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Christa Wichterich

Femme global

Globalisierung ist nicht geschlechtsneutral
AttacBasisTexte 7

104 Seiten | 2003 | EUR 6.50 | sFr 12.00
ISBN 3-89965-031-X 1

Titel nicht lieferbar!

 

 /Der neoliberale Umbau der Wirtschaft und der Politik baut auf der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern auf und schafft neue soziale Ungleichheiten.


 

Frauen spielen eine wichtige strategische Rolle als Billigarbeitskräfte bei der Exportorientierung und der Informalisierung von Arbeit, während die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in den Haushalten erstaunlich stabil bleibt. Die Staaten werden durch den Ausbau zur Wettbewerbs- und Sicherheitsmacht erneut »männlicher«, während die soziale Verantwortung durch den weltweiten Sozialabbau weiter feminisiert wird.

Nicht nur beim alltäglichen Kampf gegen die Armut und soziale Unsicherheit, sondern auch beim Widerstand gegen das Lohndumping in der Exportindustrie, gegen die Privatisierung öffentlicher Güter und gegen Biopiraterie stehen Frauen ganz vorne.

Und nicht nur in die konventionelle Politik müssen sich feministische Ansätze hineinkämpfen, auch den neuen sozialen Bewegungen

müssen noch Augen und Ohren für Geschlechtergerechtigkeit geöffnet werden.

"Frauenorganisationen wollen autonome Positionen entwickeln und sich gleichzeitig in die globalisierungskritischen Bewegungen einmischen – und zwar weder am Rande noch als Fußvolk. Nach neuen theoretischen und praktischen Ansätzen gegen die neoliberale Globalisierung suchend gehen sie vorwärts. Neue Bewegungen, Allianzen und Wege sind notwendig und möglich."

Christa Wichterich ist Soziologin, freie Publizistin und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von Attac.

 

