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Mario Candeias / Frank Deppe (Hrsg.)

Ein neuer Kapitalismus?

Akkumulationsregime – Shareholder Society – Neoliberalismus und Neue Sozialdemokratie

288 Seiten | 2001 | EUR 16.80
ISBN 3-87975-810-7 1

Titel nicht lieferbar!

 

Die Diskussion über die Periodisierung des Kapitalismus kann nur den Produzenten von Fast-Food-Politik als brotlose akademische Kunst erscheinen. Es waren immer die klügsten Köpfe – auf der Linken wie auf der Rechten –, die Politik eingeordnet haben in die grundlegenden ökonomischen und gesellschaftlichen Umbruchprozesse.

Konsens ist: Die Epoche des Fordismus / Taylorismus ist Mitte der 70er Jahre zuende gegangen. Umstritten ist, ob mit einem erneuten Schub der Durchkapitalisierung der Gesellschaft und der Internationalisierung der Produktion bereits ein postfordistischer Kapitalismus entstanden ist.

Ist also das, was die Linke als Deregulierung kritisiert, ein neuer Typus von ökonomisch-politischer Steuerung? Steckt hinter der Auflösung des fordistischen Normalarbeitsverhältnisses ein neues Akkumulationsregime? Ist die »Verschlankung des Staates« eine Durchgangsform zum neuen Typ des Wettbewerbs- und Sicherheitsstaates? Ist Globalisierung nur der oberflächliche Ausdruck einer neuen internationalen Hegemonie zwischen den Metropolenstaaten unter der Dominanz der USA? Schließlich: Ist die Neue Sozialdemokratie von Blair und Schröder Protagonist des Systemumbaus? Diese Fragen werden in dem vorliegenden Buch kontrovers diskutiert.

