Die Privatisierung der Welt
Hintergründe, Folgen, Gegenstrategien
Reader des wissenschaftlichen Beirats von Attac
220 Seiten | 2004 | EUR 14.80 | sFr 26.60
ISBN 3-89965-109-X 1
Titel nicht lieferbar!
Kurztext: Die AutorInnen dieses Buches, das der wissenschaftliche Beirat von Attac Deutschland herausgibt, analysieren die Hintergründe, Formen und Folgen der Privatisierung und des Kampfes für den Erhalt und die Festigung der öffentlichen Güter.
Die Privatisierung der Welt ist die Hauptlinie der neoliberalen Strategie gegen den Sozialstaat. Sie entzieht immer mehr Bereiche des Lebens einer demokratischen Gestaltung und unterwirft sie dem Diktat der Rentabilität und dem Recht des Stärkeren. Nach Strom, Gas, Telefon und Eisenbahnen stehen jetzt auch Kernbereiche öffentlicher Daseinsvorsorge wie Bildung, Gesundheit und Alterssicherung, ja die Natur selbst zur Privatisierung an. Am Ende wird sogar die Politik privatisiert. Was bleibt, sind Macht, Korruption und soziale Polarisierung.
Gegen diese Tendenzen und Aussichten hat sich in den letzten Jahren aber auch Widerstand in allen Teilen der Welt entwickelt. Sein Ziel ist es, die Räume demokratischer Gestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft zurück zu erobern, zu sichern und auszuweiten. Dies geht nicht ohne starke soziale Bewegungen gegen die Kräfte, die die Welt zur Ware machen wollen.
Leseprobe 1
Jörg Huffschmid
Erdumfassend und porentief: die Privatisierung der Welt
Eine Einführung
Seit einem Vierteljahrhundert rollt eine Privatisierungswelle um die Erde. Sie erreicht alle Weltgegenden und dringt in sämtliche Bereiche des Lebens ein (vgl. die Überblicke bei Mandell 2002, Felder 2003, Wright 1994, Megginson/Netter 2001, OECD 2004). Sie begann in Westeuropa als Re-Privatisierung von Industrieunternehmen, die nach dem Zweiten Weltkrieg verstaatlicht worden waren. In Lateinamerika mussten Regierungen Anfang der 1980er Jahre staatliche Unternehmen verkaufen, um die Forderungen ausländischer Kreditgeber zu bedienen. Anschließend fand auch die heimische Bourgeoisie Gefallen an der Aneignung öffentlicher Unternehmen zur privaten Bereicherung. In Afrika kamen die Kolonialherren in Form transnationaler Konzerne zurück und bemächtigten sich der nationalen Öl- und anderer Rohstoffquellen. Der Zusammenbruch der sozialistischen Versuche in Osteuropa und der Sowjetunion löste die größte Privatisierungswelle in der Geschichte der Menschheit aus. Sogar in den USA gibt es noch etwas zu privatisieren: Die großen Finanzkonzerne wollen die bescheidene staatliche Rentenversicherung übernehmen.
Der territorialen Ausdehnung folgt die Eroberung in die Tiefe. Auch hier handelt es sich zunächst um Rückeroberung: Privatisierung fand vor allem bei Industrieunternehmen statt, die sich schon einmal in Privateigentum befunden hatten. Mit der Verstaatlichung, überwiegend nach dem Zweiten Weltkrieg, wollten die Regierungen teilweise jene Gruppen treffen, die mit dem Faschismus kooperiert hatten. Andere sollten durch Verstaatlichung in der Nachkriegszeit vor dem Bankrott bewahrt werden. In den meisten Fällen ging es aber darum, industrielle und finanzielle Kommandohöhen zu besetzen, die eine strategische politische Steuerung der Wirtschaft erlauben. Diese Konzeption hielt dem Druck der Privateigentümer nicht lange stand. Der staatliche Industriebesitz ist mittlerweile weitgehend verkauft, einschließlich der riesigen italienischen und spanischen Industrieholdings ENI und INI, die während des Faschismus geschaffen worden waren. Mittlerweile operieren auch die großen Infrastrukturdienste – Versorgungsunternehmen, Verkehrs- und Kommunikationsnetze – fast ausnahmslos als private Aktiengesellschaften, die sich zum überwiegenden Teil in privatem Besitz befinden. (Vgl. ÖGPP 2003) Die öffentliche Wasserversorgung steht unter heftiger Attacke. Der Blick der Unternehmen geht jedoch weiter. Er richtet sich auf die Besetzung von kulturellen und sozialen Diensten, die bis vor kurzem eine unbestrittene Domäne staatlicher Tätigkeit waren: Bildung, Gesundheit, soziale Sicherheit. Selbst Kernbereiche staatlicher Hoheitsgewalt wie der Betrieb von Gefängnissen oder die Durchführung militärischer Operationen werden zunehmend im öffentlichen Auftrag von privaten Unternehmen durchgeführt. Nicht minder weit reichende Ambitionen richten sich auf Teile der Natur, für die noch gar keine Eigentumstitel bestehen, weder private noch öffentliche: Gene, Tiere und Gebräuche, deren Aneignung und Nutzung private Gewinne versprechen. Marktregulierung und Privatisierung umspannen nicht nur die gesamte Erde, sie dringt auch in alle Poren des Lebens ein.
