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Mohssen Massarrat

Amerikas Weltordnung

Hegemonie und Kriege um Öl

184 Seiten | 2003 | EUR 14.80 | sFr 26.60
ISBN 3-89965-012-3 1

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Die politische Elite in den USA strebt eine Weltordnung an, in der die aktuelle Verteilung von Reichtum und Macht auch für die Zukunft gefestigt werden soll. Der angekündigte Krieg gegen den Irak ist nur die letzte Etappe auf dem Weg zu dieser höchst gefahrvollen Weltordnung.


Die Vereinigten Staaten von Amerika sind die reichste und militärisch mit Abstand stärkste Macht in der Welt. Doch dieser Reichtum beruht nicht nur auf der eigenen Leistung, sondern nicht unwesentlich auf der Mobilisierung und Umleitung von menschlichen, natürlichen und finanziellen Ressourcen aus der ganzen Welt, und zwar zulasten gegenwärtiger und künftiger Generationen.

Die politische Elite in den Vereinigten Staaten ist bestrebt, diese ungleiche und ungerechte Rechts- und Machtverteilung aufrechtzuerhalten und Amerikas Weltordnung mit aller Macht und für längere Zeit zu festigen. Zu dieser Weltordnung gehören:
– die neoliberale Globalisierung, um den Handlungsspielraum der eigenen global players durch Liberalisierung und Privatisierung zu erweitern,
– die Beherrschung der multinationalen Institutionen und Regime (Weltbank, IWF, WTO), um im Bündnis mit den übrigen OECD-Staaten die Dritte-Welt-Länder zu diskriminieren,
– die Kontrolle über die geostrategisch wichtigen Energieressourcen und Regionen, um sich den Zugang dazu monopolistisch zu sichern und gleichzeitig allen übrigen heutigen und künftigen Rivalen wie Europa, Japan, Russland, China und Indien dieses Privileg vorzuenthalten, und schließlich
– die Instrumentalisierung dieses geostrategischen Monopols als Hebel der Hegemonialpolitik. Kriege ums Öl über das gesamte 20. Jahrhundert, Modernisierung der eigenen Militärmaschinerie und -strategien seit dem Zweiten Weltkrieg und die US-Kriege in den 1990er Jahren bis heute waren und sind für Amerikas neue Weltordnung von grundlegender Bedeutung.

Mohssen Massarrat, geboren im Iran, ist Professor für Politikwissenschaft am Fachbereich Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück; zahlreiche Veröffentlichungen zu den Themen internationale Wirtschaftsbeziehungen, Energie, Nachhaltige Entwicklung, Mittlerer und Naher Osten sowie Friedens- und Konfliktforschung; aktiv in der Friedensbewegung.

