Die Angaben zu Autor*innen, Titel, Umfängen und Erscheinungsterminen sowie die Umschlagabbildungen sind bis zum Erscheinen vorläufig, auch Änderungen der Ladenpreise müssen wir uns vorbehalten. Alle Preise enthalten die gesetzliche MwSt. Hinzu kommen ggf. Versandkosten

Eckhard Hein / Torsten Niechoj / Thorsten Schulten / Achim Truger (Hrsg.)

Europas Wirtschaft gestalten

Makroökonomische Koordinierung und die Rolle der Gewerkschaften

264 Seiten | 2004 | EUR 16.80 | sFr 30.00
ISBN 3-89965-074-3

 

Kurztext: Die europäische Wirtschaft steckt in der Krise. Die propagierten Wachstums- und Beschäftigungserfolge der Integration sind ausgeblieben. Und die Sparanstrengungen der letzten Jahre haben die Perspektiven weiter verschlechtert. Die bisherige Strategie ist faktisch gescheitert.


Arbeitslosigkeit, Wachstumsschwäche und Sozialabbau sind aber nicht unabwendbar. Erfolgreiche makroökonomische Politiken in einigen Ländern zeigen, dass mehr Wachstum und Beschäftigung möglich sind. Dazu müssen jedoch Geld-, Lohn- und Fiskalpolitik zusammenwirken. So muss die Europäische Zentralbank stärker auf die wirtschaftliche Entwicklung achten, die Staatsausgaben dürfen in der Krise nicht reduziert werden, und die Löhne sollten der Regel Produktivitätszuwachs plus Inflationsrate folgen.

Bei Vorschlägen lässt es der Band aber nicht bewenden. Vielmehr loten die Autoren auch die Chancen der Umsetzung (Akteure und Institutionen) aus und zeigen, wo in der EU Unterstützung für eine beschäftigungsfördernde makroökonomische Koordinierung zu finden ist.

