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Kirsten Rölke / Christiane Wilke / Mechthild Kopel (Hrsg.)

Gleich gestellt: doppelt stark!

Chancengleichheit in Unternehmen – die Praxis

192 Seiten | 2006 | EUR 12.80 | sFr 23.20
ISBN 3-89965-204-5

 

Kurztext: Sind die erzielten Fortschritte der Chancengleichheitspolitik in der Privatwirtschaft als Meilen- oder doch eher als Mosaiksteine zu bezeichnen? Viele Wege wurden beschritten, doch wo bleibt der Erfolg? In diesem Band werden Etappen der gewerkschaftlichen Frauenpolitik dargestellt.


Über die Idee, dass Frauen in Gesellschaft und Wirtschaft gleichberechtigte Chance haben sollten, herrscht mittlerweile breiter Konsens. Auffällig ist aber, dass sich der öffentliche Diskurs zur Zeit weitgehend auf familienpolitische Regelungen und Förderungen und dabei meist auf öffentliche Träger beschränkt.

Die Aktivitäten in Unternehmen – insbesondere diejenigen von engagierten Frauen und von Betriebsräten – bleiben weiterhin unterbelichtet. Vielmehr wird an die Wirtschaft appelliert, und unermüdlich werden Wettbewerbsvorteile propagiert. Viele Fortschritte bewegen sich im Schneckentempo. Auch wird weitgehend ignoriert, wie und in welchen Dimensionen Diskriminierungen bzw. Benachteiligungen von Frauen immer noch integrale Bestandteile von betrieblichen Geschäftsprozessen sind.

Mit diesem Buch soll in Betrieben und Unternehmen der Privatwirtschaft, also "zentralen" Orten, an denen gleichberechtigte Chancen für Frauen in Wirtschaft und Gesellschaft zu erzielen sind, öffentliche Aufmerksamkeit hergestellt werden. Die Autorinnen zeigen, dass BetriebsrätInnen und andere engagierte Frauen hartnäckig daran arbeiten, geschlechtsspezifische Diskriminierungen als integralen Bestandteil zahlloser Geschäftsprozesse sichtbar zu machen und zu beseitigen, dass sie nicht müde werden, den Unternehmensleitungen die Vorteile einer aktiven Chancengleichheitspolitik vor Augen zu führen, und dass sie mit zähem, geschicktem Einsatz auch tatsächlich Erfolge erzielen. Ihr Ziel ist es, gesellschaftspolitische Erfordernisse für Chancengleichheitspolitik in Unternehmen aus dem "Schattendasein" herauszuholen und mit "Best Practice" zum Handeln anzuregen.

Die Herausgeberinnen:
Kirsten Rölke ist Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall.
Christiane Wilke ist Bereichsleiterin Frauen- und Gleichstellungspolitik beim IG Metall-Vorstand.
Mechthild Kopel ist Mitarbeiterin bei Wert.Arbeit GmbH in Berlin.

Leseprobe 1

Christiane Wilke
Alle Mütter sind Frauen, aber nicht alle Frauen sind Mütter
Gleiche Chancen für Frauen in der Arbeitswelt


Von der Frauen- zur Familienpolitik – Ein Paradigmenwechsel

"Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin." So lautet Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes. Gleichstellungspolitik ist Verfassungsauftrag und eines der zentralen Instrumente, um die Gleichberechtigung von Frauen und Männern tatsächlich durchzusetzen.

An der Aktualität dieses Auftrags hat sich fast 60 Jahre nach Verkündung des Grundgesetzes nichts geändert. Doch um Geschlechterdemokratie ist es schlecht bestellt. Ob in der Politik, in der Wirtschaft, in den Medien, in den Betrieben oder in der Selbstverwaltung der Sozialversicherungen – überall sitzen die Männer an den Schalthebeln und denken nicht wirklich daran, ihre Macht zu teilen.

Die deutsche Gesellschaft ist eine Arbeitsgesellschaft. Nach wie vor integrieren Menschen sich durch Arbeit – bezahlte und/oder unbezahlte – in die Gesellschaft. Mithin ist der zentrale Hebel, um die Gleichstellung von Frauen und Männern tatsächlich durchzusetzen, die gleichberechtigte Integration von Frauen ins Erwerbsleben. Das wiederum setzt die ebenso gleichberechtigte Beteiligung der Männer an der unbezahlten Fürsorgearbeit – also Erziehung, Pflege und Hausarbeit –, die traditionell Frauen leisten, voraus. Damit eng verknüpft ist die Reform und Modernisierung der sozialen Sicherungssysteme, und das erfordert mehr als den bloßen Abbau von Sozialstandards und höhere finanzielle Belastungen für die Betroffenen.

Die geschlechtsspezifischen Implikationen und damit die gleichstellungspolitische Bedeutung liegen auf der Hand. Denn es geht darum, die Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit neu auszuhandeln – auf gesellschaftlicher Ebene ebenso wie auf individueller.

Gleichstellungspolitik, von der ersten rot-grünen Koalition noch zum "großen gesellschaftlichen Reformprojekt" ausgerufen, wurde mittlerweile komplett von einer Familienpolitik verdrängt, die Geburtenrate und Müttererwerbstätigkeit ins Zentrum des Interesses rückt. Zwar gilt die CDU-Politikerin Ursula von der Leyen als Symbolfigur dieser Wende, doch der Paradigmenwechsel ging dem Regierungswechsel lange voraus. Lediglich in ihrer ersten Amtsperiode von 1998 bis 2002 setzte die rot-grüne Koalition gleichstellungspolitische Duftmarken. Das Bundesgleichstellungsgesetz schaffte die Voraussetzung dafür, die Chancen und Arbeitsbedingungen von Frauen im öffentlichen Dienst des Bundes zu verbessern. Die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes machte die Gleichstellung zur Aufgabe des Betriebsrats und führte bei der Wahl der Beschäftigtenvertretung eine Quote für das Minderheitengeschlecht im Betrieb ein, die überwiegend Frauen zugute kommt.

Doch schon bei dem Versuch, ein Gleichstellungsgesetz auch für die private Wirtschaft einzuführen, war Schluss. Auf Druck der Wirtschaftsverbände stoppte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) das Vorhaben und setzte an die Stelle eine unverbindliche Vereinbarung.

Schon in der ersten Regierungszeit Schröder war die Familienpolitik mindestens gleichrangig, wenn auch gleichstellungspolitisch orientiert: Der Rechtsanspruch auf Teilzeit nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz erleichterte berufstätigen Eltern den Alltag, und das reformierte Bundeserziehungsgeldgesetz ermöglichte einen kleinen Schritt in Richtung partnerschaftliche Arbeitsteilung bei der Erziehung. Die Reform beinhaltete den Rechtsanspruch für Eltern, in der Elternzeit gleichzeitig Teilzeit von höchstens je 30 Stunden pro Woche zu nehmen.

In der zweiten Amtsperiode der rot-grünen Koalition machte sich der Umbruch am Ministerinnenwechsel im Frauen- und Familienministerium (BMFSFJ) fest. Auf Christine Bergmann, für die als "gelernte DDR-Bürgerin" eine vollwertige Erwerbstätigkeit von Frauen eine Selbstverständlichkeit war, folgte Renate Schmidt (beide SPD), die bereits den Typus der "Muttipolitikerin" repräsentierte. Grundlage des Politikwechsels war eine Analyse, die der zuständige Abteilungsleiter im BMFSFJ, Malte Ristau, so zusammenfasste: "Eine geringe Geburtenrate geht einher mit niedriger Frauenerwerbstätigkeit, ein schwaches Bildungsniveau mit gewachsenen Armutsrisiken. Ein Blick auf andere Länder in der Europäischen Union und in der OECD liefert weitere bemerkenswerte Erkenntnisse: 'Legt man wichtige Indikatoren von Familienfreundlichkeit zugrunde, schneidet Deutschland im direkten Vergleich schlecht ab. Dabei liegt die Bundesrepublik bei der Größenordnung der öffentlichen Geldströme im oberen Drittel'."

Schmidt verschrieb sich einer "nachhaltigen Familienpolitik". Als Indikatoren wurden Geburtenrate, Vereinbarkeit, Armutsrisiko, Bildungsniveau und Erziehungskompetenz herangezogen. Ziel war, die Erwerbstätigkeit der Frauen zu erhöhen und das öffentliche Angebot zur Kinderbetreuung auszubauen.

Zum Prestigeobjekt dieser Politik geriet das Tagesbetreuungsausbaugesetz (TAG), das den Kommunen das Ziel vorgibt, Betreuungsplätze für Krippenkinder zu schaffen und deren Frühförderung zu verbessern. Die Kommunen sollten durch die Hartz IV-Gesetzgebung bei der Sozialhilfe vom Bund entlastet werden und im Gegenzug etwa 230.000 neue Krippen- und Tagespflegeplätze bundesweit schaffen.

Frauenpolitikerinnen in den Gewerkschaften hatten die Forderung schon lange auf ihrer Agenda. Denn bisher sieht die Betreuungsinfrastruktur vor allem im Westen schlecht aus. Auch ein Jahr nach In-Kraft-Treten des TAG kommen im Westen nur 7,7% der ganz Kleinen in einer Krippe und 1,9% bei einer öffentlich geförderten Tagesmutter unter. In den östlichen Bundesländern und in Berlin ist die Versorgungsquote mit 37% (Krippe) und 2,8% (Tagespflege) deutlich höher. Angesichts dessen können Mütter allenfalls einer Teilzeitarbeit nachgehen und "dazu verdienen". Das reicht weder den Müttern noch den Unternehmen, die gut ausgebildete Fachkräfte allenfalls für kurze Familienpausen entbehren wollen.

Deswegen verlangt neben den Gewerkschaftsfrauen auch die Wirtschaft eine lückenlose Infrastruktur zur Kinderbetreuung, und zwar spätestens vom ersten Lebensjahr an, wenn das neue Elterngeld endet, bis ins Schulalter. Lange Berufspausen entwerten Qualifikationen und erschweren die Reintegration in den ohnehin schwierigen Arbeitsmarkt.

Der Ausbau der Betreuungsinfrastruktur soll die Geburtenrate und die Zahl erwerbstätiger Mütter erhöhen. Das TAG hat jedoch einen Haken: Die Kommunen können zur Umsetzung nicht gezwungen werden, und Eltern haben keinen Rechtsanspruch auf die Betreuung ihrer Sprösslinge unter drei Jahren. Die Kommunen, insbesondere im ländlichen Raum und im Westen, wo besonderer Mangel herrscht, schaffen eher zögerlich mehr Betreuungsplätze.

Die 20 Jahre alte Forderung der Gewerkschaftsfrauen nach einem Elterngeld als Entgeltersatz setzte noch Ministerin Renate Schmidt auf die politische Agenda. Die vorgezogene Neuwahl des Bundestags 2005 machte ihr zunächst einen Strich durch die Rechnung. Doch die große Koalition führte diese Politik nach dem Regierungswechsel bruchlos fort. Ursula von der Leyen, die im Wahlkampf noch ausschließlich auf die finanzielle Entlastung von Familien setzte und das TAG ablehnte, stellte sich an die Spitze der familienpolitischen Bewegung. Der steuerlichen Absetzbarkeit von Betreuungskosten und von haushaltsnahen Dienstleistungen folgte endlich das Elterngeld als Entgeltersatz – inklusive zweier "Bonus-Monate", mit denen Väter an den Wickeltisch gelockt werden sollen. Bemerkenswert ist, dass die zur politischen "Super-Mom" stilisierte Politikerin erheblich forscher vorging, als das Sozialdemokratinnen gewagt haben. Die SPD hatte vor der Bundestagswahl die Vorarbeiten für das Elterngeld geleistet, es aber bei einem Papa-Monat bewenden lassen wollen. Von der Leyen wollte zwei, setzte sich gegen die vereinigte Riege der Unions-Patriarchen durch und wusste dabei auch die Gewerkschaftsfrauen an ihrer Seite.

Das Elterngeld bewirkt einen familienpolitischen Paradigmenwechsel, da es sich nicht mehr am Familieneinkommen orientiert, sondern einen Ersatz für entgangenes Entgelt darstellt. Der erziehende Elternteil, der nach einer Geburt befristet beruflich aussteigt, erhält zwölf Monate lang 67% des bisherigen Nettoeinkommens. Das Elterngeld stärkt damit die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Müttern (und Vätern), erhöht den finanziellen Anreiz für "Väterpausen" und sichert die Existenzgrundlage von erziehenden Eltern im ersten Jahr nach der Geburt eines Kindes besser ab. Das bisherige Erziehungsgeld war verglichen damit eine Taschengeld-Prämie für den Berufsaustieg.

