»Süßer die Glocken nie klingen«?

Im vorweihnachtlichen Erfurt wurde am Tag vor Nikolaus ein LINKER zum Ministerpräsidenten Thüringens gewählt! Ähnlich wie die Mehrheit der Bundesdeutschen die Kür von Bodo Ramelow nicht als Bedrohung der Demokratie sieht, sehen auch wir mit Rot-Rot-Grün nicht das Ende des Weihnachtsfestes gekommen. Ganz im Gegenteil: Am 24.12. sind erneut Geschenke auszutauschen. Das VSA: und Sozialismus-Team aus Hamburg unterbreitet deshalb auch in diesem Jahr Vorschläge. Sofern ein VSA: Buch in die engere Wahl kommt, kann dieses bei der Lieblingsbuchhandlung (Support your local dealer!) oder bei uns bestellt werden. Bestellungen, die uns bis zum 15. Dezember erreichen, verschicken wir noch rechtzeitig zum Heiligabend.

Ein angenehmes rot-rot-grünes Fest!

Richard Detje [Lektorat | Redaktion | WISSENTransfer]

Eigentlich müsste man auch in diesem Jahr Jazz empfehlen. Sogar zwei Aufnahmen: den Last Dance von Keith Jarrett und Charlie Haden sowie Hamburg 72 mit jenen beiden und Paul Motian. Doch in Zeiten anstürmenden Rechtspopulismus in Europa ist ein Mann zu würdigen, der die Geschichte der Bundesrepublik verändert, den um den Faschismus gehängten Bleimantel der Verdrängung und des Vergessens aufgesprengt hat: Fritz Bauer. Egal, ob man den Film »Im Labyrinth des Schweigens« gesehen hat oder nicht:  Die Biografie Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht von Ronen Steinke sollte gelesen und verschenkt werden.

Den Blick auf die Gegenwart und nach vorne richtet der von Paul Schäfer herausgegebene Band In einer aus den Fugen geratenden Welt. Linke Außenpolitik: Eröffnung einer überfälligen Debatte. Nicht über, sondern mit den Bündnispartnern: kontrovers, offen, zielorientiert und kulturvoll. Wenn die gesellschaftliche Linke ihre oft selbst in den Weg geräumten Blockaden überwinden und ihren so dringend benötigten Beitrag zur Weltinnenpolitik leisten will – mit diesem Aufschlag könnte es gelingen.

Maren Schlierkamp [Lektorat | Vertrieb & Werbung]

Die Ausstellung AUGEN AUF! – 100 JAHRE LEICA FOTOGRAFIE zeigt in rund 550 Fotografien von über 140 Künstlern die Geschichte der Kleinbildfotografie. Die 1925 eingeführte Leica (= Leitz/Camera) markiert einen Paradigmenwechsel in der Fotografie. Nicht nur gestattete sie Amateuren, Quereinsteigern und emanzipierten Frauen einen leichteren Zugang zur Fotografie. Auch war mit der Kleinbildkamera das Fotografieren zum selbstverständlichen Teil des Alltags geworden. Noch bis zum 11. Januar ist die Ausstellung in Hamburg zu sehen, dann zieht sie weiter nach Frankfurt, Berlin, Wien und München. Wer zum Ausstellungsbesuch das nötige Kleingeld mitbringt, kann den reich bebilderten Katalog erwerben – sehr lesens- bzw. sehenswert.

Augen auf, heißt es auch bei den Verhandlungen um eine »Transatlantische Handels- und Investi­tionspartnerschaft« (TTIP) zwischen den USA und der EU – finden diese doch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Freihandel bringe Wachstum und Wohlstand für alle, so die Behauptung. Doch was bedeutet es wirklich, wenn ausländische Investoren vor internationalen Schiedsgerichten klagen wie derzeit der Energiekonzern Vattenfall gegen die Bundesregierung, der durch den Atomausstieg seine Gewinne geschädigt sieht? Antworten geben die AutorInnen im AttacBasistext Die Freihandelsfalle zu so unterschiedlichen Bereichen wie Gentechnik, Landwirtschaft, Verbraucherschutz, Investitionsschutz, Finanzmärkte und Datenschutz. Der Basistext passt wie eine Kleinbildkamera in jede Manteltasche und ist zudem noch erschwinglich.