Leseprobe 1

Vorwort

Die USA sind nach dem Golfkrieg 1991, nach dem Kosovo- und dem Afghanistan-Krieg nun im Begriff, ihre unilaterale Weltordnung mit voller Wucht und ohne Rücksicht auf politisch, ökonomisch und kulturell destabilisierende Folgen für den Mittleren Osten und Europa durchzusetzen. Ein Krieg gegen den Irak mit oder ohne UN-Mandat ist ein Angriff auf das UN-System, er wird den bereits erkennbaren transatlantischen Riss vertiefen. Es fällt zunehmend schwerer zu verbergen, dass die Vereinigten Staaten die Nato als ein nützliches Instrument ihres Unilateralismus betrachten. Dies eröffnet für Europa die Chance, multilaterale Projekte wie die OSZE wieder zu beleben. Amerikas Unilateralismus bedeutet weit mehr als eine imperiale Neuordnung der Welt. Es geht um die absolute Weltherrschaft. Um dieses Ziel zu erreichen, sind George W. Bush und seine Regierungsmannschaft entschlossen, ungeachtet der Ablehnung durch die überwältigende Mehrheit der Weltbevölkerung immer wieder neue Kriege zu führen. Sie repräsentieren eine von Machthunger, Öldurst und fundamentalistischer Rechthaberei getriebene Machtelite. Durch die Demütigung des Irak soll aller Welt die eigene militärische Übermacht demonstrativ vor Augen geführt werden. Gleichzeitig geht es um den monopolistischen Zugriff auf die strategischen Ölreserven im Mittleren Osten, um dieses Monopol um so wirkungsvoller als hegemonialpolitischen Hebel einzusetzen, vor allem gegenüber Europa, Japan, Russland, China und Indien. George W. Bush hält die USA militärisch für mächtig genug, um Amerikas unilaterale Weltordnung durchzusetzen. Beängstigend ist allerdings seine Überzeugung, dass Gott Amerika diese Stärke verliehen hat, um "den Frieden in der Welt herzustellen". Die absolute Vorherrschaft der USA wird angesichts ihrer flächendeckenden Auswirkungen auf das Zusammenleben der Völker, auf die Verstärkung globaler Ungerechtigkeiten und auf die Zuspitzung globaler Umweltkrisen imperialistischer sein als alle bisher in der Weltgeschichte bekannten imperialistischen Systeme. Die Völker der Welt spüren intuitiv den Wind, den ihnen George W. Bush, Donald Rumsfeld und andere selbsternannte Führer der neuen Weltordnung ins Gesicht blasen. Die größten Antikriegsdemonstrationen aller Zeiten Mitte Februar 2003 belegen die Sorgen und Ängste von Milliarden Menschen. An dieser Entwicklung ist Europa selbst nicht unbeteiligt. Durch seine vasallenhafte Unterstützung der US-Kriege auf dem Balkan hat Europa bereits seit 1999 sukzessive dem US-Unilateralismus den Weg bereitet. Bundeskanzler Schröder scheint diesen historischen Fehler inzwischen begriffen zu haben und auch seit dem Sommer 2002 zu spüren, wohin die Reise gehen soll. Sein instinktives Nein zu einem Irak-Krieg mit oder ohne UN-Resolution war eine Entscheidung von historischer Bedeutung. Außenminister Fischer hat dagegen offenbar die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt, sein Vertrauen in das transatlantische Bündnis scheint größer zu sein als das Vertrauen in die Europäische Union, den Aufbau einer multilateralen Weltordnung voranzutreiben. Sein Nein zum Irak-Krieg ist merklich zurückhaltend, jedenfalls nicht leidenschaftlich. Überdies bleibt rätselhaft, warum der Außenminister sich die Chance, die osteuropäischen Staaten für eine gesamteuropäische Anti-Kriegsposition zu gewinnen, entgehen ließ, die Collin Powell dagegen für Amerikas Kriegslegitimation zu nutzen wusste. Nicht nur rätselhaft, sondern verhängnisvoll ist die Haltung der konservativen Opposition, die Wasser auf die Mühlen der Kriegstreiber gießt. Die Entwicklung hin zu Amerikas unilateraler Weltordnung begann nicht erst mit der Amtsübernahme von George W. Bush und auch nicht nach dem Ende des Kalten Krieges. Die Wurzeln dieses Prozesses lassen sich bis zum Ende der 1970er Jahre zurückverfolgen und führten 1979 zum Nato-Doppelbeschluss. Die Grundlagen der US-Hegemonialstruktur sind lange vor dem Ende des Kalten Krieges im Herrschaftssystem der Vereinigten Staaten entstanden und tief verankert. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sind die Protagonisten des Hegemonialanspruches der Vereinigten Staaten jedoch immer unverhohlener in Erscheinung getreten und haben ihr Projekt der absoluten Weltherrschaft immer offensiver vorangetrieben. In diesem Buch werden wichtige Entwicklungsstadien der amerikanischen Hegemonialstruktur skizziert. Bei den Kapiteln 5-9 handelt es sich um eine Sammlung früherer Beiträge, die ich seit Anfang der 1980er Jahre bis zum Afghanistan-Krieg 2002 jeweils im zeitgeschichtlichen Kontext geschrieben hatte. In diesen Kapiteln beschränke ich mich im Wesentlichen auf den besonders wichtigen geopolitischen Zusammenhang zwischen der Hegemonialstruktur der USA und ihren Anstrengungen zur Kontrolle strategischer Energieressourcen im Mittleren Osten. Die ersten vier Kapitel entstanden dagegen zwischen dem 10. Januar und 10. Februar 2003. Inhaltliche Überlappungen und auch vernachlässigbare Wiederholungen in verschiedenen Kapiteln waren unvermeidlich, sie resultieren daraus, dass die US-Hegemonial- und -Mittelostpolitik eine zentrale Rolle in allen Kapiteln spielt. An dieser Stelle sei allen, die am Zustandekommen dieses Buches mitgewirkt haben, gedankt. Dies gilt für den Verlag, der keine Mühe zur kurzfristigen Verwirklichung des Projektes gescheut hat. Mein Dank gilt Gabriele Parlmeyer für die Übersetzung englischer Texte, Katharina Peschen für die Erstellung der Grafiken im 3. Kapitel. Ganz besonders möchte ich meiner langjährigen Mitarbeiterin Gabriele Meyer und meiner lieben Frau Mechthild Massarrat danken, ohne deren Unterstützung bei der Aufbereitung der Texte das Buch so zügig nicht hätte realisiert werden können. Osnabrück, den 14. Februar 2003