Die zwei Papa-Monate können allerdings nur als erster Schritt gesehen werden. Notwendig ist zukünftig eine paritätische Aufteilung zwischen den Eltern. Elternurlaub muss auch für Väter selbstverständlich werden, sonst wird sich an der klassischen Rollenzuweisung auch langfristig nur wenig verändern. Eine politische Bauchlandung beim Elterngeld droht jedoch, wenn das TAG floppt und die Betreuung vor allem für Krippenkinder nicht zügig ausgebaut wird. Der Sinneswandel der konservativen Karrierefrau Ursula von der Leyen kommt nicht von ungefähr. Im Grunde genommen macht sie nichts anderes, als das sozialpolitische Leitbild der Europäischen Union (EU), den "adult worker", umzusetzen. Jeder Erwachsene soll die gleichen Chancen haben, seine Existenz durch Erwerbsarbeit zu sichern. Sozialpolitik soll nicht den Ausstieg aus der Erwerbsarbeit sozial flankieren, etwa durch lange Elternzeit, Frühverrentung und ähnliches. Sie soll vielmehr dafür sorgen, dass alle Erwerbsfähigen in den Arbeitsmarkt integriert werden.

Aus diesem Leitbild leitet sich die Gleichstellungspolitik der EU ab. Frauen müssen die gleichen Chancen wie Männer erhalten, sich am Arbeitsmarkt zu behaupten und einer existenzsichernden Erwerbsarbeit nachzugehen. Deswegen ruft dieses Leitbild Widersprüche und Auseinandersetzungen innerhalb der CDU/CSU hervor. Einerseits erkennt die Union die Chance, mit dem "adult worker" die finanziellen Grundlagen der sozialen Sicherungssysteme zu festigen. Doch es bleibt ungeklärt, wer die Versorgungs-, Erziehungs- und Hausarbeit leisten soll, wenn das Haushaltseinkommen zum "Einkauf" familienergänzender Dienstleistungen nicht ausreicht. Obendrein widerspricht dieses Leitbild den familienpolitischen Grundüberzeugungen der Konservativen. "Männer in der CDU haben den Leitbildwechsel zum ›adult worker‹ noch nicht vollzogen, vermutlich noch nicht einmal wahrgenommen. Die Politiker wissen um das EU-Leitbild. Sie verschließen jedoch ihre Augen vor den Konsequenzen für ihr eigenes Verständnis von Geschlechterverhältnis und Rollenverteilung", sagt die Politologin Regina-Maria Dackweiler.[1]

Erfolge bisheriger Gleichstellungspolitik

"Männer und Frauen sind gleichberechtigt." Diesen Satz in der Verfassung haben die wenigen Mütter des Grundgesetzes um Elisabeth Selbert erstritten, doch daraus folgte zunächst nicht viel. Direkte Lohnabschläge von 10-25% für Frauen und die Entscheidungshoheit des Mannes über die Berufstätigkeit seiner Frau waren Realität. Erst 1955 entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG), dass das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes auch die Lohngleichheit umfasse. Gleichzeitig wiesen die Richter den Arbeitgebern den Weg, wie sie sich billig aus der Affäre ziehen könnten. Arbeit solle nach der körperlichen Belastung bewertet und bezahlt werden. Flugs wurden den untersten Lohngruppen noch niedrigere hinzugefügt. Die Leichtlohngruppen für Tätigkeiten "ohne besondere Anforderungen an die körperliche Leistungsfähigkeit" waren geboren. Erst 1988 verbot das BAG auch diese Lohngruppen als "mittelbar diskriminierend".

In den 1960er Jahren wurde der "Bildungsnotstand" ausgerufen und das katholische Mädchen vom Lande als besonders benachteiligt identifiziert. Von den Bildungsreformen der 1960er und 1970er Jahre profitierten vor allem junge Frauen, die sich von dem Argument, "die heiratet ja doch", immer weniger abhalten ließen, höhere Bildungsabschlüsse und eine qualifizierte Ausbildung zu erlangen.

Das Ehe- und Familienrecht wurde erst Ende der 1970er Jahre reformiert und dem Gleichheitsgebot des Grundgesetzes angepasst. Das tradierte Leitbild der Hausfrauenehe wurde zumindest im Zivilrecht aufgegeben, der Mann als Haushaltsvorstand abgesetzt, der Frau eine eigenständige Erwerbstätigkeit zugestanden. Im Scheidungsrecht lösten Zerrüttungsprinzip und Versorgungsausgleich das Schuldprinzip ab. Im Steuerrecht blieb mit dem Ehegattensplitting und der Steuerklasse V jedoch alles beim Alten. Auch die Orientierung der sozialen Sicherungssysteme am männlichen Alleinernährer wurde nicht angetastet.

Ebenfalls Mitte der 1970er Jahre wurde nach jahrelangen Auseinandersetzungen der Paragraf 218 reformiert und Schwangerschaftsabbrüche unter bestimmten Bedingungen entkriminalisiert.

Die immer stärkere und immer erfolgreichere Bildungsbeteiligung junger Frauen ging einher mit dem Anspruch, die erworbene Bildung auch zu nutzen, und zwar nicht nur bis zur Geburt des ersten Kindes. Der Auf- und Ausbau sozialstaatlicher Institutionen und Leistungen und das expandierende Bildungssystem brachte vielen Frauen in den 1970er Jahren neue berufliche Perspektiven. Seitdem kämpfen Frauen in immer neuen Facetten um die gleichberechtigte Teilhabe am Erwerbsleben:  Gleiches Entgelt nicht nur für gleiche, sondern auch für gleichwertige Arbeit,  die Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen den Geschlechtern,  die Vereinbarkeit von Beruf und Familie,  gleiche Karrierechancen,  gleiche Beteiligung an wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Macht.

Angetrieben von der gewerkschaftlichen wie auch der neuen Frauenbewegung und flankiert von Weichenstellungen auf EU-Ebene konnten Frauen immer mehr Terrain erringen. Vor allem einige EU-Richtlinien und Urteile des Europäischen Gerichtshofs halfen Frauen dabei, verkrustete Strukturen auf dem Arbeitsmarkt hierzulande aufzubrechen. So wurde der Begriff der mittelbaren Diskriminierung ins deutsche Arbeits- und Sozialrecht eingeführt und die mittelbare Diskriminierung Teilzeitbeschäftigter, etwa bei der Altersversorgung und bei betrieblichen Sozialleistungen, erfolgreich bekämpft.

In den 1980er Jahren führte die Diskussion um Frauenquoten nach und nach zum Erfolg und verschaffte den Frauen mehr Macht in der Politik. Zudem gelang es, Gleichstellungspolitik auch institutionell zu verankern.

Doch seit Mitte der 1990er Jahre bläst der Gegenwind immer stärker. Dafür gibt es unterschiedliche Erklärungsmuster. An allen dürfte etwas Wahres dran sein. "Die Männer schlagen zurück". So heißt ein viel beachtetes Buch von Susan Faludi. Die US-amerikanische Feministin vertrat bereits 1993 die These, dass Männer verstärkt die Erfolge der Frauenbewegungen in Niederlagen zu verwandeln suchen. In Deutschland wurden die Jungen mit den PISA-Studien als das neue benachteiligte Geschlecht im Bildungssystem identifiziert. Die vermeintliche Erkenntnis: Jungen ließen sich von den erfolgreichen Mädchen einschüchtern und fänden keine neuen männlichen Rollenvorbilder. An dieses Erklärungsmuster knüpft der Journalist Thomas Gesterkamp in seinem Buch "Die Krise der Kerle" an. Durch den Wandel der Erwerbsgesellschaft fühle sich der Mann in seiner Identität als Haupternährer der Familie in Frage gestellt. Die Ursachen des Geburtenrückgangs in Deutschland bestätigen diesen Befund: Es sind weniger die jungen Frauen als die jungen Männer, die keine Kinder haben wollen. Konfrontiert mit dem Anspruch, zu Hause mehr zu geben als den Zahlvater, sind viele in Zeugungsstreik getreten.

Eng damit verknüpft ist der zweite Erklärungsansatz: Die heutige Generation junger Frauen hat nicht die Erfahrung von Benachteiligung, die noch ihre Mütter im Bildungs- wie auch im Erwerbssystem gemacht haben. Sie fühlen sich gleichberechtigt und wollen sich nicht als benachteiligtes Geschlecht stigmatisieren lassen. Strukturelle Diskriminierung bei der Berufswahl, in der Ausbildung, beim Zugang zu Jobs und beim Entgelt werden gar nicht als solche erkannt oder eher auf persönliche Defizite, zu geringe Leistung oder auf die viel beschworene individuelle Wahlfreiheit zurückgeführt als auf strukturelle Ursachen. Benachteiligung wird für viele erst greifbar, wenn Frauen Kinder bekommen und versuchen, Beruf und Familie zu vereinbaren.

Der dritte Erklärungsansatz knüpft an den immensen Folgekosten der deutschen Vereinigung an. Angesichts der Größe der zu bewältigenden Aufgabe ließen sich Forderungen nach weiteren Schritten zur Gleichstellung von Frauen als Spielereien für Schönwetterperioden abtun. Zum anderen hatte die Entscheidung, die Kosten der Einheit im Wesentlichen den Sozialversicherungssystemen aufzubürden, gravierende Folgen für Frauen. Leistungskürzungen treffen sie in der Tendenz stärker als Männer, weil sie in der Altersversorgung wegen geringerer Einkommen weniger privat vorsorgen können und weil sie zu einem größeren Anteil Mitglied in den gesetzlichen Krankenversicherungen sind. Gleichzeitig werden mit Verweis auf die Eigenverantwortung der Einzelnen Leistungen gekürzt. Es sind vor allem Frauen, die das mit unbezahlter Fürsorgearbeit in ihrer traditionellen Rolle auffangen müssen.

Der Rückgriff auf traditionelle Arbeitsteilungen setzt sich in der Arbeitsmarktpolitik fort. Die mit der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II (ALG II) verschärfte Definition zumutbarer Arbeit und die Anrechnung von Partnereinkommen und -vermögen zwingen Frauen zurück in alte Abhängigkeiten – als Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft, wie es im Hartz IV-Deutsch heißt.

Einmal mehr zeigt sich: In der Krise versuchen die Männer an der Macht auf Kosten von Frauen Haushalte zu sanieren und Geld zu sparen.

Die Renaissance der Familienpolitik

Im Fahrwasser der Privatisierung von Lebensrisiken und der Diskussion um den demografischen Wandel geraten seit einigen Jahren Familien und die "gebärunwilligen" Frauen in den Mittelpunkt des politischen Interesses. Schließlich ist Familie der Ort, wo "Eltern und junge Menschen für sich selbst und füreinander Verantwortung tragen können", wie es der 11. Kinder- und Jugendbericht des BMFSFJ von 2002 formuliert. Die Familie soll das krisengeschüttelte deutsche Sozialversicherungssystem stabilisieren oder gar ersetzen.

Als Ursachen der Krise wurden der Geburtenrückgang und die steigende Lebenserwartung ausgemacht. PolitikerInnen, Fachleute und die Medien – alle beten dieselbe Botschaft herunter: Der Generationenvertrag trägt nicht mehr! Oder wie Meinhard Miegel, ein Wortführer der neoliberalen Sozialstaatskritik, es ausdrückte: Er sei unter den gegebenen Umständen – sinkende Einnahmen, steigende Ausgaben – nicht mehr erfüllbar. Miegel, der den CDU-Politiker Kurt Biedenkopf beriet und dem Bonner Institut für Wirtschaft und Gesellschaft vorsteht, prangerte den deutschen Sozialstaat in Veröffentlichungen und Büchern als leistungsfeindlich an.

Die Demografie-Debatte ist den Ideologen seines Schlages ein willkommener Vorwand zur Durchsetzung neoliberaler Politikkonzepte. Die Gewinner sind private Renten- und Krankenversicherer und andere Finanzdienstleister, die vom Milliardenkuchen ein möglichst großes Stück abhaben wollen. Allein bei der Gesetzlichen Rentenversicherung ging es 2005 um etwa 246 Milliarden Euro an Beiträgen. Die Arbeitgeber wollen sich von der paritätischen Finanzierung der Sozialversicherung verabschieden und kommen seit Jahren dem Ziel schrittweise näher. Und viele Verantwortliche in der Politik lenken von den tatsächlichen Ursachen der Finanzkrise der Sozialversicherungen ab: Massenarbeitslosigkeit und sinkende Staatseinnahmen.

