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Ulrich Heyder / Ulrich Menzel / Bernd Rebe (Hrsg.)

Das Land verändert?

Rot-grüne Politik zwischen Interessenbalancen und Modernisierungsdynamik

200 Seiten | 2002 | EUR 16.00 | sFr 28.70
ISBN 3-87975-868-9

 

Das politische System der Bundesrepublik Deutschland erlebte als Ergebnis der Bundestagswahlen 1998 eine Art Doppelrevolution. Zum ersten Mal in ihrer fast 50jährigen Geschichte wurde eine Regierung durch Wahlen abgelöst und auf ein 16jähriges konservatives Regiment folgte die erste rot-grüne Bundesregierung. Diese trat mit dem Anspruch an, den »Reformstau« aufzulösen, das Land zu »modernisieren« und die Basis für soziale Gerechtigkeit zu verbreitern.

Ist das Land nach den selbst gesetzten Zielvorgaben von Rot-grün verändert worden? Sind die Ursprungsziele durchgehalten oder ist die rot-grüne Politik auf ihrem Wege abgelenkt worden? Welche Bilanz und Perspektiven weist das Geleistete auf?

In diesem Buch versuchen 13 Autoren aus Wissenschaft und Politik, auf wichtigen Gebieten der Regierungsarbeit eine kritische Bilanz zu ziehen. In Stichworten: Orientierung und Stil der Regierungsarbeit, programmatische Grundlagen der Reformpolitik, die wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Modernisierungskonzepte, die Modernisierung des Sozialstaates, des Gesundheitswesens und die ökologische Modernisierung, die Kultur- und Bildungspolitik, die neue Agrar- und Verbraucherpolitik, die Zuwanderungspolitik sowie das Bemühen um die Vollendung der deutschen Einheit. Die außenpolitische Bilanz wird sichtbar in Beiträgen zu Deutschlands Rolle in der neuen Weltordnung, zur internationalen Sicherheitspolitik und den deutsch-amerikanischen Beziehungen.

Letztlich geht es im Vorfeld der Bundestagswahlen 2002 auch um die Frage, ob das rot-grüne Projekt im Wettbewerb mit der Herausforderung durch den neuen Konservatismus fortsetzungsfähig ist.

Leseprobe 1

Einleitung


Vier Jahre rot-grünes Regiment - hat sich das Land verändert? »Politikwechsel« lautete die Formel für den Wahlsieg von 1998, und entsprechend hoch waren die Erwartungen nach der Wahl. Ein »dritter Weg«, gestützt auf eine »neue Mitte« aktiver Bürgerschichten, sollte den Reformstau überwinden und eine gesellschaftliche Dynamik einleiten, mit der die großen Probleme der Arbeitslosigkeit, der Umweltbelastung und des Aufbau einer Zivilgesellschaft angegangen werden konnten. Von der Modernisierung des Sozialstaates, der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes versprach man sich eine aktivierende Politik, die das Land mit seinen verfestigten Institutionen in Bewegung bringt und die uns problemlösungs- und zukunftsfähig macht.

Inzwischen ist jedoch deutlich geworden, dass der den Wähler 1998 noch mobilisierende Funke einer »Politik der neuen Mitte« nur sehr zögernd übergesprungen ist. Und am Ende der Legislaturperiode erscheint vielen die Richtung des eingeschlagenen Weges eher ungewiss: Statt eines grundlegenden Wandels mit deutlicher Perspektive stehen wir vor einem sich von Standortförderung nicht wesentlich unterscheidenden Modernisierungsansatz und einer Beschwörung der guten alten Sozialstaatstradition, also einer Konstellation, die einer anderen industriegesellschaftlichen Epoche entstammt. Aber wie 1998 will der Wähler wieder umworben werden, und zwar von politischen Botschaften, nicht von Fallschirmabsprüngen oder Big Brother events. Eine neue politische Epoche ist nicht ohne Mittun und Eigenleistung zu erreichen. Das war immer wieder die Botschaft des Kanzlers. Aber es fehlt trotz vieler Bemühungen und Teilerfolge in vielen Bereichen an Orientierung. Hin- und hergerissen zwischen Personalisierung und Programmorientierung verschwimmen im Wahljahr die Konturen für Stand und Perspektiven. Auch fehlt ein politisches Leitbild, das eine ähnlich inspirierende Wirkung zeitigen könnte, wie der »Politikwechsel« und die »neue Mitte« von 1998. Modernisierung und soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit und mehr Eigenvorsorge, alles neu ausbalanciert, lautet der Kurs. Hat sich das alles verbraucht oder wird es zur Zeit nur nicht überzeugend vorgetragen und personell vertreten?

Inzwischen neigt sich die Legislaturperiode ihrem Ende zu. Hat die rot-grüne Koalition die berechtigten Erwartungen erfüllt, wurden die großen Korrekturen vorgenommen, konnte die Regierung die Interessengruppen zähmen und Prioritäten setzen? Oder versandete der Politikwechsel in einen reinen Pragmatismus ohne erkennbares Leitmotiv und Vision? Geriet die Regierung zwischen die Mühlsteine der enttäuschten Traditionswähler einerseits und der Protagonisten flotter Modernisierung andererseits?