Leseprobe 1

Eckhard Hein / Torsten Niechoj / Thorsten Schulten / Achim Truger
Einleitung Seit über drei Jahren befinden sich die Länder der Europäischen Union (EU) bzw. der Europäischen Währungsunion (EWU) in einer deutlichen Wachstumskrise: Das reale Wachstum des Bruttoinlandsproduktes ist insbesondere in der EWU nicht hinreichend, um Beschäftigung aufzubauen und einen entsprechenden Anstieg der Arbeitslosenquote zu verhindern. Zu Beginn des Jahres 2004 weisen die Konjunkturindikatoren zwar eine verhalten positive Tendenz auf. Allerdings hängt der Aufschwung entscheidend von der unsicheren weltkonjunkturellen Lage ab. Ein robuster Aufwärtstrend und deutlich sinkende Arbeitslosenzahlen werden zwar vielfach herbeigesehnt, sind bislang jedoch kaum erkennbar. Die EU ist daher gegenwärtig weit davon entfernt, das Ziel des Europäischen Rates von Lissabon (2000) zu erreichen, "zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt" zu werden. Bei einer längerfristigen Betrachtung stellt man im Gegenteil fest, dass seit Einsetzen des EWU-Konvergenzprozesses Mitte der 1990er Jahre das Wachstum in Europa systematisch hinter den Wachstumsraten der 1980er Jahre aber auch gegenüber der US-amerikanischen Entwicklung in den 1990er Jahren zurückgeblieben ist. Insbesondere in Deutschland als der größten Volkswirtschaft der EWU ist die Lage bedrückend. Das Wachstum liegt noch unter dem EWU-Durchschnitt, die Arbeitslosenquoten mittlerweile sogar darüber. Offensichtlich haben der harte Sparkurs der öffentlichen Haushalte, strukturelle "Reformen" am Arbeitsmarkt und bei den sozialen Sicherungssystemen sowie die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank in Europa keine neue Prosperitätskonstellation herbeiführen können. Die von vielen BeobachterInnen in den 1990er Jahren propagierten positiven Folgen der europäischen Währungsintegration sind also bis jetzt ausgeblieben. Mehr noch: die Koordinierungsverfahren der Wirtschaftspolitik und das Regelwerk auf EU-Ebene scheinen den ökonomischen Herausforderungen nicht gewachsen zu sein. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist Ende 2003 quasi außer Kraft gesetzt worden. Aufgrund der enormen fiskalischen Schwierigkeiten gerade der großen Länder Frankreich und Deutschland ist der Versuch, öffentliche Haushalte durch Reduzierung der Ausgaben im ökonomischen Abschwung zu konsolidieren, offensichtlich gescheitert. Die Sparanstrengungen der letzten Jahre haben zudem insbesondere in Deutschland die öffentlichen Investitionen immer weiter gemindert und hiermit die langfristigen Wachstumsaussichten geschwächt. Dennoch hält die Europäische Kommission weiter unbeeindruckt am Stabilitätspakt fest. Auch in den so genannten Grundzügen der Wirtschaftspolitik, in denen der Ministerrat regelmäßig die wirtschaftspolitischen Leitlinien für die EU formuliert, finden sich seit ihrer Einführung im Jahr 1993 im Großen und Ganzen immer wieder die gleichen Empfehlungen: Die Inflation ist durch eine ausschließliche Orientierung der Geldpolitik auf Preisniveaustabilität im Zaum zu halten; die Finanzpolitik soll ohne Rücksicht auf die konjunkturelle Situation harte Konsolidierungsanstrengungen unternehmen und die öffentlichen Haushalte sollen am besten Überschüsse erwirtschaften oder wenigstens ausgeglichen sein; die Lohnpolitik soll moderate Lohnsteigerungen durchsetzen, die hinter dem Anstieg von Arbeitsproduktivität plus Inflation zurückbleiben. Wäre dies alles gewährleistet, so könnten strukturelle Reformen – also Deregulierungen am Arbeitsmarkt und auf den Gütermärkten – eine neue Wachstumsdynamik anstoßen. Nun liegen die Inflationsraten im Euroraum jedoch seit geraumer Zeit auf niedrigem Niveau, wenn auch nicht immer unter dem engen Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB) von "unter, aber nahe 2 Prozent". Die öffentlichen Haushalte haben enorme Sparanstrengungen unternommen, und die Lohnsteigerungen sind nahezu kontinuierlich hinter dem Produktivitätswachstum zurück geblieben. Auch die Deregulierung der Märkte hat mit der Schaffung des Europäischen Binnenmarktes kontinuierlich zugenommen. Dennoch – oder besser deswegen – sind die EWU-Länder von einem robusten Wachstumstrend nach wie vor weit entfernt. Der mit dem EWU-Konvergenzprozess gewählte restriktive Politik-Mix scheint vielmehr für die gegenwärtige Stagnation hauptverantwortlich zu sein: Das von der EZB verfolgte Inflationsziel ist für einen wirtschaftlich so heterogenen Währungsraum wie die EWU zu eng und die ausschließliche Orientierung der EZB auf Preisniveaustabilität geht zulasten von Wachstum und Beschäftigung. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt zwingt die nationalen Finanzpolitiken zu einer pro-zyklischen, den Abschwung verstärkenden Restriktionspolitik und schwächt die öffentlichen Investitionen in Infrastruktur, Forschung und Bildung als wesentliche Voraussetzung für langfristiges Wachstum. Die insgesamt zu moderaten Lohnerhöhungen haben zu einer erheblichen Binnennachfrageschwäche beigetragen und darüber hinaus einige Länder an den Rand der Deflation geführt. An Vorschlägen und Alternativen zur Überwindung des in Europa vorherrschenden wirtschaftspolitischen Regimes mangelt es nicht. Nähme die Europäische Zentralbank das ihr ebenfalls im EU-Vertrag zugeordnete Ziel, die allgemeine Wirtschaftspolitik zu unterstützen, wenn keine Gefahren für die Preisniveaustabilität drohen, ernster, und würde sie ihr Inflationsziel nach oben korrigieren, so könnte die Geldpolitik der europäischen Wirtschaft mehr Luft zum Atmen geben. Würde der Finanzpolitik im Rahmen eines reformierten Stabilitätspaktes ermöglicht, automatische Stabilisatoren voll wirken zu lassen und öffentliche Investitionen auch über Kredite zu finanzieren, so könnte hiermit die wirtschaftliche Erholung unterstützt werden, die dann, falls gewünscht, eine einnahmenseitige Konsolidierung ermöglicht. Gelänge es, Tarifabschlüsse in Höhe der Summe aus dem trendmäßigen Wachstum der nationalen Arbeitsproduktivität und der Zielinflationsrate der EZB abzuschließen, gingen weder ein deflatorischer noch ein inflatorischer Druck von der Lohnentwicklung aus. Allerdings erfordert eine solche Wirtschaftspolitik eine europaweite Koordination: Zum einen eine Koordination zwischen der Geld-, Lohn- und Fiskalpolitik, zum anderen eine Koordination innerhalb der Fiskal- und der Lohnpolitik, um der EZB in diesen Bereichen auch auf europäischer Ebene als handlungsfähiger Akteur gegenüber zu treten. Die Umsetzung einer wachstums- und beschäftigungsorientierten makroökonomischen Politik in Europa gestaltet sich daher denkbar schwierig. Zum einen sind die Verfahren der Wirtschaftspolitik und die Institutionen noch gemäß den Denkschemata und Politikempfehlungen ausgestaltet, wie sie in den europäischen Grundzügen der Wirtschaftspolitik jährlich niedergelegt werden. Zum andern halten viele der beteiligten Akteure – die meisten nationalen Regierungen, die EZB, die Kommission – weiterhin an Modellen der Wirtschaftspolitik fest, die in den letzten Jahren ihre Unzulänglichkeit klar bewiesen haben. Um hiergegen anzukommen, ist eine politische Einmischung auf mehreren Ebenen gefragt: In Gremien der EU und auf der nationalen Ebene, durch die Formulierung von alternativen Politikvorschlägen und konsistenten Modellen und nicht zuletzt durch öffentlichen politischen Druck. Nur so kann es zu einer Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik im Euroraum kommen. Ein wichtiger Akteur hierfür sind die europäischen Gewerkschaften, die seit Jahren auf eine andere Wirtschaftspolitik hinarbeiten und Vorschläge für institutionelle Umgestaltungen vorgelegt haben (vgl. auch das DGB-Dokument "Ein neuer Sozialkontrakt in Europa" im Anhang). Mit dem vorliegenden Band möchten wir insbesondere aufzeigen, welchen Anforderungen die Gewerkschaften im europäischen Kontext ausgesetzt sind, aber auch, welche Optionen sich ihnen eröffnen. Im ersten Abschnitt des vorliegenden Bandes geht es zunächst darum, das Konzept der makroökonomischen Koordinierung zu entwickeln und seine Überlegenheit gegenüber der in Europa derzeit vorherrschenden Wirtschaftspolitik nachzuweisen. Dabei werden die Aufgaben der verschiedenen wirtschaftspolitischen Akteure nachgezeichnet sowie die institutionellen Ansätze und Defizite für eine makroökonomische Koordinierung auf EU-Ebene diskutiert. In einem einleitenden Beitrag vertreten Eckhard Hein und Achim Truger (beide WSI, Düsseldorf) die These, dass die realwirtschaftliche Stagnation und die ausbleibende Konvergenz nach fast fünf Jahren EWU im Wesentlichen das Ergebnis eines restriktiven makroökonomischen Politik-Mixes sind. Sie skizzieren zunächst die Ausrichtungen von Geld-, Fiskal- und Lohnpolitik vor dem Hintergrund der institutionellen Bedingungen in