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Kirsten Rölke / Christiane Wilke / Mechthild Kopel (Hrsg.)

Bringt Europa Frauen nach vorn?

Chancen und Risiken für Gleichstellungspolitik
nach der EU-Erweiterung

184 Seiten | 2005 | EUR 12.80 | sFr 23.20
ISBN 3-89965-112-X 1

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Kurztext: Die Autorinnen beleuchten die Chancen und Risiken der EU-Osterweiterung aus der Geschlechterperspektive; im Mittelpunkt stehen dabei Fragen zur Zukunft der Arbeit.


Sie zeigen, was Gewerkschaften bereits tun, damit ArbeitnehmerInnen – insbesondere Frauen – diesseits und jenseits der Grenzen nicht zu VerliererInnen werden.

Standortverlagerungen, Lohndumping, Arbeitsmigration, neue Märkte, aber auch neue Konkurrenzen: Der Prozess der EU-Erweiterung wirkt sich auf vielerlei Weise auf die Arbeitsgesellschaft in den alten und neuen EU-Staaten aus. Er eröffnet den ArbeitnehmerInnen neue Chancen, birgt aber auch zahlreiche Risiken. Doch Fragen zur Zukunft der Arbeitsgesellschaft spielen im Prozess der Erweiterung bisher eine untergeordnete Rolle.

Ängste und Befürchtungen der ArbeitnehmerInnen sind nach wie vor groß – diesseits und jenseits der alten EU-Grenzen. Um Lohndumping zu verhindern, haben sich die Gewerkschaften in Deutschland dafür eingesetzt, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit für die BürgerInnen der neuen EU-Staaten zunächst nur eingeschränkt gilt. Die Gewerkschaften greifen aber auch gestaltend in den Prozess der Erweiterung ein, damit die Interessen der ArbeitnehmerInnen in den alten und neuen EU-Staaten gewahrt bleiben.

Eher unscharf war bisher bei der Gestaltung der Erweiterung der Blick auf die Auswirkungen auf die klassischen Frauenbeschäftigungsfelder. Aber auch wenn es in der öffentliche Diskussion bisher kaum thematisiert wird – es gibt sie, die Beispiele guter Praxis, die zeigen: Die Gewerkschaften haben bei der Erweiterung auch die Chancen und Risiken für die Frauen im Fokus. Die bisher bestehende Lücke in der öffentlichen Wahrnehmung und Diskussion soll diese Veröffentlichung schließen.

Die Herausgeberinnen:

Kirsten Rölke ist Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall;
Christiane Wilke ist Bereichsleiterin Frauen- und Gleichstellungspolitik beim IG Metall-Vorstand;
Mechthild Kopel ist Leiterin des Geschäftsbereichs Gender Beratung und Training bei ISA CONSULT GmbH.

Rezensionen

In der Juni-Ausgabe 2005 von "metall", der Mitgliederzeitschrift der IG Metall, heißt es unter "Buchtipp EU-Osterweiterung": Geschlechterperspektive Standortverlagerungen, Lohndumping, Arbeitsmigration, neue Märkte, aber auch neue Konkurrenzen: Der Prozess der EU-Erweiterung wirkt sich auf vielerlei Weise auf die Arbeitsgesellschaft in den alten und neuen EU-Staaten aus. Er eröffnet den Arbeitnehmerinnen neue Chancen, birgt aber auch zahlreiche Risiken. Doch Fragen zur Zukunft der Arbeitsgesellschaft spielen im Prozess der Erweiterung bisher eine untergeordnete Rolle. Das im VSA-Verlag erschienene Buch "Bringt Europa Frauen nach vorn? Chancen und Risiken für Gleichsstellungspolitik" befasst sich mit den Ängsten und Befürchtungen der Arbeitnehmerinnen diesseits und jenseits der alten EU-Grenzen. Um Lohndumping zu verhindern, haben sich die Gewerkschaften in Deutschland dafür eingesetzt, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit für die Bürgerinnen der neuen EU-Staaten zunächst nur eingeschränkt gilt. Die Gewerkschaften greifen aber auch gestaltend in den Prozess der Erweiterung ein, damit die Interessen der Arbeitnehmerinnen in den alten und neuen EU-Staaten gewahrt bleiben. Die Gewerkschaften haben bei der Erweiterung auch die Chancen und Risiken für die Frauen im Fokus. Die bisher bestehende Lücke in der öffentlichen Wahrnehmung und Diskussion soll diese Veröffentlichung schließen.