Joachim Bischoff [Lektorat | Redaktion]

Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst. Immer mehr Menschen müssen um ihre Existenz kämpfen und gleichzeitig nimmt der Reichtum einiger Weniger unvorstellbare Ausmaße an und wird schamloser denn je inszeniert. Im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe ist bis zum 11. Januar die Ausstellung Fette Beute. Reichtum zeigen zu sehen. Dazu gibt es einen Katalog, der sich zum Anschauen und Verschenken lohnt. »Niemand hat, soweit ich weiß, das soziale Phänomen des Reichtums fotografiert«, äußerte 1964 die Fotografin Dorothea Lange, die in den USA während der Großen Depression Arbeitslose, Obdachlose und Landarbeiter fotografierte. Die soziale Kluft von Reichtum und Armut ist jüngst enthüllt worden in Pikettys Untersuchungen.

Die Grenze, wo dies das gesellschaftliche Zusammenleben gefährdet, wird neuerdings sichtbar. Kirchen, Sozialverbände, Gewerkschaften und NGOs bemühen sich darum, Veränderungen auf den Weg zu bringen. Zwar ist eine programmatische Alternative zum Neoliberalismus längst denkbar, aber selbst in linken Parteien nur unzureichend verankert. Wenn die dringend gebotene Transformation ausbleibt, wenn das »Neue nicht zur Welt kommen kann« (Antonio Gramsci), verweist dies auf ein tiefer liegendes Problem als die bloßen Mehrheitsverhältnisse in den Mitte-Links-Parteien oder das Fehlen neuer linker Politikkonzepte. In dem VSA: Buch Anders regieren? Von einem Umbruch, der ansteht, aber nicht eintritt sind Überlegungen zu Veränderungen zusammengetragen. Unter dem Eindruck der Wahlergebnisse und der fortgesetzten Ohnmacht einer linken Alternative fragen die AutorInnen auch danach, wie eine sozialökologische Transformation gedacht werden kann, die nicht von Parteien und Parlamenten angestoßen wird.

Bernhard Müller [Lektorat | Redaktion | Geschäftsführung]

Die im Dezember 2011 verstorbene Schriftstellerin Christa Wolf hat die Sowjetunion insgesamt zehnmal besucht, das erste Mal 1957, zuletzt im Oktober 1989, als in der DDR ihre Tochter und deren Mann am 7. Oktober in der Nähe einer Demonstration von der Straße weg verhaftet worden waren. Jedesmal hat sie Tagebuchnotizen verfasst, in denen sie zum einen Eindrücke ihrer Gespräche mit sowjetischen und Schriftsteller-KollegInnen aus anderen Ländern, u.a. mit Max Frisch notierte, zum anderen in Diskussionen mit russischen Freunden die Veränderungen der sozialen und politischen Verhältnisse in den Blick nahm. Diese bisher unveröffentlichten Notizen hat nun ihr Mann Gerhard Wolf, ergänzt durch Briefe, Dokumente, eigene knappe Texte und Bilder, unter dem Titel Moskauer Tagebücher. Wer wir sind und wer wir waren herausgegeben. Auf ihrer vorletzten Reise notierte sie 1987: »Die Russen auf der Suche nach ihrer Seele – Westler würden sagen: nach ihrer Identität. Dies ist der tiefere historische Prozeß hinter Perestorika. Wenn es wieder nur bei Pragmatismus bleibt, wird es nichts.«