Für diese Wucht der Privatisierungswelle gibt es mehrere Ursachen. Erstens werden mit fortschreitender Kapitalisierung der Welt die Wachstums- und Verwertungsfelder für private Unternehmen knapper. Die Öffnung von Bereichen, die bisher der öffentlichen Versorgung vorbehalten waren, ist ein attraktiver Ausweg aus dieser Lage. Er wird deshalb gangbar, weil, zweitens, viele Regierungen und Kommunen durch die Politik der Steuersenkungen in massive finanzielle Not geraten sind. Der Verkauf öffentlicher Unternehmen oder die Übertragung öffentlicher Dienstleistungen an Private erscheint als günstige Gelegenheit, die öffentlichen Haushalte zu entlasten. Die Steuerpolitik hat vor allem die oberen Einkommensschichten begünstigt. Diese können nun als private Investoren tätig werden und die gesparten Steuern in die Dienstleistungen stecken, die nicht mehr in öffentlicher Regie angeboten werden. Größere Widerstände gegen Privatisierungen haben sich drittens deshalb nicht entwickelt, weil die Leistungen staatlicher Unternehmen und Verwaltungen vielfach ineffizient organisiert waren, in bürokratischen Strukturen verabreicht wurden und deshalb unattraktiv für die Menschen waren. Dies verleiht viertens der ideologischen Propaganda des Neoliberalismus einen Anschein von Plausibilität, dass Privateigentum dem öffentlichen Eigentum grundsätzlich überlegen sei – auch wenn es um die Durchsetzung des Gemeinwohls geht.
Wenn Regierungen Industrieunternehmen privatisieren, entfällt für diese damit in der Regel ein öffentlicher Auftrag. Die Konzeption einer wirtschaftspolitischen Steuerung durch strategisch wichtige öffentliche Unternehmen ist dem Verdikt des Neoliberalismus zum Opfer gefallen: Der Staat könne nicht wissen und dürfe nicht festlegen, in welche Richtung sich die Wirtschaft entwickeln solle. Das könne nur der Markt wissen und entscheiden.
Bei der Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen ist das anders. Hier steht die Behauptung im Vordergrund, die Steuerung durch Privateigentum und Konkurrenz könne den – insgesamt nicht bestrittenen – öffentlichen Auftrag – der meistens in der zuverlässigen, flächendeckenden und erschwinglichen Versorgung besteht – besser erfüllen als ein öffentliches Unternehmen. Um die Qualität von so genannten Universaldiensten durch private Unternehmen abzusichern, verbinden Regierungen die Privatisierung in der Regel mit Auflagen und/oder detaillierten Verträgen. Zu ihrer Überwachung und Kontrolle dienen Regulierungsbehörden. Dies ist beispielsweise für die Telekommunikation, die Post, die Bahn geschehen und soll die privaten Eigentümer zwingen, sich entsprechend dem öffentlichen Auftrag zu verhalten. Kontrolle und Überwachung sind jedoch außerordentlich schwierige und vielfach unlösbare Aufgaben. (Vgl. Thatcher 2001, Manzetti 1997) Private Unternehmen versuchen immer, die Spannung zwischen dem Streben nach höheren Gewinnen und der Verpflichtung zu Gemeinwohlleistungen zu Gunsten ersterer aufzulösen. Dazu sind sie – zumindest nach einer gewissen Übergangszeit – regelmäßig in der Lage. Gründe hierfür liegen in ihren Informationsvorsprüngen, ihrer technischen Überlegenheit und ihrer Fähigkeit, qualifiziertes Personal leichter einkaufen, weil besser bezahlen zu können. Eine tatsächlich wirksame langfristige Überwachung und Kontrolle würde einen Aufwand erfordern, der die finanziellen Vorteile der Privatisierung für die öffentlichen Haushalte aufzehren würde.