Leseprobe 1

Mechthild Kopel / Christiane Wilke
Bringt Europa Frauen nach vorn?
Die Gleichstellungs- und Frauenpolitik muss auf der politischen Agenda bleiben Die europäische Integration schreitet voran, Europa wird auch in der Frauen- und Gleichstellungspolitik vielfältiger. Seit der letzten Erweiterungswelle gehören nun 25 Staaten zur Europäischen Union. Die Integration ist ein lang andauernder Prozess, und ohne die Beteiligung und die Akzeptanz der Frauen wird es kaum gelingen, dass Europa zusammenwächst. Frauen werden Europa aber nur zu ihrer Sache machen, wenn die europäische Integration ihre soziale, ökonomische und politische Situation verbessert und die Chancengleichheit der Geschlechter weiter voranbringt. Von den Römischen Verträgen 1957 bis zur Einigung auf einen Verfassungstext 2004 sind von der europäischen Politikebene zahlreiche Impulse für die Geschlechterdemokratie ausgegangen. Damit Europa weiterhin ein Motor für gleiche Chancen von Frauen und Männern bleibt, muss Frauen- und Gleichstellungspolitik stärker in den Integrations- und Erweiterungsprozess der EU einbezogen werden. Das heißt: Die programmatischen Beschlüsse der EU zu Frauen- und Gleichstellungspolitik und Gender Mainstreaming müssen in der EU-Erweiterung, in der Gestaltung der Rahmenbedingungen im sozial und ökonomisch zusammenwachsenden Europa Anwendung finden. Unterschiedliche politische Traditionen und große soziale und ökonomische Unterschiede sind die Ausgangsbedingungen für die europäische Integration. Schon vor der Erweiterung bestand zwischen und in den EU-Staaten ein großes Einkommens- und Wohlstandsgefälle. Mit der EU-Erweiterung haben die Disparitäten in Bezug auf Einkommen, Produktivität und Beschäftigung sowie auf die Situation der Frauen deutlich zugenommen. Die finanziellen Hilfen durch die Struktur- und Kohäsionsfonds der EU dienen dazu, die Ungleichgewichte zwischen den Regionen, zwischen sozialen Gruppen, zwischen Frauen und Männern zu verringern und zum wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt in der EU beizutragen. Ebenso soll die Übernahme des gemeinschaftlichen Besitzstandes, des so genannten Acquis Communautaire, durch die neuen EU-Länder dafür sorgen, dass sich langfristig die Lebens- und Arbeitsbedingungen angleichen. Zu diesem gemeinschaftlichen Besitzstand der EU gehören alle europäischen Prinzipien, Werte und Rechtsvorschriften, die sich für die Mitgliedsstaaten aus den Gemeinschaftsverträgen, der EU-Gesetzgebung, den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs sowie den Erklärungen des Europäischen Rates ergeben. Das schließt die wegweisenden Vorgaben der EU zur Gleichstellung von Frauen und Männern und zum Gender Mainstreaming mit ein. Sie gelten nun europaweit für über 450 Millionen Menschen, darunter 52% Frauen. Entsprechend muss die Frage nach den Wirkungen auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Frauen wie Männern bei allen Entscheidungen im Rahmen des Erweiterungsprozesses berücksichtigt werden. Geschlechtergerechtigkeit – ein Ziel der europäischen Integration Die Beschlusslage ist gut, der gemeinschaftliche Besitzstand der EU zur Gleichstellung der Geschlechter ist auf hohem Niveau. Geschlechtergerechtigkeit gehört zu den Zielen der europäischen Integration, und zahlreiche Instrumente wurden von der EU geschaffen, um die Gleichheit der Geschlechter zu befördern. Doch der hohe Stellenwert der Chancengleichheitspolitik auf der programmatischen Ebene spiegelt sich in der tagtäglichen politischen Praxis nicht immer wider. Weder von der EU-Kommission noch von den Mitgliedsstaaten werden die politischen Vorgaben konsequent umgesetzt. Auch in der Gestaltung der Erweiterung spielen Frauen- und Gleichstellungspolitik sowie Gender Mainstreaming bisher nur eine untergeordnete Rolle. Der gleichstellungspolitische Anspruch der EU ist im Erweiterungsprozess noch nicht ausreichend angekommen. Weder bezog die EU Geschlechtergleichheit explizit in die Verhandlungen mit den Beitrittsländern mit ein, noch wurde sie in der praktischen Umsetzung als integraler Bestandteil des Erweiterungsprozesses betrachtet. Obwohl die EU bereits Mitte der 1990er Jahre beschloss, die Geschlechtergerechtigkeit bei allen Maßnahmen und Entscheidungen zu berücksichtigen, laufen Chancengleichheitspolitik einerseits und andere Politiken andererseits zum Teil noch immer als getrennte Stränge nebeneinander her. Europa als Motor für Chancengleichheit Die europäischen PolitikerInnen wissen, dass der Einbezug von Chancengleichheit in alle Politikfelder für das zukünftige Europa von immenser Bedeutung ist. So hielt der Europäische Rat auf seiner Frühjahrstagung im März 2004 fest: "Politische Maßnahmen zur Gleichstellung der Geschlechter sind Instrumente, die sowohl den sozialen Zusammenhalt als auch das Wirtschaftswachstum fördern. Die Bemühungen zur Förderung der Gleichstellung der Geschlechter sind bislang vornehmlich auf die Frauen ausgerichtet gewesen. Von Veränderungen zugunsten der Frauen sind jedoch auch die Männer betroffen, da es bei der Gleichstellung der Geschlechter um die Beziehung von Frau und Mann auf der Grundlage gleicher Rechte, gleicher Pflichten und gleicher Chancen in allen Lebensbereichen geht." (EU-Kommission 2005a: 6) Vor allem in der europäischen Sozial- und Beschäftigungspolitik ist das Ziel Chancengleichheit auf der programmatischen Ebene seit langem integraler Bestandteil. Von Beginn an waren dabei ökonomische Aspekte prägend. So wurde das Recht auf "gleiches Entgelt bei gleicher Arbeit" in den Römischen Gründungsverträgen der Europäischen Gemeinschaft vor allem aufgenommen, um die Funktionsweise des Binnenmarktes zu verbessern. Es sollte verhindert werden, dass Länder mit einem großen geschlechtsspezifischen Lohngefälle Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen haben. Diese wirtschaftlichen und wettbewerbsbezogenen Überlegungen wurden im Laufe der Zeit zunehmend ergänzt durch Konzepte, welche die Gleichstellung der Geschlechter umfassend in den Blick nahmen. Von Rom über Amsterdam, Luxemburg und Lissabon bis zu Barcelona und Nizza: Zahlreiche wegweisende Beschlüsse zur Chancengleichheit wurden vom Europäischen Rat gefällt. Wie eine Initialzündung wirkte, dass die EU-Staaten 1997 im Amsterdamer Vertrag Chancengleichheit von Männern und Frauen als Querschnittsziel der EU festlegten (Artikel 2 und 3 EG-Vertrag). Seither gehört es zu den Zielen der EU, die Beseitigung von Ungleichheiten in allen Politikfeldern, in allen Beschäftigungsstrategien und Gemeinschaftsmaßnahmen zu erreichen (Artikel 3 Absatz 2 EGV). Als zentrale Strategie dafür wurde Gender Mainstreaming[1] auf der EU-Ebene verankert. Nach Artikel 13 gehört außerdem die Bekämpfung der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts oder der sexuellen Ausrichtung zu den Aufgaben der EU-Staaten. Und schließlich hält der Artikel 141 nicht nur den Grundsatz "gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit" fest, sondern schafft auch die Rechtsgrundlage für Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Beschäftigungsbereich. Die Mitgliedsstaaten werden ausdrücklich angehalten, positive Maßnahmen "zur Erleichterung der Berufstätigkeit des unterrepräsentierten Geschlechts oder zur Verhinderung bzw. zum Ausgleich von Benachteiligungen in der beruflichen Laufbahn" zu ergreifen. Mit der Aufnahme eines Beschäftigungskapitels in den Gemeinschaftsvertrag (Artikel 125-130; Artikel 109 EGV) wurde der Grundstein für die EU-Beschäftigungsstrategie gelegt. Artikel 127 des Amsterdamer Vertrages setzt für alle Gemeinschaftspolitiken und Aktionen das Ziel, ein hohes Beschäftigungsniveau für beide Geschlechter zu erreichen. Chancengleichheit in der Europäischen Beschäftigungsstrategie (EBS) Ebenfalls 1997, kurz nach der Verabschiedung des Amsterdamer Vertrags, beschloss der Luxemburger Beschäftigungsgipfel,[2] dass alle Mitgliedsstaaten Chancengleichheit in ihre Beschäftigungsstrategien einbeziehen müssen. In den Beschäftigungspolitischen Leitlinien der EU wurde Chancengleichheit als eine von vier gleichwertigen Säulen festgelegt:
1. Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit
2. Entwicklung von Existenzgründungen und Schaffung von Arbeitsplätzen
3. Förderung der Anpassungsfähigkeit der Unternehmen und ihrer Beschäftigten
4. Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern. Nach dem Prinzip des Gender Mainstreaming sollen gleiche Chancen für beide Geschlechter nicht nur im vierten Handlungsfeld verfolgt, sondern in allen Handlungsfeldern berücksichtigt werden. Seit 1997 werden nach diesem Prinzip auf europäischer Ebene alljährlich beschäftigungspolitische Leitlinien festgelegt. Nach der Methode der "offenen Koordinierung" bleibt den Mitgliedsländern weitgehend selbst überlassen, wie sie diese Ziele erreichen. Allerdings werden die Fortschritte ihrer "Nationalen Aktionspläne" überprüft und Empfehlungen und Kritiken ausgesprochen. Leider verhallen sie allzu oft und besitzen auch nicht den Charakter eines "Blauen Briefes". Die EU-Kommission erstellt einen Europäischen Beschäftigungsbericht, der unter Verweis auf die jeweils drei besten Mitgliedsstaaten spezifische Empfehlungen für einzelne Länder enthält (Benchmarking, Best Practice). 2003 erfolgte die erste Reform der EBS mit dem Ziel, die Beschäftigungsstrategie stärker auf den Lissabon-Prozess (siehe unten) auszurichten und die Wirtschafts-, Wissenschafts-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik besser miteinander zu verknüpfen. Außerdem wird seitdem ein größeres Gewicht auf Ergebnisorientierung und die Überwachung der Umsetzung durch die Mitgliedsstaaten gelegt. Seit der Reform sind wirtschafts- und beschäftigungspolitische Intentionen verzahnt. Drei übergreifende Ziele der EBS wurden vereinbart: Vollbeschäftigung, Arbeitsplatzqualität und Arbeitsproduktivität sowie verstärkter sozialer Zusammenhalt und integrativer Arbeitsmarkt. Zu den zehn spezifischen Leitlinien gehört die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten, "die Gleichstellung der Geschlechter in Beschäftigung und Entlohnung zu fördern". Als konkrete Zielvorgaben, die bis 2010 erreicht sein sollen, wurde festgelegt, dass die Unterschiede bei den Beschäftigungsquoten zwischen Männern und Frauen beseitigt und das geschlechtsspezifische Lohngefälle in jedem Mitgliedsland halbiert sein soll. Lissabon setzt ehrgeizige Ziele Ehrgeizige Ziele für 2010, auch genderpolitisch, setzt vor allem die im Jahr 2000 verabschiedete "Lissabon-Strategie" zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der EU, mit der Europa bis 2010 zum "dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt" werden soll. Ziel der Lissabon-Strategie ist "ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt". Ein besseres Bildungssystem und umweltfreundliche, nachhaltige Innovationen wollen Europas Staats- und Regierungschefs bis 2010 erreichen. Gerade für die Frauenerwerbstätigkeit gehen von der Lissabon-Strategie Impulse aus. Nicht nur die Frauenbeschäftigungsquote soll auf mindestens 60% (EU-Schnitt: 55,7%, Männer 70,7%, vgl. Eurostat Arbeitskräfteerhebung 2004) erhöht, sondern auch die Qualität der Frauenerwerbsarbeit soll verbessert werden. Die Lissabon-Agenda sieht in der Verbesserung der Position von Frauen auf dem Arbeitsmarkt eine Grundvoraussetzung, um ihre Ziele zu erreichen. Die EU-Staats- und Regierungschefs postulierten unter anderem Maßnahmen zur Förderung der Erwerbstätigkeit von Frauen in allen Altersstufen, den Abbau des geschlechtsspezifischen Lohngefälles sowie die Schaffung von Rahmenbedingungen, die sowohl Frauen als auch Männern die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtern. Auf dem Lissabonner Gipfel 2000 haben die Staats- und Regierungschefs der EU auch die sozialpolitischen Ziele der Union intensiv diskutiert – insbesondere vor dem Hintergrund des demographischen Wandels und dessen Folgen für die Rentensysteme sowie in Hinblick auf die EU-Erweiterung. Die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung wurde zum zentralen Thema der Modernisierung des europäischen Sozialmodells[3] erklärt. Vereinbart wurde, die Förderung der sozialen Integration in den Mittelpunkt der globalen Strategie der EU zu stellen. Für existenzsichernde und qualitativ hochwertige Erwerbsmöglichkeiten von Frauen ist Lissabon durchaus als Meilenstein zu bewerten. Sozialagenda fördert Chancengleichheit Mit der in Nizza im Jahr 2000 beschlossenen sozialpolitischen Agenda 2001 bis 2005 hat die Kommission einen neuen Fahrplan im Bereich Beschäftigung und Soziales erstellt. Die Agenda setzt die Rahmenziele für die Mitgliedsstaaten und verpflichtet sie zu Nationalen Aktionsplänen. "Der beste Schutz gegen Ausgrenzung ist ein Arbeitsplatz" heißt es in der Agenda. Deshalb räumt sie der Förderung der Teilnahme von Frauen wie Männern am Erwerbsleben sowie der Förderung des Zugangs aller zu Ressourcen, Rechten, Gütern und Dienstleistungen hohe Priorität ein. Auch die neue sozialpolitische Agenda für die Jahre 2005 bis 2010 konzentriert sich auf die Schaffung von Arbeitsplätzen und auf gleiche Chancen für alle und basiert auf den Hauptprioritäten erstens Beschäftigung und zweitens Bekämpfung der Armut sowie Förderung der Chancengleichheit. Die Sozialagenda soll die Lissabon-Strategie flankieren und gewährleisten, dass die Wachstums-Arbeitsplatzinitiative der EU allen Menschen zugute kommt. Zu den Maßnahmen, die die Agenda hinsichtlich der Priorität Beschäftigung vorsieht, gehört explizit die Förderung der (Wieder-)Eingliederung von Frauen in den Arbeitsmarkt. Bei der Priorität Armut und Chancengleichheit setzt die EU auf die Förderung der Vielfalt und Nichtdiskriminierung. Die sozialpolitische Agenda sieht dazu unter anderem die Entwicklung eines integrierten, umfassenden Konzeptes sowie die Untersuchung der Mindesteinkommensregelungen in den Mitgliedsstaaten und die Einrichtung eines Europäischen Gender-Institutes vor. Lissabon-Strategie und Sozialagenda wurden auf dem Europäischen Rat in Barcelona 2002 noch um eine wichtige Rahmenbedingung für Frauenerwerbstätigkeit ergänzt – den Ausbau der Kinderbetreuung: Bis 2010 sollen für 90% der drei- bis sechsjährigen Kinder und für ein Drittel der unter Dreijährigen Betreuungsangebote vorhanden sein. Gleichheit als soziales Grundrecht der UnionsbürgerInnen In den strategischen, wirtschaftlichen, beschäftigungs- und sozialpolitischen Ausrichtungen ist Chancengleichheit verankert. Aber nicht nur dort: Die 2000 in Nizza beschlossene Grundrechte-Charta der EU macht dies zum individuellen Recht. Die Charta fordert die Gleichheit der Geschlechter in allen Bereichen. Artikel 23 besagt: "Die Gleichstellung von Frau und Mann muss in allen Bereichen gewährleistet werden, darunter in der Beschäftigungspolitik, der Arbeit und der Bezahlung. Das Prinzip der Gleichstellung verhindert nicht die Beibehaltung oder die Aufnahme von Maßnahmen, die zu speziellen Vorteilen für das unterrepräsentierte Geschlecht führen." Mit der Integration der Charta in die europäische Verfassung (Teil II der Verfassung) wird die Charta ab 2007 rechtsverbindlich. Denn 2007 soll die europäische Verfassung, auf die sich die Staats- und Regierungschefs 2004 einigten, in Kraft treten, wenn sie bis dahin von allen Mitgliedsländern ratifiziert wird. Die im Verfassungsentwurf verankerten Rechte zur Gleichstellung der Geschlechter entwickeln zwar das bereits existierende EU-Recht, etwa den Artikel 141 EGV, nicht weiter, aber die Gleichheit der Geschlechter erhält als Teil der Verfassung einen höheren rechtlichen Stellenwert. So schreibt der Verfassungstext die Gleichheit der Geschlechter und Nichtdiskriminierung als Werte der EU fest (Artikel I-2), die Gleichstellung von Frauen und Männern gehört ebenso wie soziale Gerechtigkeit und sozialer Schutz oder die Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung und Diskriminierungen zu den Zielen der EU (Artikel I-3, Abs. 3). Und die Einbeziehung des Prinzips der Gleichberechtigung in die "allgemein anwendbaren Bestimmungen" von Teil III der Verfassung, der die Politikbereiche der EU beschreibt, postuliert, dass bei allen Vorhaben immer auch die Chancengleichheit der Geschlechter beachtet werden soll. EU-Richtlinien setzen Normen Auch in der Gesetzgebung hat die EU seit 