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Gabriela Cortés / Bertin Eichler / Johannes Rau / Heidemarie Wieczorek-Zeul u.a.

Arbeitnehmerrechte in einer globalisierten Welt

Hrsg. von der Otto Brenner Stiftung

144 Seiten | 2004 | EUR 12.40 | sFr 22.50
ISBN 3-89965-061-1 1

Titel nicht lieferbar!

 

Kurztext: Beim Kampf um verpflichtende soziale Arbeitsnormen stoßen die Gewerkschaften in der WTO weiter auf Granit. Sie streben deshalb freiwillige Vereinbarungen mit Betrieben an – ohne jedoch das Ziel aus den Augen zu verlieren.


Welche Erfahrungen dabei mit Verhaltenkodizes für multinationale Unternehmen gemacht wurden, diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Verleihung des Otto Brenner Preises "Fit for fair" und der Jahrestagung 2003 der Otto Brenner Stiftung ebenso wie die Konsequenzen der Globalisierung für die nationale und internationale Gewerkschaftspolitik.

Leseprobe 1

Vorwort

Was haben schicke Turnschuhe mit ungesunder Arbeit zu tun? Bei der Jahrestagung der Otto-Brenner-Stiftung, die am 12. und 13. November in Berlin stattfand, ging es nicht nur um leise Sohlen, sondern auch um heiße Eisen. Die Verleihung des Otto Brenner Preises war diesmal thematisch in die Jahrestagung eingebettet und wird daher am Beginn dieser Dokumentation mit den Ansprachen von Michael Blank, Jürgen Peters und Johannes Rau gewürdigt. Unter dem Motto "Fit for Fair" wurden in Anwesenheit des Bundespräsidenten junge Menschen ausgezeichnet, die sich kritisch mit den weltweiten Arbeitsbedingungen in der Sportswear-Industrie auseinander gesetzt haben. Die Konferenz selbst schloss inhaltlich eng an die vorherigen Jahrestagungen an.[1] War 2002 die Frage "Globalisierung oder Gerechtigkeit?" mit der Forderung "Globalisierung und Gerechtigkeit!" beantwortet worden, so befand sich diesmal ein zentraler Prüfstein bei der schwierigen und langwierigen Verknüpfung dieser beiden Schlüsselbegriffe im Fokus. Unter dem Titel "Arbeitnehmerrechte in einer globalisierten Welt" sollten möglichst viele Beteiligte zu Wort kommen und gemeinsam mit Vertretern der Arbeitnehmer- wie der Arbeitgeberseite sowie Verantwortlichen aus Gewerkschaften und Politik nach Lösungen für eine Verbesserung der Arbeits- und Sozialstandards in den Ländern der Dritten Welt suchen. Die wichtigsten Beiträge sind in diesem Band dokumentiert. Zunächst führt Christoph Scherrer in die Grundfrage des Themas ein, die sich derzeit immer dringlicher stellt: Soll ein erneuter Anlauf zur Sicherung von Arbeiterrechten im Handelssystem unternommen werden, oder sollten statt dessen alternative, eher auf die Freiwilligkeit der Verantwortlichen setzende Instrumente wie Verhaltenskodizes für transnationale Unternehmen und soziale Gütesiegel genutzt werden? Anschließend – als eine Art Einführung in die Materie aus der Sicht einer Betroffenen in einem Entwicklungsland – schildert Sonia Beatriz Lara Campos ihre Erfahrungen, die sie als ehemalige Billiglohnarbeiterin in der Bekleidungsindustrie sowie bei ihren Nachforschungen über die Arbeitsbedingungen in der Maquila in El Salvador gesammelt hat. Anliegen eines ersten Panels war es, herauszufinden, was Verhaltenskodizes global agierender Unternehmen in der Praxis wert sind. Hier kamen auch die erwähnten Turnschuhe zum Tragen – hatte die Otto Brenner Stiftung doch zwei Vertreter von global agierenden Sportbekleidungsfirmen gewinnen können, die sich in den letzten Jahren intensiv mit diesem Thema befasst haben. Die Unternehmensleitlinien