Leseprobe 1

Einleitung

Globalisierung ist ein multidimensionaler Prozess der Neuordnung gesellschaftlicher Verhältnisse über nationalstaatliche Grenzen hinweg. Der Motor dieses Prozesses ist das ökonomische und politische Projekt des Neoliberalismus. Die Globalisierung als universelle Durchsetzung der Freihandelsdoktrin vollzieht sich jedoch keineswegs nur auf Finanzmärkten und in Handelspolitiken. Vielmehr sind es auch die handelnden Subjekte auf der mikro-ökonomischen Ebene, Frauen und Männer in ihrem gelebten Alltag in Betrieben, auf Feldern, in Haushalten und sozialen Beziehungen, die die Globalisierung lokal umsetzen. Dabei strukturieren sie gesellschaftliche Realitäten um und konstruieren ihre sozialen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Praktiken und Rollen in der Gesellschaft neu. Ich vertrete im Folgenden die These, dass die neoliberale Globalisierung hierarchische Geschlechterverhältnisse und andere soziale Ungleichheiten nutzt, um sich über Mechanismen wie Konkurrenz und Polarisierung, Aufwertung und Abwertung, Ausschluss und Integration durchzusetzen. So baut das neoliberale Regime auf bestehenden Geschlechterungleichheiten auf, modernisiert sie aber gemäß der Markt-, Effizienz- und Wettbewerbslogik. Die globalisierungskritischen Bewegungen mobilisieren Widerstand gegen die Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten, Herrschafts- und Armutsstrukturen, die durch die neoliberale Globalisierung entstehen oder verstärkt werden. Wer jedoch über die Komplexität von Unterdrückungs- und Ungerechtigkeitsverhältnissen spricht, darf über hierarchische Geschlechtersysteme nicht schweigen. Das Schweigen ist ein strategisches Element von Herrschaftslegitimation und das Gegenteil von sozialer Emanzipation. Ohne feministische Globalisierungskritik bleiben die Herrschaftskritik und die emanzipatorischen Ansprüche globalisierungskritischer Bewegungen nicht nur unvollständig, sondern geraten auf eine falsche Bahn. Da die Globalisierungsanalyse seit Mitte der 1990er Jahre wieder einmal den Mann als den universellen Gesamtmenschen unterstellte, ging es feministischer Globalisierungskritik als erstes um das Sichtbarmachen von Frauen in diesen Prozessen und um den Nachweis geschlechtsspezifischer Unterschiede. Dabei wurde immer deutlicher, dass Globalisierungsprozesse von Anfang an und strukturell geschlechtlich kodierte Prozesse sind. Sie haben nicht nur unterschiedliche Auswirkungen auf Männer und Frauen. Vielmehr realisieren sie sich über die Geschlechterordnung und krempeln dabei Geschlechterbeziehungen und die praktizierten Formen von Männlichkeit und Weiblichkeit um. Feministische Fragestellungen präzisieren die Analysen der neoliberalen Globalisierung und führen zu anders akzentuierten Perspektiven und Alternativen:
  Feministische Globalisierungskritik will die Geschlechtsneutralität der Globalisierung enttarnen und alte und neue Ungleichheits- und Ungerechtigkeitsstrukturen zwischen Frauen und Männern aufspüren.   Sie will die Verschränkung von Neoliberalismus und patriarchalen Strukturen, von Gesellschafts-, Weltwirtschafts- und Geschlechterordnungen dekonstruieren.   Ihr liegt ein ganzheitliches Wissenschaftskonzept zugrunde, sodass sie einzelne Bereiche individuellen und gesellschaftlichen Handelns in ihrem jeweiligen breiten Kontext betrachtet.   Sie ankert in dem erweiterten Politikverständnis der zweiten Frauenbewegung: "Das Private ist politisch". Geschlechterverhältnisse sind ein Politikum, d.h. gesellschaftlich konstruiert, verhandelbar und veränderbar.   Zentraler Baustein feministischer Globalisierungskritik ist feministische Ökonomie, die das Gesamt von Arbeit und Wirtschaft – den Zusammenhang von Reproduktion und Produktion, unbezahlter und bezahlter Arbeit, Markt- und Sorgeökonomie – ins Zentrum stellt. Dabei muss feministische Globalisierungskritik über frühere Ansätze feministischer Gesellschaftskritik hinausgehen und deren Fehler vermeiden.
  Westliche Frauenbewegungen unterstellten Frauen qua biologischem Geschlecht und gesellschaftlicher Rollenzuweisung als eine homogene Interessengruppe mit einer kollektiven Identität. Diese essentialistische Herangehensweise wurde seit Anfang der 1980er Jahre vor allem von schwarzen Frauen und Migrantinnen kritisiert. Die soziale Kategorie Geschlecht darf nicht von anderen Kategorien wie Klasse, Ethnie, Religion, Alter, sexuelle Orientierung usw. abgelöst, sondern die wechselseitigen Bezüge und Überschneidungen müssen aufgearbeitet werden. Der feministische Fokus auf ungleiche Geschlechterverhältnisse darf nicht dazu führen, dass andere soziale Bestimmungskategorien ausgeblendet werden, die quer zur Kategorie Geschlecht liegen und sie in ihrer Bedeutung oft überlagern.   In der Vergangenheit haben Feministinnen vor allem die gesellschaftlichen Strukturen von Geschlechterungleichheit, von Gewalt gegen Frauen und ihre Diskriminierung beleuchtet. In jüngster Zeit rückten dagegen Theoretikerinnen die Subjektivitäten und Identitäten in den Vordergrund. Die Analyse muss eine Balance zwischen der strukturellen und der subjektiven Seite von Wirklichkeit und von gesellschaftlichen Praktiken finden.   Feministische Gesellschaftskritik trat mit dem Anspruch an, die weltweite Kultur des Schweigens über Unrecht und Gewalt gegen Frauen zu brechen und geschlechtsspezifische Ungleichheit und Ungerechtigkeiten sichtbar zu machen. Dabei darf sie jedoch einerseits nicht unterstellen, dass alle Frauen Opfer sind oder alle gleichermaßen Opfer sind. Andererseits darf Kritik an Herrschaft, Gewalt und Diskriminierung Frauen nicht in eine ewige Opferrolle befördern. Vielmehr müssen Frauen gleichzeitig als Subjekte, als Akteurinnen und auch als Widerständige sichtbar gemacht werden. Im Folgenden werden feministische Ansätze und Perspektiven in exemplarische Bereiche von Globalisierungskritik eingebracht. Dies sind Momentaufnahmen komplexer Prozesse und Landschaften, keine flächendeckende Darstellung feministischer Globalisierungskritik.