1975 zahlreiche Normen gesetzt, die die Situation der Frauen auf dem Arbeitsmarkt europaweit verbessern sollen. Die Mitgliedsstaaten müssen die europäischen Rahmengesetze, die EU-Richtlinien, in nationale Gesetze umsetzen. So regeln Richtlinien unter anderem die Lohngleichheit, die Gleichbehandlung in der sozialen Sicherung, Mindeststandards für Elternurlaub und Teilzeit sowie den Schutz vor sexueller Belästigung und Diskriminierung jedweder Art. Von besonderer Bedeutung für die Frauenerwerbstätigkeit ist die Richtlinie "Gleichbehandlung hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen", die erstmals 1976 verabschiedet und 2002 grundlegend überarbeitet wurde. Sie erlaubt etwa ausdrücklich positive Fördermaßnahmen im Arbeitsleben zugunsten des unterrepräsentierten Geschlechts. Verboten sind Diskriminierungen von Frauen in Zusammenhang mit Schwangerschaft oder Mutterschaftsurlaub. Beschäftigte haben das Recht, nach dem Elternurlaub an den früheren oder an einen gleichwertigen Arbeitsplatz zurückzukehren. Erstmals wird auch auf EU-Ebene bindend definiert, was unter "sexueller Belästigung" oder "mittelbarer Diskriminierung" zu verstehen ist. Um das europäische Rahmengesetz in nationales Recht umzusetzen, haben sich die Mitgliedsstaaten verpflichtet, Gleichstellungsstellen einzurichten, Sanktionen bei Verstößen gegen die Richtlinie sicherzustellen und die Gleichbehandlung am Arbeitsplatz durch Frauenförderpläne und Gleichstellungsberichte der Unternehmen aktiv zu fördern. Zuletzt wurde im Dezember 2004 die Richtlinie zur "Gleichbehandlung von Frauen und Männern beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen" vom Europäischen Rat verabschiedet. Wie die Gesetzgebung der EU hat auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in jüngster Zeit immer wieder Impulse gegen die Benachteiligung von Frauen im Erwerbsleben gegeben – etwa zur Gleichbehandlung von Teilzeitbeschäftigten. Gender Mainstreaming und Frauenförderpolitik als Doppelstrategie Die Gleichstellungspolitik der EU hat sich im Laufe der Zeit zu einem komplexen System entwickelt und ist breit in ihrer Politik verankert. Dies drückt sich umfassend im Gender Mainstreaming-Ansatz aus. Die EU definiert dies folgendermaßen: "Gender Mainstreaming besteht in der (Re-)Organisation, Verbesserung, Entwicklung und Evaluierung der Entscheidungsprozesse, mit dem Ziel, dass die an politischer Gestaltung beteiligten Akteure und Akteurinnen den Blickwinkel der Gleichstellung zwischen Frauen und Männern in allen Bereichen und auf allen Ebenen einnehmen." Gender Mainstreaming ergänzt somit die Frauenförderpolitik. Denn während die Frauen- und Gleichstellungspolitik als "parteiischer" Ansatz den Abbau der strukturellen Benachteiligungen von Frauen zum Ziel hat, sollen mit dem Gender Mainstreaming-Ansatz geschlechterspezifische Differenzen integraler Bestandteil in der Gestaltung von allen Prozessen werden und in allen künftigen Planungen und Entscheidungen berücksichtigt werden. Im Mittelpunkt steht dabei die Optimierung der Prozesse – der Nutzen für alle, eine Beschäftigungs- und Wirtschaftspolitik zugunsten von Frauen wie von Männern. Entsprechend setzt die EU auf eine Doppelstrategie und verfolgt sowohl das Konzept des Gender Mainstreaming als auch spezifische Fördermaßnahmen für Frauen. Auch die "Rahmenstrategie zur Förderung von Männern und Frauen 2001-2005" basiert auf diesem dualen Ansatz. Sie vereint Initiativen und Programme zur Gleichstellung unter einem Dach. Die Ziele sind:   die Förderung der Geschlechtergleichstellung im Wirtschaftsleben,   die Förderung einer gleichen Beteiligung und Vertretung,   die Förderung eines gleichen Zugangs zu sozialen Rechten sowie eines gleichen Genusses der sozialen Rechte für Frauen und Männer,   die Förderung der Geschlechtergleichstellung in Bezug auf die Rechte als BürgerInnen,   die Förderung der Veränderungen von Geschlechterrollen und Stereotype. Für eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern im sozial und ökonomisch zusammenwachsenden Europa sind somit sowohl in der Programmatik als auch im Recht wegweisende Beschlüsse und Aussagen getroffen. Mit der Doppelstrategie des Gender Mainstreaming und der Frauenförderung ist ebenso der strategische Weg für gleichwertige Lebens- und Arbeitsbedingungen vorgegeben. Dies stellt für das "alte Europa" wie für den erweiterten europäischen Raum angesichts bestehender Differenzen eine große Herausforderung dar. Die Ungleichheit ist nach wie vor groß Die wirtschaftliche Ungleichheit[4] zwischen Frauen und Männern ist immer noch immens, ob beim Einkommen, beim Zugang zum Arbeitsmarkt oder bei ihren Karrierechancen. Zwar sind die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Beschäftigungsquote in der EU-25 zwischen 2002 und 2003 um 0,5% auf 15,8% gesunken. Ende 2003 waren 70,9% aller Männer und 55,1% aller Frauen zwischen 15 und 64 Jahren erwerbstätig. Diese Quote umfasst allerdings alle Erwerbstätigen, die mindestens eine Stunde pro Woche einer bezahlten Arbeit nachgehen. Damit ist keineswegs eine Aussage über existenzsichernde Arbeit getroffen. Außer bei den 15- bis 24-jährigen Frauen ist die Beschäftigungsquote der Frauen in allen Altersgruppen angestiegen, am stärksten bei den älteren Frauen – von 2002 um 1,5% auf 30,7% im Jahr 2003. Dennoch ist die Diskrepanz zwischen der Beschäftigungsquote von älteren Frauen und Männern mit 19,6% am größten. Teilzeit bleibt eine weibliche Domäne. Im EU-Schnitt arbeiten 30,4% der erwerbstätigen Frauen Teilzeit, bei den Männern sind es 6,6%. Diese Schere ist seit 1998 sogar noch leicht auseinander gegangen, so der Gleichstellungsbericht der EU. Keine Fortschritte wurden bei der Beseitigung des geschlechtsspezifischen Lohngefälles erzielt. In den alten EU-Ländern liegt es konstant bei etwa 16%; werden die neuen Mitgliedsstaaten berücksichtigt, liegt der Schätzwert mit 15% ein wenig niedriger. Im hohen Frauenanteil an den Teilzeitbeschäftigten sieht der Bericht einen von vielen Faktoren, die für den Gender Gap beim Entgelt verantwortlich sind. Auch der Abbau der geschlechtsspezifischen Trennung des Arbeitsmarkts kommt kaum voran, die Segregation nach Berufen ist mit 17,5% ebenso wie die nach Sektoren (25,2%) nach wie vor stark ausgeprägt. Im Jahr 2003 waren im EU-Schnitt 31% der Führungskräfte, Kleinbetriebe mitgerechnet, weiblich – gegenüber 30% im Jahr 2002. Gerade mal 10% macht im EU-Schnitt der Anteil der Frauen in den höchsten Entscheidungsgremien der jeweils 50 größten börsennotierten Länder aus. Frauen sind nach wie vor in den Top-Etagen von Wirtschaft und Politik unterrepräsentiert, obwohl sie EU-weit höhere Bildungsquoten vorweisen als Männer. Durch die Erweiterung ist der Bildungsvorsprung der Frauen sogar noch gestiegen – aufgrund des höheren Bildungsstands in den neuen Mitgliedsstaaten stieg der Prozentsatz von Hochschulabsolventinnen im Jahr 2003 auf 58% an. Die Arbeitslosigkeit von Frauen ist im Jahr 2004 leicht gestiegen, der geschlechtsspezifische Unterschied ist mit 1,7% genauso hoch wie im Jahr zuvor. EU-weit waren 2004 10% der Frauen und 8,3% der Männer arbeitslos. Auch zum Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist der Befund des Berichtes nicht positiv. Bei Frauen mit Kleinkindern liegen die Beschäftigungsquoten immer noch um 13,6% niedriger als bei kinderlosen Frauen, während bei Männern mit Kleinkindern um 10% höhere Beschäftigungsquoten zu verzeichnen sind als bei kinderlosen Männern. Ursache dafür seien die beschränkten Kinderbetreuungsmöglichkeiten und geschlechtsspezifische stereotype Familienmuster. Frauen verrichten den Hauptteil der Tätigkeiten im Haushalt und haben folglich weniger Zeit, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Männer leisten weniger als 40% sämtlicher Haushaltsarbeiten; bei Paaren mit Kindern im Alter von bis zu sechs Jahren nehmen sie zwischen 25 und 35% der Kinderbetreuungspflichten wahr. Schon im EU-Schnitt zeigt sich nach wie vor deutlich die Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Wesentlich krasser werden die Unterschiede im Ländervergleich. Bereits vor der Erweiterung differierte der Stellenwert der Frauenerwerbstätigkeit zwischen den einzelnen Mitgliedsländern sehr, nach der Erweiterung ist die Bandbreite[5] noch gewachsen. So reicht das Spektrum des Anteils der Frauen zwischen 15 und 64 Jahren, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen, von über 70% in Dänemark und Schweden bis zu 46,1% in Polen und 31,9% in Malta. Während 3,9% der Irinnen und 4,2% der Britinnen arbeitslos sind, beträgt die weibliche Erwerbslosenquote in der Slowakei 19,6% und in Polen 20,0%. 74,8% der niederländischen weiblichen Beschäftigten arbeiten in Teilzeit (Männer 22,5%), aber nur 8,5% der Arbeitnehmerinnen in Tschechien, 6,2% in Ungarn und 4,2% in der Slowakei (vgl. EU-Arbeitskräfteerhebung 2. Quartal 2004). Gender Mainstreaming ist noch nicht Mainstream Trotz vorbildlicher Regelungen, trotz der Vorgabe, geschlechterspezifische Unterschiede bei allen Maßnahmen und Entscheidungen zu berücksichtigen, ist auch in der EU der Fortschritt in Sachen Chancengleichheit eine Schnecke. Die Geschlechterperspektive ist im Mainstream europäischer Politik noch nicht angekommen. Zwar gibt es aus dem Bereich Sozial- und Beschäftigungspolitik kaum ein Dokument, kaum einen Bericht einer Expertengruppe der EU, der nicht die Bedeutung der gleichberechtigten Teilhabe von Frauen auf dem Arbeitsmarkt herausstreicht und neben geschlechterspezifischen Analysen auch viele Handlungsempfehlungen für eine Verbesserung der Erwerbschancen von Frauen in der EU enthält, doch in der praktischen Politik findet das zu wenig Niederschlag. Das liegt zum einen daran, dass eine Reihe der genderpolitischen Vorgaben eher Soft-Law-Charakter haben, das heißt aus ihrer Missachtung entstehen den Mitgliedsstaaten wenig Konsequenzen – anders als das etwa bei Verstößen gegen den Stabilitätspakt der Fall ist. Zum anderen steht der europäischen Sozial- und Beschäftigungspolitik eine europäische Wirtschaftspolitik entgegen, von der eher nachteilige Effekte für die Verwirklichung gleicher Chancen für beide Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt ausgehen. Die restriktive Budgetpolitik in den Mitgliedsstaaten und die ungenügende Balance von Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik erschweren Impulse zur Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen für Frauen und Männer. Die den Mitgliedsstaaten von der EU verordnete strikte Sparpolitik hat zu massiven Einsparungen und einschneidenden Strukturreformen der sozialen Sicherungssysteme geführt – vor allem in den Bereichen Gesundheit und Rente. Was staatliche Leistungen betrifft, sind Frauen in weit höherem Ausmaß als Männer von deren Bereitstellung abhängig. Außerdem birgt ein Rückzug des Staates aus der Fürsorgepolitik zum Beispiel im Pflege- und Gesundheitsbereich die Gefahr, die alte Arbeitsteilung in den Familien zu zementieren. Eine massive Verschlechterung der europäischen Sozialstandards und Arbeitsbedingungen auch von Frauen droht vor allem durch die geplante EU-Dienstleistungsrichtlinie. Nach dem Vorschlag der EU-Kommission soll die Erbringung von Dienstleistungen künftig den Gesetzen und Standards unterliegen, die am Firmensitz des Dienstleisters gelten. Die Einführung des so genannten Herkunftslandsprinzips eröffnet eine Abwärtsspirale: Dienstleistungsunternehmen können ihren Sitz in die Länder mit den niedrigsten Sozialstandards legen und ihr Personal europaweit einsetzen. Die Auswirkungen vor allem auch für Frauen wären fatal. Zum einen sind sie überproportional im Dienstleistungssektor beschäftigt. Zum anderen umfasst die geplante Richtlinie Bereiche, die über 50% der Wirtschaftsleistung in der EU ausmachen. Schon jetzt, ohne dass die von der EU-Kommission geplante Liberalisierung des Dienstleistungsmarktes bereits beschlossen und wirksam geworden ist, zeigt sich, dass die Sozial- und Arbeitsstandards in den alten EU-Ländern vor allem durch die Dienstleistungsfreiheit innerhalb des EU-Binnenmarktes unter Druck geraten. Besonders in den grenznahen Regionen, in denen die alten und neuen EU-BürgerInnen unmittelbar im Alltag die Unterschiede in den Arbeits- und Lebensbedingungen und das Wohlstands- und Lohngefälle spüren, erweist sich die Dienstleistungsfreiheit als Problem. So ist es heute bereits möglich, dass etwa Anbieter von Pflegedienstleistungen ihr Personal von Polen aus in deutsche Altersheime oder Krankenhäuser entsenden – aber nach polnischen Standards beschäftigen.[6] Das bedeutet letzlich eine Spirale nach unten sowohl für polnische als auch für deutsche ArbeitnehmerInnen und die Entwicklung eines ganz legalen Niedriglohnsektors. Gender-Politik in der Strukturfondsförderung Ein besonderes Beispiel für die unzureichende Integration der Geschlechterperspektive in den Mainstream der EU-Politik ist die Strukturfondsförderung, von der seit dem 1. Mai 2004 auch alle Beitrittsländer in erheblichem Maße profitieren. Ziel der Struktur- und des Kohäsionsfonds ist es, durch finanzielle Unterstützung zur Verringerung der ökonomischen Ungleichgewichte zwischen Regionen und sozialen Gruppen sowie zur Stärkung des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts in der EU beizutragen. Wichtigste Finanzinstrumente sind dabei die vier Strukturfonds,[7] die anders als der Kohäsionsfonds unter bestimmten Kriterien von Regionen aus allen EU-Staaten in Anspruch genommen werden können. Bereits 1993 wurden Chancengleichheit und Förderung der Frauenbeschäftigung als übergeordnete Ziele in die Strukturfondsverordnungen aufgenommen, seit der Förderperiode 2000 bis 2006 ist Gender Mainstreaming fest verankert. Artikel 5 der allgemeinen Bestimmungen legt unter anderem fest, dass mit den Strukturfonds ein hohes Beschäftigungsniveau und die Gleichstellung von Frauen und Männern erreicht und gefördert werden soll. Diese Akzentsetzung und die ausdrückliche Einbeziehung des Dienstleistungssektors haben die Möglichkeiten für eine integrierte Arbeits- und Strukturförderung zugunsten von Frauen erheblich verbessert. Alle geförderten Projekte und Maßnahmen sollen daraufhin überprüft werden, ob sie die Chancengleichheit der Geschlechter fördern. Doch in der Praxis zeigt sich, dass der Gender Mainstreaming-Anspruch längst nicht in allen Projekten und in den verschiedenen EU-Fonds im gleichen Maße umgesetzt wird. Zum einen sind die Controlling-Instrumente für eine tatsächliche Umsetzung der Genderperspektive noch nicht ausreichend entwickelt, zum anderen sind es bisher vor allem Projekte im Rahmen des Europäischen Sozialfonds (ESF), die Gender-Aspekte berücksichtigen. ESF-Maßnahmen dienen im Rahmen der Europäischen Beschäftigungsstrategie vor allem der Vermeidung und Bekämpfung von Arbeitslosigkeit, der Entwicklung der Humanressourcen und der sozialen Integration in den Arbeitsmarkt. Dagegen wird Gender-Politik im Rahmen des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) nur mit äußerster Zurückhaltung sichtbar. Das hat auch die EU-Kommission in ihrer Zwischenbewertung der Förderperiode 2000 bis 2006 festgestellt: "Nur wenige der von EFRE finanzierten Programme enthalten spezifische Maßnahmen zur Förderung der Geschlechtergleichstellung" (EU-Kommission 2002: 7). Übergeordnetes Ziel von EFRE ist es, strukturschwachen Regionen die Chance zum Wandel, zusätzlichem Wachstum und zum Abbau von Disparitäten zu geben. Die EFRE-Förderung soll für gleichwertige Lebensbedingungen – auch für Frauen und Männer – in Europas Regionen sorgen. Zweifelsohne ist es keine leichte Aufgabe, in den Prozessen im regionalen Strukturwandel – auch angesichts zahlreicher Regulierungen und Vorschriften – die Genderperspektive zu integrieren. Dennoch darf sich die Gleichstellungspolitik keineswegs auf den Rückzug begeben. Vielmehr sind Entwicklungsräume mit Ideenwerkstätten zu forcieren und mit Ressourcen auszustatten. Strukturell ist die Doppelstrategie – auch in der Praxis – dadurch abzusichern, dass sie in die Verantwortung der Wirtschafts- und Sozialpartner fällt, wobei auch die Frauen- und Gleichstellungspolitik stärker als bisher als Sozialpartnerin einbezogen und mit Ressourcen versehen werden muss. Vorstellbar wäre viel. So könnten Maßnahmen konzipiert werden, die qualitatives