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Edelbert Richter

Eine zweite Chance?

Die Sozialdemokratie unter dem Druck der "Globalisierung"

300 Seiten | 2002 | EUR 15.50 | sFr 27.80
ISBN 3-87975-895-6

 

Bilanz und Perspektiven von Rot in Rot-Grün aus der Perspektive eines Mitstreiters: Dieses Buch dokumentiert die Auseinandersetzung des Weimarer Bürgerrechtlers und SPD-Bundestagsabgeordneten (bis 22.9.2002) mit der Politik der eigenen Regierung. Im Zentrum steht die Frage nach dem Fortbestand der Demokratie angesichts globaler Veränderungen in den wirtschaftlichen Beziehungen.


Der Autor: Edelbert Richter, Dr., Bundestagsabgeordneter der SPD aus Weimar (Okt./Dez. 1990 und 1994 bis 2002), Mitglied der Grundwertekommission und des Vorstandes des Forums Ostdeutschland der SPD, Initiator der Arbeitsgruppe "Perspektiven für Ostdeutschland" und der Initiative "Thierse hat Recht", Mitglied der Enquete-Kommission des Bundestages "Globalisierung der Weltwirtschaft". Veröffentlichungen: Zweierlei Land - Eine Lektion. Konsequenzen aus der deutschen Misere, Berlin 1989; Christentum und Demokratie in Deutschland. Beiträge zur geistigen Vorbereitung der Wende in der DDR, Leipzig und Weimar 1991; Erlangte Einheit - verfehlte Identität. Auf der Suche nach den Grundlagen für eine neue deutsche Politik, Berlin 1991; Wendezeiten. Das Ende der konservativen Ära, Köln-Weimar-Wien 1994; Aus ostdeutscher Sicht. Wider den neoliberalen Zeitgeist, Köln-Weimar-Wien 1998.

Rezensionen

Gerhard Zwerenz Der Kriegskapitalismus Unter diesem Titel bespricht Gerhard Zwerenz das neue Buch von Edelbert Richter in Heft 2-2003 von Ossietzky. Sein Fazit: "Diese Schrift durchzieht ein Hauch frischen, lutherischen Wartburg-Windes: Mönchlein, Mönchlein, du gehst einen Gang, du wirst kuschen müssen, willst du nicht aus deiner SPD gefeuert werden."

Schon in Ossietzky 20/2002 berichteten wir vom »scharfsinnigen Nürnberger Endzeitphilosophen Robert Kurz«, der »seit Jahren den baldigen Untergang des Kapitalismus« konstatiert. In einer Kolumne der Tageszeitung Neues Deutschland wechselt Kurz sich mit den Ökonomen Christa Luft, Rudolf Hickel und Harry Nick ab, die differenten Artikel sind immer lesenswert. Jüngst setzte Harry Nick dort einen Akzent, der zu Robert Kurz den äußersten Gegensatz darstellt: »Jeder, der arbeiten kann und will, könnte eine existenzsichernde Arbeit erhalten. Das Sozialsystem könnte trotz sich ändernder Alterspyramide der Bevölkerung erhalten werden. Und das alles in dieser Welt und nicht erst in einer jenseits von Marktwirtschaft und Kapitalismus.« Frappierend, schrieb Nick, sei aber »der Umstand, daß eindeutige Nachweise, dass das möglich wäre, kaum ins öffentliche Bewußtsein gelangen... Die politische Sisyphusarbeit beginnt beim richtigen Benennen der Verhältnisse, beim Benennen des verbalen Mülls. Es müssen die einfachen Fragen ans Licht geholt werden...«

In der Tat, das Land ist nach Klassenlage klassengespalten, nicht Rationalität ist gefragt, aber ideologische Interessenvertretung, das Resultat sind Sklavensprachen, die vernebeln, komplizieren, verwirren. Eine Gruppe nach Partei und Status ungebundener Analysten könnte mit geradezu mathematischer Präzision die Realisierbarkeit des Nick'schen Programms untersuchen (dessen Einzelpunkte aufmerksamen Zeitungslesern nicht fremd sind); gelangten sie, was ziemlich sicher wäre, zur Akzeptanz der zwölf Punkte, fänden sich mit Sicherheit so viele bourgeoise Gegner, daß alles scheiterte. Genau dies ist der Fakt, bei dem Robert Kurz gegen Harry Nick siegt. Nick erklärt ausdrücklich, seine Vorschläge seien »von dieser Welt«. Gemeint ist, es bedarf dazu keiner Systemänderung, man verbliebe in »Marktwirtschaft und Kapitalismus«. Kurz hält das für unmöglich und hat insofern recht, als das Nick'sche Programm von den bürgerlichen Parteien nicht als marktwirtschaftlich akzeptiert, sondern als Sozialismus verteufelt und verhindert würde.

Der Sozialdemokratie wiederum fehlen Wille und Energie, es zu vertreten. Sie wird von den Meinungsmachern nicht als bürgerliche Partei bewertet, ist es aber in solchem Maße, daß sie eine systemimmanente, jedoch wirksam einschneidende Reform scheut. So entsteht jene komplette Unreformierbarkeit, die von Bürgerlichen und Sozialdemokraten gemeinsam beklagt und zugleich garantiert wird. Nun hätte die PDS Nicks Programm im Parlament vertreten können, wäre sie nicht mangels Chuzpe, strategischer Energie und Phantasie rausgeflogen, vom Restbestand zweier couragierter Frauen abgesehen, deren Wirkungsmöglichkeit den Symbolstatus nicht überschreitet.

Allerdings erschien gerade jetzt bei VSA in Hamburg das Buch »Eine zweite Chance – Die SPD unter dem Druck der 'Globalisierung'« von dem protestantischen Sozialdemokraten Edelbert Richter. Der vormalige Thüringer Bürgerrechtler, der dieser Bezeichnung weiterhin treu zu sein versucht (und Ossietzky-Lesern auch als Autor bekannt ist), beklagt nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag die notorische Statistenrolle der Bundestagsmitglieder, denn »dann stimmt etwas an der parlamentarischen Demokratie nicht mehr, und dann bleibt mir nur noch das öffentliche Wort«.

Richter zählt darauf, gehört zu werden, nachdem er als MdB unerhört blieb, was seinen Optimismus nicht gerade materiell unterfüttert. Tatsächlich dürfte ein Drittel der SPD-Fraktion von Hermann Scheer bis Ludwig Stiegler Richters Denkweise nahestehen. Früher wären hier auch Scharping, Struck und Lafontaine zu nennen gewesen, was die Kalamität bezeichnet. Mit der Karriere ändert sich die werte Seele: Die beiden ersteren sind dem zwiegesichtigen Gott Janus verpflichtet, der dritte stieg, um sich zu bewahren, aus. Dies ist die Crux der Realität: Mann ist nicht Mann, aber seine Entzweiung. Wer sich für die Karriere entscheidet, wird ein anderer und entfremdet sich von seiner vorherigen Gestalt.

Richter weiß Bescheid und faßt hier sein Wissen und Wirken zusammen - von der Ökonomie bis zu Krieg und Frieden. Dem Marxisten scheint manches, was da gesagt wird, ein wenig umständlich, dem linken Oppositionellen zu zahm. Das betrifft nicht Richters Resultate, die in Richtung der zwölf Punkte von Harry Nick liegen. Allerdings können Richter wie Nick nicht mehrheitsfähig werden im Lande der verordneten Sklavensprache, wo mediale Hampelmänner an den Strippen ihrer Besitzständler zappeln.

»Feudalismus in neuer Gestalt?« fragt Richter und konstatiert die »Sackgasse« der Vereinigungspolitik und -wirtschaft: »Denn die DDR war weder 'bankrott', noch war das Produktivkapital, das sie hinterließ, 'alles Schrott'«. Am Ende konstatiert er »Defizite in der Selbstbehauptung Europas«, fordert eine »neue Weichenstellung«, agiert gegen den »Druck, der von der neuen amerikanischen Führung ausgeht« und spricht glattweg von der falschen »Tendenz, vom Recht weg nach rechts zu gehen«.

Diese Schrift durchzieht ein Hauch frischen, lutherischen Wartburg-Windes: Mönchlein, Mönchlein, du gehst einen schweren Gang, du wirst kuschen müssen, willst du nicht aus deiner SPD gefeuert werden. Warum fällt mir da nur Wolfgang Ullmann ein, der das 21. Jahrhundert als ein »Jahrhundert des Pazifismus« ausrief, während der US-Präsident begann, die Welt unter den Stiefel des Kriegskapitalismus zu nehmen, des höchsten Stadiums des Fordismus. Jedem, der anders will, eine Rakete aufs Dach und eine Kugel in die Stirn, das ist die Antwort der gutgeölten Bush- und Blitzkrieger auf die guten Worte der Ullmann und Schorlemmer und auf die klugen Ratschläge von Harry Nick, Robert Kurz bis Edelbert Richter. Seit die Reform des Sozialismus mißlang und die Kommunisten abtraten, gilt das eherne Gesetz des Kriegskapitalimus, der nun seinen alten Erzfeind Marxismus durch den neuen Erzfeind Islam ersetzen muß, denn ohne Todfeindschaft geht die Chose nicht.