Im Laufe der 1990er Jahre entledigte sich die deutsche Wirtschaft auf Kosten der BeitragszahlerInnen nicht unerheblicher Teile ihrer Belegschaften. Die damalige Bundesregierung unter Helmut Kohl sorgte für den gesetzlichen Rahmen der großzügigen Frühverrentung. Zusätzlich bürdete die schwarz-gelbe Koalition den Sozialversicherungen die Kosten der Deutschen Einheit auf. All das wird nicht an die große Glocke gehängt. Zusammen mit der explodierenden Arbeitslosigkeit – eine Folge der Einheit und der strukturellen Krise, die sich als Massenarbeitslosigkeit verfestigt hat – war und ist hier das Hauptproblem zu suchen: Die sozialen Sicherungssysteme ächzen, wenn das Beitragsaufkommen implodiert.

Rentenkürzungen und Leistungsabbau in der Gesetzlichen Krankenversicherung haben nichts mit Demografie zu tun, sagt auch Statistikprofessor Gerd Bosbach von der Fachhochschule Koblenz. Er nennt als Ursachen: Geringe Lohnzuwächse, den wachsenden Niedriglohnsektor und den Verlust sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung durch Mini-, Midi- und Ein-Euro-Jobs. Trotzdem muss der vielbeschworene demografische Wandel als Vorwand für zahlreiche Eingriffe in das Sozialsystem herhalten. Sie folgen bis heute nur dem einen Muster: Kosten sparen, indem Leistungen für Versicherte abgebaut, Zuzahlungen erhöht und private Vorsorge verstärkt werden, insbesondere in der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung. Verkauft wird das Ganze als Stärkung der "Eigenverantwortung" mündiger BürgerInnen. Das Ziel einer nachhaltigen Sicherung der Systeme für kommende Generationen, vollmundig vor jeder Reform versprochen, wurde jeweils verfehlt. Das fing mit Norbert Blüms Gesundheitsreform-Gesetz (1989) und Seehofers Gesundheitsstrukturgesetz (1992) an, das bereits 1996 und 1997 mit der so genannten Dritten Stufe der Gesundheitsreform nachgebessert werden musste. Die Pfründe der Anbieter, allen voran der Pharmaindustrie, wurden weitgehend verschont. Erreicht wurden allenfalls kurzfristig stabile Beiträge und die allmähliche Abkehr von der paritätischen Finanzierung zu Lasten der Versicherten.

Das gleiche Bild bietet die gesetzliche Rentenversicherung. Norbert Blüm, Sozialminister von 1982 bis 1998, durfte dem Sozialabbau sein menschliches Antlitz verleihen. Die Rentenreform 1992 ging zwar einher mit einer Systematisierung der Gesetzlichen Rentenversicherung, doch sie brachte vor allem auch eine Rentenkürzung für Frauen mit sich, weil die Anrechnung der Ausbildungszeiten rigide gekürzt wurde und insbesondere Frauen häufig lange schulische Ausbildungszeiten außerhalb des dualen Systems haben. Die Rentenentwicklung orientierte sich an den Nettolöhnen, Rentenabschläge traten in Kraft.

1997 brachte die Regierung Kohl das Rentenreformgesetz 1999 auf den Weg, das erst nach der Bundestagswahl (1998) in Kraft treten sollte. Arbeitsmarktaspekte bei der Altersrente wurden ebenso gestrichen wie die Berufsunfähigkeitsrente, bei den Erwerbsminderungsrenten wurden die Zugangshürden erhöht, das Renteneintrittsalter für Schwerbehinderte (von 60 auf 63 Jahre) und für Frauen (von 60 auf 65 Jahre) schrittweise angehoben, die große Witwenrente deutlich eingeschränkt. Damit passte man das System zwar dem Ziel der eigenständigen Existenzsicherung von Frauen und dem EU-Leitbild des "adult worker" an, doch versäumte man es, die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Da ausreichende Vollzeitarbeitsplätze für Mütter und Ganztagsbetreuungsplätze für Kinder aller Altersstufen fehlen, kommt das einer Kürzung der Altersversorgung von Frauen gleich.

Blüms demografischer Faktor in der Rentenformel, ebenfalls im Rentenreformgesetz 1999 enthalten, wurde zum Reizwort und war wohl einer der Gründe, warum die schwarz-gelbe Koalition nach 16 Regierungsjahren bei der Bundestagswahl scheiterte.

Zu den knapp fünf Millionen offiziellen Arbeitslosen kommt die stille Reserve. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung gab deren Zahl für 2004 mit rund 1,6 Millionen Menschen an – mit einer Toleranz nach unten und oben. Frauen stellen mit rund 840.000 über die Hälfte der stillen Reserve: Sie stecken nicht nur in Maßnahmen (Berufsförderung, Qualifizierung), sondern melden sich aus unterschiedlichen Gründen nicht arbeitslos, obwohl sie gerne erwerbstätig wären.

Auch Rot-Grün beklagte weiter Geburtenschwund und die Kosten der steigenden Lebenserwartung. Globalisierung diente als Totschlagsargument für eine neoliberale Politik des "schlanken Staates". Als Bundeskanzler kassierte Gerhard Schröder zwar den Blümschen Demografiefaktor, bevor er in Kraft trat, und löste damit ein Wahlversprechen ein. Doch das bedauerte er schon bald. Seit 2005 bewirkt der so genannte Nachhaltigkeitsfaktor, dass die Renten noch langsamer steigen. Zusammen mit stagnierenden Nettolöhnen führte das 2006 zur dritten Nullrunde für Rentnerinnen und Rentner.

Solide Zahlen und Tatsachen spielen in der öffentlichen Debatte kaum eine Rolle: Statistisch belegt altert Deutschland seit 130 Jahren. Um 1900 kamen auf einen über 65jährigen zwölf Erwerbsfähige, heute sind es noch vier. Gerd Bosbach stellt fest, dass Alterung und weniger Kinder nicht zwangsläufig Sozialabbau erzwingen. Stetige Produktivitätsfortschritte glichen in der Vergangenheit sinkende Geburtenzahlen aus und werden das auch in Zukunft tun.

Das Statistische Bundesamt geht von einer Bevölkerungsabnahme von weniger als 10% in 50 Jahren aus. Eine Abnahme von 82 auf 75 Millionen Menschen – falls sie denn einträte – ließe die Deutschen nicht gerade aussterben. Auch das Jonglieren mit dem "Altenquotienten", der angibt, wie viele Erwerbstätige einen alten Menschen "durchfüttern" müssen, bringt keinen weiter. Denn viele der statistisch erfassten Erwerbsfähigen sind arbeitslos und erhalten Unterstützung. Im Zerrbild demografischer Wandel fehlen die Faktoren Arbeitslosigkeit, Produktivität, Zuwanderung und Familienfreundlichkeit. Aber gerade hier wären die politischen Stellschrauben anzusetzen.

Die SPD verfolgt in der großen Koalition die Rente mit 67. Doch das tatsächliche Renteneintrittsalter liegt heute bei etwa 61 Jahren. Für die Rentenkassen wäre schon viel gewonnen, wenn sich die meisten tatsächlich erst mit 65 Jahren zur Ruhe setzen würden. Doch das gibt der Arbeitsmarkt zur Zeit ebenso wenig her wie ausreichend Ausbildungsplätze für junge Menschen. In der Regel scheiden z.B. Handwerker mit 58 bis 61 Jahren krankheitsbedingt aus dem Beruf aus. Frauen trifft die Rente mit 67 doppelt hart: Wegen ihrer Hauptverantwortung für die Kindererziehung können sie die für eine abschlagsfreie Rente geforderten 45 Pflichtversicherungsjahre praktisch nicht erreichen und werden daher mit Rentenabschlägen bestraft. Rente mit 67 – wieder nur eine nächste Rentenkürzung.

Weitere Eingriffe in das Sozialsystem sind bereits geplant: Auf Eckpunkte für eine Gesundheitsreform hat sich die große Koalition nach langem Gezerre geeinigt, bei der Pflegeversicherung zeichnen sich ebenfalls Einschnitte ab. Das im Sozialsystem institutionalisierte Solidarprinzip wird immer mehr geschwächt. Ein neues Modell falsch verstandener Subsidiarität fordert die Verantwortung der Familien oder "Bedarfsgemeinschaften" für ihre Mitglieder.

Über Extrabeiträge zur Rentenversicherung für Kinderlose wird immer mal wieder laut oder leise nachgedacht, in der Pflegeversicherung sind sie bereits Realität. Gerechtfertigt werden sie mit dem Nachwuchsbedarf der Gesellschaft. Vor drei Jahren drückte das Hans-Olaf Henkel, der ehemalige Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, so aus: "Singles steigen ohne schlechtes Gewissen ins Grab."[2] Besonders die CSU hat Verfechter von Sonderbeiträgen in ihren Reihen. Dass viele Menschen nicht freiwillig kinderlos sind, dass sie nicht selten über lückenlose Erwerbsbiographien verfügen und die volle Steuer- und Abgabenlast tragen, wird vollkommen ausgeblendet.

Familienpolitik? Oder eher Bevölkerungspolitik?

Die familienpolitische Hochkonjunktur ist sozusagen ein Produkt wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Fehlentscheidungen und Sparmaßnahmen der Vergangenheit: Rückbau wohlfahrtsstaatlicher Garantien, niedrige Lohnabschlüsse und Reallohneinbußen, überzogene Mobilitäts- und Flexibilisierungsansprüche gegenüber den Beschäftigten, gestiegene Arbeitszeiten und die Verweigerung gleichstellungsrechtlicher Interessen von Frauen. Jahrelang wurde viel dafür getan, die soziale Situation von Frauen und Familien zu verschlechtern, Vereinbarkeit zu erschweren und Frauen die Lust auf Familie zu rauben.

Kinderwünsche treten in den Hintergrund, weil sie die wirtschaftliche Unabhängigkeit und soziale Existenz von Frauen bedrohen. Junge Frauen beurteilen die rechtlichen, wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen rational: Gleichberechtigte Teilhabe und partnerschaftliche Arbeitsteilung sind Zukunftsmusik, keine Realität. Sie erleben die Verweigerung von Männern und Vätern, ihren Teil der Verantwortung zu übernehmen, darüber hinaus eingeschränkte Berufsauswahl, schlechtere Verdienst- und Karrierechancen, und im Berufsleben werden sie als potenzielle Mütter beargwöhnt: Hat sich eine Frau angesichts dieser Rahmenbedingungen beruflich eine günstige Ausgangsposition verschafft, sieht es mit hoher Wahrscheinlichkeit nach einer Elternzeit wieder anders aus. Wer mit Kind im Schlepptau in den Beruf zurückkehrt, hat nicht viel zu erwarten. Das belegen auch die IAB-Direktorin Jutta Allmendinger und Mitarbeiterinnen: Mütter müssen nach wie vor zwischen Beruf und Familie jonglieren, Väter machen Karriere. Immer mehr Frauen sind erwerbstätig, doch nur gut ein Drittel von ihnen arbeitet Vollzeit, Karrierechancen sind gering.[3] Die Gleichstellungsansprüche von Frauen werden politisch ignoriert, allenfalls nachrangig beachtet.

Doch statt auf diese Tatbestände und Versäumnisse zu reagieren, verändern die politisch Handelnden mit ihrer Familienpolitik nur jene Faktoren, die unter dem Sammelbegriff "Vereinbarkeit von Beruf und Familie" zu verstehen sind. Der Schwerpunkt liegt auf der Verbesserung der Rahmenbedingungen für höher qualifizierte Frauen, um ihnen die Entscheidung für Kinder zu erleichtern. Sie sind die Adressatinnen der Familienpolitik, und zwar nicht zufällig: Sie verfügen angeblich über eine hohe Erziehungskompetenz und können ihre "Humanressourcen" an ihre Kinder weitergeben. Da sie sehr erwerbsorientiert sind, ist es eher unwahrscheinlich, dass sie als Mütter dem Staat allzu lange auf der Tasche liegen. Der Kern dieser Familienpolitik ist eine qualitative Bevölkerungspolitik, weil sie einseitig auf die Steigerung der Geburtenrate der höher qualifizierten, gebildeteren Schichten setzt. Dies wiederum korrespondiert mit dem Ziel, mittel- und langfristig dem vielfach prognostizierten Fachkräftemangel der deutschen Wirtschaft zu begegnen. Die Zukunft soll den fähigen, flotten Müttern gehören, die dem Arbeitsmarkt nach kurzen Elternzeiten zur Verfügung stehen, familiennahe Dienstleistungen nachfragen und ihren Kindern höhere Bildungsabschlüsse mit auf den Weg geben.