Von der Rückeroberung zur Vorwärtsstrategie
Hinter den unmittelbar treibenden ökonomischen Motiven der Privatisierungswelle steckt eine weiter reichende Perspektive. Es ist die Roll-back- und New Frontier-Agenda des Neoliberalismus. Das Roll-back richtet sich auf die Rückeroberung verloren gegangenen Terrains, die New Frontier-Politik auf den Vorstoß in neue Dimensionen der Herrschaft. Zum einen geht es um die Rücknahme der – bescheidenen, aber dennoch wichtigen – Fortschritte an sozialer, politischer und individueller Emanzipation, die in der bürgerlichen Gesellschaft durchgesetzt worden waren und der Hemmungs- und Rücksichtslosigkeit der Märkte und des Geldes Grenzen gesetzt und sich insbesondere in den sozialen und demokratischen Reformen der 1950er und 1960er Jahre niedergeschlagen hatten. Die Gegenreform begann mit der Zerstörung des Systems von Bretton Woods. An die Stelle des kollektiven Managements des Weltwährungssystems trat die hemmungslose Konkurrenz. Ihr wichtigstes Feld sind die internationalen Finanzmärkte. Deren führende Akteure machen Vorgaben für das Management großer Unternehmen, und sie können Regierungen in aller Welt unter Druck setzen. Der erste große Erfolg der neoliberalen Gegenreform war die Neuordnung der Nord-Süd-Beziehungen. Der Aufbruch in eine neue Internationale Weltwirtschaftsordnung (NIWO) wurde für die Mehrzahl der Entwicklungsländer gestoppt, ehe er sich richtig entfalten konnte. Statt Entwicklung zu organisieren, wurden sie in tiefe Verschuldung getrieben. Der Notverkauf staatlichen Vermögens brachte sie um die Möglichkeiten, ihre Entwicklung eigenständig zu gestalten. Stattdessen gerieten sie unter das Diktat des "Konsens von Washington". Der Zusammenbruch der Sowjetunion und fast aller sozialistischen Länder war ein Glücksfall für die neoliberale Strategie. Sie konnte fortan alle Beißhemmungen ablegen und tat dies auch. Die Gegenreform gewann auch in Westeuropa an Wucht. Privatisierung war dabei ein zentrales, aber nicht das einzige Element. Andere Elemente der gleichen Strategie sind die Auflösung sozialer Sicherheit, die Verunsicherung und Einschüchterung der Menschen. All dies wird mit großer Intensität, teilweise mit Besessenheit, betrieben. Die Sozialdemokratie mag sich in einem tragischen Irrtum über die Folgen einer solchen Politik befinden. Man kann aber davon ausgehen, dass die politischen und wissenschaftlichen Scharfmacher wissen, was sie tun. Sie wissen, dass ihre Politik im Gegensatz zu ihren Erklärungen keine Arbeitsplätze schafft und die gesamtwirtschaftliche Entwicklung blockiert. Wenn sie dennoch noch scharfen Sozialabbau fordern, deutet dies auf andere Absichten. Sie zielen darauf, den sozialen Zusammenhalt zu zerstören, der Menschen frei und selbstbewusst macht, weil sie nicht von existenzieller Unsicherheit bedroht sind. Sie dient dazu, Klassenherrschaft zu zementieren, die unteren Klassen zu schwächen und die oberen zu stärken.
In diesem Prozess der Rückeroberung alter und des Vorstoßes in neue Dimensionen der Klassenherrschaft werden die Begriffe "Gemeinwohl" und "öffentliche Güter" erst ausgedünnt und dann umgedreht. Ausdünnung findet dadurch statt, dass die Kompetenz der Politik für die Steuerung der ökonomischen und gesellschaftlichen Reproduktion radikal bestritten wird. Politik ist für nichts mehr zuständig: zunächst nur nicht für die Automobilindustrie, dann auch nicht für die Energiewirtschaft, die Biotechnologie, die Forschung, Bildung, am Ende auch nicht mehr für Kultur und soziale Sicherheit. Als einziges öffentliches Gut bleibt der Auftrag, all das zu beseitigen, was dem Herrschaftsanspruch der Privateigentümer im Wege steht. Damit ist die Perversion perfekt: Aus einem Konzept zur Beschränkung wird ein Auftrag zur Sicherung der Herrschaft des Privateigentums.