Leseprobe 1

Einleitung


Eine zweite Chance - warum mit Fragezeichen? Erstens, weil nicht klar ist, wofür eigentlich. Es heißt um das, was begonnen worden ist, fortzuführen. Das ist aber eine Antwort, die nur neue Fragen aufwirft. Gewiss ist einiges begonnen worden, das es verdient fortgeführt zu werden: das Schließen von Steuerschlupflöchern, die Erhöhung der Ausgaben für die Bildung und Forschung, die Erhöhung des Kindergeldes, die ökologische Steuerreform u. a. Es ist aber auch einiges begonnen worden, das besser nicht fortgeführt werden sollte: die Beteiligung an völkerrechtswidrigen Kriegen, das Sparen ohne Einbeziehung derer, die wirklich etwas zum Sparen haben, und ohne Berücksichtigung der Konjunkturlage, die Steuergeschenke an die großen Kapitalgesellschaften. Schließlich ist einiges überhaupt nicht wirklich begonnen worden: der Abbau der Arbeitslosigkeit, die "Chefsache" Aufbau Ost und nicht zuletzt die aktive Einflussnahme auf die Globalisierung.

Angesichts dieser Bilanz wird die Unentschiedenheit der Wähler verständlich. Sie haben, indem sie der Sozialdemokratie präzise soviel Stimmen gaben wie den Konservativen, gar nicht eigentlich "gewählt", sondern bekundet, dass es ihnen im Grunde gleich-gültig d. h. egal ist, wer regiert. Entsprechend wird die Politik der neuen Regierung auch die einer großen Koalition sein müssen, denn die knappe Mehrheit, die durch die Grünen zustande gekommen ist, wird durch die andere Mehrheit im Bundesrat wieder aufgehoben. Das heißt aber, dass die Frage, wofür es eigentlich eine zweite Chance gibt, ohne Antwort bleibt oder nur sehr allgemein beantwortet werden kann: fürs Regieren in Deutschland.

Freilich hätte es noch weniger Stimmen für die SPD gegeben, wenn da nicht die resoluten Reaktionen auf die Flut und den drohenden Krieg gewesen wären. Hier zeigte sich, dass inhaltliche Klarheit auch im postmodernen Personenwahlkampf noch eine Rolle spielt. Diese wenigen, endlich gesetzten inhaltlichen Akzente (Umwelt, Solidarität, Frieden) haben die rot-grünen Wähler doch noch mobilisiert und die Regierung gerettet. Wie klug es war, diese Wende in der Friedensfrage zu vollziehen, zeigen die vorangegangenen Wahlen in Dänemark, Frankreich und den Niederlanden, wo die Sozialdemokraten in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit viel geleistet haben und dennoch abgewählt worden sind. Warum wohl? Ich vermute, dass dies ein Reflex auf den Prozess der Globalisierung war, der inzwischen von der ökonomischen zur sicherheitspolitischen Krise vorangeschritten ist.

Die Führung der SPD scheint sich also mit einigem, was sozialdemokratische Politik bedeutet, im Wahlkampf wieder vertraut gemacht zu haben. Sie hat dazu allerdings Druck von unten gebraucht, für den die Wahlen eine günstige Gelegenheit boten. Was geschieht aber, wenn die Wahlen vorbei sind; dieser Druck nachlässt und nun der Druck von oben, nämlich der der sogenannten Globalisierung wieder allein das Sagen hat? Rolf E. Breuer, der Vorstandssprecher der Deutschen Bank, hat ganz richtig festgestellt: "Die autonomen Entscheidungen, die Hunderttausende von Anlegern auf den Finanzmärkten treffen, werden im Gegensatz zu Wahlentscheidungen nicht alle vier oder fünf Jahre, sondern täglich gefällt, was Regierungen ständig unter einen erheblichen Erklärungszwang setzt." (Die Zeit, 27.4.00) Wenn es sich aber so verhält, wofür gibt es dann noch eine Chance? Vielleicht ist die Frage dann sogar, ob das Regieren in Deutschland, so vage es auch ausfallen mag, überhaupt noch eine Chance hat! Das ist der zweite Grund für jenes Fragezeichen und zugleich der tiefere Beweggrund für dieses Buch. Natürlich hat die Regierung immer viel zu tun und wird auch weiter viel zu tun haben, aber womöglich weniger als Exekutive des Parlaments, denn als Exekutive jener Akteure auf dem Weltmarkt. Natürlich wird sie nicht zur bloßen Marionette, sondern behält einen Entscheidungsspielraum. Aber trifft sie noch substanzielle Entscheidungen im Sinne der Volksherrschaft, die ja denen der Weltmarktakteure zuweilen widersprechen dürften? Die Antwort ist einfach: Sie kann das nur dann, wenn der Druck von unten nicht nachlässt, sondern sogar so stark wird, dass er dem permanenten Druck von oben einigermaßen die Waage hält!

Das vorliegende Buch dokumentiert am Anfang die Auseinandersetzung eines Bundestagsabgeordneten der SPD mit der Politik der eigenen Regierung. Die Auseinandersetzung bezieht sich nicht auf Detailfragen, sondern auf die Grundzüge ihrer Politik. Das ist ungewöhnlich und sieht nach Nestbeschmutzung aus. Es geht jedoch um das gerade angesprochene, tieferliegende Problem, das alle Parteien betrifft: den Fortbestand unserer Demokratie angesichts globaler Veränderungen in den wirtschaftlichen Beziehungen. An dieser Frage ist mir existenziell gelegen, weil ich als ostdeutscher Bürgerrechtler lange für demokratische Teilhabe gekämpft habe. Als solcher bin ich freilich zugleich weniger betriebsblind und sehe die Entwicklung im Westen immer noch unbefangener als viele, die hier sozialisiert sind. Das Ergebnis der Beobachtung von zwölf Jahren kann aber nur wachsende Sorge sein. Das ist ganz unmittelbar an der Parlamentsarbeit abzulesen. Wenn ich als Abgeordneter in der Opposition nicht viel zu melden hatte, so konnte das noch verständlich sein. Wenn ich aber auch in der Regierungsverantwortung in wichtigen Fragen nur eine Statistenrolle spielen darf, dann stimmt etwas an der parlamentarischen Demokratie nicht mehr, und dann bleibt mir, wenn ich mein Mandat ernstnehme, nur noch das öffentliche Wort. Ich komme auf diesen Punkt zurück.

Ich bin weit davon entfernt, irgend jemandem Vorwürfe zu machen, sondern verstehe die Politik von dem Druck her, der von der sogenannten Globalisierung ausgeht. Aber ich rede bewusst von sogenannter Globalisierung, denn der Begriff ist verschwommen genug, um alles Mögliche rechtfertigen zu können, und ich bin überzeugt, dass die Politik diesen Druck jedenfalls nicht als Zwang, sondern als Herausforderung begreifen muss. Insofern heißt Verstehen nicht Verzeihen. Ich kann der rot-grünen Regierung die Kritik nicht ersparen, dass sie die Handlungsspielräume in dieser Hinsicht nicht ernstlich ausgelotet und genutzt hat.

Oskar Lafontaine ist wohl einer der wenigen in dieser Regierung gewesen, der die Herausforderung begriffen hat. Das darf ich behaupten, weil ich die Äußerungen der Ministerinnen und Minister unter diesem Gesichtspunkt verfolgt habe. Ich habe schon seit 1994 darauf hingewiesen, dass eine Regulierung des Weltfinanzmarkts der Schlüssel ist für die Wiedergewinnung politischer Handlungsfähigkeit überhaupt, und dass dies nur durch gemeinsame Anstrengungen der Europäischen Union gelingen könne. Ich war sehr froh, dass Lafontaine dieses Thema erkannt und angepackt hat. Damit versprach das Jahr 1998 zu einem Wendepunkt zu werden, zumal damals die Mehrheit der Regierungen in der EU sozialdemokratisch war. Ich bin nach wie vor der Auffassung, dass das Votum der Wähler so gemeint war, auch wenn nur wenige die Hintergründe durchschaut haben. In Ostdeutschland jedenfalls, dem mühsam nationalstaatlich aufgefangenen Opfer der "Globalisierung", war die Politikverdrossenheit bei vielen mit dem Wissen verbunden, dass es die Wirtschaft war, die eigentlich das Sagen hatte. Die überwältigende Hinwendung zur Sozialdemokratie war daher als eindeutiger Auftrag zu verstehen, dem Diktat der globalen Märkte endlich wieder eine gerechte Politik entgegenzusetzen.

Auch wenn die Regierungsarbeit nach 16 Jahren Opposition etwas holprig geriet, ist dies in den ersten Monaten versucht worden. Man darf die wachsenden Widerstände nicht übersehen, auf die diese Politik zumal in den Zentren des Weltfinanzmarkts stieß. Die ihnen assistierenden Medien machten Lafontaine zum bösen Mann Europas. So konnte man in "Die Zeit" vom 11.3.1999, genau am Tag seines Rücktritts, lesen: "Wer Reformen will, so die Verbände-Logik, muss Lafontaine über die ›Bande Schröder‹ ins Aus schießen." Dennoch kam sein Rücktritt überraschend und war nicht nur für mich ein Schock. Ich bin kein Freund von Verschwörungstheorien, aber der ein halbes Jahr später folgende Rücktritt von Strauss-Kahn in Frankreich musste den Gedanken nah legen, dass da vielleicht nicht der Zufall waltete, sondern eine bewusste Strategie zur Verhinderung eigenständiger europäischer Einflussnahme auf die Gestalt der "Globalisierung". Dass der Nato-Einsatz im Kosovokrieg wohl demselben Ziel diente, ist schon von anderen vermutet worden. Den Europäern, die mit der Währungsunion die Dollarhegemonie in Frage stellten, sollte gezeigt werden, wer in sicherheitspolitischen Fragen - in der Welt und in Europa - das Heft in der Hand hat.