bezüglich sozialer Mindeststandards, der Arbeitssicherheit sowie des Gesundheits- und Umweltschutzes in den Produktionsstätten der adidas-Salomon AG und seiner Geschäftspartner umreißt Frank Henke. Die Entwicklung von Umwelt- und Sozialstandards sowie eines entsprechenden Verhaltenskodexes durch die Firma PUMA beschreibt Reiner Hengstmann, der zudem unterstreicht, dass die Achtung der Menschenrechte elementarer Bestandteile der Sozialverantwortung des Unternehmens sei, das die Schaffung einer sozialverträglichen Arbeitsplatzumgebung in enger Kooperation mit seinen Herstellern anstrebe. Dass auch für die Mitgliedsunternehmen der Außenhandelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels die Frage der sozialen Verantwortung der Handelsunternehmen gegenüber ihren zumeist in Entwicklungsländern ansässigen Lieferanten bzw. den dort tätigen Menschen erheblich an Bedeutung gewonnen hat, stellt Heinz-Dieter Koeppe am Beispiel der KarstadtQuelle AG und ihres 1997 beschlossenen Verhaltenskodizes dar. Aller hervorgehobenen Fairness zum Trotz: Auch wenn in diesen Beiträgen gewichtige Beispiele für die These angeführt werden konnten, nach der Unternehmen sich weltweit den an sie gestellten Anforderungen stellen und auch freiwillig Verantwortung für ihr Handeln übernehmen, sind noch zahlreiche Missstände in der Entwicklung der globalen Arbeitnehmerrechte zu beklagen – dies verdeutlicht zum einen Gabriela Cortés’ Bericht über die Textil- und Bekleidungsindustrie im mexikanischen Bundesstaat Puebla. Als Vertreterin einer Nichtregierungsorganisation bittet sie um die Unterstützung der internationalen Solidarität, darum, dass Menschenrechte geachtet werden und Druck auf die Regierungen sowie auf die multinationalen Unternehmen ausgeübt wird, damit diese die Einhaltung ihrer Verhaltenskodizes durchsetzen und überprüfen. Eine differenzierte Sicht auf Verhaltenskodizes fördert auch der Beitrag von Ineke Zeldenrust von der Kampagne für saubere Kleidung: Die bisher mit diesem Instrument gemachten Erfahrungen fließen in die Empfehlungen ein, die im Clean-Clothes-Verhaltenskodex ausgearbeitet worden sind, um dessen Wirksamkeit zu verbessern, aber auch seine Grenzen und die Notwendigkeit weiterer, rechtlich verbindlicher Regelungen zu verdeutlichen. In einem zweiten Panel wurde nach den Konsequenzen gefragt, die sich aus dem Bemühen um die weltweite Stärkung von Arbeitnehmerrechten für die nationale und internationale Gewerkschaftspolitik ergeben. Friedrich Buttler von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) behandelt die seit der Gründung dieser Institution bestehende zentrale Herausforderung, ein verbindliches Regelwerk für die Globalisierung zu schaffen, das den Markt zivilisierter gestaltet, indem es ihm eine soziale Dimension verleiht. Bei dem damit verbundenen Ausgleich von Machtverhältnissen spielen die Gewerkschaften eine konstruktive Rolle, da Solidarität ihr Grundprinzip und ihre Stärke darstellt. Konkrete Vorschläge für die Ausarbeitung von Vereinbarungen zwischen Gewerkschaften und Unternehmen macht Harald Ettl von der österreichischen Gewerkschaft Metall-Textil, nicht ohne darauf zu verweisen, dass die Regelungen einer ständigen Fortschreibung unterliegen sollten, um jeweils die bestmöglichen Bedingungen für die Arbeitnehmer zu erreichen. Wege aus der Defensive, in der sich die Gewerkschaften derzeit auf der ganzen Welt befinden, weist Valter Sanchez vom Weltbetriebsrat DaimlerChrysler aus Brasilien. Dazu gehört