Hindernisse und Widerstände
Aber das Konzept stößt auf Hindernisse. Der Neoliberalismus kommt nicht vollständig durch, trotz aller Erfolge, trotz des Zusammenbruchs des Sozialismus und trotz der Niederlagen der Linken und fortschreitenden Sozial- und Demokratieabbaus. Die Versprechen, durch Marktöffnung, Deregulierung und Privatisierung die Tür zu Entwicklung und Wohlstand für alle aufzustoßen, werden nicht eingehalten. Dies zeigt sich immer deutlicher und schafft Enttäuschung bei vielen Menschen. Nicht nur das: Es zeigt sich auch, dass die Versprechen anscheinend gar nicht ernst gemeint waren. Sonst würde die Politik ja korrigiert. Dass dies nicht der Fall ist, lässt Enttäuschung bei vielen zu Erbitterung werden. Sie äußert sich in vielen Ländern und in verschiedenen Formen. Die Verteidigung der öffentlichen Wasserversorgung vor dem Zugriff der Konzerne bildet vielerorts einen Knotenpunkt des Widerstandes. Die Privatisierung von kommunalen Krankenhäusern stößt auf breite Ablehnung in der Bevölkerung. Bauern in Indien und anderen Entwicklungsländern kämpfen gegen die Vernichtung ihrer bäuerlichen Existenz durch die Saatgut- und Düngemittelstrategien der großen Konzerne. Das Fiasko der privatisierten englischen Eisenbahn hat die Regierung veranlasst, den Betrieb des Gleiskörpers der privatwirtschaftlichen Verwertung wieder zu entziehen. In Frankreich sind Kommunen gegen die Wasserkonzerne erfolgreich gewesen und haben sie aus der Wasserversorgung verdrängt. Auf kommunalen, nationalen, kontinentalen Sozialforen und den Weltsozialforen ist Privatisierung als ein Kernelement der neoliberalen Roll-back und New Frontier-Strategie des Neoliberalismus Gegenstand der Diskussion und des Erfahrungsaustausches. Die GATS-Verhandlungen zur Öffnung von Dienstleistungsmärkten stehen im Zentrum der Kritik. Hieraus gewinnen diejenigen, die Widerstand leisten, Kraft, Selbstbewusstsein und neue Ideen. Die Erfahrung, dass Privatisierung, Deregulierung und Marktöffnung auf der einen, Sozialabbau, Einschüchterung und Aggressivität nach innen und außen auf der anderen Seite verschiedene Seiten einer Strategie sind, fördert die Bereitschaft zur Zusammenarbeit bei Bewegungen, die hiervon in verschiedener Weise und Intensität betroffen sind. Im Frühjahr 2004 haben mehrere Millionen Menschen in 26 europäischen Städten gegen die Politik des Neoliberalismus demonstriert. Dass dabei Gewerkschaften, kirchliche, entwicklungs- und umweltpolitische Gruppen, kommunale Basisbewegungen und nationale Netzwerke zusammen auf die Straße gegangen sind, macht Mut.
Perspektive der Widerstands: Demokratische Steuerung und ein starker öffentlicher Sektor
Es macht Mut, aber es ist noch kein Durchbruch. Das gesellschaftliche Klima hat sich etwas, das Kräfteverhältnis allerdings noch nicht verändert. Der Vormarsch des Neoliberalismus ist nicht gestoppt, seine weitere Verstärkung nicht ausgeschlossen. Das wird sich erst ändern, wenn Protest und Widerstand es schaffen, überzeugende Antworten auf die Frage zu geben, wie die Alternativen zur Herrschaft der Privateigentümer aussehen können. Die Einsicht in die Möglichkeit solcher Alternativen kann zusätzliche Energien für ihre Verwirklichung mobilisieren.