Von nun an war ich zwar misstrauisch gegenüber der eigenen Regierung, zugleich aber immer noch zuversichtlich, dass die Tradition der Sozialdemokratie sich als stärker erweisen würde als der auf den Machterhalt gerichtete Opportunismus.

Die erste Bewährungsprobe war die Politik der Haushaltskonsolidierung, mit deren Notwendigkeit die Fraktion seit Mai vertraut gemacht wurde. Sie wurde als neu verkauft, obwohl sie schon von Waigel begonnen worden war und wir uns damals gegen die Umverteilung von unten nach oben gewandt hatten, die sie bedeutete. Dass nun wieder bei den Rentnern und Arbeitslosen der Rotstift angesetzt wurde, führte zu beträchtlichem Widerstand in der Fraktion und zur Forderung nach Wiedereinführung der Vermögenssteuer bzw. Änderung der Erbschaftsbesteuerung. Der Kanzler reagierte darauf spät und widerwillig mit fünf Vorschlägen, die geprüft werden sollten, um die soziale Symmetrie wiederherzustellen, und die auch in den Leitantrag zum Parteitag eingegangen sind. Kein einziger dieser Vorschläge wurde umgesetzt. Ich sehe noch heute, wie Gerhard Schröder, der normalerweise vor der Fraktion frei spricht, mit einem Zettel hereinkam, die Vorschläge wie ein Schüler ablas und eilig wieder verschwand.

Nachdem Lafontaine und damit das Gesellschaftsmodell des Rheinischen Kapitalismus "ins Aus geschossen" waren, lag es nahe, nun ein positives Bekenntnis zum "angelsächsischen" Modell abzulegen. Das geschah mit dem Schröder-Blair-Papier. Hans Eichel hat sich in der Diskussion um das Sparpaket dagegen gewehrt, es von diesem Papier her zu interpretieren. Es sei nur zufällig zur selben Zeit erschienen. Offenbar wollte er nichts mit einem Credo zu tun haben, das von der FDP-Fraktion fast wörtlich übernommen und als Antrag in den Bundestag eingebracht wurde. Aber abgesehen davon, dass der Kanzler ja wohl die Richtlinien der Politik bestimmt, waren die inhaltlichen Berührungspunkte unverkennbar. Beides - das Papier und das Sparprogramm - waren für eine kleine Gruppe von SPD-Abgeordneten der Anlass, sich im Sommer zusammenzuschließen und gegen den sich abzeichnenden neuen Kurs auch in den folgenden Jahren zu opponieren. Ich gehörte dazu und konnte beides auch nur als Abschied von den Hoffnungen empfinden, die sich mit dem Regierungswechsel verbunden hatten. Gewiss haben viele Bürger bei den Landtags- und Kommunalwahlen im Herbst 1999 das genauso empfunden und der treulosen SPD überall einen Denkzettel verpasst. Auf einen dringlichen Brief an den Kanzler, den ich daraufhin Anfang Oktober verfasste und für dessen Unterstützung ich namhafte Persönlichkeiten gewinnen konnte, gab es eine schriftliche Antwort und ein persönliches Gespräch beim Kanzler. Da das Gespräch jedoch fast ein halbes Jahr danach und in der angenehmen Atmosphäre der Macht stattfand, war der Mut zur Kritik bei den Beteiligten geschwunden. Jedenfalls antwortete Schröder auf meine Frage, wie er denn nun, nach den Niederlagen des Herbstes, zu dem mit Blair herausgegebenen Papier stehe, unverdrossen, seine Inhalte würden weiter umgesetzt.

Das ist der Hintergrund des ersten Teils dieses Buches. Der Zusammenhang mit dem dritten Teil, auf den alles zuläuft, scheint an mehreren Stellen auf und wird im vierten Beitrag zum "Spardiktat des Weltfinanzmarktes" ausdrücklich hergestellt.

Der zweite Teil des Buches handelt von dem Versuch, gegen die nunmehr dominierende Sparpolitik und das heißt letztlich gegen den Druck des Weltfinanzmarktes die "Chefsache" Aufbau Ost immer wieder einzuklagen. Warum war der Osten zur Chefsache erklärt worden? Weil von einem Aufholprozess der neuen Länder schon seit 1997 keine Rede mehr sein konnte! Dennoch fiel es nun den meisten in der Fraktion gar nicht mehr auf, dass der Aufschwung Ost ja endgültig auf der Strecke bleiben musste, wenn die Haushaltssanierung den Primat erhielt, dass also beide Anliegen im Widerspruch zueinander standen.

Die Regierung aber begann jetzt, sich an diesem Widerspruch vorbeizumogeln, indem sie die Leistungen der Menschen im Osten lobte, die bekannten Einzelbeispiele erfolgreicher Regionen und Unternehmen aufzählte usw. Bei der Sondersitzung zum zehnten Jahrestag der Währungsunion kam hinzu, dass über die ökonomische Abenteuerlichkeit dieser Maßnahme kein Wort mehr verloren wurde, obwohl sie 1990 allen Fachleuten und denkenden Menschen bewusst war und bald danach ja auch spürbar wurde.

Die neue Regierung nutzte also die Stunde nicht, um sich mit der Erblast der alten Regierung auseinanderzusetzen, sondern übernahm sie unbesehen und trat in die Fußstapfen der Liberal-Konservativen. Das war nicht mehr nur staatsmännischer Pragmatismus, sondern die Preisgabe eigenständiger Politik. Damit war CDU und FDP die Möglichkeit eröffnet, der Regierung - die noch nicht zwei Jahre im Amt war - die Verantwortung für die ostdeutsche Lage in die Schuhe zu schieben, obwohl die beiden Parteien doch selbst für die negativen Folgen der Währungsunion die Hauptverantwortung tragen!

Ein höchst charakteristisches Beispiel übrigens für den Umgang der derzeitigen Politik mit der globalisierten Ökonomie: Die Politik sucht ihre Eigenständigkeit zu beweisen nicht etwa, indem sie die Ökonomie begreift, ihre Grenzen deutlich macht, ihr Ziele vorgibt und sie schließlich reguliert, sondern indem sie sie scheinbar ignoriert, sich ihr aber faktisch unterwirft und dabei so tut, als ob sie (die Politik) doch noch das Sagen hätte. Da aber alle Parteien im Grunde so verfahren, werden sie ununterscheidbar und führen nur noch Scheingefechte.

Diese wahrhaft verrückte Situation, die sich immer wieder, auch am zehnten Jahrestag der Wiedervereinigung reproduzierte, war für mich der Anstoß, am Parlament vorbei für die Belange Ostdeutschlands aktiv zu werden. Der Aufruf zum 3. Oktober, den ich mit einer Reihe von Abgeordneten veröffentlichte, ging zunächst im offiziellen Festtagstrubel unter. Immerhin gelang die Gründung eines Arbeitskreises "Perspektiven für Ostdeutschland" aus Wirtschaftswissenschaftlern und Politikern, der sich bis heute nüchtern und kompetent mit den Problemen auseinandersetzt. Er erhielt neuen Zulauf, als Anfang Januar 2001 Wolfgang Thierse mit seinen Thesen zur ostdeutschen Situation hervortrat. Bekanntlich reagierte der Ost-Beauftragte der Bundesregierung Rolf Schwanitz abwehrend, statt den Impuls aufzunehmen. Ich habe daraufhin mit dem Arbeitskreis und einer großen Zahl von Persönlichkeiten Thierse im Februar öffentlich unterstützt. Die Medien haben das Thema nicht nur in großer Breite aufgegriffen, sondern auch erstaunlich lange an ihm festgehalten. Es erwachte bei uns die ernsthafte Hoffnung, dass sich durch den wachsenden öffentlichen Druck etwas politisch bewegen ließe. Ich saß in den Fraktionssitzungen und wartete, dass das Thema, das in der Presse so anhaltend auf der Tagesordnung stand, auch auf die der Fraktion kommen würde. Es gab einen entsprechenden Antrag der Linken, aber es geschah nichts dergleichen. Ich wartete, dass der Fraktionsvorsitzende oder der Kanzler wenigstens einmal dazu Stellung nehmen würden. Erst nach fünf Monaten setzte sich Peter Struck mit den ostdeutschen Abgeordneten zusammen, und noch etwas später Gerhard Schröder - allerdings ohne irgendeinen substanziellen Vorschlag zu machen. Aus der Diskussion mit dem Kanzler sind mir zwei Bemerkungen in Erinnerung geblieben: Wir sollten uns an Hans Eichel wenden, wenn wir mehr Geld haben wollten, denn zu einer Erweiterung der Haushaltsausgaben sei er laut Grundgesetz nicht befugt. Und: Wenn ich konkrete Vorschläge hätte, so sollte ich sie doch nicht der Presse, sondern ihm geben. Das habe ich auch umgehend getan (vgl. die "Bausteine zu einem Aktionsprogramm" auf den Seiten ??? dieses Buches), aber darauf nur eine Antwort von Rolf Schwanitz erhalten, in der er zu meinen Vorschlägen gar nicht Stellung nahm, sondern nur zu meiner Analyse der Situation. Immerhin gab es mit einem Beamten des Finanzministeriums, an das ich meine "Bausteine" ebenfalls geschickt hatte, ein erfreulich offenes Gespräch, zum Beispiel über die Auswirkungen der Stabilitätspolitik der Europäischen Zentralbank auf die wirtschaftliche Entwicklung Ostdeutschlands.