nicht nur der Kampf gegen die schlimmsten Arbeitsverhältnisse der Welt, sondern die gemeinsame Suche nach den besten Bedingungen und Rechten für die Beschäftigten. Die Anforderungen, die sich aus der Schaffung verbindlicher Sozialstandards für den Welthandel an die Politik ergeben, waren Thema eines dritten Panels. Hier verdeutlichte Heidemarie Wieczorek-Zeul als Vertreterin der Bundesregierung und Entwicklungshilfeministerin ihr sowohl entwicklungspolitisches als auch innenpolitisches Verständnis dieser Frage: Das Engagement dafür, dass es Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die in armen Entwicklungsländern leben, besser geht und dass die Sozialstandards in der Welt angehoben werden, ist unmittelbar verbunden mit der Aufgabe, im Zuge der wirtschaftlichen Globalisierung und weltweiten Konkurrenz einen Abwärtstrend hinsichtlich sozialer Standards zu verhindern. Aus Arbeitgebersicht will Jan Eggert bei der Verbesserung der internationalen Arbeitsnormen eher das Prinzip der Freiwilligkeit und Selbstverantwortung der Unternehmen gewahrt wissen, wobei er betont, dass die deutsche Wirtschaft die ILO-Kernarbeitsnormen als globalen Mindeststandard anerkennt und sich dafür einsetzt, dass diese weltweit Anwendung finden. Bertin Eichler als geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall und stellvertretender Vorsitzender des Verwaltungsrates der Otto Brenner Stiftung wiederum schließt sich den Empfehlungen der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zur Globalisierung der Weltwirtschaft vom Juni 2002 an, denen zufolge Unternehmenskodizes rechtliche Regelungen ergänzen, sie jedoch nicht ersetzen können. Die Debatte, ob freiwillige Vereinbarungen ein Schritt in die richtige Richtung sind oder ob sie nur dazu dienen, den Druck für verbindliche Regeln abzuschwächen, konnte während der Tagung nicht abschließend entschieden werden. Die unterschiedliche Sicht auf den Stand der Arbeitnehmerrechte kam dabei durchaus zum Ausdruck. Um so wichtiger erscheint eine möglichst neutrale Beobachtungsinstanz hierzu. Die von der Internationalen Arbeitsorganisation gegründete World Commission on the Social Dimension of Globalization und ihr für den Februar 2004 angekündigter Bericht wird einen wichtigen Beitrag dazu leisten. Wir werden uns in unserer zukünftigen Arbeit damit weiter befassen, aber auch das Gespräch dazu mit Experten und Aktiven fortsetzen, denn Bedarf besteht, solange in der "einen" Welt noch nicht für alle die bestmöglichen Arbeitsbedingungen realisiert sind. Auch wenn nicht alle Kontroversen aufgelöst wurden: Der Zusammenhang zwischen schicken Turnschuhen, leisen Sohlen und heißen Eisen dürfte deutlich geworden sein. Berlin, im Februar 2004
Heike Kauls [1] Siehe die von der Otto Brenner Stiftung herausgegebenen Dokumentationen: Susan George / Friedhelm Hengsbach / Noreena Hertz / Klaus Zwickel u.a.: Globalisierung oder Gerechtigkeit? Politische Gestaltung und soziale Grundwerte, Hamburg 2003; Christopher Flavin / Brigitte Young / Christoph Scherrer / Klaus Zwickel u.a., Global Governance. Gewerkschaften und NGO’s – Akteure für Gerechtigkeit und Solidarität, Hamburg 2002; Pierre Bourdieu / Erhard Eppler / Renate Ohr / Klaus Zwickel u.a., Neue Wege der Regulierung. Vom Terror der Ökonomie zum Primat der Politik, Hamburg 2001; Heiner Flassbeck / Anthony Giddens / Franziska Wiethold / Klaus Zwickel u.a., Ein dritter Weg in das dritte Jahrtausend. Von der Standort- zur Zukunftsdebatte, Hamburg 2000.