Das Zerrbild der egoistischen Karrierefrau ohne Kinder dient der medialen Inszenierung, samt falscher Zahlen und manipulierter Statistiken: Angeblich bleiben rund 40% der Akademikerinnen kinderlos – die Zahl wird aus den Ergebnissen des Mirozensus, der amtlichen Befragung zur Haushalts- und Familienstruktur, abgeleitet. Gefragt wird jedoch nur nach im Haushalt lebenden Kindern. Auch den Trend, dass Frauen ihren Kinderwunsch immer später realisieren, erfasst der Mikrozensus nicht. Eine repräsentative Befragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat dagegen 2005 ergeben, dass etwa 21% der Akademikerinnen kinderlos bleiben, das entspricht in etwa der Quote aller Frauen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW) stützt diese Zahlen und spricht von deutlich unter 30% kinderlosen Akademikerinnen. Eine leicht erhöhte Rate im Vergleich zu allen Frauen sei nicht neu, sondern bei hoch qualifizierten Frauen seit Jahrzehnten zu beobachten.

Dass das familienpolitische Konzept von Ministerin von der Leyen für qualitative Bevölkerungspolitik maßgeschneidert ist, zeigt sich an der Anfang 2006 beschlossenen steuerlichen Absetzbarkeit von Betreuungskosten. Davon profitieren jene Schichten am meisten, die private Dienstleistungen "vorfinanzieren" können. Statt auf für alle bezahlbare öffentliche Ganztagseinrichtungen mit qualitativ hochwertiger pädagogischer Betreuung setzt von der Leyen auf Tagesmütter, die für die Mehrheit der Eltern mit kleinen Einkommen oder Durchschnittsverdienst keine Alternative sind. Dieser Politikansatz vertieft die soziale Spaltung in der Gesellschaft und insbesondere zwischen den Frauen: Hier diejenigen, die sich von unbezahlter Fürsorgearbeit freikaufen können, und dort die weniger glücklichen "neuen Dienstmädchen", die diese Arbeit – schlecht bezahlt und sozial kaum abgesichert – übernehmen müssen und selbst nicht wissen, wo sie währenddessen ihre Kinder lassen sollen.

IAB-Direktorin Allmendinger beschreibt das Dilemma von Frauen auf dem Arbeitsmarkt und kritisiert, dass sich Vereinbarkeitskonzepte nur an Frauen richten, nicht jedoch an Männer, dass neben dem gewünschten Umfang der Erwerbstätigkeit von Müttern deren Karriereentwicklung zu fördern sei und dass der Ausbau ganztägiger Kinderbetreuung für alle Altersstufen Priorität habe.

Familienpolitik hat in diesem Zusammenhang noch einen ganz anderen Charme. Mit deren Instrumenten lassen sich drängende Probleme der Frauen und der Familie lindern, ohne die Machtfrage zu stellen. Die Aufwertung der Familienpolitik rührt nicht an tradierten Strukturen und Praktiken. Obwohl heutzutage junge Frauen und Männer in ihren Bildungs- und Entwicklungschancen so gleich wie nie sind, entfernen sich die Biografien der Geschlechter nach einer Familiengründung vehement voneinander. Die alte und neue Geschlechterdifferenz wird in der Familienpolitik zum individuell zu lösenden Problem, zur Frage der Organisation.

Die Kritik des männlich normierten Arbeitsmarktes ist hingegen nicht vorgesehen. Doch Teilzeit ist eben kein Allheilmittel, wenn es um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie geht. Der Gesetzgeber hat diese Möglichkeit für Eltern – in der Praxis für Frauen – großzügig verbessert. Doch Teilzeit arbeitende Frauen sind auf einen Familienernährer angewiesen – oder sie rutschen in das Arbeitslosengeld II ab. Hinter vorgehaltener Hand berichten Gleichstellungsbeauftragte davon, wie sehr die Männerwelt darüber frohlockt, dass die lästige weibliche Konkurrenz sich damit selbst aus dem Weg räumt, denn schließlich wird kaum eine leitende Position in Teilzeit vergeben.

Auch die Verweigerung einer Reform der Ehegattenbesteuerung ist ein Beispiel für diese Politik. Schon seit 1958 gibt es das Ehegattensplitting, die Einkommen der Ehepartner werden addiert und dann halbiert. Vom geteilten Betrag wird der jeweilige Steuertarif abgelesen und verdoppelt. Der Splitting-Vorteil begünstigt Ehe und Familie, laut Verfassung unter dem besonderen Schutz des Staates stehend, so argumentieren Befürworter. Doch dieses Argument ist überholt: Der Steuervorteil kommt jeder Ehe zugute, unabhängig davon, ob Kinder zu versorgen sind. Nicht die Familie, der Trauschein wird hoch prämiert. Denn der Splittingvorteil ist bei "Hausfrauen-Ehen" mit nur einem Spitzenverdienst am höchsten. Bei einem Jahreseinkommen von 120.000 Euro erreicht der maximale Splittingvorteil 9.032 Euro. Verdiener von 30.000 Euro bringen es auf eine Steuerersparnis von 3.493 Euro.[4] Erwerbstätige Ehefrauen mit Kindern sind ebenfalls benachteiligt: Für Ehefrauen lohnt sich die Erwerbsarbeit erst, wenn sie nach Steuerabzug mehr verdienen, als der Splitting-Vorteil einbringt und die (zusätzliche) Kinderbetreuung kostet. Damit stärkt das Ehegattensplitting den Trend, Müttern die Hauptrolle in der Kindererziehung und am häuslichen Herd zuzuweisen. Auch mit dem EU-Leitbild des "adult worker" ist die steuerliche Bevorzugung der Einverdiener-Ehe nicht vereinbar. Ein Unbehagen darüber äußert sich inzwischen sogar in den Reihen der CDU. Allerdings genießt dort der Vorschlag eines Familiensplittings oberste Priorität. Doch dieses ändert nichts daran, dass ein Splitting die Attraktivität einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung für Frauen mindert.

Ansprüche an eine moderne Gleichstellungspolitik

Familienpolitik hin, Geburtenrate her, Deutschland muss sich auch wieder der Gleichstellungspolitik zuwenden, dafür sorgen über kurz oder lang nicht nur unzufriedene Frauen, sondern auch Druck aus der EU. Schließlich übernimmt Deutschland im ersten Halbjahr 2007, dem EU-Jahr der Chancengleichheit, die Ratspräsidentschaft. 2007 soll es auf europäischer Ebene neben der Förderung einer toleranten und solidarischen Gesellschaft vornehmlich um das Recht auf Gleichbehandlung und bessere Beteiligung benachteiligter Gruppen gehen, vor allem der Frauen.

Im so genannten Fahrplan zur Gleichstellung für die Jahre 2006 bis 2010 sagt die EU-Kommission der geschlechtsspezifischen Benachteiligung den Kampf an und benennt in einer Prioritätenliste sechs Arbeitsfelder, darunter die gleiche wirtschaftliche Unabhängigkeit für Frauen und Männer, bessere Vereinbarkeit von Beruf, Privat- und Familienleben sowie den Abbau von Geschlechtsstereotypen in der Gesellschaft. Ein neues Europäisches Institut für Gleichstellungsfragen soll ab 2007 Forschung in Sachen Gleichstellung betreiben und sich als Exzellenzzentrum mit seinem Fachwissen etablieren, gefördert mit 52,5 Millionen Euro bis 2013. Daneben hat sich der "Rat der Regionen und Gemeinden Europas" einer Gleichstellungs-Charta verpflichtet, die von Kommunen übernommen und unterzeichnet werden soll.[5]

Gleichstellungspolitik stellt die Frage nach gleichberechtigter Teilhabe an Ressourcen – also Geld und Zeit – und Macht. Wer Gleichstellungspolitik von morgen gestalten will, kommt um die Machtfrage nicht herum, sonst sind gleiche Entgelt-, Aufstiegs- und Karrierechancen für Frauen nicht einzulösen. Dieser Herausforderung müssen sich auch die Gewerkschaften stellen: Gleichstellungspolitik darf nichts "Zusätzliches" sein. Vielmehr müssen die Kernfelder, die Tarif- und Betriebspolitik, gleichstellungsorientiert umgestaltet werden.

Während deutsche Parteien um die Modernisierung ihrer Frauenbilder und ihrer Familienpolitiken und die dazu gehörigen Leitlinien ringen, haben Frauen in Deutschland längst Fakten geschaffen. Sie leben in vielfältigen Formen und Partnerschaften zusammen, die zeitlich weniger stabil sind als vor drei oder vier Jahrzehnten. Das Erwerbsinteresse beider Geschlechter ist gleichermaßen hoch, finanzielle Unabhängigkeit ist in der Wertigkeit von jungen Frauen enorm gestiegen. Doch sie erleben, dass Chancengleichheit am konservativ geprägten Wohlfahrtsstaat Deutschland scheitert. Männer haben es angesichts dieser Rahmenbedingungen nicht unbedingt nötig, ihre Rolle in der Familie zu überprüfen. Während sich gut 50% der jungen Frauen eine partnerschaftliche Arbeitsteilung wünschen, ist das nur für rund 40% der jungen Männer in den alten Ländern denkbar. Und wie sieht dann die partnerschaftliche Arbeitsteilung aus? Unter der Überschrift "Pantoffelhelden – ›Es gibt den neuen Mann tatsächlich‹" in Spiegel online vom 23.7.2006 wurden die Ergebnisse einer neuen Studie gefeiert. Danach wenden Männer im Durchschnitt pro Woche knapp eine halbe Stunde mehr für Haushalt und Familie auf als noch vor zehn Jahren, ohne sich weniger im Job zu engagieren. Dieses Ergebnis benötigt keine Kommentierung aus gleichstellungspolitischer Sicht!

Frauen wie Männer sind heutzutage nach langen Ausbildungszeiten darauf angewiesen, ihre Bildung möglichst umgehend in eine stabile Berufsposition umzusetzen. Hans Bertram, Vorsitzender der Kommission für den Familienbericht 2005, weist darauf hin, dass bildungspolitische und wirtschaftliche Anforderungen die Phase der Familienplanung extrem einengen. Das bedeutet bei Beachtung der biologischen Tatbestände für Frauen, dass sich deren Entscheidung für Kinder auf eine Rushhour in der Lebensplanung konzentriert. Damit Kinderwünsche dann nicht scheitern, müssen die Rahmenbedingungen für Chancengleichheit stimmen. Bisher ist für die meisten Frauen Familiengründung gleichbedeutend mit dem Verzicht auf gleichberechtigte Teilhabe, Vereinbarkeitspolitik erweist sich als Mogelpackung. Aufgabe von Gleichstellungspolitik ist es, dafür zu sorgen, dass Frauen – unabhängig von ihrer persönlichen Lebensgestaltung – in ökonomischer Unabhängigkeit leben können, mit Kindern oder ohne, mit Partner, Partnerin oder ohne.

Akteurinnen der Gleichstellungspolitik

Angesichts der irritierenden Entwicklungen in der Bundespolitik – unverhoffte Dynamik beim Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei gleichzeitiger gleichstellungspolitischer Ignoranz – verharren die verschiedenen Teile der Frauenbewegung in Sprachlosigkeit. Alice Schwarzer feierte die Wahl von Angela Merkel zur Bundeskanzlerin als Riesenschritt für die Frauen in Deutschland, ignorierte dabei weitgehend deren unsoziale und frauenfeindliche Politikkonzepte und erntete für ihren Jubel vielfach Kopfschütteln. Doch in der Frage, wie mit Frauen- und Familienministerin Ursula von der Leyen umzugehen sei, herrscht allgemeine Ratlosigkeit. Immerhin hat sie das Elterngeld engagiert durchgesetzt, immerhin legt sie sich mit der Riege der Patriarchen in ihrer Partei an, um das Familienbild der Union den realen gesellschaftlichen Verhältnissen anzunähern.

Von den bisherigen Trägerinnen der institutionalisierten Frauenbewegung ist hingegen kaum etwas zu hören. Die Sozialdemokratinnen haben sich von der konservativen Karrierefrau und Mutter das Politikfeld widerstandslos abnehmen lassen. Von der Leyens Vorgängerin Renate Schmidt sah sogar ihre politischen Vorhaben in guten Händen. Die Grünen-Frauen, zu rot-grünen Zeiten der SPD in der Gleichstellungspolitik immer eine Nasenlänge voraus, wirken seltsam ideenlos und desorientiert. Und die Linke lässt jedes frauen- oder gleichstellungspolitische Profil vermissen.

