige Arbeit des Aufbaus von Allianzen und scheren sich nicht darum, was 99 Prozent der Bewegung sagen. Gewerkschaften und die Friedensbewegung werden sich uns nie anschließen, wenn es uns nicht gelingt, jene Elemente auszuschließen. Sie verhindern, dass unsere positive Botschaft von den Medien aufgenommen wird und somit eine breitere Öffentlichkeit erreicht. Sie halten viele »normale« Leute, besonders ältere und Familien, von unseren Demonstrationen fern, weil sie Angst haben. Diese Elemente werden außerdem leicht von Faschisten und der Polizei unterwandert. Wir müssen also phantasievoll, kreativ sein und vermeiden, dass wir selbst unterwandert werden.   Die dritte Gefahr ist Entmutigung. Es ist eine harte Tatsache im Leben und in der Politik, dass man seine Ziele nicht beim ersten Mal erreicht. Wandel kann lange brauchen und das kann tatsächlich entmutigen. Hier müssen wir eine historische Perspektive einnehmen und uns erinnern, dass alles, was wir heute schätzen, all die Errungenschaften der Vergangenheit, von Leuten erreicht wurden, die gekämpft und verloren haben, und gekämpft und verloren und schließlich, eines Tages, haben sie gewonnen. Sie haben nicht aufgegeben. Demokratie muss gleichzeitig unser Ziel und unsere Methode sein und Demokratie ist zugleich ein langsamer Prozess. Aber ihr könnt mir glauben: Wenn ihr weiter kämpft, werdet ihr eine bessere Zeit erleben! Ihr werdet bessere KameradInnen haben und ein zufriedenstellenderes Leben, weil ihr auf der Seite der Solidarität und der Freiheit der Menschen sein werdet und nicht auf der Seite von Neid und Selbstsucht. Abschließend möchte ich euch sagen, dass wir versuchen, etwas zu tun, was niemand zuvor in der Geschichte der Menschheit gemacht hat. Kein Wunder, dass es schwierig ist! Es wäre erstaunlich, wenn es nicht so wäre. Wir versuchen, die internationale Sphäre zu demokratisieren und eine Welt zu schaffen, in der alle Menschen ein anständiges und würdiges Leben führen können. Lasst uns daran denken und in diesem Sinne auch nach diesem inspirierenden und bemerkenswerten Kongress von Attac Deutschland weiterarbeiten. Lasst uns auch daran denken, dass wir alle AkteurInnen in der Geschichte sind. Unsere historische Aufgabe ist, die Bewegung wachsen zu lassen: in Deutschland, in Europa, über die Kontinente, bis sie – wie die Flut – nicht mehr zu stoppen ist. Another world is possible – Eine andere Welt ist möglich!

Übersetzung: Sabine Friedel

[1] Welthandelsorganisation[2] Siehe auch http://www.tni.org/george/talks/budapest.htm[3] Nichtregierungsorganisationen[4] der OECD-Mitgliedsstaaten[5] Diese Steuer wurde von Prof. Howard Wachtel der American University in mehreren Aufsätzen vorgeschlagen: Wenn die weltweiten Gewinne, die Einnahmen aus den Verkäufen und die Umsätze in jedem Steuergebiet der transnationalen Konzerne bekannt sind, dann könnten sie in jedem Steuergebiet pauschal international besteuert werden. Beispiel: Unternehmen X macht weltweit eine Milliarde Gewinne und erzielt 40 Prozent der weltweiten Verkaufserlöse in den Vereinigten Staaten. Die Gewinne in den USA werden also mit 400 Millionen veranschlagt und der Unternehmenssteuersatz wird auf dieser Basis erhoben.

Leseprobe 3



Inhalt:

Peter Wahl
Vorwort
Juliane Meinhold
Globalisierung ist kein Schicksal
Zum Selbstverständnis von Attac
Zwischen Netzwerk, NGO und Bewegung - 8 Thesen
Barbara Unmüßig
Attac - Zwischenbilanz, Herausforderungen und Perspektiven
Bernard Cassen
Dank an Seattle - Es lebe Porto Alegre!
Manifest 2002
Mit Attac die Zukunft zurückerobern
Dieter Rucht
Von Seattle nach Genua - Event-hopping oder neue soziale Bewegung?
Markus Wissen
Re-regulieren oder Lernprozesse ermöglichen?
Horst-Eberhard Richter
Zeit zum Umdenken
Christoph Krämer
Globalisierung der Marktherrschaft als Quelle von Gewalt und Krieg
João Batista de Oliveira
Welche Welt wir wollen und welche wir niemals akzeptieren können
Jean Ziegler
Der Raubtierkapitalismus und seine Folgen - wo ist die Hoffnung?
Pedro Morazán
Afrika: Gefangen in der Schudenfalle
Tobias Kröll
Wissen braucht Bewegung - Initiative für einen Paradigmenwechsel
Werner Rügemer
Geldwäsche und Steuerflucht
Thomas Fritz
GATS 2000: Gegen die weltweite Liberalisierungvon Diensteistungen
Maria Mies
Frauenarbeit: Der Pfeiler der Globalisierung
Jürgen Borchert
Wenn es Attac nicht gäbe, müsste man die Bewegung erfinden!
Werner Rätz
Der nächste Schritt: Die Zerstörung des solidarischen Gesundheitssystems
Shungu M. Tundanonga-Dikunda
Der Konsument als Revolutionär? - Die Macht des neuen Weltbürgers
Freya und Sven
Kongress-Impressionen
Horst Schmitthenner
Eine andere Politik ist möglich
Heiko Glawe
Gewerkschaften und Attac - strategische Kooperationspartner?
Susan George
Wir sind nicht mehr in der Defensive
Presseecho
Aktiv werden bei Attac
Material & Literatur

Autorenreferenz

Jürgen Borchert, Jahrgang 1949, Richter am Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt.

Bernard Cassen, Jahrgang 1937, Präsident von Attac Frankreich, Generaldirektor von »Le Monde Diplomatique« und Professor in Paris.

Thomas Fritz, Mitarbeiter der Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Umwelt und Entwicklung BLUE 21.

Susan George, Jahrgang 1934, Vizepräsidentin von Attac Frankreich, stellvertretende Direktorin des Transnational Institute in Amsterdam und Präsidentin des Observatoire de la Mondialisation.

Heiko Glawe arbeitet als Referent für Wirtschafts- und Strukturpolitik beim DGB-Bezirk Berlin-Brandenburg.

Christoph Krämer, chirurgischer Assistenzarzt, Mitglied der Deutschen Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) und deren Arbeitskreis »Süd-Nord«.

Tobias Kröll, Zweiradmechaniker, Studium in Tübingen und Amsterdam; AK Neue Kritik Tübingen, Mitarbeit in der AG Alternative Wirtschaftspolitik der Memorandum-Gruppe.

Juliane Meinhold, 24 Jahre, Jurastudentin in Berlin, Mitglied bei Attac und seit langem im entwicklungspolitischen Bereich aktiv.

Maria Mies, Professorin (i.R.) an der Fachhochschule Köln, seit vielen Jahren aktiv in der Frauen-, Ökologie- und Dritte-Welt-Bewegung und maßgeblich beteiligt an der Kampagne gegen das MAI.

Dr. Pedro Morazán, Volkswirt, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei SÜDWIND – Institut für Ökonomie und Ökumene, Siegburg; Sprecher des Bündnisses »erlassjahr.de« und Mitglied im Attac-Koordinierungskreis.

João Batista de Oliveira, Vorsitzender der brasilianischen Landlosenbewegung MST im Bundesstaat São Paulo und Mitglied der nationalen Koordination des MST.

Horst-Eberhard Richter, Jahrgang 1923, Psychoanalytiker, geschäftsführender Direktor des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt am Main und Vorstandsmitglied der IPPNW.

Werner Rätz, Mitarbeiter der Informationsstelle Lateinamerika (ila) in Bonn, für die ila im Attac-Koordinierungskreis, Mitglied des Bonner AK gegen Gentechnologie und der Attac-Kampagne Soziale Sicherungssysteme.

Dieter Rucht, Professor für Soziologie am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, AG Politische Mobilisierung und Öffentlichkeit.

Dr. Werner Rügemer, Publizist und Berater, Experte für Geldwäsche, Korruption, Derivate und verschiedene Formen der Wirtschaftskriminalität.

Horst Schmitthenner, Jahrgang 1941, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall und Mitglied im Vorstand der Bundesanstalt für Arbeit.

Dr. Shungu M. Tundanonga-Dikunda, Agraringenieur, Consultant-Analyste-Lobbyiste, Attac-Mitglied.

Barbara Unmüßig, Jahrgang 1956, bis Dezember 2001 Vorsitzende der Organisation WEED (Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung), Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung.

Peter Wahl, Mitarbeiter von WEED und Mitglied im Attac-Koordinierungskreis.

Markus Wissen, Mitglied im Bundeskongress entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (BUKO), arbeitet für das Ökumenische Netz Rhein-Mosel-Saar in Neuwied.

Jean Ziegler, Jahrgang 1934, UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung und Professor in Genf und Paris, bis 1999 Nationalrat im Schweizer Parlament.

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