Leseprobe 2

Bertin Eichler
Plädoyer für verbindliche soziale Regelungen
Forderungen der IG Metall zur Durchsetzung internationaler Arbeitsnormen Seattle 1999, Nizza 2000, Genua 2001, Evian 2003 – all diese Orte rückten in den Blick einer breiten Öffentlichkeit, weil Fernsehen und Zeitschriften ausführlich über die Aktionen der so genannten Globalisierungskritiker berichteten. Zwar ist für viele Menschen die Notwendigkeit weltweiter wirtschaftlicher Zusammenarbeit nachvollziehbar, doch gibt es in breiten Teilen der Bevölkerung ein latentes Unbehagen über das, was Globalisierung für sie im Alltag bedeuten kann. Arbeitsplatzabbau, Druck auf die Sozialversicherungssysteme, Standortkonkurrenz usw. werden von vielen als bedrohlich wahrgenommen. Viele Menschen können die Folgen der Globalisierung für ihr persönliches Leben einfach nicht einordnen. Im Kontext der Zukunftsdebatte der IG Metall sagten fast 40% der Befragten im Organisationsbereich der IG Metall, dass sich die Politik gegenüber der Wirtschaft immer weniger durchzusetzen vermag. Die Befürchtungen, die hier zum Ausdruck kommen, treffen genau den Kern des Problems: Es fehlt an einer politischen und sozialen Einbettung der Wirtschaftsglobalisierung. Oder anders ausgedrückt, es geht bei all diesen Auseinandersetzungen schlicht und ergreifend um die Frage der sozialen Dimension in einer globalen Welt. Joseph Stiglitz, einer der weltweit bekanntesten Ökonomen, Nobelpreisträger und ehemaliger Chef-Volkswirt der Weltbank, bringt es so auf den Punkt: "Wie kann Globalisierung so gestaltet werden, dass sie den größtmöglichen Nutzen für die größtmögliche Zahl der Menschen – mit dem Ziel für alle Menschen – hat?" 1. Staatliche soziale Regulierung Verlierer des internationalen Handels ist die Gruppe der am wenigsten entwickelten Länder, die so genannten Least Developed Countries. Die 48 am wenigsten entwickelten Länder mit 600 Millionen Einwohnern nehmen gerade mal mit 0,4% am Welthandel teil. Verlierer der globalen Wirtschaft sind vor allem die Menschen, denen Menschen- und Arbeitnehmerrechte vorenthalten werden. Ein großer Teil der international gehandelten Waren stammt aus Ländern, die Arbeitnehmerrechte systematisch unterdrücken. Der Internationale Bund freier Gewerkschaften, der IBFG, gibt jährlich eine Übersicht über die Verletzung von Gewerkschaftsrechten heraus. Jährlich werden Arbeitnehmerrechtsverletzungen in über 100 Ländern dieser Welt aufgelistet. Allein im Berichtszeitraum 2002 wurden in Kolumbien 185 Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter ermordet. Land für Land listet der IBFG für uns hier in Deutschland unfassbare Verhältnisse auf. Sehr häufig kommen massive Verletzungen von Arbeitsrechten in so genannten Freien Exportzonen vor, wo zu 60-70% Frauen arbeiten. Freie Exportzonen sind meist räumlich abgegrenzte Gebiete, in denen für den Export produzierende Unternehmen steuerliche und finanzielle Vergünstigungen genießen. Oft wird in diesen Freihandelszonen aber auch ganz offiziell geltendes Arbeitsrecht außer Kraft gesetzt und den Unternehmen "Gewerkschaftsfreiheit" zugesichert – im Sinne des Interesses der Unternehmen, frei von Gewerkschaften zu sein. Mittlerweile gibt es übrigens mehr als 2.000 Freie Exportzonen in etwa 70 Entwicklungs- und Schwellenländern. Angesichts dieses Ausmaßes wird deutlich, dass durch solche rechtlosen Zustände in jedem Fall eine Abwärtsspirale entsteht, bei der gerade die ärmsten Länder auf niedrigstem Niveau miteinander konkurrieren. Der IG Metall geht es nicht darum, anderen Ländern die komparativen Kostenvorteile zu nehmen, indem z.B. unrealistische Mindestlöhne gefordert oder Arbeitsbedingungen auf dem Niveau der Bundesrepublik Deutschland verlangt werden. Der IG Metall geht es angesichts der aufgeführten Beispiele um "soziale Regeln", um die Einhaltung der Kernarbeitsnormen in der internationalen Arbeitsorganisation. Sie sind in der Erklärung über die "grundlegenden Prinzipien und Rechte bei der Arbeit" von 1998 verankert. Die IAO-Erklärung von 1998 bestätigt vier grundlegende Arbeitsnormen:
1. Koalitionsfreiheit und Anerkennung des Rechts auf Tarifverhandlungen
2. Abschaffung aller Arten von Zwangsarbeit
3. tatsächliche Abschaffung der Kinderarbeit