Leseprobe 2

Kapitel 4
Friedensmacht Europa?

Die größten Antikriegs-Demonstrationen aller Zeiten, die wir Mitte Februar 2003 in Europa, aber auch in Amerika erlebten, haben die US-Regierung nicht beeindruckt. "Nicht die Massenvernichtungsmittel, sondern Saddam Hussein ist das Problem", offenbarte unlängst die Präsidentenberaterin Condoleezza Rice. An der Entschlossenheit einer von Machthunger, Öldurst und fundamentalistischer Rechthaberei getriebenen Elite ist nicht zu rütteln. Dieser Elite geht es vor allem darum, aller Welt die absolute militärische Vorherrschaft der Vereinigten Staaten vor Augen zu führen. Die durchaus realistische Chance, dass die Legitimation des Krieges in den USA selbst in dem Maße abzubröckeln beginnt, wie eine immer größer werdende Anzahl von Staaten im Sicherheitsrat und darüber hinaus auch in Europa sich offen gegen den Krieg stellen, wurde durch die Bereitschaft der vier rechtskonservativen Regierungen (Italien, Spanien, Portugal und Dänemark) und zehn Nato-Beitrittskandidaten aus Osteuropa konterkariert. Nach dem Überlaufen dieser Staaten in das amerikanische Kriegslager und nach Powells Inszenierung im UN-Sicherheitsrat kam George W. Bush gegenüber den Kriegsgegnern auch im eigenen Land erneut in die Offensive. Das deutliche Nein der Bundesregierung und der deutsch-französische Schulterschluss gegen den Krieg war ein entscheidender Schritt für die Stärkung der Kriegsgegner in den USA und auch weltweit. Nie zuvor hatte es ein derart breites Bündnis zwischen der weltweiten Friedensbewegung, ganzen Völkern und Regierungen gegen einen Krieg gegeben. Das deutsch-französische Nein zum Krieg hätte dringend einer stärkeren gesamteuropäischen Unterstützung bedurft. Die zehn osteuropäischen Staaten sind ja nicht nur Anwärter für den Beitritt zur Nato, sie alle sind auch Beitrittskandidaten für die EU. Weshalb Außenminister Fischer sich diese Chance entgehen ließ, bleibt rätselhaft. Um so leichter hatte es Colin Powells Mannschaft, Osteuropa in das Kriegslager herüberzuziehen. Von einem kämpferischen Eintreten Fischers für die Bildung einer europäischen Allianz gegen den Irak-Krieg war – ganz so wie man Fischer 1999 beim Krieg der USA gegen die Bundesrepublik Jugoslawien erlebt hatte – weit und breit keine Spur. Nicht nur rätselhaft, sondern verhängnisvoll ist die Haltung der deutschen Opposition, die mit ihrer offensiven Kritik an der Bundesregierung zum Irak-Konflikt Wasser auf die Mühlen der amerikanischen Kriegstreiber gießt. Die absolute Weltherrschaft der USA wird hinsichtlich ihrer flächendeckenden Auswirkungen auf das Zusammenleben der Völker, auf die Verstärkung globaler Ungerechtigkeiten und Umweltkrisen imperialistischer sein als alle bisher in der Weltgeschichte bekannten imperialistischen Systeme. An dieser Entwicklung ist Europa selbst nicht unbeteiligt. Europa hat Amerikas Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien nicht verhindert, sondern mit unterstützt und ihn trotz der damit einhergehenden Verletzung des Völkerrechts legitimiert. So hat Europa im Jugoslawienkrieg indirekt Amerikas Streben nach der absoluten Weltherrschaft zu Lasten des eigenen Anspruchs auf die multilaterale Weltordnung den Weg bereitet. Die Einsicht innerhalb der deutschen Sozialdemokratie hinsichtlich dieses Fehlers – selbst wenn man dies öffentlich nicht zugeben mag – führte im Falle des drohenden Irak-Krieges zwar zu einer Kurskorrektur, aber leider nur zu einer defensiven und halbherzigen, statt leidenschaftlichen