Wachstum in Dienstleistungsbranchen mit Aufstiegsorientierung für Frauen verknüpfen. Mit EFRE-Mitteln wäre es möglich, unternehmensstrategische Prozesse zu fördern, die eine bessere Orientierung der Gestaltung von Produkten und Dienstleistungen an den Bedürfnissen der KundInnen zum Ziel haben. In ländlichen Regionen ließen sich Mobilitätskonzepte für den öffentlichen Nahverkehr entwickeln, die eine Teilhabe beider Geschlechter am Arbeitsmarkt ermöglichen. Im Bereich der Technologieförderung bietet sich eine Schwerpunktsetzung auf industrielle Branchen mit einem hohen Anteil von weiblichen Beschäftigten an. Schließlich waren es im alten Europa gerade diese Branchen, die früher als andere – lange vor der EU-Erweiterung – von den negativen Auswirkungen der globalisierten Wirtschaft, von Standortverlagerungen bis Lohndumping, betroffen waren, etwa die Textil- und Bekleidungsindustrie oder die Autozulieferer. Voraussetzung für all das ist, dass bei der Neuordnung der EU-Strukturfonds für die nächste Förderperiode 2007 bis 2013 Gender Mainstreaming ein Querschnittsziel aller geförderten Maßnahmen bleibt. Die Politik der Mitgliedsländer konterkariert europäische Beschlüsse In der Umsetzung der europäischen Programmatik und des europäischen Rechts ist in den Mitgliedsländern Halbherzigkeit und bisweilen auch Ignoranz zu konstatieren. So war der Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes (ADG), den die Bundesregierung Ende 2004 vorlegte und mit dem sie vier europäische Antidiskriminierungsrichtlinien in deutsches Recht umsetzen will, schon lange überfällig. Bei zwei Richtlinien war sie so sehr im Verzug, dass die EU bereits 2003 ein Vertragsverletzungsverfahren einleitete. Die Bundesregierung befindet sich dabei in großer Gesellschaft – mehr als die Hälfte aller Mitgliedsstaaten hielt die Frist für die Umsetzung nicht ein. Auch der alljährliche Beschäftigungsbericht der EU-Kommission, in dem die Nationalen Aktionspläne der Mitgliedsstaaten bewertet werden, zeigt, dass die Vorgaben der EU zur Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt von den meisten Mitgliedsländern nur unzureichend umgesetzt werden. Kritisiert wird von der EU-Kommission vor allem: "Die Auseinandersetzung mit dem weiterhin hartnäckig hohen geschlechtsspezifischen Lohngefälle kommt allerdings nicht in Gang. (...) Geschlechtsspezifische Unterschiede bei Beschäftigung und Arbeitslosigkeit werden als Ziele für entsprechende Gegenmaßnahmen weitgehend außer Acht gelassen. Zwar wird das geschlechtsspezifische Lohngefälle weithin als schwerwiegendes Problem erkannt, konkrete Zielsetzungen und Aktionen sind jedoch selten. Der Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird überall Aufmerksamkeit zuteil, das Anliegen einer ausgewogenen Teilung von Verantwortlichkeiten zwischen Frauen und Männern wird jedoch vernachlässigt." (EU-Kommission 2005b: 11). Was die geschlechtsspezifische Lohndiskriminierung betrifft, diagnostizierte die EU-Kommission bereits im vorangegangenen Bericht, dass gerade diejenigen Länder, in denen die Entgeltunterschiede zwischen Männern und Frauen besonders groß sind – wie Deutschland, Portugal und Österreich – wenig systematische Maßnahmen zum Abbau der Differenz ergreifen. Insgesamt ist die genderpolitische Bewertung eher verhalten. Eine Gender Mainstreaming-Politik sei nur in Schweden erkennbar. Auch in den neuen Mitgliedsstaaten sieht die EU gerade bei der Gleichstellung der Geschlechter noch viel Umsetzungsbedarf. Nicht alle Bereiche des sozialen Acquis Communautaire würden in den neuen Mitgliedstaaten hinreichend umgesetzt und angewandt. Vor allem in den Bereichen Arbeitsschutz und Gleichbehandlung von Frauen und Männern sei die praktische Durchsetzung besonders unzureichend, urteilte die Hochrangige Gruppe zur Zukunft der Sozialpolitik in der erweiterten Europäischen Union Mitte 2004 (Hochrangige Gruppe 2004). Im "alten Europa" ist es vor allem der Umbau des Sozialstaates, der die Chancengleichheitspolitik der EU konterkariert und häufig zu Lasten der Frauen geht. Zu diesen Effekten zählt in Deutschland etwa, dass im Zuge der Hartz IV-Reform seit dem 1. Januar 2005 Hunderttausenden von Frauen aufgrund der Anrechnung des Partnereinkommens kein eigenes Arbeitslosengeld II mehr zusteht. Auch die Vernichtung von existenzsichernden, sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen durch die Einführung der Mini-Jobs mit Einkommen von 400 Euro und weniger verdrängt Frauen an den Rand der Arbeitsgesellschaft und versperrt den Weg zu existenzsichernder Arbeit und gleichberechtigter Teilhabe am Erwerbsleben. Vielfalt in den gleichstellungspolitischen Kulturen Europa ist geprägt durch Vielfalt – das zeigt sich auch in der Gleichstellungspolitik. Das ist nicht erst seit der Erweiterung so – die Bandbreite war schon vor dem EU-Beitritt von zehn neuen Staaten groß. Sie reicht vom skandinavischen Modell des gleichstellungsorientierten Sozialstaates mit einer hohen Frauenbeschäftigungsquote, gesetzlichen Regelungen zur Chancengleichheit in der Wirtschaft und einer Vielzahl von gesellschaftlichen Transfer- und Unterstützungsleistungen für Eltern bis zu den katholisch geprägten Ländern im Mittelmeerraum, in denen Frauenerwerbstätigkeit und öffentliche Kinderbetreuung traditionell eine geringere Rolle spielen. Auch in den Unternehmen hat Gleichstellungspolitik europaweit von Land zu Land einen ganz unterschiedlichen Stellenwert. So verlangt die schwedische Gleichstellungspolitik von den Unternehmen jährliche Gleichstellungsreports – und rund drei Viertel der Unternehmen kommen dem aus eigenem Interesse nach. In Deutschland dagegen werden noch immer gleichstellungspolitische Aktivitäten im Unternehmen als "wirtschaftsfeindlich" betrachtet. Zu bürokratisch, zu teuer – die Einwände hierzulande, ob gegen ein Gleichstellungsgesetz für die private Wirtschaft oder ein Antidiskriminierungsgesetz, sind immer die gleichen. Dabei belegen Studien, dass Chancengleichheit kein Hemmnis für wirtschaftliche Entwicklung ist, im Gegenteil: Der Nutzen, auch der ökonomische, überwiegt die Kosten. Das ergab beispielsweise eine Kosten-Nutzen-Analyse von Maßnahmen zur Chancengleichheit und zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die das Institut Prognos AG 2003 durchführte. Auch Volkswirtschaften, die die Frauenerwerbstätigkeit fördern, funktionieren besser. Sie weisen als Arbeitsmarkt für Frauen einen größeren Dienstleistungssektor und eine geringere Arbeitslosigkeit auf. Der internationale Vergleich zeigt: Erwerbstätige Frauen nehmen nicht etwa Arbeitsplätze weg, sondern eine hohe Frauenerwerbstätigkeit schafft neue Arbeitsplätze. In Ländern, in denen die Chancengleichheit der Geschlechter integraler Bestandteil der Politik ist, ist auch die Situation auf dem Arbeitsmarkt eine bessere. Eine hohe Frauenerwerbsquote wirkt sich positiv auf die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen aus, weil bislang in Haushalten Produziertes durch Marktgüter und öffentliche Dienstleistungen ersetzt wird. Wenn es gelingt, mehr Frauen in Arbeit zu bringen, wirkt sich das positiv auf die Beschäftigungsquote insgesamt aus. Investitionen in die Betreuungsinfrastruktur, für den Ausbau von Krippen, Kindergärten, Ganztagsschulen etc. sind ein aktiver Beitrag zur Struktur- und Arbeitsmarktpolitik. Im neuen Europa sind die vielfältigen Erfahrungen und Erkenntnisse zusammenzuführen und für die zukünftige Politik nutzbar zu machen. Herausforderungen an die Frauenpolitik Das sozial und ökonomisch zusammenwachsende Europa fordert somit auch die Frauenpolitik heraus. So müssen die neuen EU-Mitgliedsstaaten beim Aufbau gleichstellungspolitischer Strukturen, die es in der sozialistischen Planwirtschaft nicht gab, unterstützt werden. Ein wachsames Auge muss die Frauenpolitik vor allem auch darauf haben, dass sich keine Abwärtsspirale entwickelt. Auch hier gilt: Von den Besten lernen. Im Übrigen muss die Frauenpolitik sich dafür stark machen, dass Gender Mainstreaming und gleichstellungspolitische Aspekte auch in den Mainstream der EU-Politik insgesamt einfließen. Dafür braucht die Frauenpolitik Bündnispartner. Im Vorfeld der Erweiterung hatten immer wieder Gewerkschafterinnen, etwa das Frauennetzwerk Osteuropa des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften (IBFG), sowie Frauenorganisationen wie das Ost-West-Europäische Netzwerk von Fraueninitiativen OWEN oder die Karat-Coalition, ein Zusammenschluss von 15 osteuropäischen Frauen-NROs, eingefordert, die weiblichen Interessen im europäischen Umbruch nicht zu vergessen. So warf die Europäische Frauenlobby der EU und den Regierungen der Beitrittsländer vor, nichts gegen die zunehmende Frauenarbeitslosigkeit und den in den Transformationsländern weit verbreiteten Frauen- und Kinderhandel zu unternehmen. Sie verlangte von der EU, Geschlechtergleichheit tatsächlich und praktisch in die Verhandlungen mit den Beitrittsländern einzubeziehen und sie als integralen Bestandteil des Erweiterungsprozesses zu betrachten. Doch weder in der Öffentlichkeit noch bei den Verantwortlichen fanden all diese Stimmen viel Gehör. Die unterschiedlichen Level in der Gleichstellungspolitik im "alten Europa" könnten sich auch auf das "neue Europa" übertragen. So wird im Rahmen der "Twinning-Projekte" der Aufbau der Verwaltungstrukturen im Bereich Gleichstellung vom Vorreiter Schweden unterstützt, andere Länder wie Ungarn oder Polen dagegen von Ländern, die selbst noch einigen Nachholbedarf haben. Als Bündnispartner im weiteren Prozess bieten sich die Gewerkschaften an. Schließlich gehören die Gewerkschaften auf der europäischen politischen Bühne neben dem Europaparlament zu den wichtigsten Kräften, die bei ihrem Engagement für ein soziales Europa auch die Interessen der weiblichen Beschäftigten einbringen können. Und immerhin ist der Europäische Gewerkschaftsbund mit seinen 60 Millionen Mitgliedern, ein Großteil von ihnen weiblich, die größte politische Organisation in Europa. Die Gewerkschaften – Sozialpartner für Geschlechterdemokratie Als Partner im sozialen Dialog kommt den Gewerkschaften bei der Durchsetzung von gleichen Chancen für Frauen in der Arbeitswelt eine besondere Rolle zu. Schon bisher sind Impulse für die europäische Chancengleichheitspolitik vom Sozialen Dialog ausgegangen. So haben die EU-Richtlinien zur Elternzeit oder zur Teilzeitarbeit ihren Ursprung im Sozialen Dialog, in dem die europäischen Sozialpartner, der EGB und die Arbeitgeberverbände, autonom Vereinbarungen aushandeln, die dann von der Kommission als Richtlinien oder von den Sozialpartnern selbst umgesetzt werden. Im Verfassungsentwurf wird diese besondere Rolle anerkannt und die Union zur Förderung des sozialen Dialogs unter Achtung der Autonomie der Sozialpartner verpflichtet. Alle EU-Expertengruppen, ob Task Force Beschäftigung oder die Expertengruppe zur Zukunft der EU-Sozialpolitik in der erweiterten Union, sind sich einig: Damit die Erweiterung gelingt, sind die Sozialpartner besonders gefordert. "Die Sozialpartner müssen sich stärker einbringen und entsprechende Verpflichtungen eingehen, wenn es um das Arbeitskräftemanagement, insbesondere um die Aspekte Gleichstellung, Alter und Zuwanderung geht oder um die Entwicklung und Verbreitung von Best Practices, sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor. Die Unternehmen müssen ihrer sozialen Verantwortung gerecht werden", heißt es im EU-Beschäftigungsbericht 2003/2004 (43). Ein gemeinsames Aktionsprogramm der europäischen Sozialpartner unter Beteiligung der ArbeitnehmerInnen muss darauf abzielen, dass Sozial- und Wirtschaftspolitik Schritt halten, um gleichwertige Lebens- und Arbeitsbedingungen in Europa und für beide Geschlechter zu erreichen. Die Chancen des europäischen Marktes für den Fortschritt der Chancengleichheitspolitik nutzen Investitionen in die Humanressourcen sind für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit in einer wissensbasierten Gesellschaft unumgänglich, sie sollen und müssen auch das weibliche Arbeitskräftepotenzial stärken. Die geforderte "Anpassungsfähigkeit der Arbeitnehmer" gilt für weibliche wie für männliche Arbeitnehmer gleichermaßen. Um die Attraktivität des Arbeitsmarktes für Frauen und Männer zu steigern, bedarf es der Gestaltung von Rahmenbedingungen wie den Ausbau der Kinderbetreuung oder Änderungen in der Steuergesetzgebung. Vorschläge, was konkret zu tun ist, gibt es längst – in den verschiedenen Expertisen zur Zukunft der EU-Beschäftigungs- und Sozialpolitik. So hat die Task Force Beschäftigung auf europäischer Ebene bereits 2003 festgestellt: "Unter Berücksichtigung dessen, dass die Erschließung des Erwerbspotenzials der Frauen sowohl eine Frage der Geschlechtergleichstellung als auch eine Frage der wirtschaftlichen Effektivität ist, fordert die Task Force die Mitgliedstaaten und die Sozialpartner dringend auf, finanzielle Fehlanreize, die einer größeren Erwerbsbeteiligung der Frauen entgegenstehen, insbesondere in Bezug auf Arbeitsentgelt und Besteuerung, einschließlich des geschlechtsspezifische Lohngefälles, abzubauen; mehr erschwingliche und hochwertige Kinder- und Seniorenbetreuungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen; die Arbeitszeitgestaltung zu verbessern in Form von Maßnahmen zur Erhöhung der Attraktivität von Teilzeitarbeit und zur Erleichterung von Unterbrechungen der Erwerbstätigkeit und flexiblen Beschäftigungsverhältnissen; Maßnahmen auf die spezifischen Bedürfnisse benachteiligter Frauen zuzuschneiden." (Task Force Beschäftigung 2003: 39) Für die Expertengruppe zur "Zukunft der Sozialpolitik" sind wesentliche Voraussetzungen für bessere Chancen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt eine Antidiskriminierungs-Gesetzgebung und die Beseitigung der Entgeltungleichheit in den Tarifverträgen. Darüber hinaus empfiehlt sie die Überprüfung einkommensabhängiger Sozialleistungen auf Diskriminierungstatbestände sowie den Ausbau von Betreuungseinrichtungen. Die meisten Mitgliedsländer, so die europäischen ExpertInnen, seien von den vom Europäischen Rat gesetzten Zielen noch weit entfernt. Die EU befindet sich derzeit an einem entscheidenden Punkt grundlegender Veränderungen. Einen geeigneteren Zeitpunkt als jetzt, um sich mit dem Stand der Gleichstellung von Männern und Frauen innerhalb der Union auseinander zu setzen und Verbesserungsmöglichkeiten aufzuzeigen, gibt es nicht. "Männer und Frauen müssen berufliche und private Aufgaben teilen. Dies ist von grundlegender Bedeutung, wenn die EU eine moderne Gesellschaft schaffen will, die auch global wettbewerbsfähig ist", bekräftigte Anfang Februar 2005 der EU-Kommissar Vladimir Špidla,[8] zuständig für Beschäftigung, Soziales und Chancengleichheit. Für 2007 schlägt die EU-Kommission in der Sozialagenda 2005-2010 ein Europäisches Jahr der Chancengleichheit vor. In diesem Jahr soll die Bedeutung des Themas Anti-Diskriminierung hervorgehoben werden sowie die erzielten Ergebnisse besser bekannt gemacht werden. Und schließlich sollen die Vorteile der Vielfalt für die europäische Wirtschaft und Gesellschaft verdeutlicht werden. Ein Jahr der Chancengleichheit böte doch eine wunderbare Gelegenheit, ein Zwischenresümee zum tatsächlichen Stand der Gleichstellung in Europa und den tatsächlichen Wirkungen europäischer Frauen- und Gleichstellungspolitik zu ziehen. Europa muss sich an sich selbst messen lassen! Die Gleichstellungs- und Frauenpolitik muss in Europa in die Top Ten der politischen Agenda Die europäische Politik hat in den vergangenen Jahren wichtige Impulse für die Frauen- und Gleichstellungspolitik gegeben. Zu häufig ist allerdings die tatsächliche Umsetzung nicht ausreichend erfolgt. Eine Vernachlässigung im Erweiterungsprozess würde zu Rückschritten und massiven Verwerfungen in den Lebens- und Arbeitsbedingungen von Frauen führen. Die dringend notwendige Akzeptanz der weiblichen Bevölkerung im zusammenwachsenden Europa wird nur zu erreichen sein, wenn alle im Alltag die Chancen praktisch erfahren. Mit diesem Buch wollen wir einen Beitrag leisten für einen breiten Dialog über die Zukunft der europäischen Arbeitsgesellschaft unter gleichberechtigter Partizipation von Frauen. Uns allen wünschen wir dabei viel Erfolg. Wir hoffen, dass auf unseren Beitrag noch viele weitere folgen.