4. Beseitigung der Diskriminierung im Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnis Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Diese Normen sind ein fester Bestandteil der Menschenrechte, denn sie sind von mindestens einer Zweidrittelmehrheit der IAO-Mitglieder verabschiedet worden. Eingehalten werden sie trotzdem nicht. Wenn die Globalisierung sozial gestaltet werden soll, dann müssen die Kernarbeitsnormen endlich vom Papier in die real existierende Welt umgesetzt werden. Nebenbei bemerkt: Die Diskussion um eine soziale Dimension in der Weltwirtschaft kann auf eine über dreißigjährige Geschichte zurückblicken. Auf Gewerkschaftsseite wurde zum ersten Mal 1970 durch den damaligen Generalsekretär der Internationalen Textil-, Bekleidungs-, Leder-Gewerkschaft, Charles Ford, die Forderung einer so genannten Sozialklausel in internationalen Handelsverträgen erhoben. Diese Forderung nach einer Sozialklausel wurde 1991 vom IBFG erstmals unterstützt. Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften beschlossen 1994, diese Position zur Grundlage ihrer Politik zu machen. Mittlerweile haben der IBFG, der DGB und die IG Metall ihre Forderung, den Kernarbeitsnormen überall in der Welt Geltung zu verschaffen, in einen integralen entwicklungsorientierten Ansatz eingebettet. Ich verweise hier nur auf die gemeinsame Erklärung von DGB, dem Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen – kurz VENRO – und ATTAC zur politischen Gestaltung der Globalisierung vom Dezember 2002. In dieser Erklärung haben der DGB und seine Gewerkschaften klar zu entwicklungspolitischen Fragestellungen Position bezogen. Eine zum Teil früher vorhandene Konfrontation zwischen neuen sozialen Bewegungen und Gewerkschaften ist heute einer deutlichen Annäherung der Ziele und Stoßrichtungen beider Seiten gewichen. Dadurch konnten die Gewerkschaften inzwischen glaubhaft dem Protektionismusverdacht entgegentreten, unter dem die Sozialklauseldebatte vorher gestanden hatte. An dieser Stelle sei auch eines noch einmal ganz klar gesagt: Die IG Metall ist Mitglied in internationalen Organisationen, so zum Beispiel nämlich dem Internationalen Metallerbund, der Internationalen Textil-, Bekleidungs- und Lederarbeitervereinigung und dem Internationalen Bund der Bau- und Holzarbeiter. Und es sind gerade die Kolleginnen und Kollegen aus den Entwicklungs- und Schwellenländern, die im Rahmen unserer gemeinsamen Arbeit an uns herantreten, um Unterstützung für ihre Forderung nach Kernarbeitsnormen in internationalen Verträgen zu suchen. In vielen Diskussionen mit Regierungsorganisationen machen wir deutlich, dass es den Gewerkschaften bei der Diskussion um Sozialstandards in der WTO allein darum geht, das mächtige, im Interesse der Kapitaleigentümer stehende liberalisierte Welthandelssystem endlich um längst überfällige soziale Minimalanforderungen zu ergänzen. Doch angefangen mit der ersten Ministerkonferenz der WTO in Singapur in 1996 bis hin zur vierten Ministerkonferenz der WTO in Doha (Qatar) im November 2002 bzw. zur fünften Ministerkonferenz der WTO in Cancún (Mexiko) im September 2003 lässt sich zusammenfassend festhalten, dass sich die Erwartungen an eine soziale Agenda und mehr Demokratie und Transparenz in der WTO in keiner Weise erfüllt haben. Die Abschlusserklärung anlässlich der 4. WTO-Konferenz enthält in der Präambel eine unverbindliche Erklärung, die im Prinzip das Ergebnis der Ministerkonferenz von Singapur 1996 noch einmal wiederholt. Zitat: "Wir bekräftigen erneut unsere bei der Ministerkonferenz in Singapur abgegebene Erklärung hinsichtlich international anerkannter Kernarbeitsnormen. Wir nehmen die bei der internationalen Arbeitsorganisation hinsichtlich der sozialen Dimension der Globalisierung begonnene Arbeit zur Kenntnis." Andersherum formuliert bedeutet dies, dass die internationale Gewerkschaftsbewegung auf sozialer Ebene nicht über den erreichten Status Quo hinausgekommen ist, d.h. dass die Ablehnung einer sozialen Verpflichtung der WTO bekräftigt wurde. Besonders fatal für uns als IG Metall war, dass auf der fünften Ministerkonferenz der WTO im September 2003 die Frage der sozialen Dimension noch nicht einmal auf der politischen Agenda der Tagung stand. Angesichts dieser Situation fordern wir von der Politik, zusammen mit den "Global Unions", d.h. den internationalen Gewerkschaften, mindestens eindeutig zu regeln,   dass UN-Abkommen, wie etwa die IAO-Entschließung zu den Kernarbeitsnormen, völkerrechtlich höher zu bewerten sind als Handelsbestimmungen,   dass endlich eine gemeinsame offizielle Arbeitsgruppe von WTO und IAO eingerichtet wird, die den Zusammenhang von Handel und sozialer Entwicklung untersucht. Deshalb knüpft die IG Metall