Antikriegspolitik. Hat nun Europa überhaupt eine andere Perspektive, als sich der absoluten Weltherrschaft der USA zu fügen, oder wird Europa in der Lage sein, in der sich anbahnenden Krise nach einem Irak-Krieg eigene moralische und politische Ressourcen für eine multilaterale Weltordnung zu mobilisieren? Auf diese Fragen gibt es unterschiedliche Antworten: Das immer noch dominante kurzsichtige Denken neigt eher zu der ersten Alternative und hofft, dank Amerikas direktem Zugriff zu den irakischen Ölquellen an den zu erwartenden niedrigen Ölpreisen in der Nachkriegsära mit partizipieren zu können. Durch diese Haltung wird Europa unvermeidlich noch tiefer als bisher in die hegemonialpolitische Einkreisungs- und Zangenpolitik der USA hineingeraten. Die zweite Antwort zielt auf eine multilaterale und gerechtere Weltordnung, in der Europa eine wichtige Rolle spielen könnte. Diese Perspektive ist nicht nur möglich, sondern auch unerlässlich. Die erste Voraussetzung dafür ist allerdings, dass Europa die Fesseln der militärischen Logik sprengt, die ohnehin nur den Trugschluss zulässt, dass Amerika alles und Europa nichts ist. Keine auch noch so mächtige Militärmacht der Welt war je imstande, gleichzeitig auch eine moralische Macht zu sein. Amerikas gegenwärtige Militärmacht würde in sich zusammenfallen, sobald die Mehrheit der Amerikaner ihr die moralische und politische Legitimation entzieht. Genau in dieser Binsenweisheit liegt für das militärisch schwache Europa die Chance, moralische Macht und Handlungsstärke zu gewinnen. Europas Weg hin zu einer multilateralen Weltordnung müsste so beschaffen sein, dass er gleichzeitig auch bei der amerikanischen Bevölkerung auf Zustimmung stößt und den Handlungsspielraum der Protagonisten einer unilateralen Weltordnung sukzessiv einengt. Anderenfalls besteht die realistische Gefahr, dass Amerikas Kriegstreiber mit Unterstützung der Bevölkerung alle Möglichkeiten nutzen, um die multilaterale Perspektive für die Welt über Jahre oder Jahrzehnte zu blockieren. Dies impliziert ernsthafte Initiativen für Identität stiftende weltpolitische Projekte, die nicht den Dissens mit der Regierung der Vereinigten Staaten, sondern den Konsens mit Amerikas Bevölkerung fördern. In diesem Sinne sind die Vorschläge von Micha Brumlik, dem "amerikanischen Neoimperialismus den europäischen Neo-Neutralismus" entgegen zu setzen, der darin bestehen sollte, "die Mitgliedschaft im militärischen Teil der Nato ruhen und ... die entsprechenden bilateralen Übereinkünfte überprüfen (zu) lassen", ungeeignet.[1] Derart symbolische Aktionen werden eher dazu führen, auf beiden Seiten des Atlantiks Gegenkräfte zu mobilisieren. Es wäre sicherlich sinnvoller, diese "Nebenkriegsschauplätze" gar nicht erst entstehen zu lassen. Die Nato hat seit dem Krieg der USA in Afghanistan ohnehin an Bedeutung verloren. Gegenwärtig befindet sie sich sogar in einer ernsthaften Krise. Die offensichtliche Instrumentalisierung der Türkei, um die übrigen europäischen Nato-Mitglieder in die Falle einer Beteiligung an Kriegsvorbereitungen gegen den Irak zu locken, und das zu einem Zeitpunkt, zu dem Deutschland und Frankreich sich um eine Verhinderung des Krieges bemühen, verstärkt den Bedeutungsverlust dieser Institution, die ein Produkt des Kalten Krieges und der bipolaren Weltordnung war. In Amerikas unipolarer Weltordnung wird sich die Nato noch deutlicher, als es bisher erkennbar wurde, in ein eigenes globales Machtinstrument verwandeln und dadurch die ihr ursprünglich zugedachte