HWP in Bewegung
Studierendenproteste gegen neoliberale Hochschulreformen
80 Seiten | 2006 | EUR 9.80 | sFr 17.90
ISBN 3-89965-219-3
Kurztext: Der Angriff des Hamburger Senats auf die Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik (HWP) wurde von Seiten der Studierenden mit der Kampagne "HWP in Bewegung – für eine kritische Wissenschaft" beantwortet.
Die studentische Kampagne wurde dabei gezielt in den Kontext des politischen Widerstands gegen den rechtspopulistischen Senat gestellt, der im Herbst 2001 seine Geschäfte aufnahm und bis heute im Amt ist.
Mit Aktionen, solidarischen Demonstrationen und widerständigen Protestwochen wurde die Initiative ergriffen, die sozialen Bewegungen zu vernetzen und eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen, die der autoritären Bildungs- und Sozialpolitik solidarischen und couragierten Widerstand entgegensetzte.
Wissenschaftssenator Jörg Dräger inszenierte die Hochschulpolitik des Senats mit Hilfe einer "Expertenkommission", die eine Hochschulreform bis in das Jahr 2012 formulierte, die der CDU-Senat mit einer Vielzahl von Hochschulgesetzen und Richtlinien seit 2003 bis heute vollstreckt.
Die Studierenden haben gegen die Privatisierung von Studium und Lehre und für die Demokratisierung der Hochschulen mit Hochschulstreiks und Besetzungen gekämpft. Sie haben sich auf das Streikrecht berufen und die Versammlungsfreiheit mit Spontandemonstrationen nicht nur aufleben lassen, sondern sie auch vor den Gerichten verteidigt.
Die Volxinitiative zur Rettung der HWP und gegen die Einführung von Studiengebühren wurde vom AStA der HWP konzipiert und hat sowohl im Bürgerschaftswahlkampf mit mehr als 15.000 Unterschriften als auch vor dem Hamburgischen Verfassungsgericht klare Zeichen gesetzt.
Der CDU-Senat hat die HWP als "einzigartige Hochschule des zweiten Bildungswegs in der Bundesrepublik" im Frühjahr 2005 zerschlagen und als Department für Wirtschaft und Politik in die Universität Hamburg integriert. Das Department kämpft nach wie vor um den besonderen Hochschulzugang ohne Abitur und seine interdisziplinären Studiengänge. Dieses Buch soll der widerständigen HWP dabei helfen.
Die Autoren:
Die Geschichte der studentischen Protestbewegung wird von Dirk Hauer und Bela Rogalla erzählt. Dirk Hauer ist Volkswirt und Redakteur der Zeitschrift "analyse und kritik". Bela Rogalla ist Student der Sozialökonomie und Mitglied des Akademischen Senats der Universität Hamburg.
Leseprobe 1
Dorothee Bittscheidt
Vorwort
Liebe Leserinnen und Leser
Die HWP stirbt langsam. Ihrer Eingliederung in die Universität Hamburg am 1. April 2005 ging eine mehr als zweijährige Debatte voraus, in der der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg seine Absicht, die HWP abzuschaffen, vorantrieb und in der die HWP, ihre Studierenden, viele ihrer Mitglieder und ihre Hochschulleitung, darum kämpften, sie zu erhalten – um schließlich zumindest noch etwas von ihr zu erhalten. Noch gibt es ihren Studiengang in der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg, noch gibt es eine organisatorische Einheit zumindest für ihren Bachelor-Studiengang, das Department für Wirtschaft und Politik. Wie lange noch?
Als missachtend und kränkend erlebten die Betroffenen in diesem Prozess die Erfahrung, dass sich der Senat bis zuletzt weigerte, die Gründe für seine Entscheidung offen zu legen; nicht einmal der Bürgerschaft und ihrem mit dieser Angelegenheit befassten Ausschuss gelang es zu erfahren, weshalb die HWP als Hochschule vom Campus verschwinden sollte.
Es blieb daher den Betroffenen vorbehalten, sich darauf einen Reim zu machen. Das vorliegende Buch gibt davon Zeugnis. Es gibt die Sichtweise der Studierenden wieder, die sich in diesen Jahren mit Energie, Kreativität und Geduld für den Erhalt dieser Institution eingesetzt haben. Wem dieser Blick auf die Ereignisse der Hochschulentwicklung der letzten Jahre wenig überzeugend erscheint, der sollte sich fragen, ob die eigene Einschätzung dem Richtungswechsel in der Hochschulpolitik und der Kultur, die sich in den Hochschulen verbreitet, geschuldet ist: "Die HWP" ist für die derzeitige Hochschulpolitik schon mehr Vergangenheit als allen an der Hochschulpolitik Engagierten recht sein kann.