Doch ist es wirklich das "Phänomen von der Leyen", das diesen Stillstand hervorruft? Die Professorin Regina-Maria Dackweiler sieht die Ursache eher in der Einseitigkeit des Kampfes der vergangenen Jahre. "Die ganze Zeit ging es für Gewerkschaftsfrauen, für Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte darum, Frauen diskriminierungsfrei in Erwerbsarbeit zu bringen. Dabei wurde zwar viel erreicht, es bewegt sich aber nichts mehr. Vielleicht hat die Lähmung ja auch ihre Ursache in dem Frust, jahrelang um das Durchbrechen gläserner Decken gekämpft zu haben, ohne dass sich am Fundament, an der gesellschaftlichen Organisation von Erwerbsarbeit und unbezahlter Fürsorgearbeit, irgend etwas geändert hätte."[6]

Wenn Frauen erst in Beruf und Betrieb gleichgestellt seien, würde die unbezahlte Familienarbeit im Schlepptau quasi automatisch gerechter verteilt, weil den Männern die Argumente ausgingen, so die Hoffnung. Doch die erwies sich als Illusion. Die Männer üben sich weiter in verbaler Zustimmung bei gleichzeitiger Verhaltensstarre.

Jungen Frauen wird der Eindruck vermittelt, dass ihnen die Welt offen stehe, dass sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen können und sollen und dass sie selbst entscheiden können, wie und mit wem sie leben wollen. Doch kaum aus dem Schultor hinaus gestürmt, erwartet sie kaum mehr als die alte Leier. Viele junge Frauen nehmen diesen Widerspruch wahr, auch wenn sie im Moment wenig mit der "alten Frauenbewegung" anfangen können. Doch mit attraktiven Politikangeboten können auch die jungen Frauen dafür gewonnen werden, sich für andere Perspektiven zu engagieren. Dabei spielt der Kampf um Antidiskriminierung und Gleichstellung im Erwerbsleben weiter eine zentrale Rolle. Allerdings muss auch die unbezahlte Arbeit in den Blick genommen werden. Die Forderungen nach mehr und besseren Betreuungsangeboten für Kinder jeden Alters und nach qualitativ hochwertigen, bezahlbaren ambulanten und stationären Pflegedienstleistungen können nur der Anfang sein. Wenn die traditionellen (Familien-)Strukturen, in denen diese Fürsorgearbeit bisher hauptsächlich geleistet wird, sich auflösen, muss neu darüber nachgedacht werden, wie Fürsorge in unserer Gesellschaft geleistet werden soll. Dabei ist die Kreativität und das Engagement der "am besten ausgebildeten Frauengeneration aller Zeiten" mehr gefordert denn je.

Eine parteipolitische Trägerin eines solchen visionären Projekts lässt sich bisher nicht eindeutig ausmachen. Vielmehr gibt es in allen demokratischen Parteien Frauen, die – vermutlich aus persönlicher Erfahrung – geschlechtsspezifische Ungleichheit im Rahmen ihrer politischen Programmatik zum Thema machen (könnten). Und in allen Parteien müssen sie deswegen Widerstände überwinden. Im Streit ums familienpolitische Leitbild der CDU/CSU zeigt sich das am deutlichsten. Das derzeit öffentlich diskutierte Frauenbild muss vehement kritisiert und Alternativen aufgezeigt werden. Dazu reicht es nicht, den Schulterschluss mit den traditionellen Bündnispartnerinnen des ehemaligen rot-grünen Gleichstellungsprojekts zu suchen. Vielmehr können die Ansätze in verschiedenen Parteien aufgegriffen und an den Ansprüchen der gewerkschaftlichen Frauenbewegung gemessen werden.

Ansätze für eine gleichstellungspolitische Agenda

Gleichstellung heißt die Hälfte der Macht. Doch hier bewegt sich kaum etwas. Appelle an das Gerechtigkeitsempfinden der Männer verpuffen. Die Hälfte der wirtschaftlichen und politischen Macht bekommen Frauen nur mit verpflichtenden Quoten. Das sehen die Regierungen in Norwegen und Spanien übrigens genauso und haben die Unternehmen dazu verpflichtet, ihre Aufsichtsräte quotiert zu besetzen. In Deutschland hat die Mindestquote für das Minderheitengeschlecht bei der Betriebsratswahl im Betrieb mehr Frauen in die Beschäftigtenvertretungen gebracht. Es ist an der Zeit, die Quotendiskussion zu entstauben und mit mehr Courage die Hälfte der Sitze in wirtschaftlichen und politischen Entscheidungsgremien für Frauen einzufordern.

Am 24. Februar 2006 stellten die Bundesregierung und die Wirtschaftsverbände ihre zweite Bilanz zur Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft vor. Inhaltlicher Schwerpunkt des Werks sind Frauen in Führungspositionen. Trotz dieses eingeschränkten Fokus mussten die Bündnispartner lange suchen, bevor sie etwas fanden, was sie als Erfolg verkaufen konnten. Frauen- und Familienministerin Ursula von der Leyen hob schließlich hervor, dass der Anteil von Frauen in Führungspositionen von 21% im Jahr 2000 auf 23% im Jahr 2004 gestiegen ist. Ihr Lob schränkte die CDU-Politikerin jedoch selbst ein. Die meisten weiblichen Führungskräfte sind kinderlos. Von der Leyen sähe gern mehr Mütter in den Chefetagen.

Über ein wichtiges Detail schwiegen sich die zuständigen Ministerien und ihre Bündnispartner in der Wirtschaft aus: Je größer der Betrieb, desto geringer der Frauenanteil im Management. In den Großbetrieben mit mindestens 500 Beschäftigten betrug er 2004 gerade mal 4%. In den 100 größten deutschen Unternehmen fanden sich nur vier Frauen in einem Vorstand.

Wie die erste Bilanz auch ist der zweite Bericht weitgehend eine Zusammenstellung von einzelnen Aktivitäten und Veranstaltungen, darunter zahlreiche Initiativen des BMFSFJ selbst. Die Unternehmen führen vorrangig Beratungsangebote und Veranstaltungen an. Es fehlen genaue Daten zur Einkommensentwicklung, den Entgeltunterschieden zwischen den Geschlechtern, eine teilzeitbereinigte Frauenbeschäftigungsquote und Zahlen über Defizite bei der Kinderbetreuung. Es fehlen Angaben, wie viele Betriebe sich mit welchen Maßnahmen an der Umsetzung der freiwilligen Vereinbarung beteiligt haben. Mit anderen Worten: An der in der ersten Bilanz 2003 beklagten schlechten Datenlage hat sich nichts geändert. Auch die zweite Bilanz gibt keine Auskunft über den gleichstellungspolitischen Stand in den Unternehmen.

Dennoch kommen die Bündnispartner zu dem Schluss, es bedürfe "keiner weiteren gesetzlichen Regelung zur Gleichbehandlung von Frauen und Männern im Erwerbsleben". Dem Anspruch im Koalitionsvertrag, auf Basis der zweiten Bilanz "über möglicherweise notwendige, verbindliche Instrumente zu befinden", erteilten sie eine eindeutige Absage. Es war nichts anderes zu erwarten.

Doch die bekannten Fakten zur Gleichstellungspolitik legen einen ganz anderen Schluss nahe, nämlich den, dass diesem Politikfeld ein weit höherer Stellenwert zukommen muss, als das bisher der Fall ist. Das betrifft vor allem folgende Bereiche:

Erwerbsvolumen
Im Jahr 2004 betrug die Erwerbstätigenquote der Frauen in Deutschland, also der Anteil der Frauen, die mindestens eine Stunde pro Woche einer bezahlten Arbeit nachgehen, 59,2% (Männer 70,8%). Seit 1997 ist sie um 3,9 Prozentpunkte gestiegen. Die Zielquote der europäischen Beschäftigungsstrategie von 60% bis 2010 scheint damit annähernd erreicht. Doch auch richtige Zahlen können in die Irre führen. Denn wenn man den Wert in Vollzeitarbeitsplätze umrechnet, so lag die Frauenquote bei nur 45,5% und ist seit 1997 praktisch nicht gestiegen. Bei Männern ändert die Betrachtung in Vollzeitäquivalenten am Beschäftigungsvolumen hingegen nicht viel. Seit Anfang der 1990er Jahre ist zwar die Zahl der Frauen gestiegen, die am Erwerbsleben beteiligt sind. Teilzeit und geringfügige Beschäftigung nahmen jedoch besonders stark zu. Frauen haben den Kuchen der Erwerbsarbeit nur neu untereinander verteilt. Es muss also weiter darum gehen, den Zugang von Frauen zu existenzsichernden Jobs zu verbessern, mit Vollzeit und vollzeitnaher Teilzeit, statt Minijobs und bloßem Zuverdienst.
In diesem Zusammenhang muss auch die gesellschaftliche Organisation von bezahlter und unbezahlter Arbeit auf den Prüfstand gestellt werden. Damit einher gehen muss ein gesellschaftlicher Diskurs darüber, welche Fürsorgearbeiten überhaupt "privat" sind, privat geleistet werden sollen und welche Form der gesellschaftlichen Anerkennung dafür angemessen ist. Oder anders gefragt: Welche Fürsorgearbeiten sollen professionalisiert, "verberuflicht" und damit qualifiziert ins Erwerbsleben integriert werden?

Entgeltgleichheit
Mit Besorgnis erregenden Fakten wartete die EU-Kommission zum Internationalen Frauentag 2006 auf: Nach dem neuesten Bericht zur Gleichstellung von Frauen und Männern verdienen Frauen im EU-Durchschnitt nach wie vor 15% weniger als Männer. Fortschritte hat es in den vergangenen Jahren kaum gegeben. Deutschland gehört sogar zu den fünf Mitgliedsstaaten, in denen sich die Entgeltdiskriminierung verstärkt hat, von rund 18% im Jahr 1999 auf 23% im Jahr 2005. Die zweite Bilanz von Bundesregierung und Wirtschaftsverbänden widmet diesem Thema übrigens nur wenige Zeilen. Das durchschnittlich geringere Einkommen der Frauen hat mehrere Ursachen: diskriminierende Arbeitsbewertung, Teilzeit, frauendominierte Niedriglohnbranchen, niedrigere Positionen in den betrieblichen Hierarchien. An allen Ursachen muss angesetzt werden. Dabei sind in erster Linie die Tarif- und Betriebsparteien gefordert, aber auch der Gesetzgeber.

Arbeitszeit
Die Debatte um die Verkürzung der Arbeitszeit muss revitalisiert werden. Die Arbeitszeitverlängerungen der vergangenen Jahre verschärfen nicht nur die anhaltende Massenarbeitslosigkeit, sondern widersprechen auch dem Ziel der besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie, dem sich sowohl die Regierungsparteien als auch – angeblich – die Wirtschaftsverbände verpflichtet fühlen. Von der allgemeinen Verkürzung der Wochenarbeitszeit bis zu Modellen, die sich an Lebensphasen orientieren, werden in Fachkreisen verschiedene kreative Varianten diskutiert. Familienfreundliche Arbeitszeiten müssen ausgehandelt werden, damit Beschäftigte auf die Wechselfälle des Lebens – unter anderem Windpocken und Läusealarm im Kindergarten – flexibel reagieren können.

Berufswahl
Obwohl junge Frauen die durchschnittlich besseren und höheren Bildungsabschlüsse erzielen als junge Männer, finden sich am Ende nur wenige von ihnen in den Informationstechnologie- und Medienberufen, die bei der Gestaltung der Wissensgesellschaft eine große Rolle spielen. Die Zahl der Frauen in den entsprechenden Ausbildungen und Studiengängen stagniert seit Jahren oder geht sogar zurück.
Stattdessen entscheiden sich immer noch viele junge Frauen für Berufe mit wenig Gestaltungsautonomie, geringen Perspektiven und niedrigem Entgelt. Das Stigma dieser Berufe ist jedoch keineswegs zwangsläufig. Die Zahl der Arbeitsplätze in den personennahen Dienstleistungen steigt seit Jahren. Auch gibt es Forderungen und Konzepte, um diese Berufe zu entwickeln: Zum Beispiel eine qualifizierte medizinische Assistenz statt der Arzt- oder Zahnarzt"helferin". Allerdings fielen die personenbezogenen Dienstleistungen dann als riesiges Niedriglohnreservoir aus. Das wäre auch gut so und ein gleichstellungspolitischer Fortschritt.
Gleichstellungspolitische Ansätze bei der Berufswahl müssen mehrere Aspekte berücksichtigen: Die Wünsche und Präferenzen der Mädchen, deren Blick für unkonventionelle Entscheidungen geschärft werden muss; aber auch die Bewertung und gesellschaftliche Anerkennung von frauentypischen Berufen, von denen viele völlig zu Unrecht in der Sackgasse enden.