der EWU und zeigen, dass sie neu-monetaristischen Vorstellungen eines klaren wirtschaftspolitischen Assignments folgen. Dann werden Alternativen für einen expansiver ausgerichteten makroökonomischen Politik-Mix aufgezeigt, der auf einer (post-)keynesianischen Sicht der Makroökonomik basiert. Da diese Alternativen von den Akteuren die Koordination einer expansiv ausgerichteten Makropolitik erfordern, in der Geld-, Fiskal- und Lohnpolitik gemeinsam Verantwortung für Wachstum, Beschäftigung und Preisniveaustabilität wahrnehmen, werden zudem die Möglichkeiten der Umsetzung eines solchen Politik-Mixes unter den institutionellen Bedingungen der EWU diskutiert. Die Autoren schlussfolgern, dass die gegenwärtigen Institutionen für einen expansiveren Politik-Mix zwar nicht ideal sind, bei entsprechender – auch durch politischen Druck vermittelter – Einsicht in die makroökonomischen Zusammenhänge hätten die Akteure aber durchaus Möglichkeiten für eine wachstums- und beschäftigungsfreundlichere Politik. Die Bedeutung des "makroökonomischen Regimes", d.h. der Ausrichtungen und der Wechselwirkungen von Geld-, Lohn- und Finanzpolitik, für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes steht auch im Mittelpunkt des Beitrages von Ulrich Fritsche (DIW, Berlin), Michael Heine (FHTW Berlin), Hansjörg Herr (FHW Berlin), Gustav Horn (DIW, Berlin) und Cornelia Kaiser (FHW Berlin), die eine ausführliche Analyse der Entwicklung in den USA in den 1990er Jahren vornehmen. Entgegen der üblichen arbeitsmarktzentrierten Sichtweise, in der die im Vergleich zu Deutschland und Europa überdurchschnittlich gute Performance der USA auf einen weniger regulierten und flexibleren US-amerikanischen Arbeitsmarkt zurückgeführt wird, zeigen die AutorInnen, dass die hohen Wachstumsraten und die fallende Arbeitslosigkeit vielmehr von einem spannungsfreien Zusammenwirken von Geld-, Lohn- und Fiskalpolitik bei einem gleichzeitig günstigen außenwirtschaftlichen Umfeld verursacht wurden. Die Fiskalpolitik war anti-zyklisch ausgerichtet und die öffentlichen Haushalte wurden erst im Aufschwung konsolidiert. Von der Lohnentwicklung ging auch bei fallender Arbeitslosigkeit kein Inflationsdruck aus. Und die diskretionär agierende Federal Reserve – als zentraler Akteur – nutzte diese Konstellation erfolgreich zu einer konsequenten Wachstumsorientierung ihrer Zinspolitik. Diese Konstellation ergab sich in den USA zwar nicht als das Ergebnis einer expliziten Koordination der Makropolitiken, sie könnte aber als Leitbild für wachstumsorientierte wirtschaftspolitische Institutionen und deren Koordination dienen. In den beiden Beiträgen des zweiten Abschnitts rückt die Bedeutung der wirtschaftspolitischen Akteure und Institutionen stärker in den Mittelpunkt. Der Beitrag von Torsten Niechoj (WSI, Düsseldorf) geht von der mittlerweile gut gesicherten Erkenntnis aus, dass die Umsetzung eines keynesianischen Wirtschaftskonzepts Wachstum und Beschäftigung über eine Koordinierung der Geld-, Lohn- und Fiskalpolitik nennenswert steigern kann. Daran anknüpfend untersucht der Autor, ob die Akteure einer derartigen Koordinierung positiv gegenüberstehen und inwieweit die vorfindlichen Institutionen eine solche Koordinierung zulassen. Ansatzpunkte für eine Durchsetzung keynesianischer Politik werden aus der bisherigen Entwicklung der wirtschaftspolitischen Gestaltung in der Europäischen Union abgeleitet und benannt. Insbesondere wird darauf eingegangen, welche Anforderungen die Realisierung des Konzepts an die Gewerkschaften stellt. Wenngleich sich nachweisen lässt, so der Autor, dass es eine gewisse Reorientierung der makroökonomischen Politik in Richtung auf keynesianische Vorstellungen gegeben hat, bleiben die erzielten Erfolge dennoch unzureichend. Mehr noch, sie führen – konsequent weiter umgesetzt – zu einer Form keynesianischer Politikgestaltung, die massive Schwierigkeiten für die Gewerkschaften im Bereich der Arbeitsmarktregulierung mit sich bringt. Ebenfalls den wirtschaftspolitischen Akteuren und ihren Handlungsoptionen wendet sich Rudolf Welzmüller (IG Metall Vorstand, Frankfurt) in seinem Beitrag zu. Er geht näher auf das Verhältnis von gewerkschaftlicher Lohnpolitik und koordinierter Wirtschaftspolitik in der EWU ein. Im Gegensatz zum bisher in Europa praktizierten Politik-Mix sei die koordinierte Wirtschaftspolitik ein zentrales Instrument zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung. Dies beinhalte einerseits die internationale Koordinierung der nationalen Lohnpolitiken mittels Orientierung am jeweiligen Produktivitätszuwachs und der Inflationsrate einerseits und die Abstimmung mit der Finanz- und insbesondere der Geldpolitik andererseits. Ein inflationsneutrales Verhalten der Lohnpolitik müsse von der Geldpolitik durch eine Orientierung auf Beschäftigung und Preisstabilität genutzt werden. Gelegentlich auch aus den Gewerkschaften geäußerte Vorbehalte gegen die "Einbindung" der Lohnpolitik in ein umfassendes wirtschaftspolitisches Konzept seien letztlich nicht überzeugend, da der Verzicht auf Koordinierung die Lohnpolitik nur unter Anpassungsdruck nach unten setze – etwa durch nationale Wettbewerbspakte. Allerdings könnten einseitige Vorleistungen der Gewerkschaften ohne verlässliche Signale von Seiten der EZB nicht verlangt werden und seien auch nicht zielführend, wie das Verhalten der EZB im Jahr 2000 gezeigt habe. Im dritten Abschnitt dieses Bandes wird in mehreren Beiträgen der Frage nachgegangen, inwieweit der kurz nach Beginn der EWU vom Europäischen Rat von Köln 1999 im Rahmen des Europäischen Beschäftigungspaktes ins Leben gerufene Makroökonomische Dialog (Macro-Economic Dialogue, MED) einen strategischen Ansatzpunkt für eine makroökonomische Koordinierung in Europa bilden könnte. Zunächst gibt Willi Koll (Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, Berlin) eine Übersicht über die Entstehungsgeschichte und die Intentionen des MED, der mit den Akteuren der Geld-, Fiskal- und Lohnpolitik alle wirtschaftspolitischen Handlungsträger umfasst, die für die makroökonomische Politikgestaltung Verantwortung tragen. Der MED wurde der Koordinierten Beschäftigungsstrategie und den Wirtschaftsreformen als dritter Pfeiler des Europäischen Beschäftigungspakts hinzugefügt. In seiner Intention stützt sich der MED auf die Erwartung, dass mehr Beschäftigung unter Wahrung der Preisniveaustabilität das Ergebnis eines konfliktfreien wachstums- und stabilitätsorientierten Zusammenwirkens von Geld-, Fiskal- und Lohnpolitik ist. Unter Wahrung von Unabhängigkeit und Autonomie tauschen sich die Teilnehmer am MED über die wechselseitigen Vorteile und Voraussetzungen eines kooperativen wachstums- und beschäftigungsfördernden Policy-Mix bei Preisniveaustabilität aus. Um die Dialogfähigkeit innerhalb des MED zu erhalten, ist die Teilnehmerzahl begrenzt. Unterschiedliche räumliche Handlungsebenen und zeitliche Entscheidungshorizonte stellen zusätzliche Anforderungen an Kommunikation und Abstimmung innerhalb der am MED Beteiligten, vor allem im Bereich der Lohnfindung. Im Rahmen des Europäischen Beschäftigungspakts können sich, so das Fazit des Autors, MED, Koordinierte Beschäftigungsstrategie und Wirtschaftsreformen in ihrer Wirkung nicht ersetzen, jedoch einander ergänzen und verstärken. Erfahrungen mit dem MED aus Sicht des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) beschreibt Ronald Janssen (EGB, Brüssel). Auch er führt die unbefriedigende Wachstums- und Beschäftigungsentwicklung in der EWU auf eine unzureichende makropolitische Koordination zwischen den Akteuren, insbesondere zwischen der Geld- und der Lohnpolitik, zurück. Eine über den gesamten Zeitraum seit 1999 zurückhaltende Lohnentwicklung sei von der EZB nicht honoriert worden. Letztere hätte damit Wachstums- und Beschäftigungschancen für die EWU verschenkt. Die Argumente der EGB-Vertreter im MED seien von der EZB nicht gehört worden. Auch von den anderen Akteuren, der Kommission und den Arbeitgeberverbänden, sei keine Unterstützung gekommen. Trotzdem geht der Autor davon aus, dass der Makroökonomische Dialog ein geeignetes Forum darstelle, um die wirtschaftliche Lage und angemessene wirtschaftspolitische Reaktionen zwischen den makropolitischen Akteuren zu diskutieren und "Vertrauenskapital" zwischen ihnen aufzubauen. Andrew Watt (Europäisches Gewerkschaftsinstitut, Brüssel) beschäftigt sich schließlich mit den Aussichten, durch eine Reform des MED die Makropolitik in Europa zu verbessern. Kurz- bis mittelfristig stellt dies seiner Ansicht nach eine realistische Möglichkeit für Verbesserungen dar, da einerseits grundlegende Änderungen der Maastrichter Architektur in der EWU gegenwärtig unwahrscheinlich seien, andererseits aber durchaus auch im bestehenden institutionellen Rahmen bessere