Die HWP – eine moderne Hochschule
Nach allen Indikatoren moderner Hochschulvermessung lag die HWP im Jahr ihrer Schließung im oberen Leistungsspektrum. Ihre Studiengänge waren modernisiert und akkreditiert. Ihre Studierenden führten ihr Studium überdurchschnittlich häufig bis zum Abschluss – und das mit unterdurchschnittlicher Studiendauer. Sie hielten der HWP als "Alumni" die Treue, was für hohe Identifikation mit der Institution spricht. Sie waren nach dem Abschluss sogar als Sponsoren tätig. Die Forschung hatte sich trotz außerordentlich geringer Mittel für wissenschaftliche Nachwuchsstellen inzwischen deutlich profiliert. Das Marketing der Institution und ihrer Besonderheiten hielt jedem Vergleich mit anderen Hochschulen in der Stadt stand. Diese Hochschule hätte in das Bild moderner Hochschulpolitik gepasst, – wären da nicht diese Studierenden.
Die HWP war noch immer die Hochschule eines zweiten Bildungsweges, den in den letzten Jahren nicht nur – wie immer schon – Studierende nutzten, für die ein Studium nicht schon bei ihrer Geburt eingeplant war; mehr und mehr Studierende aus Migrantenfamilien sahen darin ihre zweite Chance. Die HWP entwickelte ihre Kompetenz weiter, ungleiche Bildungsvoraussetzungen auszugleichen und die Vielfalt der Vorerfahrungen ihrer Studierenden als Chance zu nutzen.
Der Hochschulzugang ohne Abitur über die Aufnahmeprüfung und eine curriculare Eingangsphase, die auf diese Besonderheit Rücksicht nimmt, waren die notwendigen Voraussetzungen, um mit dieser Situation erfolgreich umgehen zu können. Die interdisziplinäre Grundkonzeption ihres Studiengangs, die die HWP in ihrem Bachelor fortentwickelt hat, kommt den Bedürfnissen dieser Studierendenschaft entgegen.
Einige Jahre vor der Schließung der HWP konnten alle die Hoffnung hegen, dass gerade diese Konzeption dem modernen Bild eines grundständigen Studiengangs entspricht. Auch die seit den 90er Jahren fortlaufend gegründeten Masterstudiengänge profitierten in ihren Profilen von der im Bachelor angelegten Interdisziplinarität. Die erfolgreiche Akkreditierung aller Studiengänge – abgeschlossen kurz vor der Schließung – stellte dieser Ausrichtung der HWP ein gutes Zeugnis aus. Für die HWP war ihr Weg der Reformen eine wichtige Antwort auf die Defizite des Hochschulsystems, die in diesen Jahren mehr und mehr deutlich wurden.
Mehr Studienplätze – auch für bildungsferne Bevölkerungsgruppen
Die OECD-Studien der letzten Jahre machen darauf aufmerksam, dass ein allgemeiner Anstieg in den Studierendenzahlen allein schon deshalb erforderlich wäre, um den Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt angesichts der demographisch bedingten Rückgänge von qualifizierten Arbeitskräften zu genügen. In Deutschland ist der Anstieg der Bildungsbeteiligung nicht einmal ausreichend, diesen Rückgang zu kompensieren, geschweige denn die zukünftig wesentlich komplexeren Anforderungen des Arbeitsmarkts und die Dynamik seiner Veränderungen in das Bildungssystem aufzunehmen. Die Kompetenz, das lebenslange Lernen für sich selbst zu organisieren, setzt heute mehr Wissen, mehr formale Qualifikation voraus. Allein in diesem Zusammenhang gilt die Akademikerquote in der Bundesrepublik als deutlich zu niedrig, und dies auch im internationalen Vergleich.
Das Hochschulinformationssystem (HIS GmbH), auf dessen Untersuchungen sich auch die Studentenwerke der Bundesrepublik beziehen, hat in den letzten Jahren Untersuchungen zu Bildungslaufbahnen in Abhängigkeit von der sozialen Herkunft vorgestellt. Dabei gliedern diese Untersuchungen die Gesellschaft in vier soziale Lagen, nach den Kriterien Bildungsstatus der Eltern, Einkommen und Berufsstatus. Die Analysen kamen im Jahr der Schließung der HWP zu dem Ergebnis: Von je 100 Kindern aus der unteren sozialen Lage erreichen 36 die gymnasiale Oberstufe und beginnen 11 ein Studium. Von je 100 Kindern aus der oberen sozialen Lage erreichen 85 die gymnasiale Oberstufe und beginnen 81 ein Studium.