Qualifizierung
Noch immer nehmen Frauen zu einem geringeren Anteil an betrieblicher Weiterbildung teil. Gut zwei Drittel der Männer qualifizieren sich beruflich weiter, jedoch nur gut ein Viertel der Frauen. Das liegt zum einen daran, dass mehr Frauen als Männer ausbildungsfremd tätig sind und so zu den gering qualifizierten Beschäftigungsgruppen gehören, die bei der beruflichen Weiterbildung gern vergessen werden. Ein weiterer Faktor ist aber auch, dass Frauen wegen ihrer Familienpflichten die Angebote nicht wahrnehmen können. Da in den Betrieben Weiterbildung noch immer nicht hoch genug im Kurs steht, fehlt es am nötigen Nachdruck sowohl bei den Vorgesetzten als auch bei den Betriebsräten, Frauen zur Qualifizierung zu motivieren und die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen.
Mit Qualifizierungs-Tarifverträgen hat zum Beispiel die IG Metall gute Voraussetzungen geschaffen, an der Weiterbildungsmisere etwas zu ändern.[7] Auch die Betriebsräte haben hier starke Mitbestimmungsrechte. Mit geschlechtergerechtem Blick auf Angebote und Teilnahmelisten haben sie es jetzt in der Hand, Frauen ihren Platz an betrieblicher Weiterbildung einzuräumen.

Betreuungsinfrastruktur
Die drängendste Frage erwerbstätiger Mütter (und Väter) bleibt: Wo lasse ich meine Kinder? Die Bundesregierung hat zwar mit dem TAG die Voraussetzungen geschaffen, um auch die Angebote für Krippenkinder zu verbessern. Aber an der Umsetzung in den Kommunen hapert es. Gefordert ist eine großzügige ganztägige Öffnung, qualifizierte Bildung und Betreuung von Anfang an und ein flächendeckendes Angebot an Ganztagsschulen.

Familienpolitik
Gleichstellungspolitisch orientierter Umbau der Familienpolitik heißt zum Beispiel weg von der finanziellen Förderung von Familien, vor allem im Rahmen des Steuersystems, hin zur Entwicklung einer flächendeckenden, qualitativ hochwertigen, professionellen und bezahlbaren Infrastruktur, die sich nicht als "Familien ergänzend" versteht, sondern Betreuung, Bildung und Pflege als gesellschaftliche Aufgaben begreift. Soweit finanzielle Vergünstigungen für Familien notwendig sind, sollten sie systematisiert und in einer Familienkasse zusammengefasst werden, die als weitere Säule im System der sozialen Sicherheit errichtet werden könnte.

Arbeitsmarkt
Die Hartz-Gesetze sind ein Paradebeispiel dafür, wie das traditionelle Ernährermodell durch die Gesetzgebung revitalisiert wird. Das Konzept der Bedarfsgemeinschaft stärkt die Position eines männlichen Haushaltsvorstandes. Wenn die zumeist geringer verdienende Frau arbeitslos wird und Arbeitslosengeld II beantragen muss, wird sie zunächst auf seine Geldbörse verwiesen. Die verschärften Zumutbarkeitsregeln drücken viele arbeitslose Frauen in (als zumutbar geltende, nicht jedoch existenzsichernde) Minijobs und einfache Tätigkeiten und machen sie so wieder zu klassischen Zuverdienerinnen.
Die Hartz-Gesetze sollten die Arbeitslosigkeit innerhalb von drei Jahren halbieren. Das ist nicht nur nicht gelungen, sondern sie haben obendrein die Positionen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt weiter verschlechtert. Diese frauendiskriminierenden Mechanismen müssen revidiert werden.

Steuerpolitik
Das Steuerrecht muss gleichstellungsorientiert reformiert werden. Jeder Erwachsene zahlt Einkommensteuern nach den gleichen (progressiven) Tarifen. Steuerermäßigungen gibt es für jedes Kind. Paare könnten einen zweiten übertragbaren Grundfreibetrag zur Sicherung des Existenzminimums geltend machen.

Alterssicherung
Bisher schützt die gesetzliche Rentenversicherung Frauen nur dann vor Armut im Alter, wenn sie eine lückenlose Erwerbsbiografie vorweisen können oder wenn sie als Witwe eines gut verdienenden Mannes eine Hinterbliebenenrente beziehen. Die Anrechnung von Kindererziehungszeiten für Kinder ab 1992 kompensiert Erwerbsunterbrechungen nach wie vor nur unzureichend.
Eine geschlechtergerechte Reform der gesetzlichen Rente beinhaltet viele Faktoren. Ein Rentensplitting muss verbindlich eingeführt werden, damit Frauen nicht länger auf die Hinterbliebenenrente verwiesen werden. Müttern muss endlich eine möglichst durchgängige sozialversicherte Erwerbstätigkeit ermöglicht werden und die Kindererziehungszeiten für Geburten vor 1992 müssen auch für drei Jahre anerkannt werden. Bevor allerdings aufgrund des demografischen Wandels die Lebensarbeitszeit verlängert wird, muss es Männern wie Frauen erst ermöglicht werden, in größerer Zahl gesund und erwerbstätig die gesetzliche Altersgrenze überhaupt zu erreichen. Die gesetzliche Säule der Rentenversicherung muss wieder gestärkt werden, weil Frauen stärker als Männer von ihr abhängig sind, vor allem, weil sie in der Regel weniger Geld "übrig" haben, um privat vorzusorgen.
Leitbild für eine geschlechtergerechte Umgestaltung der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Beschäftigungspolitik könnte das "adult worker"-Modell sein. Wenn jeder Erwachsene die gleichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben soll, heißt das auch: Jeder Mann und jede Frau! Soziale Sicherungssysteme müssen diese Chancen absichern. Allerdings kann das Modell adult worker auch ganz anders ausgelegt werden, wie das bereits die rot-grüne Regierung mit den Hartz-Reformen gemacht hat. Nach dem Motto "Jede Arbeit ist besser als keine Arbeit" wurde ein sozialer Anspruch in einen Arbeitszwang als Voraussetzung für staatliche Transferleistungen umgedeutet. Das darf sich nicht fortsetzen.
Mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das die Antidiskriminierungsrichtlinien der EU umsetzt, gibt es mittlerweile eine – wenn auch verwässerte – Rechtsgrundlage, um gegen vielfältige Diskriminierungen im Erwerbsleben vorzugehen. Das AGG muss mit Leben gefüllt und genutzt werden. Dennoch bleibt ein Gleichstellungsgesetz für die private Wirtschaft aktuell, in dem ein Teil der Handlungsfelder einer neuen Gleichstellungspolitik zusammengefasst werden können.

Wer wenn nicht wir
Frauen müssen selbstbewusst ihre Ansprüche anmelden und öffentlich darüber streiten und diskutieren. PolitikerInnen jeder Couleur, Medien und GewerkschafterInnen sind mit unliebsamen Tatsachen und unbequemen Forderungen zu konfrontieren. Wenn Frauen allzu höflich um Unterstützung für ihr Anliegen bitten, bringt das neben wohlwollendem Lächeln selten Fortschritt ein. Die Akteurinnen der Frauenpolitik haben in den letzten Jahren erfahren, dass Unterstützung manchmal von unerwarteter Seite kommt und Frauen in der Politik nicht selbstredend Partnerinnen für eine gleichstellungspolitische Agenda sind.
Die Lösung der "Frauenfrage" führt ins Zentrum der gesellschaftlichen Ordnung und rüttelt an gefestigten männlichen Machtpositionen. Deshalb braucht engagierte Frauenpolitik klare, entschlossen zu vertretende Positionen und einen klugen Mix aus Diplomatie und Konfrontation. Falsche Rücksichtnahme führt angesichts der Hegemonie von Familien- und Vereinbarkeitspolitiken und des anhaltenden Drucks neoliberaler Ideologien ins politische Abseits. Frauenpolitik muss mittelbare und unmittelbare Diskriminierung skandalisieren, Ansprüche frecher, lauter und radikaler vortragen und an die Wurzeln des Übels gehen.
"Die Geschichte aller Zeiten … lehrt: dass diejenigen vergessen werden, die an sich selbst zu denken vergaßen", schrieb Luise Otto im Jahr 1849 in der Frauenzeitung und zog damals eine Lehre aus der Verfassungsdebatte in der Paulskirche.

[1] "Leitbildwechsel verschlafen", in: "Frau geht vor", DGB-Info-Brief 3/06
[2] Zitiert nach Albrecht Müller: "Die Reformlüge", München 2004
[3] "Mütter sitzen selten im Chefsessel" von Juliane Achatz, Jutta Allmendinger u.a., in: Frankfurter Rundschau vom 10.7.2006. Mehr Informationen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit, Forschungen zu Frauen und Arbeitswelt unter www.iab.de.
[49 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Klaus Ernst, Jörn Wunderlich, Karin Binder, Inge Höger-Neuling und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 16/1592: Verteilungswirkungen des Ehegattensplittings (Drucksache 16/2231 aus 2006).
[5] "Europäische Charta für die Gleichstellung von Frauen und Männern auf lokaler Ebene" des Rates der Regionen und Gemeinden Europas.
[6] "Leitbildwechsel verschlafen", in: "Frau geht vor", a.a.O.
[7] Vgl. Bahnmüller/Fischbach: Qualifizierung und Tarifvertrag, Hamburg 2006


Leseprobe 2

Christa Hämmerle / Astrid Knüttel
Mitmischen und Verändern
Die Betriebsrätinnen bei Bosch


Zehn Jahre jung und aus den Kinderschuhen längst heraus gewachsen, feierte im Herbst 2005 die Arbeitsgruppe "Frauen und Gleichstellung" des Gesamtbetriebsrats der Robert Bosch GmbH ihr zehnjähriges Jubiläum. Maßgeblich am Entstehen dieser Arbeitsgruppe beteiligt waren unter anderen die Betriebsrätinnen Margrit Gmöhling, Elisabeth Conrady, Resi Stiegelmaier und Gudrun Hamacher, damals geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall und dort zuständig für Frauen- und Gleichstellungspolitik. Die IG Metall unterstützt und berät die Arbeitsgruppe bis heute.

Bereits bei ihrem ersten Treffen wählte die Arbeitsgruppe aus der Vielzahl der Themen einige erste Schwerpunkte für die zukünftige Arbeit aus: Qualifizierung und Entlohnung von Frauen sowie Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Seit nunmehr elf Jahren arbeiten hier Frauen für Frauen mit dem Ziel, die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Robert Bosch GmbH voranzutreiben.

Entsprechend vielfältig sind die Aktivitäten und Erfahrungen. Zwar wird der Vorsitzende der Geschäftsführung, Franz Fehrenbach, in der Bosch-Frauenbroschüre mit den Worten "Chancengleichheit ist eine Form der Fairness, und Fairness gehört zu unserer Unternehmenskultur" zitiert, doch die Schere zwischen Anspruch und Wirklichkeit geht immer noch weit auseinander. Deshalb war und ist es oft keine leichte Aufgabe, die Interessen der Frauen im Unternehmen zu vertreten. Umso wichtiger ist die Anbindung der Arbeitsgruppe "Frauen und Gleichstellung" an den Gesamtbetriebsrat. Dadurch wachsen nicht nur die Einflussmöglichkeiten der Arbeitsgruppe, sondern es entsteht auch eine größere Verbindlichkeit innerhalb der Betriebsratsgremien.

Warum haben wir im Gesamtbetriebsrat statt eines Gleichstellungsausschusses, wie vielerorts üblich, eine Arbeitsgruppe eingerichtet? Die Entscheidung des Gesamtbetriebsrates, Arbeitsgruppen statt Ausschüsse zu den verschiedenen Themenfeldern zu bilden, hatte mehrere Gründe. Einerseits sollte es möglichst vielen Betriebsrätinnen aus vielen Standorten ermöglicht werden, sich an den Arbeitsgruppen zu beteiligen und darin mitzuwirken. Andererseits war und ist damit auch die Erweiterung der Arbeitsgruppen beziehungsweise ein personeller Wechsel während der Amtszeit des Gesamtbetriebsrats problemlos möglich. Das ist gerade für die Mitarbeit von Kolleginnen in der AG "Frauen und Gleichstellung" besonders wichtig. Denn es ist nach wie vor so, dass vor allem Frauen wegen Familienzeiten zeitweilig ausscheiden oder durch andere Arbeitszeitmodelle eine Zeitlang nicht in der Arbeitsgruppe mitarbeiten können.