Nun kann man gegen meine ernüchternde Bilanz einwenden, der Vorstoß Thierses habe doch sicher dazu beigetragen, dass die Verhandlungen über den Solidarpakt II so schnell und erfolgreich abgeschlossen wurden. Das mag sein, und ich bin auch der Letzte, der den Abschluss des Paktes nicht begrüßen würde. Nur war er nicht das, was Thierse und was auch ich wollte. Wir wollen, dass sich jetzt etwas ändert in der Politik gegenüber den neuen Ländern, und zwar konzeptionell, nicht bloß, dass über zukünftige Gelder beschlossen wird.

Der Entscheidungssituation, in der sich die Politik nach vier Jahren Stagnation der ostdeutschen Wirtschaft befand, ist sie in charakteristischer Weise durch Vertröstung auf die Zukunft ausgewichen. Je später aber z. B. die Infrastrukturlücke geschlossen wird, desto unwahrscheinlicher wird es, dass der Aufholprozess überhaupt wieder in Gang kommt.

Soviel zu den Erfahrungen, die hinter dem zweiten Teil des Buches stehen. Auch in ihm taucht der Zusammenhang zum Globalisierungsproblem immer wieder auf.

Im dritten Teil geht es um die Globalisierung. Hier fügte es sich, dass der Bundestag just zu dem Zeitpunkt, als die Regierung den Versuch aufgegeben hatte, die Globalisierung der Weltwirtschaft an einer entscheidenden Stelle mitzugestalten, eine Enquetekommission zu diesem Thema eingerichtet hat: Böse interpretiert eine Art Ersatzbefriedigung oder Spielwiese für die Abgeordneten, die von der nun laufenden Politik der Anpassung an die angeblichen Weltmarktzwänge frustriert waren. Gutwillig interpretiert, handelte es sich um den - freilich etwas späten - Versuch, die Herausforderungen, vor denen nationale Politik heute steht, zunächst einmal zu erkunden; vielleicht auch, um ein solches Scheitern, wie es dem zur Unzeit vorgepreschten Oskar Lafontaine widerfuhr, zu vermeiden. Wie auch immer, es dürfte nach dem Gesagten klar sein, dass ich mich für diese Enquetekommission sofort gemeldet habe. Drei der abgedruckten Beiträge sind aus den Diskussionen in ihr erwachsen, insofern natürlich aus einem anderen Kontext als die beiden ersten Teile des Buches. Dennoch beziehen sie sich auf diese Teile, denn in der Kommission kamen genau die Vorurteile zum Vorschein, die eine andere Haushalts- und Steuerpolitik und neue Impulse für den Aufschwung Ost verhindern: die Forderungen des Weltfinanzmarktes seien rational, und die Integration in den Weltmarkt löse Entwicklungsprobleme. Ich bemühe mich, diese Vorurteile historisch-kritisch zu diskutieren und zu entkräften und die praktischen Konsequenzen jeweils sichtbar zu machen.

Zum Auftrag der Kommission gehörte es allerdings nicht, sich mit globalen Sicherheitsfragen zu befassen - ein Manko, das gerade in dieser Legislaturperiode besonders spürbar wurde. Man kann das ebenfalls unterschiedlich deuten: Entweder man hat beim Beschluss über die Einsetzung der Kommission einfach noch nicht geahnt, was alles auf uns zukommen würde. Oder die neuen sicherheitspolitischen Entscheidungen, die Regierung und Parlament zu treffen hatten, sollten von all zuviel Reflexion verschont bleiben.

Ich gehe hier nur auf eine dieser Entscheidungen ein, diejenige nämlich, die mir den letzten Anstoß dazu gegeben hat, mich endlich einmal gründlicher mit der Geschichte der militärischen Vorherrschaft der Vereinigten Staaten zu befassen. Es war der Beschluss vom November letzten Jahres, uns am sogenannten Krieg gegen den Terror zu beteiligen. Ich gestehe, dass die Tage und Stunden davor die qualvollsten meiner ganzen Abgeordnetenzeit waren. Die Qual wäre zweifellos verringert worden, wenn der Kanzler die Frage der Teilnahme an diesem Krieg nicht mit der Vertrauensfrage verknüpft hätte. Denn wenn ich nun gegen den Krieg stimmte, dann stimmte ich ja indirekt für Stoiber, also wieder für den Krieg. So blieb mir schließlich nichts anderes, als mit einem "Jein" zu antworten, d.h. dem Kanzler das Vertrauen auszusprechen und eine Erklärung abzugeben, dass ich diesen Krieg dennoch ablehne und eine mäßigende Einflussnahme der Europäer auf die Amerikaner fordere.

Der ganze Vorgang war ein Musterbeispiel für das, was ich oben schon angedeutet habe: Der Druck, der von der sogenannten Globalisierung ausgeht, wird als Zwang interpretiert und lässt dann logischerweise die repräsentative Demokratie zur Frace verkommen. Das betrifft nicht nur die in der Öffentlichkeit stark diskutierte Gewissensbindung des Abgeordneten, sondern auch die Gewaltenteilung. In einer Diskussion vor der Entscheidung hat Gerhard Schröder ziemlich klar durchblicken lassen, wie er die repräsentative Demokratie versteht. Er hat uns, die Mitglieder der SPD-Fraktion, nämlich als eine Art Elite angesprochen, die geschlossen hinter ihm stehen müsse, weil sie ja mit regiere. Von der klassischen Gewaltenteilung zwischen Legislative und Exekutive ist demnach keine Rede mehr, die Gewaltenteilung besteht nur noch ersatzweise zwischen Regierung und Opposition.

Hinzukam in diesem Falle, dass gar nicht die Opposition anderer Meinung war als die Regierung, sondern gerade Mitglieder der Regierungsfraktionen. Und indem deren Zustimmung erzwungen wurde, wurde die Opposition gegen ihre eigentliche Meinung zur Ablehnung genötigt. Das heißt es wurde exemplarisch die Belanglosigkeit der politischen Inhalte für die politische Form demonstriert, in der sie doch eigentlich auszutragen wären. So wird die Demokratie im Dienst angeblicher globaler Verpflichtungen unter den Augen der Bürger kaputtgemacht.

Worin bestand denn der globale Druck? Nach offizieller Lesart in der Gefährdung der Zivilisation durch den internationalen Terrorismus. Was "Zivilisation" heißt, worin die Ursachen der Gefährdung liegen und was dagegen zu tun ist, darüber durfte zwar hin und her diskutiert werden, aber nachdem darüber im Grunde von den USA schon entschieden war. So wurde aus dem Druck ein unmittelbarer Zwang, ihnen blind zu folgen, denn wer nicht für sie ist, der ist bekanntlich gegen sie und damit gegen "die Zivilisation".

Es blieb nur die "uneingeschränkte Solidarität", d.h. ein Widerspruch in sich, denn ein echter Freund oder Partner wird zwar mit Recht Solidarität von mir erwarten, aber doch nie die Preisgabe meiner Freiheit, ihn z.B. auch zu kritisieren und vor Fehlern zu warnen. Diese ist es ja gerade, die die Freundschaft wertvoll macht: Solidarität setzt definitionsgemäß Freiheit voraus.

Was mir selber jene Entscheidung so schwer gemacht hat, war nicht nur die Frage der deutschen Beteiligung an einem Krieg ohne Grenzen und klares Ziel, sondern dieses Gerede von uneingeschränkter Solidarität, das viele Ostdeutsche an die Phrase von der "unverbrüchlichen Freundschaft mit der Sowjetunion" erinnert hat. Der Unterschied ist allerdings, dass die meisten Ostdeutschen dies damals schon als Phrase empfunden haben, während viele Westdeutsche jenes Gerede heute durchaus ernst zu nehmen scheinen. Das hängt natürlich damit zusammen, welche von beiden Supermächten sich als der Sieger des Kalten Krieges erwiesen hat. Dennoch ist die Parallele fatal. Denn der Sieg des Westens schien doch gerade auch darauf zu beruhen, dass das Verhältnis seiner Führungsmacht zu den Bündnispartnern ein anderes war als im Osten.

Erst in der rot-grünen Legislaturperiode 1998-2002 ist mir so recht deutlich geworden, wie gering im Grunde die Souveränität der Bundesrepublik ist. Das begann schon sichtbar zu werden, bevor die neue Regierung ihr Amt antrat, beim traditionellen Besuch in Washington. Der Kanzler und der Außenminister wurden gefragt, ob Deutschland bei einem möglichen militärischen Einsatz gegen Jugoslawien mitmachen würde. Schröder bejahte, Fischer bat sich Bedenkzeit aus, um mit seiner Fraktion zu sprechen. Als sie zurückgekehrt waren, rief Clinton an und teilte mit, es gebe keine Bedenkzeit mehr, die Entscheidung müsse sofort getroffen werden. Hätte Fischer jetzt nicht Ja gesagt, dann hätte es gar keine rot-grüne Regierung gegeben. Es gibt sie sozusagen nur mit Genehmigung Washingtons. (Die Zeit, 12.5.99; Der Spiegel 16/99)

Noch anschaulicher wurde die Abhängigkeit von den USA in der Sondersitzung des Bundestages unmittelbar nach dem 11. September; wobei ich nicht verkenne, dass dies eine besondere Situation war. Aber mussten denn in ihr zunächst der Kanzler und dann der Reihe nach alle Fraktionsvorsitzenden auftreten und einander in Ergebenheitsbekundungen gegenüber den USA überbieten, deren Botschafter auf der Tribüne saß und sie entgegennahm? Ich hatte das unangenehme Gefühl, in einen falschen Film geraten zu sein.