makroökonomische Resultate erzielt werden könnten. Hierzu bedürfe es insbesondere einer expansiveren Geldpolitik, die die ihr von der Lohnpolitik ermöglichten Spielräume für eine wachstums- und beschäftigungsfördernde Zinspolitik nutzt. Hierzu ist wiederum vor allem eine verbesserte Koordination von Lohn- und Geldpolitik notwendig, die durch eine Reform des MED unterstützt werden könne. Der Beitrag stellt die konkreten Vorschläge der Gewerkschaften zur Effektivierung des MED dar und begreift den Dialog als Chance für die Gewerkschaften, sich – entgegen aller Forderungen zur Dezentralisierung der Lohnpolitik – als strategischer Akteur zu behaupten. Insgesamt sei eine Mischung aus der Stärkung des internen gewerkschaftlichen Dialogs, der Fortführung und Intensivierung der Kritik am bestehenden Economic-Governance-Regime der EWU und der Suche nach makropolitischen Kooperationsmöglichkeiten der vielversprechendste Weg zu einer besseren Wirtschaftspolitik. Im vierten Abschnitt dieses Bandes wird schließlich noch einmal die besondere Rolle der Gewerkschaften in den Mittelpunkt gerückt. Zunächst untersucht Thorsten Schulten (WSI, Düsseldorf) die bestehenden Ansätze einer europaweiten Koordinierung gewerkschaftlicher Lohn- und Tarifpolitik. Dabei analysiert er vorab die langfristigen tarifpolitischen Entwicklungstrends, wonach es den europäischen Gewerkschaften in den letzten beiden Jahrzehnten kaum mehr gelungen ist, mit den von ihnen durchgesetzten Lohnerhöhungen die Verteilungsspielräume aus Preis- und Produktivitätsentwicklung auszuschöpfen. Im Ergebnis habe diese Entwicklung nicht nur zu einem stetigen Rückgang der Lohnquote und einer andauernden Umverteilung von Arbeits- zur Kapitaleinkommen geführt, sondern sie habe auch die makroökonomischen Steuerungsfunktionen der Lohnpolitik im Hinblick auf Konsumnachfrage und Geldwertstabilität zusehends unterminiert. Die seit Ende der 1990er Jahre auf verschiedenen Ebenen entstandenen gewerkschaftlichen Initiativen für eine europäische Koordinierung der Tarifpolitik haben, so der Autor, sich das Ziel gesetzt, den bisherigen lohnpolitischen Entwicklungstrend umzukehren und mit einer Rückkehr zur produktivitätsorientierten Lohnpolitik den Lohnwettbewerb in Europa zu begrenzen. Allerdings müssen die europäischen Gewerkschaften nach wie vor eine Vielzahl institutioneller und politischer Barrieren überwinden, die bis heute einer effektiven Koordinierung ihrer Lohn- und Tarifpolitiken im Wege stehen. Im abschließenden Beitrag wirft Richard Hyman (London School of Economics) die grundlegende Frage auf, wie sich die Gewerkschaften zu der europäischen Integration und zu der von den Institutionen der Europäischen Union verfolgten Politik verhalten sollen. Die Schwierigkeiten in der Beantwortung dieser Frage lägen in den Ambivalenzen des europäischen Integrationsprozesses selbst begründet. Einerseits werde dieser von vielen als notwendiger politischer Garant zur Verteidigung des "europäischen Sozialmodells" gegenüber einer Universalisierung des amerikanischen Kapitalismusmodells angesehen. Andererseits werde gerade durch zentrale politische Projekte der europäischen Integration die neoliberale Restrukturierung forciert, und damit würden die Grundlagen des europäischen Sozialmodells zerstört. Wie der Autor ausführt, sind die europäischen Gewerkschaftsorganisationen auf vielfältige Weise (z.B. durch die Europäischen Sozialdialoge) in das politische Institutionengeflecht der EU eingebunden und werden hierüber einem politischen Anpassungsdruck ausgesetzt, der die Entwicklung und Artikulation eigener politischer Gegenentwürfe systematisch beschränkt. Die Alternative hierzu bestände laut Hyman darin, dass die europäischen Gewerkschaften sich stärker auf einen "internen sozialen Dialog" einlassen, indem sie die eigenständige Zusammenarbeit untereinander stärker ausbauen, zusammen nach alternativen Politikentwürfen suchen und gemeinsam für diese mobilisieren. Die hier zusammengetragenen Überlegungen gehen auf eine Tagung zurück, die das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) in der Hans Böckler Stiftung im November 2003 durchgeführt hat. Wir bedanken uns bei allen ReferentInnen und TeilnehmerInnen für die anregende Diskussion und bei der Hans-Böckler-Stiftung für die organisatorische und finanzielle Unterstützung des Workshops und dieser Publikation. Düsseldorf, im April 2004