auch hohe Erwartungen an den Bericht der IAO-Weltkommission zur "sozialen Dimension der Globalisierung", der im Februar 2004 nach Beratung der Generaldirektoren von IWF, Weltbank und WTO vorgelegt werden soll. Wird es nun endlich ein institutionalisiertes "Standing Forum" bestehend aus WTO, IAO, UNCTAD, Weltbank, IWF und anderen Akteuren geben? Wird die IAO mehr Geld und einen Beobachterstatus bei der WTO, bei IWF und der Weltbank erhalten? Wir sind sehr gespannt, die Antworten der Politik zu hören, aber eins ist klar: Die IG Metall wird weiterhin dafür eintreten, zu verbindlichen zwischenstaatlichen Regelungen zur Durchsetzung einer sozialen Dimension zu kommen. 2. Verhaltenskodizes / Internationale Rahmenabkommen Parallel zu den auf der Ebene internationaler Institutionen und Verbände geschilderten Diskussionen wird seit langer Zeit über so genannte freiwillige Vereinbarungen zwischen Unternehmen und Gewerkschaften verhandelt. Das ist sozusagen der zweitbeste Weg. Ziel ist es, die Einhaltung von Kernarbeitsnormen der IAO durch verpflichtende Erklärungen von Unternehmen zu gewährleisten und die soziale Situation europa- und weltweit für die breite Arbeitnehmerschaft zu verbessern. Warum beschreitet die IG Metall diesen Weg? Man muss sich nur die Tatsache vor Augen halten, dass die transnationalen Konzerne über eine gewaltige Kapitalkraft verfügen. Globalisierung ist auch und vor allem getrieben von diesen Multis. Und daher sind sie auch der richtige Anknüpfungspunkt. Der Umsatz dieser Unternehmen übertrifft das Bruttoinlandsprodukt vieler Einzelstaaten:   Unter den 100 größten wirtschaftlichen Einheiten gibt es 52 Konzerne, aber nur 48 Staaten.   Die 15 größten Unternehmen der Welt erreichen zusammen einen höheren Umsatz als das Bruttoinlandsprodukt, das die 60 ärmsten Staaten dieser Welt erzielen. Heutzutage gibt es nach der jüngsten UNCTAD-Schätzung etwa 60.000 international operierende Konzerne mit 500.000 Ablegern in aller Welt. Wenn ich mir ansehe, wie viele freiwillige Vereinbarungen, ob Verhaltenskodex oder Internationales Rahmenabkommen genannt, es bis zum heutigen Tage gibt, dann kann ich mindestens feststellen: Es gibt noch viel zu tun. Natürlich sehen wir, dass die Frage des Abschlusses freiwilliger Vereinbarungen in den letzten Jahren stark in Bewegung geraten ist:   Ob es nun der Weltvertrag, der "Global Compact" von UN-Generalsekretär Kofi Annan von 1999 ist, der als Empfehlung für transnationale Konzerne entwickelt wurde,   ob es die Leitsätze für multinationale Unternehmen der OECD vom Jahre 2000 sind, die Kernarbeitsnormen enthalten,   ob es die Initiativen des Europäischen Parlaments von 1999 sind, insbesondere vorangetrieben vom britischen Labourabgeordneten Howitt, die letztlich in der Reaktion der EU-Kommission in einem Grünbuch "Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung von Unternehmen" mündeten,   oder ob es aktuell, sozusagen als Ergänzung zur Konkretisierung des "Global Compact", die so genannten Draft Norms der Vereinten Nationen sind. All diese Ansätze sind löblich, aber – das ist unsere Kritik – in der Regel unverbindlich. Nehmen wir beispielsweise die Draft Norms der Vereinten Nationen. Sie halten klar und eindeutig am Primat der staatlichen Verantwortung für die Menschenrechte fest. Experten schätzen, dass der Umsetzungsprozess 10 bis 15 Jahre in Anspruch nehmen wird, um letztlich eine IAO-Konvention daraus entstehen zu lassen. Nehmen wir die Leitsätze für multinationale Unternehmen der OECD. In einem Workshop der IG Metall im Dezember 2001 wurden sie nach Aussagen des Vertreters des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit als nicht rechtsverbindlich, aber auch nicht unverbindlich charakterisiert. Die Einrichtung einer nationalen Kontaktstelle beim Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit in diesem Zusammenhang ist sicherlich ein erster Schritt in die richtige Richtung, aber die Leitlinien beziehen sich nur auf Investitionen. Für die IG Metall gilt: Freiwillige Vereinbarungen sind wichtig und ihre Wirkung ist umso höher, je mehr Unternehmen dieses Instrument akzeptieren und anwenden, je transparenter die freiwillige Vereinbarung in ihrer Umsetzung ist und je mehr sie in der Produktionskette eingehalten wird. In diesem Zusammenhang möchte ich deutlich herausstellen, dass die IG Metall den vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) im Januar 2001 organisierten Runden Tisch (Verhaltenskodizes) deutlich