Weihnachten steht manchen für überflüssigen Konsumrausch, der gut zum Wachstumsfetischismus passt. Dieser und der unersättliche Hunger nach Energie aber führten zu einer menschheitsbedrohenden Umwelt- und Klimazerstörung. Erforderlich sei deshalb eine Postwachstumsstrategie. Nur ist das mit dem Wachstum so eine Sache, wenn selbst beim Europameister Deutschland gerade mal die Nulllinie erreicht wird. In vielen europäischen Ländern ist die Arbeitslosigkeit enorm hoch und breitet sich Armut aus. Der im VSA: Verlag erschienene AttacBasisText Solidarisch aus der Krise wirtschaften sucht nach Auswegen aus dieser Gemengelage. »Wir sind überzeugt, dass sich die ökologische Frage nur als soziale thematisieren lässt und dass sie sich nur dann lösen lässt, wenn gerade die Armen auch sehen, dass das nicht auf ihre Kosten geht.« Deshalb sollen Wege ausgelotet werden, »wie man das Überflüssige reduzieren und dabei das gute Leben, einschließlich der materiellen Versorgung, der Menschen verbessern kann«.

Marion Fisch [Lektorat | Herstellung]

Als VSA: Buch lege ich in diesem Jahr allen, denen Lebensgeschichten in extremen Zeiten etwas zu sagen haben, die politische Biografie über Peter Blachstein (1911-1977) ans Herz. Dessen Werdegang lässt sich kaum zwischen zwei Buchdeckeln unterbringen, geschweige denn in wenigen Worten anpreisen, aber dem Autor Peter Heid gelingt es, einen Menschen nahezubringen, der sich zunächst in der jüdischen Jugendbewegung, dann in linkssozialistischen Gruppen engagierte, 1933 in KZ-Haft kam, aus Deutschland fliehen konnte, in Oslo Willy Brandt kennenlernte, am Spanischen Bürgerkrieg teilnahm, nach dem Krieg SPD-Abgeordneter im Bundestag war, gegen das Godesberger Programm stimmte, kurze Zeit die BRD in Jugoslawien vertrat - und schließlich eher verbittert als sozialdemokratischer Außenseiter in Hamburg verstarb.

Verbitterung und Ernüchterung sind zwar etwas unpassend für Weihnachten, doch im Zusammenhang mit einem Roman von Victor Serge durchaus eine weitere Empfehlung wert – und zwar nicht nur für dieses Buch über ein Attentat auf einen stalinistischen Funktionär und die unerbittliche Verfolgung der vermeintlichen Täter, sondern für eine Mitgliedschaft in der Büchergilde Gutenberg, in der es neu herausgegeben wurde. Im Programm dieses einst gewerkschaftseigenen Buchklubs gibt es viele, auch handwerklich gut gestaltete Bücher – Neuerscheinungen, Klassiker und (Wieder-)Entdeckungen – gerade in Zeiten der Amazonisierung nicht nur zur Weihnachtszeit ein lohnender Anlaufpunkt.

Klaus Schneider [Lektorat | Abobetreuung | Buchhaltung]

Das VSA: Buch Einführung des Kapitalismus in Russland von Felix Jaitner eignet sich ideal für die Feiertage. Denn an diesen Tagen ruht der mediale Blätterwald. Das ist der richtige Zeitpunkt für einen klaren, ungetrübten Blick auf die geopolitische Lage zwischen dem »Westen« und Russland, den »Kalten Kriegern« Merkel und Putin. Das Buch beleuchtet Aspekte, die sonst wenig Erwähnung finden. Felix Jaitner wirft den Blick weiter in die Vergangenheit und betreibt eine fundierte Ursachenanalyse. »Einführung des Kapitalismus in Russland« ist, und das genießt in unseren Tagen Seltenheitswert, ein sachlicher und tiefgründiger Beitrag zu einer Debatte, die oft aus dem Ruder zu laufen droht (siehe Wolf Biermann bei Günther Jauch).

Und weiter politisch, wenngleich mit einer anderen Schlagrichtung, geht es mit der Band Mutter aus Berlin, die ein Phänomen in der deutschen Musikszene darstellt. Es gibt sie schon fast 30 Jahre (!) und trotzdem hat das im Herbst dieses Jahres erschienene Album Text und Musik keinerlei Gebrauchsspuren und Altersflecken. Die Musik flutscht wie immer. Und was gibt es Besseres als neue Musik in einer Zeit der Dauerberieselung von musikalischen Bankrotterklärungen im Radio, auf den Weihnachtsmärkten und in den Konzertsälen? »Mutter« geht mit ihrem Rock-(Pop) schnörkellose Wege mit klaren Texten. Der Song »Wer hat schon Lust so zu leben« greift das Thema der Flüchtlings- und Armutsproblematik auf, ohne moralinsauer auf Schuldige zu zeigen. Wer mal an gar nichts Politisches denken möchte, sollte sich zurücklehnen und »Qui?« anhören. Ein wunderbares Instrumentalstück, dessen Finale schnell weihnachtliches Phlegma und Völlegefühl vertreibt.