Literatur
Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2005a): Bericht der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen zur Gleichstellung von Frau und Mann 2005, Brüssel
Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2005b): Mitteilung der Kommission an den Rat: Entwurf des gemeinsamen Beschäftigungsberichts 2004/2005, Brüssel
Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2002): Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Implementierung des Gender Mainstreaming in den Strukturfonds-Programmplanungsdokumenten 2000-2006, Brüssel
Hochrangigen Gruppe (2004): Bericht der Hochrangigen Gruppe über die Zukunft der Sozialpolitik in der erweiterten Europäischen Union, Brüssel
Prognos AG (2003): Betriebswirtschaftliche Effekte familienfreundlicher Maßnahmen. Kosten-Nutzen-Analyse. Im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Köln
Task Force Beschäftigung (2003): Jobs, Jobs, Jobs: Mehr Beschäftigung in Europa schaffen, Bericht der Task Force Beschäftigung, Vorsitz: Wim Kok, Brüssel

[1] Mehr zum Gender Mainstreaming-Ansatz auf Seite 14f.
[2] Welche besondere Rolle die Sozialpartner in der Beschäftigungsstrategie sowie bei der Umsetzung der Lissabon-Strategie oder der sozialpolitischen Agenda spielen sollen, wird ab Seite 24 unter der Überschrift "Die Gewerkschaften – Sozialpartner für Geschlechterdemokratie" beschrieben.
[3] Was der Europäische Rat darunter versteht, haben die Staats- und Regierungschefs 2002 in Barcelona definiert: "Das europäische Sozialmodell stützt sich auf gute Wirtschaftsleistungen, ein hohes Niveau sozialer Sicherung, einen hohen Bildungs- und Ausbildungsstand und sozialen Dialog."
[4] Seit 2004 dokumentiert die EU-Kommission alljährlich die Fortschritte ihrer Gleichstellungspolitik in einem Bericht zur Gleichstellung von Frau und Mann. Der aktuelle Bericht von 2005, der erste nach der Erweiterung der EU, zeigt, dass trotz aller genderpolitischen Ansätze die tatsächliche Gleichstellung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt nur schleppend vorankommt.
[5] Mehr zu den Unterschieden in der Stellung der Frau auf dem Arbeitsmarkt im Kapitel 2, S. 38ff
[6] Ausführlicher werden die wechselseitigen Auswirkungen der Erweiterung auf die Arbeitsmärkte in den alten und neuen EU-Ländern im Beitrag von Anne Graef beschrieben.
[7] Hinzu kommen die vier Gemeinschaftsinitiativen der EU. Sie beinhalten die Förderung der grenzübergreifenden, transnationalen und interregionalen Zusammenarbeit (Interreg), wirtschaftliche und soziale Wiederbelebung von krisenbetroffenen Städten (URBAN), Entwicklung des ländlichen Raums (Leader) und transnationale Zusammenarbeit zur Förderung neuer Methoden zur Bekämpfung von Diskriminierung und Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt (EQUAL).
[8] Pressemitteilung des Kommissariats für Beschäftigung, Soziales und Chancengleichheit vom 9. Februar 2005