Funktion, die Sicherheit Europas zu garantieren, vollends verlieren. In einer multipolaren Weltordnung wäre die Nato ohnehin ein Fremdkörper. Dagegen entspricht die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) weitestgehend den Anforderungen der Multipolarität. Daher stünde die Wiederbelebung der in den letzten Jahren zurückgedrängten OSZE gerade jetzt auf Europas außenpolitischer Agenda. Dieses auf die Zukunft gerichtete Projekt gezielt und offensiv weiter zu entwickeln, schafft eine unvergleichbar stärkere Dynamik für eine multipolare Weltordnung als eine lähmende und perspektivlose Beschäftigung mit der Nato. Europa verfügt über ein beträchtliches moralisches Kapital, das es bei Konflikten, die wie im Nahen Osten nach Lösungen verlangen, produktiv einbringen und dafür auch um weltweite Unterstützung werben kann. Dieses Kapital schöpft Europa aus den schrecklichen Folgen seiner zwei Weltkriege in der ersten Hälfte und den positiven Integrationsleistungen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Mit ihrer Irak-Politik erklären die Vereinigten Staaten Europa und der ganzen Welt den Krieg. Europas Antwort darauf muss Frieden heißen. Dazu gehört unmittelbar das Festhalten an dem – durch die USA schwer angeschlagenen – UN-System und der UN-Charta. Dazu gehören auch ernsthafte friedenspolitische Initiativen für eine Neuordnung des Mittleren und Nahen Ostens. Plädoyer für eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittleren und Nahen Osten (KSZMNO) Die Irak-Krise bietet Europa die historische Chance, mit einer mittelfristig angelegten Initiative für die Neuauflage einer Helsinki-Konferenz für den Nahen und Mittleren Osten seine friedensgestaltenden Potenziale zu mobilisieren und für den Aufbau einer multilateralen Weltordnung einen richtungsweisenden und praktischen Weg zu beschreiten. Der Israel-Palästina-Konflikt würde so erstmals, oder richtiger endlich in einen für die Lösungsperspektive adäquaten politischen Kontext gestellt. Der Israel-Palästina-Konflikt ist Bestandteil eines tiefgreifenden Konflikts zwischen Israel, dem Westen, insbesondere den USA einerseits, und Palästina, den arabischen Nachbarn und den islamischen Staaten in der gesamten Region Mittlerer und Naher Osten andererseits. Der arabische Nationalismus und der islamische Fundamentalismus haben ihre Wurzeln u.a. auch in der fünfzigjährigen israelischen Besatzungspolitik. Die Rüstungseskalation in der Region verschärfte zusätzlich diese Wechselwirkung und schuf ein instabiles System, in dem Bestrebungen nach dem Zugriff zu Massenvernichtungsmitteln in mehreren Staaten der Region geradezu heraufbeschworen wurden. Die militärische Überlegenheit Israels und insbesondere die Atomwaffenpotenziale, über die Israel heute als einziger Staat in der Region verfügt, sind eine wesentliche Quelle der Instabilität des gesamten Nahen und Mittleren Ostens. Israel begründet seine militärische Überlegenheit mit dem eigenen Sicherheitsbedürfnis. Allein durch das arabische Bevölkerungsübergewicht fühlt sich Israel einer latenten Bedrohung ausgesetzt. Andererseits fühlen sich die Bevölkerungen in den arabisch-islamischen Staaten der Region gerade auf Grund der eigenen militärischen Niederlagen im letzten halben Jahrhundert generell und durch Israels Massenvernichtungsmittel zusätzlich bedroht und der Gefahr von andauernden Demütigungen ausgesetzt. Ohnmachtgefühle und Demütigungen sind aber der Nährboden für das Gedeihen von Misstrauen. Feindschaft und Hass gegen Israel begünstigen