Gerd Siebecke [Lektorat | Herstellung | Geschäftsführung]

»Voll ins Gemüse mit Vincent Klink« ist inzwischen erschienen und kann wärmstens empfohlen werden. Der Häuptling von der Wielandshöhe, der sich lieber immer mal wieder selbst widerspricht, als dass ihm andere in die Parade fahren können, präsentiert auf über 240 Seiten mehr als 120 Rezepte – von der Aubergine bis zum Fenchel. So erschließt sich nicht nur der komplette Reichtum des Gemüsegartens, sondern das Ganze ist mit über 40 Hintergrundgeschichten erneut ein höchst amüsantes Lesevergnügen. Kaufen und Nachkochen!

Von Reichtum ganz anderer Art handelt mein zweiter Tipp: Die österreichischen Freunde von BEIGEWUM, Attac und der Armutkonferenz begründen in einem soeben erschienenen VSA: Buch detailliert, warum wachsende Ungleichheit unsere Gesellschaft gefährdet. Auf 176 Seiten werden die Halb- und Unwahrheiten des hegemonialen öffentlichen Diskurses zum Thema gesammelt und entkräftet. Den Mythen des Reichtums werden zudem Gedichte und literarische Textpassagen (u.a. von Mascha Kaléko, Kathrin Röggla, Hugo von Hoffmanstal, Erich Kästner, Kurt Tucholsky und Bertolt Brecht) gegenübergestellt. Die Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelink steuert ein Nachwort bei: »Unglaublich, aber wahr«. Kaufen und Lesen!

Christoph Lieber [Lektorat | Vertrieb | Redaktion]

Weihnachten 2014 fällt in schaurige Zeiten. Wem da nicht nach dem Bachschen »Jauchzet, frohlocket« zumute ist, dem empfehle ich, mit dem betörend timbrierten Bariton Christian Gerhaher und seinem kongenialen Liedpianisten Gerold Huber auf musikalische Wanderschaft zu gehen, bis ihn Gerhahers sehnsuchtsvoller Wanderer-Tonfall durch Schuberts Nachtviolen zur passenden Schauerballade vom »Zwerg« führt, der aus Eifersucht mordet und die »Königin tief ins Meer mit eignen Händen senkt«. Ein gruseliges Glanzstück und eines der ungeheuerlichsten Schubert-Lieder. Dessen Kunstliedkompositionen sind kühne Collagen mit Tiefgang, komponiert in Zeiten eines Fürsten Metternich und einer restaurativen Neuordnung Europas, nicht unähnlich gegenwärtigen Gemengelagen.

Solche sollten zu biblischer Weihnachtszeit mit einer Volkszählung gemeistert werden. Heutzutage ist in internationalen Beziehungen imperialer Realismus gefordert, wie Frank Deppe die deutsche Außenpolitik in »neuer Verantwortung« in seiner VSA: flugschrift charakterisiert. Zugleich ein Jahresrückblick 2014 der besonderen Art. Die LeserInnen bekommen drei zentrale politische Debatten aufbereitet: den Paradigmenwechsel in der Außen- und Sicherheitspolitik, den neuen Geschichtsrevisionismus um den Ersten Weltkrieg sowie den medialen Deutungskampf um den Majdan. Dabei lernt man noch etwas Diskurs- und Netzwerkanalyse mit Hausaufgaben für 2015: Was sind Essentials linker Außenpolitik im 21. Jahrhundert? Blickt man auf innerlinke Streitigkeiten zu diesen Fragen, kann einen das Schaudern überkommen. Dann höre man wieder die Zwergenballade mit Christian Gerhaher.

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