Alternative Konzepte laufen darauf hinaus, neben der auf Privateigentum gegründeten und auf Gewinnerzielung gerichteten Marktorganisation andere Formen der Produktion, der Verteilung und Nutzung von Gütern und Dienstleistungen durchzusetzen: genossenschaftlichen Wohnungsbau, kommunale Energieversorgung, gesamtstaatliche Sozialpolitik oder gesamteuropäische Eisenbahn- und Kommunikationsverbindungen. Dabei sollte es sich nicht um seltene Ausnahmen von der alles andere überragenden Regel privater Marktregulierung handeln, sondern um Alternativen, die gleichberechtigt neben die kapitalistischer Organisation treten. Es besteht Platz für Selbstorganisation in Form von Genossenschaften oder auch Tauschringen. Zentralen Stellenwert haben aber die öffentlichen Güter. Sie spiegeln den Grad wider, in dem die objektiv vorhandene Verflechtung und Arbeitsteilung und die Produktivität der Arbeit bewusst wahrgenommen und gemeinsam zur Verbesserung des gesellschaftlichen Lebensstandards genutzt werden. Ein dem Stand der Möglichkeiten entsprechendes Konzept öffentlicher Güter kann sich nicht darauf beschränken, in standardisierter Form einen Grundbedarf für alle zu decken, der zur Führung eines selbständigen Lebens gerade ausreicht. Der Ehrgeiz sollte weiter gehen. Er sollte sich darauf richten, dass den Menschen ein hochwertiges und differenziertes Angebot an Dienstleistungen für Kommunikation, Bildung, Kultur und die soziale Sicherung in verschiedenen Lebenslagen zur Verfügung steht. Ein Teil dieses Angebots kann sicher über den Markt bezogen und in kapitalistischen Unternehmen erbracht werden. Ein anderer Teil wird sich marktlicher Bereitstellungsmechanismen bedienen, ohne dass die private Gewinnmaximierung eine Rolle spielt. Politik hat durch entsprechende Steuerung der Einkommensverteilung dafür zu sorgen, dass den Menschen genügend Spielraum bleibt, diese Angebote auch zu nutzen. Garantierte Mindesteinkommen und großzügige monetäre Grundsicherungen spielen dabei die zentrale Rolle. Ein großer Teil hochwertiger Dienstleistungen wird aber weder von privaten Unternehmen noch über den Markt angeboten, sondern von öffentlichen Unternehmen, Einrichtungen, Verwaltungen erbracht und steht allen zur Verfügung. Es ist möglich und nötig, die Schulbildung massiv zu verbessern und gleichzeitig die Schulgeldfreiheit auszuweiten. Es ist möglich und nötig, die Ausstattung und Qualität der universitären Ausbildung zu verbessern, ohne Studiengebühren einzuführen. Soziale Sicherheit kann für alle durch ein öffentliches Umlagesystem mit gerechter Beitragsgestaltung und eine großzügige Grundsicherung auch bei einer veränderten Altersstruktur der Gesellschaft gewährleistet werden. Warum sollten öffentliche Theater, der Nahverkehr und öffentliche Telefoneinrichtungen den BürgerInnen nicht ohne zusätzliche – d.h. über die von ihnen gezahlten Steuern hinausgehende – Gebühren zur Verfügung stehen? Warum kann die Gesellschaft nicht dafür sorgen, dass ihre produktiven Möglichkeiten allen Mitgliedern zugute kommen? Hierauf gibt es zwei Antworten: Zum einen schöpft die Gesellschaft ihre produktiven Möglichkeiten nicht aus, sondern toleriert hohe Arbeitslosigkeit. Zum anderen sorgt die Verteilung von Einkommen und Vermögen für öffentliche Armut inmitten privaten Reichtums. Massenarbeitslosigkeit und ungerechte Einkommens- und Vermögensverteilung sind die sozialen Hauptprobleme der Gesellschaft, und die Besessenheit, mit der die Privatisierung vorangetrieben wird, verstärkt diese Probleme.
Die Perspektive des Kampfes gegen die Unterwerfung unter das Diktat des privaten Gewinns weist über einen Abwehrkampf hinaus, auch wenn dieser oft genug unmittelbar im Vordergrund steht. Sie richtet sich auf eine umfassendere Neuordnung der Wirtschaft. Ihre Kenpunkte sind Vollbeschäftigung, soziale Gerechtigkeit und demokratische Steuerung. In diesem Konzept spielt ein starker, moderner und vielfältiger öffentlicher Sektor eine wesentliche Rolle.
Literatur
Mandell, Betty Reid (2002), The Privatization of Everything, New Politics, vol. 9 (ns) no 1.