Die Aufgabe der Arbeitsgruppe "Frauen und Gleichstellung" im Gesamtbetriebsrat ist es, konkrete Aufgaben anzupacken und Lösungsvorschläge zur Verbesserung der Gleichstellung von Frauen im Betrieb zu erarbeiten. Diese Lösungsvorschläge bzw. Betriebsvereinbarungsentwürfe werden dann im Gesamtbetriebsausschuss vorgestellt und beraten. Zunächst entscheidet der Ausschuss, ob Beratungen mit der Firmenseite begonnen werden können. Diese Beratungen können gegebenenfalls auch durch die AG selbst durchgeführt werden. Die Ergebnisse der Verhandlungen gehen als erstes wieder zur Beratung in den Gesamtbetriebsausschuss. Danach werden alle erarbeiteten Themen und Vorschläge im Gesamtbetriebsrat diskutiert und beschlossen. So wird sichergestellt, dass die Betriebsräte in den Bosch-Betrieben an der Gleichstellung von Frauen mitarbeiten und über das Thema informiert sind. Damit wird eine größere Verbindlichkeit bei der Umsetzung der Beschlüsse durch die einzelnen Betriebsräte in den verschiedenen Bosch-Standorten erreicht.

Betriebsvereinbarungen – eine wesentliche Grundlage der Chancengleichheitspolitik

Was für eine Bedeutung haben Betriebsvereinbarungen? Welche Rolle können sie in der Gleichheitspolitik spielen? "Eine Betriebsvereinbarung ist ein zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat (gegebenenfalls Gesamtbetriebsrat, Konzernbetriebsrat) geschlossener betriebsverfassungsrechtlicher Vertrag (§77 BetrVG). Die Betriebsvereinbarung dient der generellen Regelung der betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung sowie der Gestaltung der individuellen Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern. Anders ausgedrückt: Mit der Betriebsvereinbarung werden Rechte und Pflichten beider vertragsschließenden Parteien (Arbeitgeber und Betriebsrat), aber auch und insbesondere Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer begründet." (Christian Schoof 2006: CD-ROM). Gegenstand von Betriebsvereinbarungen können danach die Mitbestimmungsrechte nach § 87 BetrVG sein, z.B. Regelungen zur Arbeitszeit nach § 87 Abs.1 Pkt. 2. Betriebsvereinbarungen können auch gegen den Willen des Arbeitgebers durch Spruch der Einigungsstelle durchgesetzt werden. In nicht mitbestimmungspflichtigen Fragen können freiwillige Betriebsvereinbarungen nach § 88 BetrVG abgeschlossen werden. Dies kann nur im Einvernehmen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber geschehen.

Eine geschlechtersensible Personalpolitik kann zum Beispiel Gegenstand einer solchen Betriebsvereinbarung sein. "Nach dem Betriebsverfassungsgesetz kann der Betriebsrat alle Rechte und Möglichkeiten, die er bei der Personalplanung und -entwicklung hat, mit seiner allgemeinen Aufgabe kombinieren, die Gleichstellung der Geschlechter sowie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu fördern (§ 80 BetrVG)." (Beck/Graef 2003: 133) Darüber hinaus können sich die Betriebsräte bei der Durchsetzung der betrieblichen Chancengleichheit auf weitere gesetzliche Grundlagen berufen. Das sind beispielsweise Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) und des 2006 verabschiedeten Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG).

Die Unternehmensbefragung zur Umsetzung der "Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft", die im Dezember 2003 im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung und des Deutschen Gewerkschaftsbundes durchgeführt wurde, hat anhand konkreter Zahlen gezeigt, dass Betriebsvereinbarungen eine wesentliche Grundlage für Aktivitäten zur Förderung der Chancengleichheit darstellen. (Krell/Ortlieb 2003: 21) Das bestätigen auch die praktischen Erfahrungen der Bosch-Kolleginnen.

Die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben – ein Thema für alle Beschäftigten

Gerade beim Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie benötigen die betroffenen Beschäftigten verbindliche Rahmenbedingungen. Sicher, die Unterstützung und die Willenserklärungen der Unternehmensleitung, unter anderem das Verankern eines solchen Grundsatzes in der Unternehmensphilosophie, sind hilfreich, doch sie allein reichen bei weitem nicht aus. Beschäftigte mit Familienpflichten brauchen über Willenserklärungen hinaus verlässliche Regelungen, beispielsweise beim Thema Arbeitszeit.

Ebenso wichtig ist es, das Thema nicht als ein Frauenthema zu betrachten. Alle Maßnahmen und Vereinbarungen müssen sich nicht nur allgemein an Frauen und Männer richten, sondern sollten Männer motivieren, diese Optionen auch wirklich auszuschöpfen (vgl. IG Metall/TRANSNET 2002). Beim Abschluss von Betriebsvereinbarungen muss grundsätzlich darauf geachtet werden, dass bei Inanspruchnahme der entsprechenden Regelungen jegliche Diskriminierung ausgeschlossen wird.

Positive Beispiele dafür sind die bei Bosch abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen zur "Pflegepause", zur "Teilzeit" und zur "Alternierenden Telearbeit"; sie alle wurden durch die Arbeitsgruppe "Frauen und Gleichstellung" initiiert und erarbeitet. In der Betriebsvereinbarung Alternierende Telearbeit (ATA) ist u.a. festgelegt, dass:  die Teilnahme an der ATA für beide Seiten freiwillig ist;  für die MitarbeiterInnen die individuelle, regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit auch während der ATA gilt;  bei der Vereinbarung von Zielen darauf zu achten ist, dass die Erledigung während dieser Arbeitszeit möglich ist;  empfohlen wird, 40% der Arbeitszeit pro Woche im Betrieb abzuleisten, damit der Kontakt zum betrieblichen Umfeld erhalten bleibt;  die Mitarbeiterinnen über die technischen Medien in die betriebliche Kommunikation eingebunden werden;  die Teilnahme an der ATA die Beschäftigten nicht beim beruflichen Fortkommen benachteiligen darf;  Gleiches auch für die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen gilt.

Der Frauenförderplan in der Robert Bosch GmbH

Ein weiteres praktisches Beispiel für die zahlreichen Aktivitäten der Arbeitsgruppe ist der Frauenförderplan bei Bosch. Bereits seit 1988 gibt es im Unternehmen eine solche Vereinbarung, erarbeitet und mitverhandelt von den Kolleginnen der damaligen Projektgruppe "Frauenförderung". Diese Vereinbarung machte den Bosch-Gesamtbetriebsrat zu einem Pionier in Sachen Betriebsvereinbarungen zu Frauenförderung.

Trotzdem wird durch eine Betriebsvereinbarung zur Frauenförderung die Gleichstellung von Frauen und Männern nicht automatisch erreicht, Papier ist bekanntermaßen geduldig. Aber sie ist ein erster wichtiger Schritt. Ihm muss allerdings ein zweiter folgen: die Vereinbarung mit Leben zu füllen und im Unternehmen umzusetzen. Eine Betriebsvereinbarung muss betriebliche Wirklichkeit, ja betrieblicher Alltag werden.

Deshalb beauftragte die AG "Frauen und Gleichstellung" bereits frühzeitig eine Projektgruppe, den Frauenförderplan zu überarbeiten und zu prüfen, ob er den Erfordernissen noch gerecht wird. Das Ergebnis: Der Frauenförderplan schafft nach wie vor den Rahmen, um das Ziel größerer Chancengleichheit von Frauen und Männern bei Bosch zu erreichen. Die Projektgruppe sah aber die Notwendigkeit, ihn durch eine Liste von Maßnahmen zu ergänzen, die eine schnellere und bessere Umsetzung des Frauenförderplans ermöglichen. In der Liste wurde unter anderem ein jährliches Reporting mit Hilfe eines von der Projektgruppe entworfenen Berichtsbogens festgeschrieben.

Bereits früh erkannten die Frauen der Arbeitsgruppe, dass ein betriebliches Controlling unerlässlich ist, um die Umsetzung der Vereinbarung zu überprüfen. Um dieses Controlling noch weiter zu verbessern und aussagekräftigere Daten zu erhalten, nahmen die Kolleginnen der Arbeitsgruppe ab 2003 die Erarbeitung eines Gleichstellungs-Audit in Angriff. Den Anstoß dazu hatte im selben Jahr ein gemeinsamer IG Metall-Workshop zum Thema Chancengleichheit mit Betriebsrätinnen aus anderen Branchen und Unternehmen gegeben, in dem Kolleginnen von DaimlerChrysler und VW über ihre positiven Erfahrungen mit solchen Instrumenten berichteten.

Schon der frühere Berichtsbogen lieferte jährlich geschlechtsspezifische Daten zur Lohn-Eingruppierung aus möglichst allen Bosch-Betrieben. Mit dem neuen Audit wollten die Betriebsrätinnen über den wichtigen Bereich der Bezahlung hinaus noch mehr ausdifferenzierte Daten bekommen. Denn Benachteiligungen von Frauen kommen in vielen weiteren betrieblichen Bereichen vor.

Erfolgreiche Chancengleichheitspolitik – eine Politik der kleinen Schritte

Von der Idee eines Gleichstellungs-Audit bis zu dessen Aufnahme in die Betriebsvereinbarung "Frauenförderung" vergingen zwei Jahre. Die Herstellung von Chancengleichheit ist nun mal kein Politikfeld der großen Schritte und der schnellen Erfolge, sondern ein Ziel, für das man einen langen Atem, große Ausdauer und viel Elan mitbringen muss.

Im neuen Gleichstellungs-Audit geht es im ersten Schritt darum, Daten zur betrieblichen Situation von Frauen in den verschiedenen Bosch-Standorten zu ermitteln und auszuwerten. Dabei reicht es nicht aus, nur die Anzahl der beschäftigten Männer und Frauen zu erfassen. Denn nur wer genaue Daten und Fakten hat, kann auch Maßnahmen, wie z.B. eine Weiterqualifizierung von Frauen, konkret angehen. Nutzbar werden Daten erst, wenn sie so detailliert wie möglich vorliegen. So verpflichtet das Audit bei Bosch den Arbeitgeber, dem örtlichen Betriebsrat jährlich Daten über die Einstufung der weiblichen und männlichen Mitarbeiter, die Altersstruktur und die Betriebszugehörigkeit der Belegschaft sowie die Anzahl der Mitarbeiter in Teilzeit oder Elternzeit mitzuteilen. Das ist leichter gesagt als getan, denn solche detaillierten Zahlen zu erhalten, ist oft kompliziert.

Viele betriebliche Datensysteme sehen eine Erfassung ihrer Betriebsdaten nach Geschlechtern überhaupt nicht vor. Auch bei Bosch entstanden mit der Einführung von SAP in dieser Hinsicht einige Probleme. So wurde der Bereich der Qualifikation und Weiterbildung vorerst aus dem Audit herausgenommen, soll aber auf jeden Fall in der Zukunft noch einmal verhandelt und mit aufgenommen werden.

Vereinbart wurde, dass die Datenerfassung durch das Unternehmen bis zum 31.12. des jeweiligen Kalenderjahres erfolgen muss. Die Daten werden für den gesamten Standort erhoben, können aber nach entsprechender Beratung auch nach einzelnen Bereichen (Betriebsteilen, Fertigungsbereichen) differenziert werden.

In einem zweiten Schritt muss dann immer bis zum 31.3. des darauf folgenden Kalenderjahres eine Beratung zwischen der Geschäftsführung und dem Betriebsrat des jeweiligen Standortes stattfinden. Ziel ist es, an Hand der Daten Handlungsbedarf zu erkennen und zukünftige Aktionsfelder gemäß dem Frauenförderplan zu benennen. Auch kann mit Hilfe der Daten ausgewertet werden, welche Handlungsansätze Erfolg versprechend sind und welcher Standort bei der Verwirklichung der Chancengleichheit eine Vorreiterrolle einnimmt.

Von diesem internen Benchmarking versprechen sich die Kolleginnen der Arbeitsgruppe wichtige Impulse für ihre Arbeit. So hatten bereits in der Vergangenheit einzelne Standorte mit neuen Projekten dafür gesorgt, dass eine Übertragung ihrer Initiativen auf das gesamte Unternehmen in Angriff genommen werden konnte. Ein Beispiel dafür ist das Mentoring-Programm für weibliche Auszubildende aus Bamberg. Ziel des Programms ist es, weibliche, technisch-gewerbliche Auszubildende für Führungsaufgaben im Werkstattbereich weiter zu qualifizieren. Das Programm ist auf drei Jahre angelegt und setzt bereits im letzten Ausbildungsjahr an. Auf Initiative der Arbeitsgruppe "Frauen im Gesamtbetriebsrat" soll dieses Mentoring-Programm jetzt auf alle Standorte, an denen sein Einsatz möglich ist, übertragen werden.