Die Debatten in der Fraktion über die Beteiligung am Antiterror-Krieg waren dann zwar intensiv, zeigten jedoch zugleich, wie tief die Vasallentreue verinnerlicht und im Denken verankert ist. Denn es wurde nur über die militärischen, völkerrechtlichen und moralischen Probleme diskutiert, nicht aber über das eigentlich politische Problem, welche geostrategischen und ökonomischen Interessen denn die Weltmacht mit diesem Krieg womöglich verfolgt, und wie diese sich zu unseren, den deutschen bzw. europäischen Interessen verhalten. Es war eine Debatte, die hinter dem, was in den kritischen Medien längst verhandelt wurde, deutlich zurückblieb - im Grunde Außen- und Sicherheitspolitik für brave Kinder.

Bezieht man die Sicherheitspolitik in den Diskurs über die "Globalisierung" mit ein, so wird meines Erachtens die Komplexität des Themas keineswegs noch vergrößert, sondern manches stellt sich sogar einfacher dar. Nach Ch. Johnson z.B. sehr viel einfacher: Die Vereinigten Staaten hätten Anfang der 90er Jahre, "befreit von der ihnen im Kalten Krieg auferlegten Notwendigkeit eines vorsichtigen Vorgehens, ... einen gerne unter dem Schlagwort ›Globalisierung‹ abgehandelten Feldzug gestartet, mit dem sie den Rest der Welt zur Übernahme ihres Kapitalismusmodells zwingen wollten." (Johnson, 253)

Dieser "Feldzug" ist inzwischen zum Feldzug im wortwörtlichen Sinne geworden, so dass man erkennen kann, worauf das, was zunächst so vielsagend "Globalisierung" hieß, womöglich hinausläuft. Es ist eine Mehrheit in Deutschland, die das inzwischen deutlich spürt. Hinzukommt, dass die Globalisierung zugleich ökonomisch jetzt ein ganz anderes Gesicht zeigt als 1998. Das alles hat vermutlich auch die Regierung nachdenklich gestimmt. Sorgen wir dafür, dass die Nachdenklichkeit anhält und in anderen Bereichen zu ähnlichen Konsequenzen führt wie in der Friedensfrage. Das wäre nur logisch.


Leseprobe 2

Zusammenhänge


Der Leser schaut dabei jetzt vom Ende des Buches auf den Anfang zurück und kann so auf dem Hintergrund dessen, was er über die Globalisierung erfahren hat, die Politik der letzten Regierung zur "Modernisierung" Deutschlands und speziell Ostdeutschlands (hoffentlich) besser einschätzen (einordnen).

Es wird aufgefallen sein, dass die drei behandelten Bereiche nicht isoliert gesehen wurden, sondern schon im Kontext mit anderen: der Welthandel konfrontiert mit der Entwicklungsproblematik und auch der Außenpolitik, der Weltfinanzmarkt in Beziehung zur Realwirtschaft und Außenpolitik, die Sicherheitspolitik wiederum auf der Folie von Wirtschaft und Ökologie. Insofern sind Querverbindungen schon hergestellt und brauchen hier nur noch vertieft und - soweit es gelingt - zu einem Gesamtbild vereinigt zu werden.

1. Handel und Sicherheitspolitik

Das erste Vorurteil in bezug auf die "Globalisierung", das wir aufspießen mussten, besagt, es handle sich bei ihr um einen Vormarsch des freien und friedlichen Handels gegenüber den politisch-militärischen Konflikten zwischen den Nationen, die somit zunehmend der Vergangenheit angehören. Dieser Glaube ist zumal in der Bundesrepublik stark verbreitet, einmal aufgrund ihrer Exportorientierung, zum andern aufgrund der Weltkriegserfahrung und des geringen außenpolitischen Handlungsspielraums danach. Er ist der (alten) Bundesrepublik geradezu auf den Leib geschnitten, jedoch neuerdings, und zwar gerade unter der rot-grünen Regierung, ins Wanken geraten.

Das Vorurteil hat aber auch eine systematische Bedeutung für das Verständnis von Globalisierung überhaupt. Denn die Theorie, mit der es begründet wird - Ricardos Lehre von den komparativen Kostenvorteilen -, ist die Übertragung des liberalen Gesellschaftsmodells auf die internationalen Beziehungen. Hält man sie für richtig, so wird man Globalisierung also auch im liberalen Sinne begreifen (und z. B. nicht in einem sozialdemokratischen Sinne). Das ist auch der Grund, weshalb wir bei unserer historischen Kritik so weit ausholen und bis zu Ricardo zurückgehen mussten.

Wenn wir bei der Geschichte des Freihandels zu dem Ergebnis kamen, dass der Handel die meiste Zeit über gerade nicht zum wechselseitigen Vorteil erfolgte, oder jedenfalls nicht zum gleichen Vorteil der Beteiligten, dann ist der Zusammenhang zur Außen- und Sicherheitspolitik schon unmittelbar gegeben. Denn es ist damit ja gesagt, dass er eine Äußerung nationalstaatlicher Interessenpolitik war und zugespitzt sogar eine Form des latenten Krieges aller gegen alle. Auch im Außenhandel befanden sich die Nationen demnach weithin im Hobbeschen "Naturzustand", und nur insofern in einem Rechtszustand, als sie sich der stärksten Nation unterordneten. Das war zuerst Großbritannien und dann - nach dem Wiederaufbrechen des Naturzustands in der Weltwirtschaftskrise und dem Weltkrieg - waren es die Vereinigten Staaten. Sie waren eine Bastion des Protektionismus bis zu dem Zeitpunkt, als ihre ökonomische und militärische Überlegenheit gesichert schien, und erst dann proklamierten und organisierten sie den weltweiten freien Handel. Dieser Träger globaler Kooperation waren sie freilich erstens nur für die westliche Welt, d. h. mit sicherheitspolitischer Stoßrichtung gegen die östliche. Auch für diese galt aber insofern das Ricardosche liberale Modell des internationalen Zusammenlebens, als es ja der Abschreckungsstrategie zugrundelag: Wie das Gemeinwohl, so sollte auch der Frieden nicht angestrebt, sondern indirekt erreicht werden, indem jeder sein Sicherheitsinteresse verfolgt, d. h. den andern gerade mit Vernichtung bedroht. - Zweitens waren die USA nur bis Anfang der 70er Jahre der Träger globaler Zusammenarbeit, weil ihre wirtschaftliche Überlegenheit nun zu schwinden begann und sie sich seit 1980 dezidiert auf ihr nationales Interesse zurückzogen. Die Losung war: "Was für Amerika gut ist, ist auch für die Welt gut", und dem Protektionismus im Handel korrespondierte die Strategie des begrenzten, darum führbaren Atomkriegs bzw. das Projekt eines Raketenabwehrsystems. Die relative Schwäche der amerikanischen Wirtschaft und der aggressive Rückzug aus der Weltverantwortung führten schon damals zum Vergleich mit dem Niedergang der britischen Hegemonie; und sie führen spätestens heute zu der entscheidenden Frage, ob wir uns denn seitdem nicht auch in bezug auf den Weltmarkt wieder im Naturzustand befinden.

Dagegen spricht natürlich zunächst, dass die Handelsschranken durch die GATT- bzw. WTO-Vereinbarungen weiter abgebaut worden sind und der weltweite Austausch von Waren und Dienstleistungen in der Tat beträchtlich zugenommen hat. Schaut man jedoch genauer hin, so stellt man bald fest, dass ein freier Handel im Sinne Ricardos eigentlich nirgends recht erkennbar ist, ganz zu schweigen von einer Verbesserung der Bedingungen, die eine Teilnahme an solchem Handel erst erlauben. Die beängstigenden Paradoxien, auf die man hier stößt, können auch nicht etwa mit der üblichen Differenz zwischen reiner Theorie und vermischter Empirie entschuldigt werden.

Bekanntlich findet die zunehmende Handelsverflechtung zu 80 % zwischen den entwickelten Industriestaaten statt. D. h. zunächst, dass die Entwicklungsländer und damit die große Masse der Menschen dieser Erde kaum an ihr teil hat. Aber der Handel zwischen den Industrieländern folgt auch gar nicht dem Ricardoschen Prinzip der Spezialisierung! Sondern die Mehrzahl der Güter wird in der Mehrzahl der Länder gleichzeitig hergestellt und um der Vielfalt des Angebots willen untereinander ausgetauscht. Offenbar vermeiden die Industrieländer eine allzu strikte Spezialisierung, weil sie in der Tat Verengung und Abhängigkeit bedeutet. Hinzukommt ein hoher Anteil (beim US-Handel 34-44%!) von Güteraustausch innerhalb der multinationalen Konzerne, der mehr mit Planwirtschaft als mit Handel nach Marktgesetzen zu tun hat. Und was ist mit dem gewaltigen außenwirtschaftlichen Ungleichgewicht, das sich zwischen den USA und Japan aufgebaut hat? Nach herrschender Lehre hätte das der Markt eigentlich längst beheben müssen (vgl. Samuelson/Nordhaus (1998): 830), was er jedoch nicht kann, weil es seine Ursache in der amerikanischen Hegemonialpolitik hat.

Soweit die Entwicklungsländer in den Welthandel einbezogen sind, gibt es zwischen ihnen und den Industrieländern zwar eine Arbeitsteilung, die man von Ricardo her interpretieren kann: Ihr komparativer Kostenvorteil liegt offenbar bei der billigen, unqualifizierten Arbeit, und der der Industrieländer bei der teuren, qualifizierten Arbeit. Aber damit wird Ricardo zugleich widerlegt, weil zwischen beiden nun wieder kein freier Handel stattfindet! Denn einerseits nehmen die meisten Entwicklungsländer nicht etwa freiwillig am Handel teil, um ihre komparativen Kostenvorteile zu nutzen, sondern gezwungenermaßen, um ihren Schuldenberg abzutragen. Und andererseits schützen sich die Industrieländer gerade gegen deren billige Textil- und Agrarprodukte und bauen außerdem durch vielfältigen indirekten Protektionismus ihren Qualifikationsvorsprung aus.