Leseprobe 1

Vorwort
Ein neuer Kapitalismus? Postfordismus, postindustrielle Dienstleistungs-, Wissens- und Netzwerkgesellschaft, Informationsökonomie oder New Economy - die Etiketten für eine neue Phase oder Epoche gesellschaftlicher Entwicklung sind vielfältig, doch kein Begriff hat sich bislang als tragfähig genug erwiesen, den Kern »des Neuen« zu bestimmen. In welcher Gesellschaft leben wir? Zur Beantwortung dieser Frage wurden - teilweise mit expliziter Bezugnahme auf marxistische Theorietraditionen - seit Mitte der 70er Jahre Ansätze einer Theorie der Regulation entwickelt. An Antonio Gramsci anknüpfend wurde die Epoche kapitalistischer Entwicklung der Nachkriegszeit als »Fordismus« analysiert. Entgegen einer Tendenz zur ent-historisierenden Theoretisierung der kapitalistischen Produktionsweise und ihrer »Gesetzmäßigkeiten« wird in regulationstheoretischen Ansätzen versucht, die Bedingungen für eine Transformation kapitalistischer Gesellschaftsformationen zu untersuchen und somit historische Brüche in der Entwicklung des Kapitalismus theoretisch zu fassen. Charakteristisch ist dabei ihr dynamisches Verständnis der sozialen und ökonomischen Verhältnisse. Im Unterschied zu anderen Entwicklungstheorien folgen die unterschiedlichen Phasen des Kapitalismus nicht linear stadien-förmig aufeinander, sondern sind Ergebnisse (krisenhafter) historischer »Suchprozesse«, gesellschaftlicher Auseinandersetzungen und Kämpfe. »Der Regulationsbegriff soll es ermöglichen«, so Demirovic (1992, 135), »ein Ensemble sozialer Beziehungen als ein in sich widersprüchliches zu analysieren, das trotz und wegen seiner Widersprüchlichkeit konstituiert wird und einen spezifischen Typ von Regelmäßigkeiten etabliert. Aufgrund ihrer inneren, widersprüchlichen Dynamik aber treiben die sozialen Beziehungen dahin, das von ihnen konstituierte prekäre Gleichgewicht zu destabilisieren, führen schließlich zur Erschöpfung der Lösungsmöglichkeiten eines Akkumulationsregimes oder Regulationsmodus und schließlich zur Krise«. Damit richtet sich das Augenmerk nicht nur auf die Bewegungsgesetze des Kapitals im Allgemeinen, sondern ebenso auf ihre historisch konkreten, durch soziale Kräfteverhältnisse vermittelten Ausprägungen. Die Ansätze betonen somit die konstitutive Bedeutung der politischen, ideologischen und kulturellen Verhältnisse für die Reproduktion der kapitalistischen Herrschaftsverhältnisse (Deppe 1999, 19ff.). Die kapitalistische Produktionsweise kann also nie für sich stehen, sondern ist historisch immer in spezifisch strukturierte Gesellschaftsformationen, d.h. in ein Ensemble unterschiedlicher, auch nicht-kapitalistischer Produktionsverhältnisse (die allerdings kapitalistisch dominiert werden) eingebettet. Die inhärenten Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise lassen aber immer nur ein relatives, ein »prozessierendes Gleichgewicht im Ungleichgewicht« (Hirsch 1990, 35) zu - die Regulation der Widersprüche bleibt damit immer instabil. Aus dieser Kritik heraus sind Ansätze zur Weiterentwicklung der Regulationstheorie bestrebt, die Neuformierung gesellschaftlicher und hegemonialer Blöcke und den Übergang zu einer neuen Gesellschaftsformation zu thematisieren. Dabei wäre Hegemonie als »das Umkämpfte und das Medium des Kampfes« selbst zu thematisieren (Haug 1985, 174). Elemente des Neuen sind u.a. die Vorherrschaft einer neoliberalen Ideologie der Deregulierung, Liberalisierung, Privatisierung, die die Kräfte des Marktes freisetzt und Wettbewerbsfähigkeit zum obersten Prinzip erhebt, die Schaffung globaler Finanz- und Kapitalmärkte, die Entwicklung transnationaler Produktionsnetzwerke, neuer Formen der Arbeit auf Basis neuer Technologien, die weitergehende Durchkapitalisierung, Kommodifizierung und technologische Durchdringung weiter Bereiche der Arbeit, des Alltags, der Umwelt und letztlich auch des Körpers und der Psyche des Menschen, der Umbau des Wohlfahrts- zum Wettbewerbsstaat, die