begrüßt. Beteiligt sind hier Vertreter von Regierung, Unternehmerverbänden, Nichtregierungsorganisation und Gewerkschaften – wie der von Anfang an einbezogenen IG Metall. Diesen Beteiligten geht es darum, "ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln, wie freiwillige Verhaltenskodizes wirksam, transparent und partizipativ eingeführt und umgesetzt werden können". Wir begrüßen diesen Runden Tisch auch als einen wesentlichen Beitrag der vom BMZ vertretenen Politik, die Umsetzung von Kernarbeitsnormen in Entwicklungsländern mit dem Ziel voranzutreiben, einen Beitrag zur Armutsminderung weltweit zu leisten. Das Stichwort lautet: Halbierung der Armut bis 2015. Wir werden diesen konsensualen Weg des Dialogs weitergehen, weil wir wissen, dass es zahlreiche Unternehmen gibt, die sich ihrer weltweiten Verantwortung stellen. Wir wollen diejenigen Unternehmen unterstützen, die mit uns eine soziale Dimension auf der Welt aufbauen wollen. Wir begehen hier auch pragmatische Wege, die niemanden überfordern. Leitgedanke der IG Metall ist hierbei das gemeinsame Verständnis von Unternehmensleitung und Arbeitnehmervertretern, freiwillige Vereinbarungen mit Leben zu erfüllen, als Unternehmensleitlinie zu praktizieren und dabei auch einen Lernprozess zu akzeptieren, der durchaus mehrere Jahre umfassen kann. In diesem Bewusstsein ist es der IG Metall zwischenzeitlich gelungen, im Textil- und Bekleidungsbereich bei der Firma Triumph, im Holzbereich bei der Firma Faber Castell und im klassischen Metallbereich bei VW und DaimlerChrysler einen Verhaltenskodex abzuschließen. In zahlreichen anderen Firmen im Organisationsbereich der IG Metall laufen momentan Verhandlungen. Aber eins sei auch ganz deutlich gesagt: Wir sind dabei stets in eine Debatte involviert, ob solche freiwilligen Vereinbarungen ein Schritt in die richtige Richtung sind oder ob sie nur dazu dienen, den Druck für verbindliche Regeln abzuschwächen. Kritiker von freiwilligen Vereinbarungen, auch in der IG Metall, halten dieses Themenfeld für eine Spielwiese, die durch dilatorisches Verhalten von Unternehmen gekennzeichnet ist, und sehen die Gefahr, dass man sich zu Tode konsultieren wird. Ich weiß, dass es auf allen Seiten Hardliner gibt, die dem Instrument der freiwilligen Vereinbarung skeptisch gegenüberstehen. Wir fordern deshalb von der Bundesregierung, freiwillige Vereinbarungen mit Unternehmen zu unterstützen und weiter dafür zu werben. Darüber hinaus begrüßen wir beispielsweise das Projekt der Außenhandelsvereinigung des deutschen Einzelhandels (AVE) zum Monitoring von Sozialstandards in Indien, das von der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) im Rahmen eines dreijährigen "Public Private Partnership" (PPP-Projekt) gefördert wird. Wenn ähnliche Programme in Zusammenarbeit mit NGOs – aber auch in Zusammenarbeit mit NGO- und gewerkschaftsnahen Institutionen wie der "Fair Wear Foundation" – in Zukunft gefördert werden könnten, denke ich, dass dies ein wesentlicher Beitrag zur Glaubwürdigkeit wäre. Hierbei ist klar: Den oftmals zitierten "Kosten" solcher freiwilligen Vereinbarungen bzw. Selbstverpflichtungen ist doch allemal der "Gewinn" gegenüberzustellen. Image und Ruf eines Unternehmens spielen eine zunehmende Rolle im Wettbewerb, weil Verbraucher und Kunden heutzutage auch Informationen über die Bedingungen erwarten, unter denen die Produkte und Dienstleistungen produziert werden. Sozial und ökologisch verantwortlich handelnde Unternehmen können so einen Wettbewerbsvorteil – und in Folge betriebswirtschaftliche Vorteile – erlangen. Die IG Metall unterstreicht explizit die Empfehlungen der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zur Globalisierung der Weltwirtschaft. Sie hält in ihrem Schlussbericht von Juni 2002 fest: Unternehmenskodizes können rechtliche Regelungen immer nur ergänzen, sie jedoch nicht ersetzen: "Der Staat trägt also die Hauptverantwortung, unternehmerisches Verhalten durch Rahmen- und Prozesspolitik zu steuern. Insofern spielt die staatliche Gewährleistung von rechtsstaatlichen Bedingungen in Entwicklungsländern für das Erreichen von sozialen oder ökologischen Zielen eine entscheidendere Rolle als Verhaltenskodizes, was deren außerordentliche Bedeutung für die Verwirklichung dieser Ziele jedoch nicht schmälert." Wir wären also erheblich weiter, wenn sich die Empfehlungen der Enquete-Kommission endlich in der politischen Realität widerspiegeln würden. Dies ist die Forderung der IG Metall an die Politik.