die diktatorischen Systeme sowie Nationalismus und Fundamentalismus in der gesamten Region. Das Regime von Saddam Hussein, das seine Atomwaffen-Programme innenpolitisch stets offensiv mit den israelischen Bedrohungspotenzialen legitimierte, ist insofern auch Teil des regionalen Gesamtkonflikts. Der drohende Krieg der Vereinigten Staaten gegen den Irak mit all seinen Auswirkungen für Europa und den Weltfrieden macht einerseits schlagartig klar, welchen Stellenwert ein dauerhafter Nahost-Frieden für Europas Weg zu einer multilateralen Weltordnung besitzt, und führt andererseits vor Augen, weshalb Europa ein existenzielles Interesse daran hat, eine den gesamten Raum erfassende Friedenskonzeption zu entwickeln. Die bisherige Politik der Balance of Power, nämlich das Bestreben, das große Bevölkerungsübergewicht in den arabischen Nachbarstaaten Israels durch militärische Überlegenheit einschließlich der Abschreckungspotenziale durch Massenvernichtungsmittel auszugleichen, ist auf der gesamten Linie gescheitert. Der Glaube, die Sicherheit Israels mitten in der arabischen Welt könne durch ein atomares Drohpotenzial gewährleistet werden, hat sich angesichts der bisherigen Erfahrungen als Irrweg erwiesen. Auch die hohen Schutzmauern, die Israel gegenwärtig mit beträchtlichem Aufwand gegen terroristische Anschläge errichtet, werden die Sicherheit Israels nicht erhöhen, den Graben zwischen Juden und Arabern jedoch vertiefen. Diese Mauern werden Israel stärker als bisher von der arabischen Welt isolieren und die bisher dominante Haltung der Israelis gegenüber den Arabern, "Wir wollen mit euch nichts zu tun haben". in jeder Hinsicht zementieren. Eine einseitige Abrüstung Iraks mit oder ohne Krieg wird die gegenwärtig bestehende, atomar gestützte Machtasymmetrie zu Gunsten Israels verstärken und auch in Zukunft bei den Arabern und Moslems als eine neue Demütigung empfunden werden, die ihnen in ihrer Wahrnehmung der Westen gezielt zufügt. Diese Machtasymmetrie wird weiterhin als Hauptquelle des latent gewaltträchtigen Konflikts in der gesamten Region bestehen bleiben und in mehreren Richtungen Probleme heraufbeschwören: Entstehung neuer Terrorwellen, Stärkung der fundamentalistischen Strömungen und Bestrebungen, weiterhin in den Besitz von Massenvernichtungsmitteln zu gelangen. Aus diesem Grund und angesichts der Abrüstung von Massenvernichtungsmitteln im Irak ist es gerade jetzt das Gebot der Stunde, mit einer Initiative zur Errichtung einer gerechten Ordnung im Nahen und Mittleren Osten der sich zuspitzenden Eskalation und Perspektivlosigkeit entgegen zu wirken. Die europäischen Erfahrungen mit der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit könnten dabei in eine Initiative für den Mittleren und Nahen Osten einfließen. Die Helsinki-Konferenz 1973-75 war ein wichtiger Schritt für eine gesamteuropäische Friedens- und Sicherheitspolitik, der allerdings durch Amerikas Kriege und Bestrebungen bezüglich seiner unilateralen Weltordnung vorerst zurückgedrängt wurde. Die Region Mittlerer und Naher Osten mit ihren zahlreichen inneren, jedoch auf friedlichem Weg lösbaren Gegensätzen und Konflikten verlangt geradezu nach einer Frieden fördernden Konferenz, die mittel- und langfristig zur Entstehung einer Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit Mittlerer und Naher Osten (OSZEMNO) führen müsste.[2] Langfristig zu erreichende Ziele dieser Organisation sind:
(a) Abschaffung aller Massenvernichtungsmittel, Abrüstung aller Waffensysteme auf ein niedriges Niveau und Etablierung von Strukturen der gemeinsamen Sicherheit;