Leseprobe 2

Kirsten Rölke
Mitmischen, mitgestalten, vernetzen:
Frauen bewegen Politik in der EU Europa ist weiblich – zumindest in der Statistik: Mehr als die Hälfte der 450 Millionen Menschen in der Europäischen Union sind Frauen. Seit ihrer Gründung gingen zahlreiche Impulse für die Chancengleichheit von Frauen und Männern von der EU aus. Damit Europa auch künftig die Frauen in den neuen wie in den alten Mitgliedsländern voran bringt, müssen sie ihre Interessen in den Prozess der europäischen Integration einbringen. Politik und Gewerkschaften sind gefordert, sie auf vielerlei Weise dabei zu unterstützen. Denn für ein Europa der Bürgerinnen und Bürger sind gleiche Chancen für beide Geschlechter eine unverzichtbare Voraussetzung. Die Sektflaschen sind weggeräumt und die Feuerwerke abgebrannt: Ein knappes Jahr nach den Erweiterungsfeiern ist der Alltag diesseits und jenseits der alten EU-Grenzen wieder eingekehrt. Zu Recht wurde der 1. Mai 2004 als historisches Datum bejubelt – mit den Beitritten der Staaten Mittel- und Osteuropas zur Europäischen Union ist ein entscheidender Schritt hin zu einem einheitlichen Europa gemacht worden. Die Erweiterung der EU stellt uns in den nächsten Jahren weiterhin vor große Herausforderungen. Wir müssen nicht nur die Teilung unseres Kontinents in Ost und West überwinden, wir müssen auch die Spaltung in eine Männer- und Frauenwelt, insbesondere auf dem Arbeitsmarkt, aufheben. Bereits im Vorfeld der Erweiterung ist viel über Chancen und Risiken geschrieben worden: zum Beispiel, welche Vorteile die EU der 25 dem Wirtschaftsraum Europa im globalen Wettbewerb bringt und welche neuen Märkte es für die Unternehmen aus den alten Mitgliedsländern zu erobern gibt. Auf die wirtschaftlichen und sozialen Risiken, auf die Gefahr von Sozial- und Lohndumping haben vor allem die Gewerkschaften hingewiesen. Kaum thematisiert wurden dagegen die Auswirkungen der Erweiterung auf die Situation der Frauen in den alten wie in den neuen EU-Staaten. Insgesamt kommt in der öffentlichen Debatte die Gleichstellungsfrage in Ost und West viel zu kurz. Frauen viel stärker belastet Ein Jahr nach der Erweiterung ist es sicherlich noch zu früh, eine umfassende Bilanz aus dem weiblichen Blickwinkel zu ziehen. Streiflichter auf die Situation der Frauen in Ost- wie Westeuropa werfen die Beiträge in diesem Buch auf. Es scheint sich eine neue Arbeitsteilung – auch in den einzelnen Unternehmen – herauszukristallisieren: Unternehmen aus der Alt-EU erhalten an ihren bisherigen Standorten tendenziell nur Kernbelegschaften, arbeitsintensive, geringer produktive oder so genannte niedrig qualifizierte Bereiche werden nach Mittelosteuropa verlagert. Eine Arbeitsteilung, die für die Frauen sowohl diesseits als auch jenseits der Grenzen nicht ohne Folgen bleibt. Während im Westen Arbeitsplätze abgebaut werden, bieten die neuen Arbeitsplätze im Osten den vielfach hoch qualifizierten Frauen nur begrenzt Chancen, einen ausbildungsadäquaten Arbeitsplatz zu finden. Gleichzeitig entstehen neue Konkurrenzen, werden die Frauen aus den alten und neuen EU-Ländern gegeneinander ausgespielt. Doch Lohndumping und Deregulierung gehen zu Lasten der Arbeitnehmerinnen auf beiden Seiten der Grenzen. Gewerkschaftsarbeit über Grenzen Gewerkschaftliche Arbeit darf deshalb an den nationalen Grenzen nicht aufhören. Bereits seit längerem gibt es in den Gewerkschaften Projekte, die den grenzüberschreitenden Dialog fördern, wenn auch noch recht wenige. Seit vierzig Jahren kooperieren beispielsweise in den Interregionalen Gewerkschaftsräten (IGRs) die Gewerkschaftsorganisationen einer europäischen Grenzregion. Die regionale Zusammenarbeit mit den neuen Mitgliedstaaten Polen und Tschechien ist die Aufgabe von vier der insgesamt 14 IGRs mit deutscher Beteiligung. Gemeinsam mit den Gewerkschaften in den Nachbarländern wollen die DGB-Gewerkschaften Ängste abbauen, Netzwerke knüpfen und die vielen Prozesse, die sich aus der EU-Erweiterung ergeben, mitgestalten. Die Übernahme des geltenden EU-Rechts durch die neuen EU-Mitglieder – von den Standards im Arbeits- und Gesundheitsschutz über die Richtlinien zu Information und Konsultation der ArbeitnehmerInnen bis hin zu Gleichstellung und Gender Mainstreaming als Querschnittsaufgabe – soll langfristig für eine Angleichung der Arbeits- und Lebensbedingungen in den neuen und alten Ländern sorgen. Die Gewerkschaften setzen sich dafür ein, dass sich das Niveau des Sozialschutzes an den besten Standards in der EU orientiert und weiterentwickelt wird. Die Erweiterung gestalten Die Gewerkschaften, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihre Interessenvertretungen haben es ein Stück weit selbst in der Hand, ob es gelingt, Lohn- und Sozialdumping in der erweiterten Union zu verhindern. Denn eines hat die EU-Erweiterung mit dem betrieblichen Strukturwandel gemeinsam – es sind Prozesse, die von Menschen initiiert und betrieben werden, und sie sind somit auch von Menschen gestaltbar. Hier sind die Gewerkschaften gefordert. Wie bei Umstrukturierungen im Betrieb kann die Erweiterung mit negativen Konsequenzen für die Menschen verbunden sein, sie bietet aber auch Chancen. Nutzen kann diese Chancen nur, wer sich den längst nicht mehr zu stoppenden Veränderungsprozessen nicht verweigert. Wer glaubt, zwangsläufig zu den VerliererInnen zu gehören, hat schon verloren. Wir müssen uns einlassen auf die neuen Bedingungen, auf die fortschreitende europäische Integration. Längst bestimmt die europäische Gesetzgebung unseren Alltag. Doch Europa, geschweige denn das erweiterte, ist bislang nur begrenzt in den Köpfen der Menschen angekommen. Bisher scheint es nicht gelungen zu sein, die Bedeutung Europas für den Alltag der Menschen in positiver Weise deutlich zu machen. Deshalb ist es vordringliche Aufgabe der Politik, für die europäische Idee zu werben. Aber auch die Gewerkschaften müssen weiter daran arbeiten, möglichst viele Menschen dafür zu gewinnen, sich in den Prozess der europäischen Integration einzumischen und ihn mitzugestalten. Europa steht am Scheideweg Denn derzeit steht Europa am Scheideweg: Setzen sich die wirtschaftsliberalen Kräfte durch, die so wenig wie möglich Einschränkungen des freien Spiels der Marktkräfte wollen? Oder überwiegen am Ende diejenigen, die sich wie die Gewerkschaften für soziales Europa engagieren, das auf sozialen Prinzipien, Nachhaltigkeit und gleichen Chancen für alle beruht? Ein Projekt in der Größenordnung der EU-Erweiterung kann nur erfolgreich sein, wenn es von der Bevölkerung mit getragen wird. Die Erweiterung darf deshalb nicht nur Märkte und Wirtschaftswachstum im Auge haben, sondern sie muss gesicherte Lebensstandards, verbesserte Umweltbedingungen, Sicherheit, Frieden und gleiche Chancen für alle als lebendige Vision vermitteln. Nur so wächst die Akzeptanz der Menschen zu Europa. Kein Europa ohne Frauen Vor allem muss offensiv um die Zustimmung der Frauen geworben werden – schließlich ist die Mehrheit der Bevölkerung in Europa weiblich. Dafür bedarf es keiner groß angelegten Werbekampagnen und Hochglanzbroschüren, entscheidend ist vielmehr, dass die Frauen real erfahren, dass Europa ihnen neue Perspektiven eröffnet. Ohne die Beteiligung der Frauen wird die europäische Integration kaum vorwärts kommen. Deshalb haben auch die politischen Institutionen der EU ein Interesse daran, Frauen für die europäische Idee zu gewinnen. Erinnern wir uns: Dass die EU-Kommission im letzten Jahrzehnt Gender Mainstreaming zur zentralen Strategie für alle Politikbereiche erklärte, hatte einen ganz realen Anlass: Eine Umfrage ergab, dass die Akzeptanz für die europäische Integration bei Frauen wesentlich geringer war als bei den Männern. Um dem zu begegnen, änderte die EU-Kommission ihre Politik und bemüht sich seit 1996 in allen Politikbereichen, bei allen Entscheidungen und Planungen die geschlechtsspezifischen Auswirkungen zu berücksichtigen. Nicht immer gelingt das gleich gut, dennoch ist die europäische Ebene eine treibende politische Kraft auf dem Weg zu mehr Geschlechtergerechtigkeit. Ansatzpunkte, damit das auch im Prozess der EU-Erweiterung so bleibt, gibt es eine ganze Reihe – ob bei der EU-Förderpolitik, der Umsetzung der Lissabon-Strategie oder der Ausgestaltung des sozialen Dialogs. Eine Lobby der Frauen Eine geschlechtergerechte Gestaltung der europäischen Integration und Arbeitsgesellschaft kommt aber kaum von allein. Die Frauen dürfen nicht ruhen, sie immer wieder von der Politik und den Gewerkschaften einzufordern. Auch die Gewerkschaften müssen sich als Akteure auf der europäischen politischen Bühne stärker bemühen, die Interessen ihrer weiblichen Mitglieder zu vertreten. Dazu gehört zunächst, mehr Möglichkeiten der Begegnung von Frauen aus den verschiedenen europäischen Ländern zu schaffen. In den europäischen Gewerkschaftsstrukturen muss dem Dialog von weiblichen Beschäftigten, Betriebsrätinnen und Gewerkschafterinnen ein breiter Raum eingeräumt werden. Die Frauen diesseits und jenseits der alten EU-Grenzen müssen die Chance haben, sich darüber zu verständigen, was sie von Europa erwarten. Nur so können wir Frauen gemeinsame Positionen zur Frauenerwerbstätigkeit entwickeln. Nur so können wir zu einer Macht in Europa werden und den einflussreichen Lobbyisten in Brüssel eine wirkungsvolle Lobby der Fraueninteressen entgegensetzen. Ein Europa der Begegnungen Europa ist geprägt von der Vielfalt der Kulturen. In dieser Vielfalt liegen zahlreiche Chancen, auch wenn die unterschiedlichen Wurzeln und Traditionen, die sprachlichen Barrieren bisweilen die Verständigung erschweren. Das gemeinsame Wirken von Frauen und Männern, von Jung und Alt, von Menschen unterschiedlicher Nationalitäten und Kulturen, ist Voraussetzung für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit. Doch die Vielfalt will gestaltet werden. Europa wird durch Dialog und Begegnung lebendig. Erst persönliche Kontakte ermöglichen es den Menschen, Verständnis für die kulturellen Unterschiede zu entfalten, und lassen sie Ambivalenzen aushalten. Nur so können die Menschen in den alten und neuen EU-Staaten ein Gespür dafür entwickeln, welche Probleme ihre Nachbarn jenseits der Grenze haben. Der Dialog versetzt die KontrahentInnen um die Jobs in einer globalisierten Welt in die Lage, sowohl widerstreitende Interessen als auch Gemeinsamkeiten zu entdecken. Deshalb brauchen die Frauen in Europa auf allen Ebenen mehr Raum für Austausch und Dialog. Ob Ost-West- oder Nord-Süd-Kontraste – wir wissen noch viel zu wenig übereinander. Wir verfügen nur unzureichend über Informationen zur politischen und sozialen Situation im Nachbarland. Das gilt nicht nur für die neuen, sondern auch für die alten EU-Mitgliedstaaten. Die Frauenpolitikerinnen im Westen kennen die Prämissen und Rahmenbedingungen für die Gleichstellungspolitik nicht, von denen ihre Kolleginnen im Osten ausgehen müssen. Umgekehrt ist das nicht anders. Erst die Kenntnis und der Vergleich dieser Voraussetzungen macht es möglich, gemeinsame Anknüpfungspunkte für die aktive Teilhabe an der Gestaltung des europäischen Integrationsprozesses zu entwickeln und politische Visionen für eine geschlechtergerechte Zukunft der europäischen Arbeitsgesellschaft zu entwerfen. Die Begegnungen sollten sich dabei nicht nur auf die Frauenpolitikerinnen und die Multiplikatorinnen in den Gewerkschaften beschränken. Wir brauchen einen breiten Austausch der Gedanken und Meinungen von Frauen in allen Organisationen. Voneinander lernen Dabei kann es nicht sein, dass die eine Seite – die alten EU-Mitglieder – der anderen Seite sagt, was gut und richtig ist. Geschlechterverhältnisse sind kultur- und kontextabhängig. Nicht jede politische Strategie lässt sich ohne weiteres übertragen. Ein Patentrezept, wie sich Chancengleichheit für Frauen und Männer unter den unterschiedlichen Bedingungen erreichen lässt, gibt es nicht. Wir müssen alle bereit sein, voneinander zu lernen, und wir müssen uns um ein differenziertes Bild der anderen bemühen. Es wäre zu einfach, die alten Kernstaaten der EU zum Vorbild für die neuen Staaten zu erklären. Auch im alten Europa ist der Stand der Gleichstellung der Geschlechter von Land zu Land höchst unterschiedlich. Von vielen Errungenschaften der Skandinavierinnen sind etwa Portugiesinnen und Griechinnen, aber auch Deutsche noch weit entfernt. Weder die alten noch die neuen Länder lassen sich ohne weiteres über einen Kamm scheren. Was etwa die Selbstverständlichkeit von erwerbstätigen Müttern, die große Zahl hoch qualifizierter Frauen oder die Akzeptanz von Frauen in technischen und naturwissenschaftlichen Berufen betrifft, sind uns manche der ehemals sozialistischen Staaten immer noch voraus. Lettland und Litauen etwa sind beim Anteil von Frauen in Führungspositionen in der privaten Wirtschaft EU-weit führend. Dagegen herrscht im katholisch geprägten Polen in der öffentlichen Meinung ein Frauenbild vor, das die Polinnen auf die klassischen drei K’s – Kinder, Küche, Kirche – reduziert. Frauen brauchen starke Gewerkschaften Bei allen Unterschieden gibt es eine Gemeinsamkeit: Die negativen Auswirkungen des Strukturwandels treffen Frauen meist besonders. So sind von den Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt, vom Sozialabbau im Zuge des Transformationsprozesses die Frauen in Mittelosteuropa viel stärker betroffen als die Männer. Die Zahl der arbeitslosen Frauen steigt dort erheblich schneller, Frauen stellen den Löwenanteil der Langzeitarbeitslosen, Millionen werden in prekäre Beschäftigungsverhältnisse, in die Scheinselbstständigkeit verdrängt. Um sich dagegen zu wehren, müssen sich die Frauen organisieren und ihre Interessen in die Gewerkschaften einbringen. Wenn sich Frauen in den Gewerkschaften organisieren, stärkt das die Durchsetzungsmacht der Gewerkschaften. Und auch in Mittelosteuropa brauchen die Frauen starke Gewerkschaften, die bereit sind, die besonderen Interessen arbeitender Frauen mit Vehemenz zu vertreten. Europaweit vernetzen Solidarität ist keine Einbahnstraße. Starke Gewerkschaften in den neuen Ländern kommen auch den ArbeitnehmerInnen hierzulande zugute. Denn für die alten wie für die neuen Länder ist es gleichermaßen wichtig, dass