Zwischen den Entwicklungsländern schließlich findet überhaupt nur wenig Handel statt, und wenn, dann in beträchtlichem Umfang einer, der wieder in anderer Hinsicht diesen Namen gar nicht verdient, weil er einfacher Gütertausch ohne Geld ist (Barter, Kompensationsgeschäfte, countertrade). Der Anteil dieser Geschäfte am Welthandel wird immerhin auf 10-25 % geschätzt. (vgl. Altvater/Mahnkopf (2002): 198) Sie folgen meist aus dem Mangel an Devisen und bilden das Pendant zum Güteraustausch innerhalb der transnationalen Konzerne. Diese Rückfälle hinter die zivilisatorischen Errungenschaften des Geldes und des Marktes sind eine treffende Illustration dessen, was wir mit "Naturzustand" meinen.

2. Finanzmarkt und Realwirtschaft

Wir haben den Weltfinanzmarkt deshalb mit der Realwirtschaft konfrontiert, weil er ein Instrument vernünftiger Investitionslenkung und insofern ein "Wahrheitsmechanismus" sein soll. (C. C. von Weizsäcker 1999: 35) Die ökonomische Schulweisheit will uns überzeugen, er diene dazu, die vielen verschiedenen Investitionsvorhaben auf ihre reale Durchführbarkeit hin zu prüfen und das Geld sozusagen an die richtige Stelle zu bringen. Zugleich diene er der Überwindung des Abstands zwischen Entwicklungs- und Industrieländern: Denn die einen, die aufholen wollen, brauchen mehr Kapital als sie selber bilden können; das aber bekommen sie von den andern, die es ja haben, aber nicht mehr so hohe Wachstumsraten brauchen. (ebenda: 138)

Ein erster vorsichtiger Einwand gegen diese schöne Theorie ist, dass es dann wohl immer die Kapitalgeber aus den Industrieländern sind, die prüfen, und die Entwicklungsländer diejenigen, die geprüft werden. Ein zweiter ist: Ob die Prüfung der Zukunftsprojekte, da sie ja nur von der bisherigen Erfahrung ausgehen kann, nicht immer bloß auf eine Fortschreibung der bisherigen Situation hinauslaufen wird? Innovative Lösungen werden in Entwicklungsländern auf diese Weise kaum zustande kommen.

Wir haben an der Krisengeschichte aber gesehen, dass die Theorie auch empirisch gar nicht zutrifft! Und dagegen hilft es auch nicht, wenn die herrschende Lehre einräumt, dass sie nicht vollkommen zutreffe, und sich mit "Marktunvollkommenheiten" herausredet. Denn erstens haben Japan und zumal die asiatischen Tigerstaaten, die lange Jahre die höchsten Wachstumsraten der Geschichte aufwiesen, diese durch eigene Sparanstrengungen erreicht, brauchten also gar kein Kapital von außen. Zweitens hat sich dennoch das ausländische Kapital auf diese Tiger gleichsam draufgesetzt, um von ihrer Kraft zu profitieren. D. h. das Kapital verhält sich "prozyklisch", geht gerade dorthin, wo es nicht gebraucht wird, wo aber etwas zu holen ist. (Jeder kleine Unternehmer weiß, dass die Banken die Regenschirme in der Regel gerade dann verleihen, wenn die Sonne scheint.) Drittens geht es von dort gerade weg, wo es gebraucht wird, was wir ebenfalls an der Asienkrise und dem darauf folgenden Rückzug aus den Entwicklungsländern sehen konnten.

Dann aber ging das Kapital dorthin, wo aufgrund der neuen Technologien vermeintlich viel zu gewinnen war, in die Vereinigten Staaten. Und es prüfte dort die Investitionsvorhaben so hervorragend auf ihren Realitätsgehalt, dass der größte Schwindelmechanismus seit der Weltwirtschaftskrise zustande kam. Die Anleger waren also keineswegs die Anwälte der Realität gegenüber den Träumen der Investoren, sondern haben umgekehrt aus Investoren erst Träumer gemacht.

Der Grund war jedoch nicht bloß, dass die Anleger sozusagen nicht mehr wussten wohin mit ihrem Geld, sondern dass die Finanzsphäre schon lange den konkreten Bezug zur Realwirtschaft verloren hatte. Gewiss ist sie der Realwirtschaft im modernen Kapitalismus immer schon übergeordnet. Während sie aber nach den Erfahrungen der Weltwirtschaftskrise - getragen von der Wirtschaftskraft der USA - politisch reguliert wurde (Bretton Woods), ist mit der Deregulierung der Finanzmärkte seit den 70er Jahren eine historisch völlig neue Situation eingetreten. Sie wurde herbeigeführt durch Zerfallserscheinungen in den damaligen drei "Welten", aber auch - parallel zum Bereich des Handels - durch den Rückzug der USA auf ihr nationales Interesse. Während es ihr im Innern jetzt um strikte Geldwertstabilität ging, wurden nach außen die Wechselkurse "freigegeben", d. h. ihrer Labilität überlassen. Die nun ausbrechende Konkurrenz unter den zahlreichen nationalen Währungen drängt wieder den Vergleich mit dem Naturzustand in den internationalen politischen Beziehungen auf. Denn ganz im Gegensatz zu der intensiveren wirtschaftlichen Zusammenarbeit, die die Globalisierung jedenfalls erwarten lässt, kam es nun zu einer Zersplitterung der Geldversorgung und zunehmenden Differenzierung zwischen wenigen starken und einer großen Zahl von schwachen Währungen, bis hin zum Verzicht von Staaten auf eine eigene Währung, d. h. der Dollarisierung für die Oberschichten und dem Rückfall in Naturalwirtschaft bei den Mittel- und Unterschichten. Man hat das mit Recht monetäre Barbarei genannt.

Mit der derzeitigen Krise der Finanzsphäre wird der latente Naturzustand, in dem sie sich schon seit den 70er Jahren befindet, manifest. Ich rufe einiger ihrer Merkmale in Erinnerung, die diese Diagnose rechtfertigen.

1. Ablösung vom realen Handel
Das Wachstum des Weltfinanzmarktes verlief in astronomischen Dimensionen. So haben die Auslandsguthaben der Banken weltweit seit 1980 jährlich um fast 30% zugenommen. Der tägliche Umsatz an den Devisenmärkten belief sich 1998 auf rund 1,5 Billionen Dollar; aber nur 3-5% davon sind zur Finanzierung des Exports von Waren und Dienstleistungen erforderlich. (Enquetekommission (2002): 64) Die überwiegende Masse der Transaktionen dient der Absicherung gegen Währungs-, Aktienkurs- oder Zinsrisiken bzw. der reinen Spekulation. Diese Masse kann durchaus als Maß für die Erschwerung des realen Handels verstanden werden. Denn indem der Handel von "bürokratischen Hindernissen" wie Kapitalverkehrskontrollen befreit wurde, ist er ja durch diese zusätzlichen Geldgeschäfte belastet worden.

2. Spielcasino
Der Markt wartet außerdem mit immer raffinierteren "innovativen Produkten", d.h. lukrativen Möglichkeiten der Geldanlage auf. Die zunächst zur Absicherung von Liefergeschäften geschaffenen derivativen Finanzinstrumente (Optionen, Futures usw.) werden selbst wiederum gehandelt und damit zum Spekulationsobjekt, zum Gegenstand von Wetten über die Devisenkurs-, Aktienkurs- oder Zinsentwicklung. Betrug das Volumen der bestehenden derivativen Finanzinstrumente Ende 1987 noch 1,3 Billionen Dollar, so waren es Ende 1993 bereits 14 Billionen, also mehr als das Zehnfache und sind es heute sage und schreibe 100 Billionen! (Enquetekommission (2002): 65)

Natürlich können wir, sofern die Zukunft offen ist, über sie nur spekulieren, ist jede Geldanlage in gewissem Sinne spekulativ. Wenn aber Kredit und finanzielles Engagement Vertrauen in die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des andern und Glauben an den Fortschritt des Ganzen voraussetzen, so ist dieses Ausufern der Spekulation gerade Ausdruck eines tiefen Misstrauens gegenüber den Investoren und des Zweifels an der realwirtschaftlichen Entwicklung überhaupt. Auf der Basis dieses Misstrauens und Zweifels kommt es dann zu überschwänglichen Hoffnungen.

3. Instabilität
Die Instabilität ist zunächst schon mit dem Schwanken der Wechselkurse gegeben, d.h. damit, dass die Relationen zwischen den verschiedenen Währungen seit den 70er Jahren als sich selbst regulierende Marktbeziehungen konzipiert wurden. Das war historisch völlig neu! Ist die Währung eines Staates überhaupt eine Ware, die für einen Markt produziert wird und deren Preis durch den Mechanismus von Angebot und Nachfrage bestimmt wird? Oder ist die Geldordnung nicht ein öffentliches Gut? Geld, griechisch nomisma, kommt von nomos, das heißt Gesetz, Recht!