Leseprobe 3



Inhalt:

Vorwort (Leseprobe)

"Fit for fair": Verleihung des Otto Brenner Preises 2003


Michael Blank
Eine Geschichte mit einem Happy End
Johannes Rau
Jeder kann zu einem fairen Welthandel beitragen
Jürgen Peters
Vorbildliches Engagement für Menschlichkeit und Menschenwürde

Arbeitnehmerrechte in einer globalisierten Welt


Christoph Scherrer
Arbeiterrechte im Spannungsfeld zwischen unternehmerischer Initiative und internationalen Abkommen – ein Überblick
Sonia Beatriz Lara Campos
Arbeitnehmerrechte sind Menschenrechte – ein Erfahrungsbericht

Verhaltenskodizes für multinationale Unternehmen – Erfahrungen aus der Praxis


Frank Henke
"Standards of Engagement" – mehr als nur Papier
Zum Verhaltenskodex der adidas-Salomon AG
Reiner Hengstmann
Ethische Verpflichtung als Global Player
Produktbezogene Sozialpolitik in der PUMA AG
Heinz-Dieter Koeppe
"Weltweit sozialverantwortlich handeln"
Der AVE-Kodex und die KarstadtQuelle AG
Gabriela Cortés
Die Maquiladora und Verhaltenskodizes in Puebla (Mexiko)
Ineke Zeldenrust
Verhaltenskodex nach ILO-Normen
Perspektiven der Kampagne für saubere Kleidung

Stärkung von Arbeitnehmerrechten weltweit – Konsequenzen für nationale und internationale Gewerkschaftspolitik


Friedrich Buttler
Elemente der internationalen Solidarität
Grundlegende Rechte bei der Arbeit und freier Zugang der Entwicklungsländer zu den Märkten der Industrieländer
Harald Ettl
Arbeitnehmerrechte in einer globalisierten Welt
Valter Sanches
Auf der Suche nach den besten Arbeitsbedingungen der Welt: Wie die Gewerkschaften aus der Defensive kommen

International verbindliche Sozialstandards für den Welthandel – Anforderungen an die Politik


Heidemarie Wieczorek-Zeul
Die destruktiven Kräfte des globalen Kapitalismus bändigen
Sozialstandards und Entwicklungszusammenarbeit
Jan Eggert
Das Prinzip der Freiwilligkeit stärken
Positionen der deutschen Wirtschaft zur Verbesserung der Sozialstandards
Bertin Eichler
Plädoyer für verbindliche soziale Regelungen (Leseprobe)
Forderungen der IG Metall zur Durchsetzung internationaler Arbeitsnormen

Autorenreferenz

Michael Blank, Dr., Geschäftsführer der Otto Brenner Stiftung Friedrich Buttler, Prof. Dr., Regionaler Geschäftsführer für Europa und Mittelasien, Internationale Arbeitsorganisation (ILO) Sonia Beatriz Lara Campos, Nationaler Arbeitsausschuss, El Salvador Gabriela Cortés, Unterstützungszentrum für Arbeiter, Puebla, Mexiko Jan Eggert, Hauptgeschäftsführer, Außenhandelsvereinigung des deutschen Einzelhandels Bertin Eichler, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall und stellvertretender Vorsitzender des Verwaltungsrates der Otto Brenner Stiftung Harald Ettl, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Metall-Textil, Wien – Österreich, MdEP Frank Henke, Direktor für Soziale und Umweltangelegenheiten, adidas-Salamon AG Reiner Hengstmann, Dr., Leiter Umwelt und Soziales, Puma AG Heike Kauls, Otto Brenner Stiftung Heinz-Dieter Koeppe, Konzerndirektor für Umwelt und Sozialstandards, KarstadtQuelle AG Jürgen Peters, 1. Vorsitzender der IG Metall, Frankfurt a.M. Johannes Rau, Dr. hc., Bundespräsident Valter Sanches, Weltbetriebsrat von DaimlerChrysler, Betriebsrat von DC São Bernardo do Campo, Vorstandsmitglied des nationalen Metallarbeiterbundes Brasilien Christoph Scherrer, Professor für Globalisierung und Politik am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften, Universität Gesamthochschule Kassel Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, MdB Ineke Zeldenrust, Internationales Sekretariat, Kampagne für saubere Kleidung

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