Reorganisation der Klassen- und Geschlechterverhältnisse sowie die Fragmentierung der Gesellschaft. Durch Einbeziehung größerer sozialer Gruppen in einen »Klassenkompromiss der ›neuen Mitte‹« (bei weiterer Marginalisierung schwächerer Gruppen) werde die Hegemonie eines »embedded neo-liberalism« (van Apeldoorn 2000) auf eine breitere gesellschaftliche Basis gestellt (Candeias 2000). Eine Reihe von Autoren betont demgegenüber die fortbestehenden Inkohärenzen und Instabilitäten der neoliberalen Regulation. Sie interpretieren die Auseinandersetzung zwischen einem orthodoxen Neoliberalismus, dem Projekt einer neuen Sozialdemokratie, den Gewerkschaften und den verschiedenen Kräften der politischen Linken, schließlich auch einer globalen Bewegung, die in Seattle zum ersten Mal ihr Gesicht zeigte, als relativ offene Situation im Kampf um Hegemonie. Bislang sei es keiner Koalition gesellschaftlicher Gruppen gelungen, dem sich herausbildenden post-fordistischen Akkumulationsregime eine entsprechende Regulationsweise zur Seite zu stellen. Krisentendenzen konnten noch nicht kanalisiert, kontrolliert, Widersprüche noch nicht ausreichend bearbeitet werden. Insofern stellt sich die gegenwärtige Situation aus dieser Sicht als Fortsetzung der Krise des Fordismus dar, deren Regulationsmechanismen erodiert sind, ohne dass neue bereits etabliert werden konnten (Bischoff 1999, 49). Vor allem das Scheitern des neoliberalen Blocks, die fortgesetzten Finanzkrisen, die unterschiedlichen Modelle der Arbeitsorganisation, die Uneinheitlichkeit der Regulationsversuche, die Unklarheit über die primäre Ebene der Regulation (national, supranational, global), die geringere Profitabilität und geringeres Wachstum der Ökonomie werden als Belege angeführt. Demnach befinden wir uns noch immer in der Übergangsphase. Die Beurteilung dieser Fragen hängt nicht nur von der »objektiven« Entwicklung der realen Verhältnisse ab, sondern von den unterschiedlichen theoretischen Ansätzen, ihren Kriterien und Analyseinstrumenten. Entscheidend ist dabei zum einen, welche Niveaus der »Abstraktion und Komplexität« gewählt werden: Auf einem sehr hohen Abstraktionsniveau scheint sich überhaupt nichts zu verändern - noch immer ist die kapitalistische Produktionsweise dominant, noch immer wirken ihre bereits von Marx analysierten Widersprüche fort. Je konkreter die Analyse gefasst wird, um so schwieriger wird es, aus den einzelnen empirischen Fällen übergeordnete Faktoren und zugrundeliegende Strukturen herauszufiltern. Im Extremfall kann dann jede Art von Periodisierung hinfällig werden, da niemals die Komplexität aller in der Realität vorkommenden Momente unter ein Analyseraster zu bringen ist - es wird immer empirische Fälle oder Zusammenhänge geben, die sich nicht damit erklären lassen, schon weil die Entwicklung relativer Kontinuität dynamisch, permanenter Veränderung unterworfen ist. Nur auf einer mittleren Abstraktionsebene lässt sich überhaupt eine Abfolge von unterschiedlichen Gesellschaftsformationen des Kapitalismus thematisieren. Damit zusammenhängend ist auch entscheidend, ob Kontinuitäten oder Diskontinuitäten hervorgehoben werden. Die Übergänge von einer Phase in die nächste sind fließend. Eine Vielzahl von Momenten der fordistischen Entwicklung existiert fort: weder ist der Wohlfahrtsstaat noch das Fließband unwiderruflich Geschichte geworden. Was markiert nun die Zeitenwende? Wie werden bestimmte Entwicklungen eingeordnet: Ist z.B. die Krise des fordistischen Wohlfahrtsstaates ein Moment der Krise der Formation oder stellt der neoliberale Workfare State bereits einen entscheidenden Regulationsmodus einer neuen Formation dar? Wird die Kontinuität oder der Bruch in der gesellschaftlichen Entwicklung betont? Ein dritter Punkt der Schwierigkeiten zur Bestimmung von Kriterien der Periodisierung ist die unterschiedliche Gewichtung bestimmter Phänomene. Welches sind die entscheidenden sozialen Verhältnisse, deren