Sodann gilt zwar für jeden Einzelfall eines Terminkontrakts (einer solchen Wette), dass der eine gewinnt, was der andere verliert, dass insofern also keine öffentlichen Kosten entstehen. Das ist aber kein Trost für die Gesellschaft als ganzes, denn wenn viele (oder einige große Fonds) z.B. auf die Abwertung einer Währung "setzen" und eine entsprechende Geldlawine in Bewegung setzen, dann können Währungen und ganze Volkswirtschaften ins Wanken geraten. Wie wir am Verhältnis USA - Japan oder Dollar - Euro gesehen haben, verstärkt der Weltfinanzmarkt außerdem außenwirtschaftliche Ungleichgewichte, statt sie abzubauen.

4. Undurchsichtigkeit
Fragt man sich einmal, was die demokratische Öffentlichkeit und zumal die Mehrheit der Bevölkerung, die nicht über große Vermögen verfügt, eigentlich vom Finanzmarkt weiß, so wird deutlich, dass es sich bei ihm um eine Art metaphysische Sphäre handelt. Diese Sphäre lebt auch in hohem Grade genau davon, dass man nicht viel von ihr versteht; und weil die Menschen und selbst die Fachleute nicht viel von ihr wissen, wird sie ihnen zum Schicksal. So hätte die Pleite eines der exklusivsten und attraktivsten Hedge-Fonds (Long Term Capital Management) im September 1998 die amerikanische Wirtschaft schon zu diesem Zeitpunkt beinahe in eine tiefe Finanzkrise gestürzt. Krugman erinnert sich, dass ein Notenbankvertreter damals auf die Frage, was denn jetzt zu tun sei, nur antwortete: "Beten". Und er meint, dass womöglich nicht die Stützungsaktion, die die Zentralbank einleitete, die Situation gerettet habe, sondern der quasireligiöse "Glaube" an die Fed. Aber erst in der Krise stellte sich heraus, dass weder die Aufsichtsbehörden noch die Banken selber eine Ahnung von der Verschuldung des Fonds hatten! Mit ganzen 5 Mrd. Dollar Eigenkapital hatte er 125 Mrd. Dollar Kredite erhalten und diese wiederum für spekulative Geschäfte im Umfang von 1250 Mrd. Dollar verwendet! Die Hedge-Fonds "bewegen sich", wie die Bundesbank feststellt, "weitgehend im regulatorischen und aufsichtsrechtlichen Niemandsland". Aber nicht nur diese.

5. Verselbständigung gegenüber der Produktion
Zur Verselbständigung der Finanzsphäre gegenüber dem Handel kommt die gegenüber der Produktion. Sie hängt wieder mit der höheren Mobilität des Geldes gegenüber dem Sachkapital zusammen: Seine Transaktionskosten sind viel niedriger und seine Preise (Zinsen, Kurse) bilden sich sehr viel schneller. Dadurch wird das Geldkapital aber gleichsam zur Onanie verführt, also dazu, sich hauptsächlich mit sich selbst zu beschäftigen, statt sich auf die Bindung an eine Frau und das Risiko von Kindern einzulassen: Das einzelne Geldkapital wandert jeweils dorthin, wo es schnellen Gewinn machen kann, nicht aber dorthin, wo es zur Investition und Produktion gebraucht wird. So werden die Produktionsunternehmen selber zunehmend zu Finanzinstituten, wie das Beispiel Siemens zeigt. Der Anteil der bloßen Vermögenseinkommen an den Unternehmereinkommen ist in der Bundesrepublik Deutschland von 7% im Jahr 1960 auf 50% im Jahre 1992 gewachsen!

6. Shareholder value
Wenn aber das Geld sich gnädig auf produktive Investitionen einlässt, dann zu seinen Bedingungen. Ein Symptom dessen ist, dass unter "Investition" heute jede beliebige Geldanlage verstanden wird. Wie sich Vermögen vermehrt, ist also gleichgültig. Wird es aber im produktiven Bereich angelegt, dann wird von den Aktionären Druck auf die Manager ausgeübt, dass es sich schnell vermehrt. Das bedeutet das Konzept des Shareholder value. Die Aktionäre haben gegenüber den Managern das Sagen, und der Börsenkurs wird wichtiger als der Gewinn.

Das kann zu der Paradoxie führen, dass kleine Unternehmen mit niedrigem oder keinem Gewinn höher bewertet sind als große Unternehmen mit hohem Gewinn - ein sehr anschaulicher Beleg für die Dominanz des reinen Geldgeschäfts über die reale Produktion. Denn der Kurs hängt nicht eigentlich vom langfristig erwarteten Gewinn ab, sondern von der Meinung der Aktionäre, die sie von der Meinung der Aktionäre haben (Herdenverhalten). Die Dominanz kommt schließlich in der bekannten Erscheinung zum Ausdruck, dass der Aktienkurs gerade dann steigt, wenn Arbeitsplätze abgebaut werden. Spielt es also für die Geldanleger keine Rolle mehr, ob ein Unternehmen solide wirtschaftet oder nicht, und ob menschliche Arbeit überhaupt noch zum Einsatz kommt oder nicht? Wissen sie nicht, dass sie damit ihre eigenen Lebensgrundlagen zerstören? Ihre Antwort wird sein, dass sie die Realwirtschaft keineswegs ruinieren, sondern nur umstrukturieren wollen bzw. nur der Umstrukturierung folgen, die dort schon im Gange ist.

7. Inflation der Erwartungen
Damit ist noch einmal der Zusammenhang zwischen globaler Geldherrschaft und moderner IuK-Technologie bzw. "New economy" angesprochen. Dass die Möglichkeiten der Rationalisierung, die diese Technologie bietet, unmittelbar zur Expansion des Weltfinanzmarktes beigetragen haben, ist klar. Die Frage ist aber, ob diese technologischen Potenzen sich von selber durchsetzen, bisherige Arbeit überflüssig machen und so erst den Selbstlauf des Geldes erzeugen. Oder ob nicht umgekehrt die Umsetzung dieser Potenzen erst durch den Rationalisierungsdruck, der von den Geldanlegern ausgeht, erzwungen wird? Jedenfalls waren die Erwartungen der Aktionäre, die sich auf die IuK-Technologien bezogen, inflationär. So war allein Microsoft 1999 mehr wert als alle Stahlkonzerne der Welt. Und Daimler-Chrysler hatte zwar 22 mal mehr Mitarbeiter als der Software-Anbieter SAP und machte 29 mal mehr Umsatz, aber der Börsenwert des Unternehmens aus Walldorf betrug 90 Milliarden Euro, der des Stuttgarter Riesen bloß 70 Milliarden Euro!

3. Sicherheitspolitik und Finanzmarkt

Wenn wir "realistisch" im Sinne von Hobbes denken, dann spricht viel dafür, dass das amerikanische Streben nach Vorherrschaft dem Ziel des Friedens dient, sogar in einem umfassenden Sinne. Denn wie soll angesichts der Schwäche der Vereinten Nationen, aber auch des latenten "Naturzustands" im Bereich des Welthandels oder des Weltfinanzmarkts ein Rechtszustand letztlich anders hergestellt werden als durch eine überlegene Sanktionsgewalt?

Wenn die Verkehrswege z. B. nicht sicher sind oder der Einsatz von Kapital in anderen Ländern mit hohen Risiken verbunden ist, dann gibt es auch keine globale wirtschaftliche Entwicklung. "Ohne die Vorherrschaft der USA wird es auf der Welt mehr Gewalt und Unordnung und weniger Demokratie und wirtschaftliches Wachstum geben, als es unter dem überragenden Einfluss der Vereinigten Staaten auf die Gestaltung der internationalen Beziehungen der Fall ist." (Huntington in: Brzezinski (1999): 53f.)

Wir haben diese Sicht allerdings infragegestellt, und zwar sowohl vom Standpunkt des Rechts als auch vom Standpunkt der Macht aus. Denn wir fanden es einerseits unerträglich, dass genau die Macht, die das Recht durchzusetzen beansprucht, sich selber immer weniger ans Recht hält und so auch die weltwirtschaftliche Entwicklung immer weniger fördert. Andererseits fanden wir es fraglich, ob sie ihre Überlegenheit auch in Zukunft würde erhalten können. Wir wurden auch den Verdacht nicht los, dass dies beides miteinander zusammenhängt: Die USA halten sich immer weniger ans Recht, weil sie ihre Überlegenheit schwinden sehen. Und weil sie sich immer weniger ans Recht halten, stoßen sie auf immer weniger Kooperationsbereitschaft, schwindet daher ihre Überlegenheit noch zusätzlich. Das ist der Teufelskreis, in dem sich die amerikanische Politik bewegt und auf den man sie dringlich hinweisen muss. Denn nach unserer Auffassung kann die Völker nur noch Gemeinsamkeit stark machen.

Der Teufelskreis lässt sich sehr gut am Wechselverhältnis von amerikanischer Sicherheitspolitik und Weltfinanzmarkt studieren. Der relative Niedergang ihrer wirtschaftlichen Stärke und die hohen Kosten des Vietnamkrieges waren die wesentlichen Ursachen dafür, dass die USA das System von Bretton Woods preisgaben und ihr Heil in der Deregulierung des Finanzmarkts suchten. Aber war das eine Lösung der entstandenen Probleme? Wir haben oben schon den liberalisierten Finanzmarkt als eine Art Erweiterung des Naturzustands diagnostiziert, der in den internationalen Beziehungen ohnehin herrschte (damals in Gestalt des labilen Gleichgewichts des Schreckens). Die Diagnose wird bestätigt durch die kräftige Belebung, die der Finanzmarkt erfuhr, als Reagan nicht etwa die Wettbewerbsfähigkeit der amerikanischen Wirtschaft förderte, sondern seine Hochrüstung durch Schuldenmachen finanzierte. Dieser "Wahrheitsmechanismus" Finanzmarkt scheint also für Rüstungsabenteuer und einen möglichen Weltkrieg durchaus aufgeschlossen zu sein. Die USA bekamen das gewünschte Kapital natürlich wegen der angebotenen enorm hohen Zinsen. Aber wo war eigentlich die reale "Sicherheit", die die USA angesichts ihrer wirtschaftlichen Schwäche bieten konnten? Es konnte eigentlich nur der Glaube daran sein, dass sie ihre militärische Macht schon auch zu ihrem ökonomischen Vorteil nutzen würden; und dass sie sie zum weltweiten Schutz der Vermögen einsetzen würden. Die Geldanleger scheinen demnach mindestens so viel von militärischer Macht zu halten wie von realwirtschaftlichen Investitionen. Es scheint ihnen durchaus gleichgültig zu sein, ob in Produktion oder in Destruktion investiert wird.