Inhalt:

Eckhard Hein / Torsten Niechoj / Thorsten Schulten / Achim Truger
Einleitung (Leseprobe)

Wachstum und Beschäftigung durch makroökonomische Koordinierung


Eckhard Hein / Achim Truger
Makroökonomische Koordinierung als wirtschaftspolitisches Konzept
Voraussetzungen und Möglichkeiten in der EWU
Ulrich Fritsche / Michael Heine / Hansjörg Herr / Gustav Horn / Cornelia Kaiser
Makroökonomische Regime und ökonomische Entwicklung: das Beispiel USA

Koordinierung und Akteursinteressen


Torsten Niechoj
Attraktiv für Gewerkschaften?
Keynesianische Makrokoordinierung auf EU-Ebene
Rudolf Welzmüller
Gewerkschaftliche Lohnpolitik und koordinierte Wirtschaftspolitik in der Europäischen Währungsunion

Der Makroökonomische Dialog – Chancen für eine koordinierte Wirtschaftspolitik?


Willi Koll
Makroökonomischer Dialog – Entstehung und Intentionen
Ronald Janssen
Koordination im Makroökonomischen Dialog des Köln-Prozesses: Erfahrungen des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB)
Andrew Watt
Bessere Makropolitik durch Reformen des Makroökonomischen Dialogs?

Die Rolle der Gewerkschaften


Thorsten Schulten
Gewerkschaftliche Lohn- und Tarifpolitik in Europa – Ansätze, Widerstände und Perspektiven einer europaweiten Koordinierung
Richard Hyman
Europäische Integration und Arbeitsbeziehungen: Strategische Dilemmata für die Gewerkschaften

Anhang


Ein neuer Sozialkontrakt für Europa
Empfehlungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes an den Europäischen Konvent

Autorenreferenz

Eckhard Hein ist Referatsleiter für "Allgemeine Wirtschaftspolitik" im Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung. Richard Hyman ist Professor für Industrial Relations an der London School of Economics und Herausgeber des European Journal of Industrial Relations. Ulrich Fritsche ist wissenschaftlicher Referent in der Abteilung Konjunktur im DIW Berlin. Michael Heine ist Professor an der FHTW Berlin. Hansjörg Herr ist Professor an der FHW Berlin. Gustav Horn ist Leiter der Abteilung Konjunktur im DIW Berlin. Ronald Janssen ist Berater für ökonomische Fragen beim Europäischen Gewerkschaftsbund in Brüssel. Cornelia Kaiser ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in einem Forschungsprojekt an der FHW Berlin. Willi Koll leitet im Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (BMWA) die Unterabteilung "Europäische und internationale Wirtschaftspolitik; gesamtwirtschaftliche Analysen und Projektionen" und ist Moderator des europäischen Makroökonomischen Dialogs auf technischer Ebene. Torsten Niechoj ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung und Mitherausgeber der Zeitschrift Intervention. Zeitschrift für Ökonomie/Journal of Economics. Thorsten Schulten ist Referatsleiter für "Arbeits- und Tarifpolitik" am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung. Achim Truger ist Referatsleiter für "Finanz- und Steuerpolitik" im Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung. Rudolf Welzmüller ist wissenschaftlicher Referent in der Abteilung Tarifpolitik beim IG Metall-Vorstand in Frankfurt. Andrew Watt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Europäischen Gewerkschaftsinstitut (EGI) in Brüssel.

Zurück