Eine kritische Bestandsaufnahme der politischen Leistungen ist nunmehr möglich. Das in den letzten vier Jahren Geschehene wird im Licht der regierungseigenen Projektionen und alternativen Möglichkeiten reflektiert. Im Hinblick auf die öffentliche Diskussion im Wahlkampf 2002 soll damit ein Beitrag zu einer echten Erkenntnisförderung bezüglich strukturverändernder und zielklarer Politik in Deutschland sowie ihrer Planungs- und Realisierungsbedingungen geleistet werden. Jeder Autor war dabei aufgefordert, seinen ganz eigenen Standpunkt zu entwickeln und zur Darstellung zu bringen. Die damit entstehende breite Palette politischer Wertbezüge entspricht der Vielfarbigkeit der politischen Landschaft und Strömungen in unserem Land. Jeder Autor verantwortet seinen Beitrag selbst. Es wird versucht, auf der Basis profunder Analysen in einzelnen Politikfeldern gesicherte Maßstäbe für die politische Auseinandersetzung zu erarbeiten. Zugleich behandelt der Band die neue außenpolitische Rolle unseres Landes in einem radikal veränderten weltpolitischen Spektrum. Gegen den in der öffentlichen Diskussion vorherrschenden Eindruck, es gehe in der Politik nur darum, wahlentscheidenden Gruppen benefits zuzuteilen, soll die Frage nach der Wirksamkeit einer langfristig tragenden programmatischen Verpflichtung rot-grüner Reformpolitik bearbeitet werden.

Die Autoren repräsentieren zwei Kreise. Ein Teil von ihnen entstammt dem Institut für Sozialwissenschaften an der Technischen Universität Braunschweig, der andere kommt aus der politischen Praxis in und um Berlin (siehe Autorenverzeichnis). Aus Braunschweig ist die Initiative zu diesem Band hervorgegangen. Bei der Lektüre der einzelnen Themen wird deutlich, dass die überwiegende Mehrheit der Autoren in der rot-grünen Politik einen richtig angelegten Pfad der sozialen Erneuerung erkennt, der nach Vollendung ruft, da er erst zur Hälfte beschritten werden konnte. Sie wünschen sich eine Fortsetzung der gegenwärtigen Regierungskoalition.

Die Herausgeber


Inhalt:

Einleitung

Ulrich Heyder
Das Reformprojekt
Programmatische Perspektiven in der rot-grünen Politik

Arne Heise
Innovation und Gerechtigkeit?
Wirtschafts- und beschäftigungspolitische Modernisierungskonzepte der Schröder-Regierung auf dem Prüfstand

Klaus-B. Roy
Die Modernisierung des Sozialstaates
Reformansätze in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik

Hartmut Reiners
»The same procedure as every year«
Die Gesundheitsreform als Daueraufgabe

Birgit Mangels-Voegt
Ökologische Modernisierung als Leitidee?
Rot-grüne Umweltpolitik im Test der Nachhaltigkeit

Rainer Oppermann
Die Agrarwende ist ein Langstreckenlauf
Eckpunkte einer neuen Landwirtschafts- und Verbraucherpolitik

Klaus-Jürgen Scherer
Kulturpolitik als Forum für gesamtgesellschaftliche Diskurse
Geist und Macht in der Berliner Republik

Klaus Faber
Zentraler Modernisierungsansatz in Bildung und Forschung
Veränderung und Erneuerung unter den Bedingungen der föderativen Politikverflechtung

Edelbert Richter
Die ostdeutsche Wirtschaft ist auf keinem guten Weg
Wie wurde die »Chefsache« wahrgenommmen?

Tanja Meinel
Zwei Schritte vor, einen zurück ...
Migrationspolitik zwischen Emotionalisierung und Aufklärung

Ulrich Menzel
Deutschland und die neue Weltordnung
Grenzen moralischer Außenpolitik

Hartwig Hummel
Zivilisierte Sicherheitspolitik?
Die rot-grüne Regierung zwischen europäischer Friedensmacht und weltweitem Interventionismus

Bernd Rebe
Endstation Gegenwart
Rot-grün im schweren Atem des Wirklichen

Autorenreferenz

Klaus Faber, Staatssekretär a.D., Rechtsanwalt in Potsdam und Geschäftsführender Vorsitzender des Wissenschaftsforums der Sozialdemokratie in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern e.V.

Arne Heise, Dr. rer. pol., ist Professor für Volkswirtschaftslehre am Sozialwissenschaftlichen Seminar der Universität zu Köln.

Ulrich Heyder, Dr. rer. pol., ist Professor für Soziologie am Institut für Sozialwissenschaften der TU Braunschweig.

Hartwig Hummel, Dr. rer. soz., Dipl.-Geogr., ist Politikwissenschaftler und lehrt Europapolitik/Internationale Politik an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Birgit Mangels-Voegt, Dr. rer. pol., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialwissenschaften der TU Braunschweig.

Tanja Meinel, M.A., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialwissenschaften der TU Braunschweig.

Ulrich Menzel, Dr. phil., ist Professor für Internationale Politik und Vergleichende Regierungslehre am Institut für Sozialwissenschaften der TU Braunschweig.

Rainer Oppermann, Dr. rer. pol., ist Soziologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für ökologischen Landbau/FAL in Trenthorst.

Bernd Rebe, Dr. iur., ist Professor für Rechtswissenschaften am Institut für Sozialwissenschaften der TU Braunschweig.

Hartmut Reiners, Dipl. Volksw., Leiter des Referates Grundsatzfragen der Gesundheitspolitik im Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen des Landes Brandenburg in Potsdam.

Edelbert Richter ist Bundestagsabgeordneter der SPD aus Weimar, Mitglied der Grundwertekommission und des Vorstands des Forums Ostdeutschland der SPD.

Klaus-Bernhard Roy, Dr. habil., ist Privatdozent und arbeitet am Institut für Politikwissenschaft der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.

Klaus-Jürgen Scherer, Dr. phil., ist Politikwissenschaftler und Geschäftsführer des Kulturforums der Sozialdemokratie im Willy Brandt-Haus Berlin.

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