Ein weiterer Vorteil des Gleichstellungs-Audits ist, dass die Daten von 2006 dem Betriebsrat bereits vor der Einführung des Entgeltrahmenabkommens einen nach Geschlechtern genau differenzierten Lohn-Eingruppierungsstand liefern werden. Er kann als Vergleich herangezogen werden, um zu überprüfen, ob die Einführung des Entgeltrahmenabkommens eine Verbesserung für Frauen erbracht hat oder nicht.

Gerade weil die Eingruppierungs- und damit die Einkommensfrage auch für die Frauen bei Bosch so wichtig ist, haben sehr viele Betriebsrätinnen erkannt, dass es notwendig ist, sich aktiv einzumischen. Viele Kolleginnen arbeiten in den paritätischen Kommissionen mit, damit Frauen dem Ziel einer tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern im Betrieb ein Stück näher kommen. Denn nur wer sich einmischt, kann auch etwas verändern!

Gleichstellung – ein Thema im Betriebsratsgremium

Die Bosch-Gruppe hat allein in Deutschland rund 110.000 Beschäftigte an 60 Standorten. In einem Unternehmen dieser Größe ist die Vernetzung und der Austausch von gleichstellungspolitisch engagierten Betriebsräten unerlässlich. So gibt es in den Betriebsräten an den einzelnen Standorten Verantwortliche für die Chancengleichheit und in größeren Werken Arbeitsgruppen, die sich um Gleichstellungsfragen kümmern. Diese Arbeitsgruppen und Standortverantwortlichen entsenden Kolleginnen für die Mitarbeit in der Arbeitsgruppe "Frauen und Gleichstellung" beim Gesamtbetriebsrat. Darüber hinaus führt die Gesamtbetriebsrats-Arbeitsgruppe jährlich einen Info-Tag und eine Klausur für alle Standortverantwortlichen durch. Dort berichten dann die verantwortlichen Betriebsrätinnen über den Stand der Entwicklung und ihre Erfolge im jeweiligen Betrieb, aber auch ganz konkret über Punkte, die von der Arbeitsgruppe bearbeitet werden sollten.

Durch den Erfahrungsaustausch haben diese Treffen auch immer eine positive Netzwerk-Wirkung. Viele Themen sind in allen Bosch-Betrieben aktuell, aber es gibt immer wieder Probleme und Aufgaben, die zu einem gegebenen Zeitpunkt nur in einigen Standorten anstehen – häufig im Zusammenhang mit Umstrukturierungen des Unternehmens. Gerade bei diesen Themen ist der Austausch untereinander besonders wichtig: "Wie seid ihr das Problem angegangen? Welche Erfahrungen habt ihr gemacht? Was lief gut und was nicht so gut?" "Abkupfern" ist in diesem Fall erlaubt und gewünscht.

Durch die Treffen sind diese Erfolge für die anderen Standorte Ansporn, bei der Gleichstellungspolitik voran zu kommen. Denn die interne Konkurrenz beflügelt die Chancengleichheitspolitik an den Standorten: "Was in einem Bosch-Betrieb funktioniert, muss doch auch bei uns gehen." Nicht zuletzt geben die Treffen den Teilnehmerinnen ein besseres Gefühl für ihre gemeinsame Stärke: "Wir sind bei Bosch viele engagierte Betriebsrätinnen, die sich für die Chancengleichheit einsetzen!"

Deutlich wird bei diesen Treffen auch, dass dort, wo engagierte Betriebsrätinnen auf die Unterstützung ihrer männlichen Betriebsratskollegen zurückgreifen können, mehr und größere Erfolge in der betrieblichen Chancengleichheit erzielt werden.

Die Chancen des Betriebsverfassungsgesetzes nutzen

Sicher, viele große Unternehmen spielen bei der Chancengleichheit eine Vorreiterrolle. Sie haben erkannt, dass ein Unternehmen, das weiterhin im Wettbewerb bestehen will, es sich nicht leisten kann, auf die Kompetenzen von Frauen zu verzichten. Ein chancengerechtes Personalmanagement ist schlicht und ergreifend unerlässlich. Klar ist auch, dass Bosch im Vergleich mit anderen deutschen Unternehmen hier eine Vorreiterrolle innehat. Dies ist nicht zuletzt ein Verdienst der engagierten Betriebsrätinnen und der bestehenden AG "Frauen und Gleichstellung". Deshalb wäre es zu einfach zu sagen: "Bei uns geht das nicht". Die Chancen und Möglichkeiten, die das reformierte Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) bietet, sollen und müssen in allen Betrieben von Betriebsräten genutzt werden. Denn auch das hat die bereits genannte Unternehmensbefragung der Hans-Böckler-Stiftung und des DGB gezeigt: Die Existenz eines Betriebsrats allein hilft nicht viel – wichtig ist sein Engagement in Sachen Chancengleichheit. Ein solches Engagement der Betriebsräte ist umso wichtiger, als unsere Forderung nach einem Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft bisher noch immer nicht erfüllt wurde.

Das Betriebsverfassungsrecht bietet verschiedene Handlungsmöglichkeiten für die Herstellung der Chancengleichheit von Frauen und Männern und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Um nur einige zu nennen:  die Berichtspflicht des Arbeitgebers zum Stand der Gleichstellung (§ 43 und 53);  das Recht und die Pflicht, beide Themen aufzugreifen und eigene Initiativen zu ergreifen (§ 92);  das Vorschlagsrecht des Betriebsrats zur flexiblen Gestaltung der Arbeitszeit und Förderung der Teilzeit, um Beschäftigung zu sichern (§ 92a);  die Bildung eines Gleichstellungsausschusses, der die Aufgabe hat, Vorschläge für konkrete Gleichstellungsmaßnahmen zu erarbeiten (§ 28).

Um am letztgenannten Punkt anzuknüpfen: Entscheidend ist nicht, ob es sich bei dem Gremium, das die Vorschläge für mehr Chancengleichheit erarbeitet, um einen Ausschuss oder eine Arbeitsgruppe handelt, wie das Beispiel von Bosch zeigt. Entscheidend ist, dass es ein solches Gremium gibt und dass es die notwendigen Kompetenzen und Ressourcen erhält.

Erfolgreich kann die betriebliche Chancengleichheitspolitik allerdings nur sein, wenn das Thema in der täglichen Betriebsratsarbeit eine Rolle spielt und engagierte Kolleginnen durch ebenso engagierte Kollegen unterstützt werden. Deshalb zum Schluss ein Zitat von Walter Bauer, dem langjährigen Gesamtbetriebsrats-Vorsitzenden von Bosch: "Ich glaube, nur Frauen sind in der Lage, ihre Probleme genau zu erkennen und zu definieren. Das Umsetzen muss dann unsere gemeinsame Aufgabe sein. Ich denke, wir sind noch lange nicht am Ziel. Aber trotz notwendiger Korrekturen und Rückschlägen, die es immer gibt, sind wir auf dem richtigen Weg."

Literatur
Beck, Dorothee/Graef, Anne (2003): ChancenGleich – Handbuch für eine gute betriebliche Praxis, Frankfurt a.M.
IG Metall/TRANSNET (2002): 1 x 1 = mehr als Eins – Stationen auf dem Weg zur Chancengleichheit, Frankfurt a.M.
Krell, Gertraude/Ortlieb, Renate (2003): Umsetzung der Vereinbarung zur Förderung der Chancengleichheit, Berlin
Schoof, Christian (2006): Betriebsratspraxis von A bis Z – computergestützte Beratung für die betriebliche Interessenvertretung, Version 7.0, Frankfurt a.M.


Leseprobe 3



Inhalt:

Kirsten Rölke / Hildegard Maria Nickel
Frauenpolitik – Gender Mainstreaming – Diversity Management
Der "richtige" Weg zur Gleichstellung der Geschlechter im 21. Jahrhundert – ein Dialog zwischen Gewerkschaft und Wissenschaft

Christiane Wilke
Alle Mütter sind Frauen, aber nicht alle Frauen sind Mütter
Gleiche Chancen für Frauen in der Arbeitswelt (Leseprobe)

Elke Ferner
Europa – Motor für mehr Geschlechtergerechtigkeit

Claudia Menne
Gleichstellung der Geschlechter, aktueller denn je

Claudia Dunst / Mechthild Kopel
Erfolgreich Potenziale nutzen!
Ein Plädoyer für die Verknüpfung von Politiken in Theorie und Praxis

Julia Cuntz
Unsere Chancen sind da
Nähe und Distanz junger Frauen zur betrieblichen Gleichstellungspolitik

Gabriele Ulbrich
Qualifikationspotenziale von Frauen erweitern

Constanze Kurz
Branchen- und Beschäftigungsentwicklung von Frauen in der Automobilindustrie

Birgit Pitsch / Michaela Rosenberger
Ernährungswirtschaft – gleichberechtigte Chancen für Frauen?

Edeltraud Glänzer / Cornelia Leunig
Chancengleich und familienbewusst
Personalpolitik in der chemischen Industrie

Helga Petersen
Chancengleichheitspolitik im Unternehmen der Deutschen Bahn AG
Gestaltungsmöglichkeiten durch die TRANSNET und die betrieblichen Interessenvertretungen

Margrit Zauner
Lebenslanges Lernen – nur gefordert oder auch gelebt?

Angelika Nowak / Susanne Dalkmann
Thyssen Krupp – ein Stahlunternehmen bietet Frauen Aufstiegschancen

Britta Cartarius
Gesundheit – Arbeitszeit – Perspektiven
Erfahrungen und Erkenntnisse

Christa Hämmerle / Astrid Knüttel
Mitmischen und Verändern
Die Betriebsrätinnen bei Bosch (Leseprobe)

Frauen und gewerkschaftliche Chancengleichheitspolitik
Ein historischer Rückblick

Autorenreferenz

Britta Cartarius arbeitet in der IG Metall-Verwaltungsstelle Stuttgart und ist zuständig für die örtliche gewerkschaftliche Frauenpolitik.

Julia Cuntz arbeitet beim IG Metall-Vorstand in Frankfurt am Main im Funktionsbereich Frauen und Gleichstellungspolitik.

Susanne Dalkmann ist Beraterin bei der Wert.Arbeit GmbH – Gesellschaft für Arbeit, Chancengleichheit und Innovation, Duisburg/Berlin.

Claudia Dunst ist Beraterin bei der Wert.Arbeit GmbH – Gesellschaft für Arbeit, Chancengleichheit und Innovation, Duisburg/Berlin.

Elke Ferner ist Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen, stellvertretende Parteivorsitzende der SPD und stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion.

Edeltraud Glänzer ist Mitglied des geschäftsführenden Hauptvorstandes der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) in Hannover.

Christa Hämmerle ist langjährige freigestellte Betriebsrätin bei Bosch in Reutlingen.

Astrid Knüttel arbeitet beim IG Metall-Vorstand in Frankfurt am Main im Funktionsbereich Frauen- und Gleichstellungspolitik.

Mechthild Kopel ist Geschäftsführende Gesellschafterin bei der Wert.Arbeit GmbH – Gesellschaft für Arbeit, Chancengleichheit und Innovation, Duisburg/Berlin.

Dr. Constanze Kurz arbeitet seit 1989 am Soziologischen Forschungsinstitut in Göttingen (SOFI). Von September 2004 bis August 2006 hat sie die Professur für Technik- und Industriesoziologie an der Hochschule in Darmstadt vertreten.

Cornelia Leunig ist Leiterin der Abteilung Frauen/Gleichstellung der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) in Hannover.

Claudia Menne ist Bereichsleiterin für die Gleichstellungs- und Frauenpolitik beim Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB).

Prof. Dr. Hildegard Maria Nickel ist Leiterin des Lehrbereichs "Soziologie der Arbeit und Geschlechterverhältnisse" an der Humboldt Universität Berlin.

Angelika Nowak ist Mitglied im Gesamt- und Konzernbetriebsrat bei Thyssen Stahl in Duisburg sowie Vorsitzende des IG Metall-Ortsfrauenausschusses in Duisburg und stellvertretende Vorsitzende des IG Metall-Bezirksfrauenausschusses NRW.

Helga Petersen ist Leiterin des Referates Chancengleichheit der Gewerkschaft TRANSNET.

Birgit Pitsch ist Referatsleiterin Frauenpolitik und Migration beim Hauptvorstand der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) in Hamburg.

Kirsten Rölke ist Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall in Frankfurt am Main.

Michaela Rosenberger ist stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) in Hamburg.

Dr. Gabriele Ulbrich arbeitet beim IG-Metall-Vorstand in Frankfurt am Main im Funktionsbereich Frauen- und Gleichstellungspolitik.

Christiane Wilke ist Leiterin des Funktionsbereichs Frauen- und Gleichstellungspolitik beim IG Metall-Vorstand.

Margrit Zauner arbeitet als Referatsleiterin Qualifizierung in der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen in Berlin.

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