(b) dauerhafter Frieden zwischen Israel und Palästina durch Gründung eines lebensfähigen Palästinenser-Staates einerseits und umfassende Sicherheitsgarantien für Israel andererseits;
(c) ökonomische Kooperation und präventive Konfliktregelung durch gemeinsame Nutzung grenzüberschreitender Gewässer angesichts zunehmender Süßwasserknappheit (Türkei/Syrien/Irak oder Israel/Libanon/Palästina/Jordanien);
(d) dauerhafte Lösung für den Kurdistan-Konflikt;
(e) endgültige Regelung der offenen Fragen der vergangenen Kriege zwischen Iran und Irak sowie Irak und Kuwait;
(f) gemeinsame Regelung für Grundfragen zum Schutz von Menschenrechten und Minderheiten. Die Grundvoraussetzung für den ersten Schritt und einen Erfolg versprechenden Beginn der Konferenz ist die Bereitschaft Israels zur Teilnahme an der Konferenz und zum Zusammenleben mit den anderen Völkern in der Region. Das arabisch-islamische Bevölkerungsübergewicht könnte sich dabei als entscheidendes Hindernis erweisen. Dieses Hindernis könnte durch eine umfassende Sicherheitsgarantie für Israel durch den UN-Sicherheitsrat überwunden und auf dieser Grundlage dann auch die Mehrheit der israelischen Bevölkerung für die Perspektive einer KSZ bzw. OSZMNO gewonnen werden. Umgekehrt ist die Aussicht auf die langfristige Abrüstung israelischer Massenvernichtungsmittel für die arabisch-islamischen Staaten ein wichtiges, vielleicht sogar das entscheidende Argument, um sie für die Idee der gemeinsamen Sicherheit und ökonomischen Kooperation zu gewinnen. Die KSZMNO – käme sie zustande – würde den wirkungsvollsten politischen Rahmen für die Demokratisierung in der gesamten Region schaffen, da so allen extremistischen und konfliktträchtigen Ideologien, dem islamischen Fundamentalismus, dem arabischen Nationalismus, dem jüdischen Fundamentalismus und dem Zionismus, der Boden entzogen würde. Nicht nur regional, sondern auch global hätte die KSZMNO positive Auswirkungen weit über die Friedens- und Demokratisierungsfrage hinaus. Dies gilt insbesondere für die Perspektive einer neuen globalen Energie- und Klimapolitik. Den Interventionsmöglichkeiten der USA oder in Zukunft vielleicht auch Russlands oder Chinas, sich auf konfliktträchtigen Wegen den Zugang zu den Ölquellen zu verschaffen, wäre ein dauerhafter Riegel vorgeschoben. Die Voraussetzungen für den gerechten Handel auf den Weltenergiemärkten würden sich deutlich verbessern und letztlich auch steigende Preise für fossile Energieträger zur Folge haben, die einerseits klimapolitisch erwünscht sind und andererseits angemessene Einnahmen hervorbringen könnten, die die ökonomische und soziale Transformation in der gesamten Region begünstigen würden. Die Bereitschaft, endlich das Kyoto-Klimaprotokoll zu implementieren und dabei die Ölproduzenten des Mittleren Ostens mit ihrem 67%-Anteil an Weltölressourcen in das Kyoto-Protokoll einzubinden, darüber hinaus auch eine gemeinsame Strategie für den Einstieg in das Zeitalter von regenerativen Energien anzuvisieren,[3] würde durchaus in die Reichweite des Realisierbaren geraten. Europäische Verantwortung Es zeigt sich, dass das Projekt KSZMNO friedenspolitisch, aber auch umwelt- und klimapolitisch von grundlegender Bedeutung ist und welcher Stellenwert ihm für die praktische Gestaltung einer multilateralen Weltordnung zukommt. Solange die Vereinigten Staaten bei ihrem gegenwärtigen Kurs der Etablierung ihrer unilateralen Weltordnung bleiben, kämen sie als Initiator