Regulationsformen einer bestimmten Phase gesellschaftlicher Entwicklung ihren Stempel aufdrücken? Steht das Verhältnis von Handels- und Produktivkapital im Mittelpunkt, oder jenes von Kapital und Arbeit, oder das von Finanz- und Produktivkapital? Gibt es in jedem Akkumulationsregime eine dominante Strukturform als eine Art Achse, um die herum ein umfassenderer Regulationsmodus organisiert wird (Petit 1999), und welche wäre das heute: das Lohn-, das Konkurrenz-, oder das Geldverhältnis? Während einige Ansätze weiter die Zentralität des Kapital-Arbeitsverhältnisses postulieren, sehen andere das Verhältnis von Finanz- und Produktivkapital als dominant an. Während die Bedeutung des letzteren bei einigen Ansätzen die neue Qualität einer postfordistischen Formation markiert, ist dies für andere gerade der Beleg für strukturelle Überakkumulation und fortgesetzte Krisentendenzen. Schließlich: Wann ist ein Entsprechungsverhältnis von Akkumulationsregime und Regulationsweise kohärent und in welchem räumlichen Rahmen? Ist eine Kohärenz erst gegeben, wenn die strukturelle Erhöhung der Profitabilität des Kapitals global gewährleistet werden kann und damit seine Reproduktion ausreichend gesichert ist; oder genügt ein »angemessenes« Krisenmanagement, die Ausbildung einer Hierarchie der Profitraten und die Externalisierung von Krisentendenzen, um die Kapitalverwertung in den zentralen Bereichen der Metropolen zu sichern? Wann ist ein gesellschaftlicher Block in sich kohärent und hegemonial? Beispielsweise wenn es ihm gelingt, »sein Projekt als das der gesamten Gesellschaft darzustellen und durchzusetzen« (Lipietz 1998, 160)? Doch wie weit darf dieser gesellschaftliche Block in sich selbst widersprüchlich sein? Welche Rolle spielen dabei Klassenantagonismen und andere gesellschaftliche Widersprüche entlang der Kategorien Geschlecht, Ethnie, Nation etc.? Jessop (2001) beantwortet die Frage der Kohärenz mit einem »strategisch-relationalen Ansatz«, der »prüft, welche Akteure, Identitäten, Strategien, räumlichen und zeitlichen Horizonte eine relativ invariante Struktur vor anderen privilegiert, und [...] untersucht, wie individuelle und/oder kollektive Akteure diese Privilegierung in ihre strategischen Kontextanalysen aufnehmen [...] Sofern sich die Strukturgegebenheiten und Akteursstrategien gemeinsam entwickeln, um eine relativ invariante Ordnung hervorzubringen, können wir diese als strukturell kohärent beschreiben«. Diese sicherlich nützliche Bestimmung löst allerdings noch nicht das Problem, wann innerhalb eines dynamischen Prozesses bestimmte Grundstrukturen als relativ invariant bestimmt werden können und auf welcher Ebene der Abstraktion. Dann nutzt uns auch der Hinweis nichts, dass jede Kohärenz aus unterschiedlichen Gründen (z.B. aus den strukturellen Widersprüchen des Kapitals heraus, oder weil strategisches Handeln diskontinuierlich verläuft, sich auf veränderte Bedingungen einstellend) [1] immer nur tendenziell bestimmt werden kann. Die Frage der Periodisierung bzw. der Etablierung einer neuen Formation ist aber auch für die politische Praxis von Bedeutung. Wenn beispielsweise Jessop (2001) grundsätzlich das »Zusammenspiel von Struktur und Strategie« betont, um damit auszudrücken, dass die »kapitalistische Entwicklung innerhalb der weiten Grenzen, die die abstrakte Logik des Kapitalismus, seine strukturellen Widersprüche und strategischen Dilemmata setzen, nichtsdestotrotz offen ist«, so lassen sich u.E. aber doch Verschiebungen im Verhältnis von Struktur und Handlung erkennen: So sind die Möglichkeiten strategischen Handelns in historischen Übergangsphasen und offenen Situationen größer, als in hegemonial gefestigten Konstellationen, die dann ihre eigenen Rigiditäten und Zwänge ausbilden. Im letzteren Fall erscheinen Versuche zur grundlegenden gesellschaftlichen Veränderung kurz- bis mittelfristig illusorisch. Regierungsbeteiligungen linker Parteien beispielsweise münden dann