Aus alldem würde folgen, dass mehr Möglichkeiten geschaffen werden zu studieren und dass eine deutliche Erhöhung der Akademikerquote insbesondere bei den Bevölkerungsgruppen zu suchen ist, von deren Kindern bisher nur 11 von 100 ein Studium aufnehmen. Und wenn man zu recht daran Zweifel hegt, dass in unserem selektierenden Schulsystem ein ausreichender Teil jener anderen 89 den Weg über das Abitur zum Studium schafft, wäre es erforderlich, viele Wege neben dem Abitur zur Hochschule zu öffnen. Die HWP war die richtige Antwort auf diese Anforderungen. Schon deshalb hätte man mehr davon schaffen müssen.
Die Hochschulpolitik des Senats verschärft die soziale Selektion
Mit seinen hochschulpolitischen Entscheidungen der letzten drei Jahre hat der Senat die Weichen in die andere Richtung gestellt: Er verknappt die Studienplätze, er erhöht die Kosten des Studiums durch Studiengebühren oder Verschuldung der Studierenden und er verschärft die Vorselektionen des schulischen Bildungssystems durch ein neu gestaltetes Rekrutierungssystem der Hochschulen. Die zukünftige Finanzierung der Hochschulen unterstützt die Ausrichtung dieser Selektion: Hochschulen werden zukünftig danach finanziert, wie viele der Studierenden sie zum erfolgreichen Abschluss bringen. Von dem ihnen übertragenen Recht, "ihre" Studierenden selbst auszuwählen, werden die Hochschulen einen Gebrauch machen, der die am besten Vorgebildeten auf dem gymnasialen Weg zum Studium bevorzugt. Das Studieren wird für die Selbstrekrutierung des akademischen Milieus reserviert.
Weshalb wurde die HWP abgeschafft?
Mit "normalen" Studierenden hätte die HWP in das Bild des Senats von einer kleinen Hochschule mit modernem Profil gepasst. Der Senat hätte ihre Bemühungen um ein stärkeres Forschungsprofil gestützt und darauf geachtet, dass die wachsende Forschung nicht das bundesweit gute Bild einer erfolgreichen Lehre beeinträchtigt. Auch ihre interdisziplinäre Ausrichtung und ihr internationales Flair wäre ihm ein "Modell" wert gewesen.
Die HWP, viele Studierende, einige Hochschullehrer und die Hochschulleitung haben – nachdem die Ausrichtung der Politik des neuen Senats erkennbar wurde – das soziale Profil der Studierendenschaft zum Thema der Hochschulpolitik in Hamburg gemacht.
Sie haben die Frage des Hochschulzugangs, die Frage nach den gesellschaftlichen Chancen, ein Studium aufzunehmen, in die Diskussion um die "Hochschulmodernisierung" in Hamburg eingebracht. Das störte. Nicht weil es dazu keine Antwort gab, sondern weil aus der Sicht dieses Senats die Antwort nicht auf den Tisch der Politik gehörte.
Diese Störung wurde mit der Abschaffung der HWP aus dem Weg geräumt.
Dorothee Bittscheidt, letzte Präsidentin der HWP
Inhalt:
Dorothee Bittscheidt
Vorwort (Leseprobe)
Dirk Hauer und Bela Rogalla
1. Hochschulstrukturreform und "Unternehmen Hamburg"
Fischköpfe
Paradigmenwechsel
Knebelvertrag
Hochmodernes Hochschulgesetz
Feuer und Flamme
2. Neoliberale Herrschaftstechnik und Kampf um die HWP
Strategen im Hintergrund
Lokal – global
Baumhausperspektiven
Meinungsmacht
In Bewegung
3. Fakultätendiskussion und Zerschlagung der HWP
Frühlingserwachen
Leitlinie
Moderation
Herbststürme
Zwei vor Zwölf
Kleingedruckter Papierstreit
Solidarität
4. Studierende, soziale Bewegung und Repression
Zusammenhänge
Bam – bu - le
Im Fadenkreuz
Joachim Schaller, Rechtsanwalt
5. Die Volksinitiative "VolXUni - Rettet die Bildung" vor dem Hamburgischen Verfassungsgericht
Bela Rogalla
6. "Streikrecht und Versammmlungsfreiheit sind Grundrechte!"
Flugblatt zum Protest gegen Studiengebühren und Repression für den AStA der Universität Hamburg im Mai 2005
Dieter Koch
7. Retten Sie die bildungspolitischen Ziele der ehemaligen HWP!