einer KSZMNO kaum in Frage. Es ist sogar wahrscheinlich, dass sie die Initiativen Dritter in diese Richtung mit allen Mitteln torpedieren würden. Die einzige weltpolitische Macht, der die Verantwortung für eine KSZMNO zukäme, wäre demnach die Europäische Union. Eine Initiative der EU zu einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittleren und Nahen Osten böte vor dem Hintergrund der Irak-Krise für Europa auch die historische Chance, eine eigene außen- und friedenspolitische Identität zu gewinnen und im Wettstreit um eine bessere Weltordnung mit den Vereinigten Staaten mit einer positiven Alternative offensiver als bisher auf der weltpolitischen Bühne aufzutreten. Durch den deutsch-französischen Schulterschluss gegen den Irak-Krieg stieg das Ansehen der Europäischen Union weltweit und vor allem in der arabisch-islamischen Welt beträchtlich. Hier entsteht allmählich das Bewusstsein, Europa ist auf dem besten Wege, seine Hörigkeit gegenüber den Vereinigten Staaten abzubauen. Die Europäische Union steht vor der richtungsweisenden, mehr noch epochal bedeutenden Bewährungsprobe, ihr Selbstbewusstsein unter Beweis zu stellen und sich dabei auf die eigenen, moralische Kraft und Frieden stiftenden Ressourcen zu stützen. [1] Brumlik, Micha, 2003: Wider die US-Hegemonie, in: Tageszeitung vom 16.1.2003.
[2] Über die Idee einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit für den Mittleren und Nahen Osten wird seit längerem nachgedacht. Unter anderem. hat Johan Galtung seinen Vorschlag im Dossier des Publik-Forum vom Januar 2003 vorgestellt, der in vielen Punkten mit dem hier formulierten Konzept übereinstimmt. Galtung beschränkt das Problem von Massenvernichtungsmitteln im Rahmen einer solchen Konferenz allerdings auf die "Untersuchung von und die Aufsicht über Massenvernichtungsmittel in der Region", während meines Erachtens die Aussicht auf die Abschaffung dieser Waffen die Bedingung für die Bereitschaft der arabisch-islamischen Länder zur Teilnahme an der Konferenz darstellt. Zu erwähnen ist auch ein Vorschlag von Jürgen W. Möllemann, der allerdings das Problem Massenvernichtungsmittel und konventionelle Waffen auf "Rüstungskontrolle" reduziert. Vgl. Möllemann, Jürgen W., 2002: Neue Impulse für eine Nahostpolitik. Plädoyer für eine Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten (KSZNO), in: Stein, Georg/Windfuhr, Volkhard (Hrsg.), 2002: Ein Tag im September, Heidelberg.
[3] Näheres dazu Massarrat, Mohssen, 2002: Strategische Allianzen für den Einstieg in das Zeitalter Erneuerbarer Energien, in: Solarzeitalter, Heft 4/2002.

Leseprobe 3



Inhalt:

Vorwort (Leseprobe)
Kapitel 1
Empire, Imperialismus oder absolute Weltherrschaft
Anlage 1: US-Militäreinsätze nach dem Zweiten Weltkrieg
Anlage 2: Offener Brief an den Präsidenten
Kapitel 2
Über vermeintliche und wahre Motive der US-Irak-Politik
Kapitel 3
Über den Zusammenhang von neoliberaler Globalisierung, Krieg und Hegemonialpolitik
Kapitel 4 (Leseprobe)
Friedensmacht Europa?
Kapitel 5
Der Afghanistankrieg
Der 11. September, Kampf der Kulturen, Öl und Geostrategie
Kapitel 6
Der NATO-Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien
Lehren für eine pazifistische Perspektive und europäische Friedenspolitik
Kapitel 7
Die unheilige Allianz mit dem irakischen Diktator
Kapitel 8
Kriege ums Öl im 20. Jahrhundert
Kapitel 9
Der NATO-Doppelbeschluss: Europa und Mittlerer Osten im Visier der US-Hegemonialpolitik um das Jahr 1980

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