Manzetti, Luigi (1997), Privatization and Regulation: Lessons from Argentina and Chile, in: The North-South Centre of the University of Miami, The North-South Agenda, Papers, no. 24, Miami.
Megginson, William L./Jeffrey M. Netter (2001), From State to Market. A Survey of Empirical Studies on Privatization, Journal of Economic Literature, Vol. XXXIX (June 2001) S. 321-389.
OECD (2004), Privatising State-Owned Enterprises. An Overview of Policies and Practices in OECD Countries, Paris.
Reimon, Michael/Christian Felber (2003), Schwarzbuch Privatisierung. Was opfern wir dem freien Markt? Wien.
ÖGPP, Österreichische Gesellschaft für Politikberatung und Politikentwicklung (2003), Privatisierung und Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen in der EU. Ein Überblick über den Stand der Privatisierung und Liberalisierung von öffentlichen Dienstleistungen in den 15 Mitgliedstaaten der EU, Wien.
Thatcher, Mark (2001), Delegation to Independent Regulatory Agencies: Pressures, Functions and Contextual Mediation, West European Politics, Vol. 25 (January 2002), S. 125-147.
Wright, Vincent (Hrsg.) (1994), Privatization in Western Europe. Pressures, Problems and Paradoxes, London.
Inhalt:
Jörg Huffschmid
Erdumfassend und porentief: die Privatisierung der Welt
Eine Einführung (Leseprobe)
1. Hintergründe, Folgen, Kritik der Privatisierung
Alessandro Pelizzari
"Besser, billiger, bürgernäher"?
Privatisierungspolitik und ihre Hintergründe
Thomas Sablowski
Privatisierung und Kapitalakkumulation
Christian Zeller
Von der Verteidigung öffentlicher Dienste zur gesellschaftlichen Aneignung
Werner Rügemer
Privatisierung in Deutschland – eine Zwischenbilanz
Roland Atzmüller / Christoph Hermann
Auswirkungen der Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen auf Beschäftigung, Arbeitsbedingungen und Arbeitsbeziehungen
Elmar Altvater
Korruption bei der Privatisierung öffentlicher Güter
Uwe Hoering
Trojanisches Pferd
Public-Private Partnership und Privatisierung
Birgit Mahnkopf
Wider die Privatisierung öffentlicher Güter oder: Warum die soziale Demokratie das erste Opfer der Privatisierung wird
Roland Roth / Heike Walk
Der Ausverkauf der Politik – neue Herausforderungen für globale soziale Bewegungen
2. Bereiche der Privatisierung
Privatisierung der Politik
Hartwig Hummel
Privatisierung der Weltpolitik: Reformbündnisse oder Elitenkartelle?
Hans-Jürgen Krysmanski
Privatisierung der Macht
Privatisierung der Natur
Ulrich Brand
Nachhaltigkeit in der neoliberal-neoimperialen Globalisierung
Nicht nur der "Rio-Prozess" fördert die Kommerzialisierung der Natur
Michael Schneider
Die Privatisierung des Genpools oder: Hat der achte Schöpfungstag begonnen?
Fiktives Streitgespräch zwischen Craig Venter und Erwin Chargaff
Privatisierung der Bildung
Jürgen Klausenitzer
Thesen zu Rationalisierung und Privatisierung im Bildungsbereich
Für einen erweiterten Privatisierungsbegriff
Jan Fries / David Balmert
Wie zukunftsfähig ist die Privatisierung von Bildung?