in die zwangsvermittelte Angleichung ihrer politischen Strategien an die herrschenden Bedingungen. Sie können der Regulationsweise zwar ihren eigenen Stempel aufdrücken, entsprechende Modifikationen durchsetzen, die die gesellschaftliche Entwicklung vielleicht sogar tragfähiger gestalten, so wie es beispielsweise die sozialdemokratischen Parteien mit der Widerspruchsbearbeitung des Neoliberalismus vormachen, indem sie ihn über soziale Kompromisse auf eine breitere gesellschaftliche Basis stellen und Akzeptanz organisieren. Die herrschenden ökonomischen Strukturen und Logiken werden dabei allerdings nicht in Frage gestellt. Althusser betont zwar die Bedeutung einer Besetzung der »ideologischen Staatsapparate« zur Gewinnung der Hegemonie (1977, 122). Doch lange zuvor wies Gramsci darauf hin, dass die Bedingungen nicht allein in der »societa politica«, sondern v.a. in der »societa civile« gelegt werden müsse: »Es kann und muss eine ›politische Hegemonie‹ auch vor dem Regierungsantritt geben, und man darf nicht nur auf die durch ihn verliehene Macht und die materielle Stärke zählen« (1991ff., 102). Für gegenhegemoniale Kräfte sind in einer solchen Situation also weniger konkrete, umsetzbare Reform- oder Gesetzesvorhaben von Nöten, als vielmehr die Mobilisierung und Organisation von Widerstand und Kritik. Dies setzt voraus die theoretische Analyse der Strukturen und Handlungsbedingungen und den Entwurf möglicher Alternativen in einem langfristigen Projekt, das eher auf eine Generation, als auf wenige Legislaturperioden ausgerichtet ist. Dabei gilt es bei der Suche nach neuen Subjekten und Ansätzen solidarischer Politik Widersprüche des Neoliberalismus so zu akzentuieren, dass langfristig wieder eine Verschiebung von Kräfteverhältnissen möglich wird, um konkreten Maßnahmen eines »radikalen Reformismus« überhaupt erst wieder den notwendigen Rückhalt zu verleihen. Damit ist keine Strategie des Entweder-Oder gemeint - nicht jede Form von Regierungsbeteiligung ist per se abzulehnen, sie ist aber keineswegs ein Selbstzweck, sondern nur Mittel zum Zweck, über dessen Beschränktheit Klarheit bestehen muss - auch über die möglichen Dynamiken konformistischen Drucks des »Machbaren«, der Einrichtung in Posten und der Verteidigung von Besitzständen. Ohne eine breite soziale Bewegung wird jedes noch so gute Projekt und jede noch so wohlwollend agierende Partei an den hegemonialen Strukturen scheitern. Letztere gilt es in Frage zu stellen, ihnen von links den Boden zu entziehen, um wieder eine historisch offenere Situation herbeizuführen. Die geringere Kohärenz der neoliberalen Entwicklungsweise bietet dafür zahlreiche Anknüpfungspunkte: z.B. die Re-Regulierung der globalen Finanzmärkte und des Welthandels als Voraussetzung für die Reorganisation von Erwerbs- und Reproduktionsarbeit und mit inbegriffen der Geschlechterverhältnisse wie auch der gesellschaftlichen Naturverhältnisse. Hier zeigen sich Haarrisse oder Brüche in der hegemonialen Apparatur des Neoliberalismus. Gramsci versteht sie als Unvereinbarkeiten in den Kräfteverhältnissen, Frigga Haug verdeutlicht: »etwa wie wenn es schon zu einem Sprung im Porzellan gekommen ist, das noch hält, aber an dieser Stelle brechen muss« (1998, 86). Diese Brüche gilt es auszuweiten. Wenn es allerdings noch gar nicht zur Etablierung einer neuen Formation, einer neuen Entsprechung von Akkumulationsregime und Regulationsweise gekommen ist, die Hegemonie des Neoliberalismus nach wie vor brüchig, der Kampf um Hegemonie also nach wie vor offen ist, wie steht es dann mit den Eingriffsmöglichkeiten für eine emanzipative gesellschaftliche Praxis? Mit dieser Publikation versuchen wir erstmals eine Verständigung über die unterschiedlichen Ansätze der Linken zur Analyse und Situationsbestimmung der gegenwärtigen Entwicklung im Lichte einer möglichen neuen Gesellschaftsformation des Kapitalismus zu präsentieren - eine Art Selbstverständigung über unsere