die Beschäftigungsbedingungen, die Arbeitnehmerrechte und die gleichberechtigte Teilhabe der Frauen in Mittelosteuropa gesichert und weiterentwickelt werden. Während sich durch höhere Löhne und bessere Einkommen der Lebensstandard der Menschen im Osten verbessert, profitieren die ArbeitnehmerInnen im Westen von der Eindämmung des Wettbewerbs um die Arbeitskosten. Letztlich nutzt es beiden Seiten, wenn sie nicht gegeneinander, sondern miteinander agieren. Unter den Bedingungen der europäischen Integration und der voranschreitenden Internationalisierung der Wirtschaft lassen sich sozialer Zusammenhalt und Chancengleichheit immer weniger auf nationalem Terrain sichern. Um effektiv die Interessen der berufstätigen Frauen zu vertreten, müssen wir deshalb die vorhandenen europäischen Netzwerke in den Gewerkschaften, etwa die Frauen- und Gleichstellungsausschüsse in den europäischen Dachverbänden, stärken und neue Netzwerke knüpfen. Sozialer Dialog und Frauenbeschäftigung Auf allen Ebenen, in allen Institutionen und Gremien, in denen gewerkschaftliche AkteurInnen Arbeitsbedingungen in Europa mitgestalten, müssen sie der Durchsetzung gleicher Chancen von Frauen und Männern mehr Gewicht einräumen. So sollten im sozialen Dialog, in dem die europäischen Sozialpartner autonom Vereinbarungen aushandeln, alle Themen grundsätzlich auf ihre Auswirkungen auf die Frauenerwerbstätigkeit überprüft werden. Gleiches gilt auch für die Rolle der Gewerkschaften als Sozialpartner in den Grenzregionen zwischen den alten und neuen EU-Staaten. Die EU hat die besondere Bedeutung der Grenzregionen innerhalb der EU für das Gelingen der europäischen Integration erkannt und deshalb mit den Euroregionen Strukturen für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Kommunen und Kreisen sowie deren wichtigen gesellschaftlichen Akteuren, wie zum Beispiel die Sozialpartner, geschaffen. Denn dort spüren die Menschen hautnah, welche Unterschiede es bei den Arbeits- und Lebensbedingungen nach wie vor gibt. Sie müssen längst mit den vielfältigen Effekten der Erweiterung leben – vom Wohlstandsgefälle bis zum Anpassungsdruck im Strukturwandel. Ob zum Arbeiten oder Einkaufen – tagtäglich gehen GrenzgängerInnen ins Nachbarland. Und während auf der einen Seite ein Geschäft nach dem anderen dicht macht, entstehen auf der anderen Seite neue Einkaufszentren. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in den Euroregionen soll helfen, Basisfragen des Miteinanders zu klären – von grenzüberschreitenden Buslinien und zweisprachigen Informationsschildern bis hin zu gemeinsamen Arbeitsmarktinitiativen und grenzüberschreitenden Konzepten zur regionalen Struktur- und Wirtschaftspolitik. Aufgabe der Gewerkschaften ist es auch hier, immer die Chancen der Frauen auf dem regionalen Arbeitsmarkt im Blick zu haben. Chancengleichheit in der europäischen Betriebs- und Tarifpolitik Um in transnationalen Unternehmen für alle Standorte Chancengleichheitsaktivitäten zu initiieren, gehört der Einsatz für gleiche Chancen von Männern und Frauen sowie für eine bessere Vereinbarkeit von Job und Familie auf die Tagesordnung der Europäischen Betriebsräte. Länderübergreifende Gleichstellungsausschüsse beispielsweise können nicht nur Kontakte von weiblichen Beschäftigten aus verschiedenen Ländern fördern, sie ermöglichen auch den Austausch über gute betriebliche Gleichstellungspraxis und leisten damit einen wichtigen Beitrag für die Weiterentwicklung der Chancengleichheitspolitik in transnationalen Unternehmen. Auch bei den noch in den Kinderschuhen steckenden Ansätzen einer europäischen Tarifpolitik müssen die geschlechtsspezifischen Auswirkungen auf den Verhandlungstisch. Denn noch immer ist europaweit die Entgeltdiskriminierung von Frauen nicht beseitigt. Vorbildliche EU-Politik ist kein Ruhekissen Schon bevor die EU-Kommission 1996 Gender Mainstreaming zur Strategie für alle Politikfelder erklärte, gingen viele Impulse zur Chancengleichheit von Europa aus. Angefangen bei den Römischen Verträgen 1957, in denen bereits das Recht auf "gleiches Entgelt bei gleicher Arbeit" verankert wurde – während in Deutschland Ehefrauen, die arbeiten wollten, noch bis in die 1960er Jahre hinein formal ihren Gatten um Erlaubnis fragen mussten. Im Amsterdamer Vertrag von 1997, seit dem 1. Mai 1999 in Kraft, legten die EU-Staaten Chancengleichheit als Querschnittsziel der EU fest. Im gleichen Jahr beschlossen sie auch, dass alle Mitgliedstaaten Gleichstellung in ihre Beschäftigungsstrategien einbeziehen müssen. Auch der noch nicht ratifizierte Entwurf einer Europäischen Verfassung schreibt Geschlechtergerechtigkeit als Ziel der EU und die Gleichheit der Geschlechter in allen Bereichen vor. Flankiert werden die politischen Beschlüsse durch eine EU-Förderpolitik, die dafür sorgen soll, dass Gelder aus EU-Töpfen nur fließen, wenn die Maßnahmen und Projekte "gegendert" sind. Trotzdem besteht auch heute noch eine große Kluft zwischen den rechtlichen Normen und der sozioökonomischen Realität von Frauen. Nachzulesen ist dies im Bericht der Kommission zur Gleichstellung von Frauen 2004. Danach sind vor allem auf dem Arbeitsmarkt die Benachteiligungen von Frauen immer noch immens. Das heißt: Trotz ihrer vorbildlichen Chancengleichheitspolitik muss die EU noch nachlegen, damit die guten Regelungen, Richtlinien und Urteile des Europäischen Gerichtshofes mit Leben erfüllt werden. Zukunftsthema für die Gewerkschaften Europa ist die Zukunft – auch für die Gewerkschaften. Schon jetzt basieren zwei Drittel aller nationalen Gesetze auf europäischen Entscheidungen. Europa bestimmt längst unseren Alltag, die Arbeits- und Lebensbedingungen hierzulande, und der Einfluss der europäischen Politik wird noch steigen. Einhellig haben deshalb die DGB-Gewerkschaften beschlossen, dass sie Europapolitik künftig stärker in den Mittelpunkt ihres Handelns rücken wollen. Für eine Europäisierung der Gewerkschaftspolitik ist es notwendig, sich eine der zentralen Maximen der europäischen Politik, das Gender Mainstreaming, noch mehr zu eigen zu machen. Ich bin überzeugt: Wenn die Gewerkschaften ihre Politikfelder von Arbeitsmarkt und Tarifpolitik über Sozial- und Wirtschaftspolitik bis zur Vereinbarkeit von Beruf- und Privatleben konsequent mit einer europäischen und einer gleichstellungspolitischen Perspektive verbinden, können sie nur gewinnen. Sie werden handlungsfähiger, weil sich viele Probleme im nationalen Zusammenhang allein nicht mehr bewältigen lassen. Und sie würden glaubwürdiger und attraktiver für ihre Mitglieder – vor allem für potenzielle. Nach wie vor sind die Gewerkschaften männlich geprägte Organisationen. Sie werden für Frauen interessanter, wenn sie in ihrer konkreten Politik die Interessen von Frauen und Männern gleichermaßen vertreten. Die Gewerkschaften müssen in Sachen Chancengleichheit die Politik in die Pflicht nehmen und überall dort, wo sie selbst auf nationaler oder auf europäischer Ebene etwas bewegen können, aktiv werden. So könnten sie zum Motor für eine wirkliche Gleichstellung der Geschlechter in Europa werden. Forderungen an die Politik Mit der Erweiterung der Europäischen Union um zehn neue Mitgliedstaaten haben die sozialen Unterschiede innerhalb der EU zugenommen. Diese abzubauen und einen Absenkungswettlauf der Arbeitsbedingungen in Europa zu verhindern, ist die Herausforderung für die Europapolitik der nächsten Jahre. Dem Modell von der EU als bloßem Wirtschaftsraum mit möglichst marktliberaler Prägung setzen die Gewerkschaften ein soziales Europa entgegen. Nur wenn soziale Prinzipien und Nachhaltigkeit mit der gemeinsamen Währung und Wirtschaft verbunden werden, werden die Menschen eine europäische Identität entwickeln können. Deshalb muss das europäische Sozialmodell weiterentwickelt werden. Aus frauenpolitischer Sicht sehen die Gewerkschafterinnen vor allem in folgenden Punkten aktuellen politischen Handlungsbedarf:   Die programmatischen Beschlüsse der EU zu Gender Mainstreaming, Frauenförderung und Chancengleichheit allein reichen nicht aus. Sie müssen in die Praxis umgesetzt werden. Wenn Mitgliedstaaten gegen sie verstoßen, muss das deshalb spürbar sanktioniert werden.   Die Durchsetzung der Chancengleichheit ist ein dynamischer Prozess, deshalb müssen auch die EU-Grundsätze zur Chancengleichheit laufend weiterentwickelt und konkretisiert werden.   Konsequenter als bisher müssen alle Politikfelder, alle Maßnahmen und Gesetzesvorhaben, auf ihre Wirkungen auf Männer und Frauen überprüft werden. Das gilt insbesondere für alle Vorhaben, die Auswirkungen auf Arbeit und Beschäftigung haben, wie die Neufassung der Arbeitszeitrichtlinie oder der Arbeits- und Gesundheitsschutz. Gerade auch bei scheinbar geschlechtsneutralen Themen wie der Zukunft des EU-Stabilitätspaktes können die geschlechtsspezifischen Auswirkungen enorm sein. Wenn einschneidende Strukturreformen zum Beispiel zur Folge haben, dass öffentliche Dienstleistungen, von Kinderbetreuung bis zum öffentlichen Nahverkehr, eingeschränkt werden, trifft das Frauen härter als Männer.   Völlig inakzeptabel ist die Verabschiedung der geplanten Dienstleistungsrichtlinie, wie sie von der Kommission in ihrem Entwurf vorgeschlagen wird. Danach soll die Erbringung von Dienstleistungen künftig den Gesetzen und Standards unterliegen, die am Firmensitz des Dienstleisters gelten. Die Einführung des so genannten "Herkunftslandsprinzips" eröffnet eine Abwärtsspirale nach unten: Dienstleistungsunternehmen könnten ihren Sitz in die Länder mit den niedrigsten Sozialstandards legen und ihr Personal europaweit einsetzen. Statt dessen muss die Einhaltung der am Arbeitsort maßgeblichen Tarifverträge und Sozialbestimmungen bindend sein, um Lohn- und Sozialdumping zu verhindern. Derzeit wird aber unter dem Deckmantel des Herkunftslandsprinzips eine Strategie verfolgt, die Sozial- und Tarifstandards bei Löhnen und Arbeitsbedingungen aushebelt und einen verschärften Unterbietungswettbewerb einläutet. Die Auswirkungen eines solchen Prozesses würden die Arbeitsbedingungen europaweit einschneidend verschlechtern.   Bei der Neuordnung der EU-Strukturfonds für die nächste Förderperiode 2007 bis 2013 muss Gender Mainstreaming ein Querschnittsziel aller geförderten Maßnahmen bleiben. Denn Ziel der Strukturförderung ist es, die Angleichung der Lebensverhältnisse in der EU zu erreichen. Solange Frauen in vielen Bereichen schlechter gestellt sind, müssen auch weiterhin alle Projekte daraufhin überprüft werden, ob sie die Chancengleichheit der Geschlechter fördern. Dafür müssen effektive Controlling-Instrumente entwickelt werden.   Der für die Förderperiode 2007 bis 2013 neu eingeführte Bereich zur Förderung von "grenzüberschreitender und transnationaler Zusammenarbeit und Netzwerken" sollte explizit um einen Schwerpunkt zur Chancengleichheit ergänzt werden.   Bei der Umsetzung der Lissabon-Strategie muss sich die EU wieder auf die ursprünglichen Ziele und Maßnahmen besinnen. Ziel der im Jahr 2000 beschlossenen Strategie war es, die EU bis 2010 zum "wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt" zu machen. Von den Gewerkschaften einhellig begrüßt, wurde ein umfangreicher Maßnahmenkatalog für Wirtschaft, Bildung, Soziales und Umwelt beschlossen, um ein "dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt" zu erreichen. Doch die Halbzeitbilanz in 2005 ist aus gewerkschafts- wie auch aus gleichstellungspolitischer Sicht wenig positiv. Wenn die EU die Lissabon-Strategie weiterhin auf eine eng verstandene Wettbewerbsfähigkeit reduziert, wird sie die Ziele verfehlen. Die Qualität der Arbeitsplätze hat sich kaum verbessert, die sozialen Differenzen in Europa haben noch zugenommen. Von den genderpolitischen Zielen von Lissabon ist nur noch die Erhöhung der Frauenerwerbsquote auf mindestens 60% übrig geblieben, so scheint es zumindest. Ein rein quantitativer Ansatz greift viel zu kurz – schon allein deshalb, weil bei der Ermittlung der Erwerbsquote jede noch so geringfügige Teilzeitarbeit erfasst wird. Die so ermittelten Zahlen stellen das Ausmaß der Frauenerwerbstätigkeit viel positiver dar, als es tatsächlich ist. Vor allem geht es aber auch um die Qualität der Frauenerwerbsarbeit. Dazu gehört Chancengleichheit am Arbeitsplatz und die Beseitigung der geschlechtsspezifischen Lohndiskriminierung ebenso wie Entwicklungsperspektiven in der Arbeit und eine umfassende soziale Sicherung.   Die EU muss bald überprüfen, ob die zehn neuen EU-Mitglieder die für alle Mitgliedsstaaten geltenden Rechte und Normen zur Gleichstellung der Geschlechter, zur Mitbestimmung und zum Arbeitnehmerschutz in nationales Recht umgesetzt haben. Falls nicht, sollte sie auf eine zügige Umsetzung drängen. Schließlich sind sie auch Bestandteil des Acquis Communautaire, des "gemeinschaftlichen Besitzstandes" der EU. Mit wenigen Ausnahmen, zum Beispiel bei Umweltauflagen, ist der Acquis Communautaire, der alle europäischen Prinzipien, Werte und Rechtsvorschriften zusammenfasst, für die neuen Mitglieder seit dem Beitritt bindend. So soll erreicht werden, dass sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen in den neuen Ländern Schritt für Schritt an die in den alten angleichen. Europatauglich ist demnach ein Land nur dann, wenn es die Durchsetzung der Chancengleichheit zum Prinzip in allen Politikfeldern macht. Aus frauenpolitischer Sicht wären hier blaue Briefe der EU-Kommission fällig – und das gilt nicht nur für neue, sondern auch für alte Mitgliedsstaaten.   Aktionsprogramme sind ein bewährtes Instrument der EU, umfassende soziale Veränderungen in Problemfeldern zu initiieren, die alle Mitgliedsstaaten betreffen – von der Bekämpfung des Rassismus über den Abbau der Jugendarbeitslosigkeit bis hin zu einem verbesserten Verbraucherschutz. Die Auswirkungen der EU-Erweiterung auf Frauenarbeitsplätze in den alten wie in den neuen Mitgliedstaaten sind so gravierend, dass ein genderpolitisches EU-Aktionsprogramm dazu notwendig und sinnvoll wäre. Bei der Ausgestaltung eines solchen Programmes gehören die Sozialpartner mit an den Tisch. Dann können auch die Gewerkschaften beweisen, wie ernst es ihnen mit der Chancengleichheit von Frauen und Männern im Prozess der europäischen Integration ist.