Ingrid Lohmann
EHEA-Testgelände
Universität, Technologie und Bildungsmarkt
Privatisierung von Wasser
Barbara Dickhaus
"Lifeline" versus "cut offs"
Privatisierung und Kommerzialisierung der Wasserversorgung in Südafrika
Philipp Terhorst
Die Suche nach Alternativen zur Wasserprivatisierung
Privatisierung des Sozialen
Stephan Lindner
Privatisierung der Rentensysteme: Mehr Unsicherheit für die Alten, mehr Gewinne für die Finanzkonzerne
Albert Rappo / Isidor Wallimann
Auswüchse der Privatisierung in der Sozialen Arbeit: New Public Management, KonsumentInnen ohne Wahl und privatisierte Herrschaft
Wilhelm Rühl
Auf dem Weg zur Privatisierung von Sparkassen und öffentlichen Banken
Autorinnen und Autoren
Autorenreferenz
Elmar Altvater, Otto Suhr Institut für Politische Wissenschaft, Freie Universität Berlin. Redaktionsmitglied der Zeitschrift PROKLA, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von Attac. Roland Atzmüller, Politologe, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA) in Wien. David Balmert, Student der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Bremen und in der bündischen Jugend tätig. Ulrich Brand, Dr. phil, wissenschaftlicher Assistent am Fachgebiet "Globalisierung & Politik" der Universität Kassel, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats u.a. in der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO). Barbara Dickhaus, Diplomgeografin, Master in Development Management. Sie ist Projektreferentin bei WEED (World Economy, Ecology and Development) in Berlin und arbeitet dort im Themenbereich Welthandelspolitik zu WTO und GATS. Jan Fries, Student der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Bremen, bildungspolitisch aktiv im Studierendenrat und bei den GRÜNEN. Christoph Hermann, Politologe, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA) in Wien. Uwe Hoering, Dr., freiberuflicher Journalist und Fachautor, Bonn, Arbeitsschwerpunkte deutsche und internationale Entwicklungspolitik. Jörg Huffschmid, Professor für Politische Ökonomie und Wirtschaftspolitik an der Universität Bremen, Mitglied der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik und des wissenschaftlichen Beirats von Attac. Hartwig Hummel, Prof. Dr., lehrt Europapolitik und Internationale Beziehungen an der Universität Düsseldorf und ist Vorstandsvorsitzender von WEED, einer globalisierungskritischen NGO. Jürgen Klausenitzer, Dipl. Päd., ehemaliger Lehrer und Berater für Bildungsplanung, publizistische Arbeiten u.a. für Widersprüche, express, links-netz.de, ak, die Deutsche Schule. Hans-Jürgen Krysmanski, emeritierter Professor für Soziologie an der Universität Münster. Stephan Lindner, Diplompolitologe in Berlin, aktiv in der EU-AG von Attac Deutschland. Ingrid Lohmann, Prof. Dr., lehrt Historische Bildungsforschung an der Universität Hamburg. Birgit Mahnkopf, Dr. rer. pol. habil., Professorin für Europäische Gesellschaftspolitik an der Fachhochschule für Wirtschaft Berlin, Vorsitzende der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler e.V. (VDW). Alessandro Pelizzari, Soziologe und Forschungsassistent am Departement Sozialarbeit und Sozialpolitik der Universität Freiburg (Schweiz) sowie Sekretär von Attac Schweiz. Alberto Rappo, Dipl. Sozialarbeiter, Basel. Roland Roth, Prof. Dr. phil., Politikwissenschaftler, Hochschullehrer am Fachbereich Sozial- und Gesundheitswesen der Hochschule Magdeburg-Stendal (FH). Ko-Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie (Köln). Werner Rügemer, Dr., Publizist, Lehrbeauftragter an der Universität Köln. Wilhelm Rühl, Diplom-Volkswirt, langjährige Lehrtätigkeit an privaten und öffentlichen kaufmännischen Berufs- und Berufsfachschulen, über 20 Jahre SPD-Kommunalpolitiker in NRW, aktiv bei Attac und BUND. Thomas Sablowski, Dr., freiberuflicher Sozialwissenschaftler, Lehrbeauftragter an der Universität Kassel, Mitglied der Arbeitsgruppe "Wissen, Produktionssysteme und Arbeit" am Wissenschaftszentrum Berlin und Redaktionsmitglied der Zeitschrift "Prokla". Michael Schneider, Prof. Dr., Romancier und Essayist, lehrt an der Filmakademie Baden-Württemberg im Fachbereich Drehbuch. Sein letzter Roman "Der Traum der Vernunft. Roman eines deutschen Jakobiners". Philipp Terhorst promoviert zur Zeit an der Loughborough University, England, wo er soziale Bewegungen ums Wasser untersucht. Heike Walk, Dr. phil., Politikwissenschaftlerin am Zentrum Technik und Gesellschaft der Technischen Universität Berlin. Ko-Leiterin der interdisziplinären Nachwuchsgruppe Global Governance und Klimawandel. Isidor Wallimann, Prof. Dr., Hochschule für Pädagogik und Soziale Arbeit, Basel. Christian Zeller, Oberassistent am Geographischen Institut der Universität Bern, Mitorganisator des jährlichen Attac-Kongresses "Das Andere Davos" in Zürich.