theoretischen Instrumente und unsere politisch-praktische Position also. Obwohl in allen Beiträgen mit marxistischen Analyseansätzen gearbeitet wird, entsteht daraus noch lange keine einheitliche, »kohärente« theoretische Bearbeitung der unterschiedlichen Themen. Dies ist auch gar nicht beabsichtigt. Vielmehr sollen die eigenen Analyseinstrumente in der Auseinandersetzung mit »verwandten« Ansätzen geschärft werden. Dabei konnten allerdings nicht alle entscheidenden Themen ausreichend berücksichtigt werden: vor allem Ansätze internationaler Regulation und transnationaler Hegemoniebildung, die Problematik der ökologischen Krise und gesellschaftlicher Naturverhältnisse, oder die Funktion ethnischer Differenzierungen und rassistischer Spaltungen. Auch die Analyse der Geschlechterverhältnisse oder das Verhältnis von Produk-tions- und Lebensweise konnten leider keiner eingehenderen Betrachtung unterworfen werden. Die Untersuchung dieser Themenbereiche ist um so dringlicher, als sie entscheidende Konstitutionsmomente, Widersprüche, Krisen- und Konfliktpotenziale neuer Regulationsweisen markieren. Die Fragestellung und Konzeption des Buches ging hervor aus zwei Diskussionszusammenhängen: dem Projekt »Perspektiven einer sozialistischen Moderne« und einem Workshop zur Fragestellung »Neue Formation des Kapitalismus?«, der im Oktober 2000 an der Phillips-Universität Marburg stattfand. Für die Förderung beider Projekte durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung danken die Herausgeber. Das vorliegende Buch soll dazu Anstoß geben, die Diskussions- und Verständigungsprozesse auf breiter Basis fortzusetzen. Mario Candeias / Frank Deppe (Berlin/Marburg, im Sommer 2001) Literatur
Althusser, Louis (1977): Ideologie und ideologische Staatsapparate, Hamburg.
Apeldoorn, Bastian van (2000): Transnationale Klassen und europäisches Regieren, in: Hans-Jürgen Bieling/Jochen Steinhilber, Die Konfiguration Europas, Münster.
Bieling, Hans Jürgen (1996): Wohlfahrtsstaat und europäische Integration, in: Michael Bruch/Hans Peter Krebs, Unternehmen Globus, Münster.
Bieling, Hans Jürgen (2000): Dynamiken sozialer Spaltung und Ausgrenzung, Münster.
Bischoff, Joachim (1999): Der Kapitalismus des 21. Jahrhunderts. Systemkrise oder Rückkehr zur Prosperität? Hamburg.
Candeias, Mario (2000): Der Neoliberalismus als neue Entwicklungsweise des Kapitalismus, in: Supplement der Zeitschrift Sozialismus, Heft 5/2000, 20-37.
Deppe, Frank (1999): Politisches Denken im 20. Jahrhundert. Die Anfänge, Hamburg.
Demirovic, Alex (1992): Regulation und Hegemonie, in: ders., Hans-Peter Krebs u. Thomas Sablowski (Hrsg.): Hegemonie und Staat. Kapitalistische Regulation als Projekt und Prozess, Münster 1992, 128-57.
Gramsci, Antonio (1991ff.): Gefängnishefte, Hamburg/Berlin.
Haug, Frigga (1998): Gramsci und die Produktion des Begehrens, in: Psychologie und Gesellschaftskritik, Nr. 86/87, 22. Jg., 75-92.
Haug, Wolfgang Fritz (1985): Pluraler Marxismus, Bd. 1, Berlin.
Hirsch, Joachim (1990): Kapitalismus ohne Alternative? Hamburg.
Jessop, Bob (2001): Nach dem Fordismus. Zum Zusammenspiel von Struktur und Strategie, in: Das Argument 239, 43. Jg., 9-22.
Lipietz, Alain (1998): Nach dem Ende des »Goldenen Zeitalters«, Hamburg/Berlin.
Petit, P., 1999: Structural Forms and Growth Regimes of the Post-Fordist Era, in: Review of Social Economy, 66 (2), 220-243.
Röttger, Bernd (1997): Neoliberale Globalisierung und eurokapitalistische Regulation, Münster. Anmerkung
[1] Alle Versuche, ein politisches Programm eins zu eins in ein politisches oder gar hegemoniales gesellschaftliches Projekt zu übersetzen, müssen von vornherein scheitern - es gibt keine gesellschaftliche Entwicklung nach vorab formulierten Blaupausen. Dies gilt auch für das Programm eines orthodox-akademischen Neoliberalismus. Dies wahrscheinlich schon nicht mehr für das weitere Existieren eines politischen oder besser »hegemonialen Projekts« des Neoliberalismus.