Leseprobe 3



Inhalt:

Mechthild Kopel / Christiane Wilke
Bringt Europa Frauen nach vorn? (Leseprobe)
Die Gleichstellungs- und Frauenpolitik muss auf der politischen Agenda bleiben
Anne Graef
Das unbekannte Europa
Schlaglichter, Daten und Fakten
Monika Kemperle
Das neue Europa lebt
Eine österreichische Perspektive
Jasna A. Petrovic
Das neue Europa lebt
Eine osteuropäische Perspektive
Maja von Lehe
Die Gender Task Force
Ein Blick auf die Aktivitäten im Grenzbereich der EU: Südosteuropa
Regina Barendt
Schicke Schnäppchen "Made in Europe"
Die Kampagne "Saubere Kleidung"
Petra Meyer / Nele Heß
Die Geschlechterdimension in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
Erfahrungen aus der Arbeit von GRIPS und SPIRIT
Astrid Knüttel
Euro-Betriebsräte, EU-Erweiterung und Gleichstellungspolitik
Klaus Priegnitz / Christine Wagner
Chancengleichheit als Handlungsfeld von Euro-Betriebsräten
Elisabeth Glöß
Die Chance beim Schopfe packen
Erfahrungen aus dem IG Metall Bezirk Bayern
Birgit Albrecht / Stefan Hennig
Erfahrungen aus den Grenzregionen – IG MetallerInnen vor Ort
Jutta Reiter / Heinz Kaulen
Chancengleichheit und Interregionale Gewerkschaftsräte
Chancengleichheit als Handlungsfeld – die Erfahrungen aus NRW
Kirsten Rölke
Mitmischen, mitgestalten, vernetzen: Frauen bewegen Politik in der EU (Leseprobe)
Anhang
Positionspapier des NRO Frauenforums und der Karat Koalition
ICFTU CEE & NIS Frauen Netzwerk
Chronik Europa bringt Frauen nach vorn: Stationen auf dem Weg zu mehr Geschlechtergerechtigkeit
Förderquellen für Gender Mainstreaming Projekte
Glossar: EU, Gender, Arbeitnehmerrechte und Gewerkschaften
Europäische gewerkschaftliche Projekte
Literaturtipps

Autorenreferenz

Birgit Albrecht ist Gewerkschaftssekretärin in der IG Metall Verwaltungsstelle Chemnitz mit den Arbeitsschwerpunkten Textil-Bekleidung, Textile Dienste und Frauenarbeit. Regina Barendt ist seit 1993 aktiv am Aufbau einer unabhängigen frauenpolitischen Plattform in Bulgarien beteiligt. Sie ist derzeit Ko-Koordinatorin der Internationalen Clean Clothes Campaign (CCC) für Osteuropa. Elisabeth Glöß ist politische Sekretärin in der Bezirksleitung der IG Metall Bayern und dort insbesondere für die Frauen- und Gleichstellungspolitik sowie Tarifpolitik zuständig. Anne Graef ist Journalistin und Redakteurin des gewerkschaftlichen Info-Dienstes "einblick" in Berlin. Stephan Hennig ist Gewerkschaftssekretär der IG Metall Verwaltungsstelle Bautzen mit den Arbeitsschwerpunkten Textil, Metallbetriebe Landkreis Löbau-Zittau, Vertrauensleutearbeit. Nele Heß ist Beraterin und Projektleiterin bei der Beratungsgesellschaft ISA CONSULT GmbH in Berlin. Heinz Kaulen ist Vorsitzender der DGB-Region NRW Süd-West in Aachen. Monika Kemperle ist Branchensekretärin für die österreichischen Textil-, Bekleidung- und Schuh-/LederarbeiterInnen in der Gewerkschaft Metall-Textil (GMT). Astrid Knüttel arbeitet beim IG-Metall-Vorstand in Frankfurt am Main im Funktionsbereich Frauen- und Gleichstellungspolitik. Mechthild Kopel ist Leiterin des Geschäftsbereichs Gender Beratung und Training bei ISA CONSULT GmbH. Maja von Lehe ist Arbeits- und Organisationspsychologin und arbeitet in Ljubljana/Slowenien für die Gender Task Force. Petra Meyer ist Leiterin der Abteilung Arbeitsmarkt- und Gleichstellungspolitik des DGB, Bezirk Berlin-Brandenburg. Jasna A. Petrovic ist Regionalkoordinatorin des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften-Frauennetzwerkes für Mittel- und Osteuropa. Klaus Priegnitz arbeitet beim IG Metall-Vorstand in Frankfurt am Main im Funktionsbereich (FB) Internationales/Europa. Jutta Reiter ist Leiterin des Referates für grenzüberschreitende Aktivitäten beim DGB-Bezirk Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf. Kirsten Rölke ist Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall in Frankfurt am Main. Christine Wagner ist IG Metall-Mitglied in Frankfurt am Main. Christiane Wilke ist Leiterin des Funktionsbereiches Frauen- und Gleichstellungspolitik beim IG Metall-Vorstand.

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