Leseprobe 2

Sag mir, wo die Frauen sind

Feministische Globalisierungskritik in das breite Spektrum der Porto Alegre-Bewegung einzubringen, ist kein Deckchensticken. 2001 war die Beteiligung von Frauennetzwerken und Feminismen am Weltsozialgipfel mager, verbesserte sich dann aber in den Folgejahren langsam. Beim Asiatischen Sozialforum 2003 in Hyderabad veranstalteten Frauenorganisationen ein eigenes Plenum, weil sie sich auf den gemischten Podien nicht ausreichend vertreten fanden. Beim Afrikanischen Sozialforum 2003 in Addis Abeba kamen Frauen bestenfalls als "Armenmasse" vor. Erstaunlicherweise unterscheiden sich die Sozialforen nicht wesentlich von konventionellen politischen Orten, wenn es um das Einklinken feministischer Ansätze geht. In den dominanten Diskursen globalisierungskritischer Bewegungen geben wieder einmal alt- und neulinke Männer den Ton an. Wieder einmal herrscht eine weitgehende Geschlechterblind- und -taubheit, feministische Perspektiven sind randständig geblieben. Dabei ist es nicht das Anliegen von Feministinnen, Frauen und Geschlechterungleichheiten dem Spektrum der Globalisierungskritik als Opferelemente hinzuzufügen. Sie wollen Leerstellen von Herrschaftskritik ausfüllen, Demokratie von unten, die ohne Geschlechterdemokratie eben so unvollständig ist wie die von oben, vervollständigen und feministische Konzepte in die Suche nach Alternativen einbringen. Es fällt auf, dass Frauen nicht den einen großen globalen Wurf suchen, sondern dezentrale Alternativen aufspüren wollen. Grundannahme ist, dass eine Vielfalt von Ökonomien, Kulturen und Sozialstrukturen nicht nur möglich, sondern auch notwendig ist. Bereits diskutierte oder praktizierte alternative Konzepte müssen auf ihren Mehrwert an Geschlechtergerechtigkeit geprüft werden: das Subsidiaritätsprinzip der Wirtschaft und kollektive Rechte lokaler Gemeinschaften an Ressourcen, alternative Währungen oder Budgets, die alle Formen von Arbeit neu bewerten, Tauschringe. Feministische Ökonomie ist ein zentrales Vehikel der Kritik und ein Baustein für mögliche Alternativen. Sie stellt das Gesamt von Arbeit und Wirtschaft, den Zusammenhang von Reproduktion und Produktion, unbezahlter und bezahlter Arbeit, Markt- und Sorgeökonomie ins Zentrum. Dahinter steht – noch schemenhaft – ein alternatives Modell ökonomischer Gerechtigkeit, in dem Frauen die Kontrolle über Ressourcen, ihre Wirtschaftsformen, ihre Körper, ihr Leben zurückgewinnen können. Voraussetzung ist eine radikale Demokratisierung von Politik, Ökonomie und Kultur, in der Frauen ihre bürgerschaftliche Handlungsfähigkeit realisieren. Nur unter der Bedingung einer partizipativen Demokratie von unten sind Umverteilungsgerechtigkeit, soziale Sorge und Sicherheit, aber auch Toleranz gegenüber ethnischer, religiöser und kultureller Vielfalt denkbar. Frauenorganisationen müssen ihre Konzepte und Kämpfe neu orientieren und die "Globalisierung neu erfinden" – so der Titel der Mega-Konferenz, die das nordamerikanische Netzwerk AWID 2002 in Mexiko organisierte. Dort forderte Bene Madunagu von DAWN eine "Reradikalisierung" der Frauenbewegungen: "Wir müssen weg vom derzeitigen NRO-Stil, der durch Lobbying und fast schon unterwürfiges Bitten und Betteln beim Staat und den männerdominierten politischen Strukturen gekennzeichnet ist". Dies geschieht erneut als Tandem: Frauenorganisationen wollen autonome Positionen entwickeln und sich gleichzeitig in die globalisierungskritischen Bewegungen einmischen – und zwar weder am Rande noch als Fußvolk. Nach neuen theoretischen und praktischen Ansätzen gegen die neoliberale Globalisierung suchend gehen sie vorwärts. Neue Bewegungen, Allianzen und Wege sind notwendig und möglich.

Leseprobe 3



Inhalt:

Einleitung (Leseprobe)
1. Makro-Ökonomie und Mikro-Welten
"Ob Brot in der Küche ist, wird nicht in der Küche entschieden" (Brecht, Die Mutter)
Export – Die neue Landnahme und Externalisierung von ökologischen und sozialen Kosten
Ernährungssicherung zwischen Frauenverantwortung und agrarindustriellem Weltmarkt
Neuverteilung natürlicher Ressourcen
2. Standortvorteil: billige, gefügige Frau
Weltmarktfabriken als Enklaven internationaler Produktion
Neue Phase der Transnationalisierung von Produktion und Dienstleistung: Konzernimperien
Die Exportarbeiterinnen als Ernährerfrauen
Was heißt denn hier Emanzipation?
Globalisierung der Gegenwehr, Reregulierung und Unternehmensverantwortung
3. Die flexible Menschin als Ich-AG
Informalisierung von oben und unten
Kofferökonomien und informelle Märkte
Ausgelagert aus Arbeitsrechten und Sicherheiten
Krise als neoliberales Umbauprojekt
Alter Wein in neoliberalen Schläuchen
4. Grenzüberschreitungen
Feminisierung der Migration
Internationalisierung von Reproduktionsarbeit und globale Pflegeketten
Import-Export-Politik
Gewaltmarkt Frauenhandel
Kulturelle Globalisierung und hybride Identitäten
5. Sorgearbeit und die neoliberale Baustelle Haushalt
Die fordistische Familie als Auslaufmodell
Die Gretchenfrage der Ökonomie
Die flexible Haushaltsmanagerin
Rohstoff Sorgearbeit auf dem Weltmarkt
6. Wie der Staat männlicher und die soziale Verantwortung weiblicher wird
Staatsumbau im Dienst von Standort und Wettbewerb
Sozialabbau und die Feminisierung sozialer Verantwortung
Der Ausverkauf des Gemeinwohls
Daseinsvorsorge als Ware
7. Das Private ist politisch, aber auch das Globale, das Nationale, das Lokale ...
Frauen-Mitmacht bei Global Governance
Neoliberale Skylla und fundamentalistische Charybdis
Mainstreaming: mitschwimmen oder untergehen?
Politisches Reformprojekt Geschlechterordnung
Das Haushalten in die eigenen Hände nehmen
8. Frauenbewegungen und feministische Globalisierungskritik
Globalisierung von unten
Neue Bewegungen
Zwischen Widerstand und Identitätsfindung
Sag mir, wo die Frauen sind (Leseprobe)
Literatur

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