Inhalt:

Vorwort
Welcher Kapitalismus?

Positionsbestimmungen im Postfordismus


Bob Jessop
Kritischer Realismus, Marxismus und Regulation
Zu den Grundlagen der Regulationstheorie
Joachim Hirsch
Weshalb Periodisierung?
Frank Deppe
Neue Formation - neue Epoche - neue Politik?
Anmerkungen zu einer offenen Debatte
Erik Borg
Hegemonie der Globalisierung?
Kritische Überlegungen zum Hegemoniebegriff der Regulationstheorie

Finanzregime und Betriebsweise


Klaus Dörre
Gibt es ein nachfordistisches Produktionsmodell?
Managementprinzipien, Firmenorganisation und Arbeitsbeziehungen im flexiblen Kapitalismus
Joachim Bischoff / Richard Detje
Finanzgetriebenes Akkumulationsregime oder neue Ökonomie?
Thomas Sablowski / Sabah Alnasseri
Auf dem Weg zu einem finanz-getriebenen Akkumulationsregime?
Mario Candeias
Arbeit, Hochtechnologie und Hegemonie im Neoliberalismus
Wolfgang Fritz Haug
Warenästhetik im Zeitalter des digitalisierten Scheins

Kämpfe um Hegemonie


Susan George
Den Krieg der Ideen gewinnen
Lektionen der gramscianischen Rechten
Hans-Jürgen Bieling
Transnationale Vergesellschaftung und die »neue Sozialdemokratie«
Ariane Brenssell / Friederike Habermann
Von Keksen und KapitalismusIntervention gegen ›männlichen‹ Universalismus in Theorien zum Neoliberalismus
Christian Brütt
»Neoliberalismus plus«
Re-Kommodifizierung im aktivierenden Sozialstaat

Autorenreferenz

Sabah Alnasseri ist Promovend der Rosa Luxemburg Stiftung an der Universität Frankfurt / Main. Hans-Jürgen Bieling ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Marburg. Joachim Bischoff ist Redakteur der Zeitschrift Sozialismus, Hamburg. Erik Borg ist Promovend an der Universität Gesamthochschule Kassel. Ariane Brenssell ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fachhochschule Bielefeld. Christian Brütt ist Redakteur der Zeitschrift Arranca der Organisation FelS (Für eine linke Strömung). Mario Candeias ist Redakteur des Historisch-kritischen Wörterbuchs des Marxismus und der Zeitschrift Das Argument. Frank Deppe ist Professor für Politikwissenschaften an der Philipps-Universität Marburg. Richard Detje ist Redakteur der Zeitschrift Sozialismus, Hamburg. Klaus Dörre ist Direktor des Forschungsinstituts für Arbeiterbildung an der Ruhr-Universität Bochum in Recklinghausen. Susan George ist Direktorin des Transnational Institute in Amsterdam und Vizepräsidentin von ATTAC Frankreich. Ihr Beitrag wurde von Mario Candeias aus dem Englischen übersetzt. Friederike Habermann ist ist Doktorandin der Rosa Luxemburg Stiftung an der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg. Wolfgang Fritz Haug ist Professor am Philosophischen Institut der Freien Universität Berlin und Herausgeber der Zeitschrift Das Argument. Bob Jessop ist Professor für Soziologie an der Universität Lancaster. Sein Beitrag wurde von Mario Candeias aus dem Englischen übersetzt. Thomas Sablowski ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB).

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