Manche Autoren sehen daher in der Hinwendung der amerikanischen Politik zum Finanzmarkt ein Symptom des Niedergangs. Greider etwa beobachtet den entsprechenden Wertewandel in der amerikanischen Elite und zieht die Parallele zum "Gentlemankapitalismus" in der Spätzeit des britischen Empire. "In den langen, expansiven Zyklen des Kapitalismus wird das Endstadium gewöhnlich vom Finanzkapital beherrscht. Es verdrängt Erfinder und Industrielle, mit denen die Epoche begonnen hat, und besitzt mehr Macht als die Regierungen ..." (Greider (1999): 361.406; vgl. auch Johnson (2000): 262f. 290)

Erstaunlich bleibt, wie es den USA gelingen konnte, ihre politische Hegemonie zu festigen, obwohl sich der relative realwirtschaftliche Abstieg fortsetzte, obwohl sie selber zum größten Schuldner der Welt wurden und obwohl sie selber unter Clinton zum Sparen genötigt wurden. Das alles setzt doch offenbar eine eigenständige Finanzsphäre voraus, die auch gegenüber dem mächtigsten Staat der Welt das Sagen behält! Aber der Grund für die Festigung der Hegemonie ist nicht nur, dass großer Reichtum geschützt sein will, ein globaler Vermögensmarkt daher eine ebenso globale Sicherheitspolitik braucht, die nun einmal nur die USA zustandebringen; der Grund ist auch die Dominanz der Amerikaner auf dem Finanzmarkt selber, auf die wir oben hingewiesen haben (Bedeutung des Dollar, der Fonds, der Ratingagenturen), und in seinen Hilfsinstitutionen (IWF und Weltbank). Indem die USA diesen Markt sich selbst überließen, konnten sie erstens als der mächtigste Teilnehmer an dem nun ausbrechenden bellum omnium contra omnes ja nur gewinnen, und sie liberalisierten ihn zweitens nur zum Schein, denn eigentlich behielten sie eben auch institutionell alles im Griff. Es ist dieselbe Paradoxie, wie wir sie schon beim Freihandel beobachten konnten: Auch dort war es nicht die Idee des freien Handels, die sich durchsetzte, sondern es war der entschiedenste und erfolgreichste Protektionist, der sie als Ideologie durchsetzte, weil er den Markt beherrschte.

Nachdem die USA also ihre dominierende Stellung im Handel und der Realwirtschaft überhaupt verloren hatten, konnten sie sich bei der Erhaltung ihrer politischen Hegemonie immer noch auf die Finanzsphäre stützen und verfuhren dabei nach demselben Schema. Der einzige Haken an der Sache war, dass die Finanzsphäre bei aller Abgehobenheit doch von Handel und Produktion abhängig bleibt. Das wurde jedoch dadurch wettgemacht, dass sie ja zugleich ihnen gegenüber eine Steuerungsfunktion erfüllt, dass das Geld ja gleichsam der Geist der Wirtschaft ist. Es war daher schon ein kluger Schachzug, sich bei der Sicherung der Hegemonie auf den Finanzmarkt zu verlegen, denn damit schlugen die USA sozusagen gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Sie behielten die Masse des Geldreichtums der Welt auf ihrer Seite und erlangten indirekt zugleich ihren Einfluss auf die Steuerung der Realwirtschaft zurück.

Wenn man die bestimmende Rolle der Vereinigten Staaten auf dem globalen Finanzmarkt, und wiederum dessen bestimmende Rolle gegenüber dem globalen Warenmarkt sich klarmacht, dann braucht man keine Verschwörungstheorie mehr, um zu verstehen, weshalb sie von all den nun folgenden, oben geschilderten Krisen immer nur profitiert haben. Entsprechend war das für die Menschheit gewiss keine wohltätige Hegemonie mehr, höchstens für die schon Wohlhabenden. Der Krisenprozess hat eine klare, einheitliche Tendenz, und es ist Blindheit, ihn auf jeweils besondere realwirtschaftliche Fehlentwicklungen in den einzelnen Ländern bzw. Regionen zurückführen zu wollen, die es natürlich gab.

Anfang der 80er Jahre beginnt die Schuldenkrise der Dritten Welt, die zu deren Eingliederung in den Weltmarkt führt und eigenständige Entwicklung der Länder weithin beendet. Etwa zur gleichen Zeit beginnt die Krise des europäischen Wohlfahrtsstaats, wobei Europa die amerikanische Hochrüstung gegen die Sowjetunion mitfinanziert. Ende der 80er Jahre folgt aus Rüstungszwang und Verschuldung der Zusammenbruch der Zweiten Welt, der die betreffenden Länder ebenfalls dem Weltmarkt zuführt und sie meist auf den Status von Entwicklungsländern zurückstuft. Anfang der 90er Jahre kommt es zum Finanzcrash und einer anhaltenden Wachstumsschwäche des bisherigen realwirtschaftlichen Giganten Japan. Bemerkenswert daran ist, dass Japan den USA ökonomisch über den Kopf gewachsen, politisch aber von ihnen völlig abhängig war und vor der Krise seinen Finanzmarkt hatte öffnen müssen. 1994 beweist die Mexikokrise exemplarisch, dass die Integration in den Weltmarkt als solche keineswegs zu tragfähiger Entwicklung führt. 1997/98 werden mehrere Länder der stärksten Wachstumsregion der Welt in Südostasien, nachdem sie sich dem globalen Finanzmarkt geöffnet hatten, in eine schwere Depression getrieben. Sie hat 1998/99 u. a. deshalb verheerende Auswirkungen auf Russland und Brasilien, weil die Kapitalgeber sich jetzt "verunsichert" aus den Entwicklungs- und Schwellenländern zurückziehen. Das zeigt sich auch seit 2001 in Argentinien, wo als Krisenursachen die Dollarbindung des Peso und die nicht bewältigte Verschuldung aus den 80er Jahren hinzukommen. Insofern kehrt hier der Finanzmarkt gewissermaßen zu seinem Ausgangspunkt zurück und offenbart, dass er kein Instrument zur Lösung von realwirtschaftlichen Problemen, sondern eher zum Erzeugen oder jedenfalls zum Vor-sich-Herschieben der Probleme ist. Es ist eben kein "Wahrheitsmechanismus" für eigenständige volkswirtschaftliche Entwicklung, sondern ein Mechanismus zur Vermögenssicherung und -mehrung der Anleger. Daher fördert er hauptsächlich die Schuldknechtschaft, und alle Exportanstrengungen der Länder, um die Schulden abzutragen, bedeuten nur wieder Abhängigkeit von denen, die in der internationalen Arbeitsteilung längst die guten Plätze besetzt haben.

Andererseits kehrt der Finanzmarkt in der zweiten Hälfte der 90er Jahre insofern zu seinem Ursprung zurück, als seine Akteure sich jetzt auf die amerikanische Wirtschaft stürzen, sie zur krisenfreien "New economy" hochstilisieren und in einen wahnwitzigen Boom hineintreiben. Der Glaube, der damit verbunden ist und global verbreitet wird, lautet, dass diese Wirtschaft eben doch die dynamischste und effizienteste der Welt sei, ein Vorbild für alle, die noch in regionalen und traditionellen Bindungen befangen sind - weshalb die USA auch mit Recht die politische Führung im Prozess der Globalisierung beanspruchen. Indirekt wird damit natürlich eingestanden, dass Hegemonie ohne solche realwirtschaftliche Fundierung fragwürdig ist. Die Talfahrt, die dann vor zwei Jahren begann, ist daher nicht bloß ein normaler Konjunkturrückgang. Sondern ganz unabhängig davon, welches Ausmaß sie noch annehmen wird, hat sie schon jetzt zu Tage gefördert, dass die amerikanische Wirtschaft vom Finanzmarkt völlig überfordert war, und auf welch schwachen Füßen somit die amerikanische Hegemonie steht. Der globale Kapitalmarkt, auf den sie sich seit über 20 Jahren gestützt hat, hat jetzt selber ihre reale Basis getestet und - allerdings auch zu seinem eigenen Leidwesen - für zu schwach befunden!

Was kann die Politik der Vorherrschaft aber dann tun, um die enttäuschten Anleger zu besänftigen und ihnen wieder Mut zu machen? Was bleibt, wenn der Finanzmarkt sich im Kreise dreht, d. h. seine Möglichkeiten erschöpft hat, aus der Produktion respektable Gewinne zu ziehen? Es bleibt, wie wir schon sahen, immer noch die Alternative, aus der Destruktion Gewinn zu ziehen. Das ist der - oder zumindest ein - Grund für die derzeitige Rüstungs- und Kriegsbegeisterung der amerikanischen Führung. Ein anderer Grund ist, dass sie aus ihrer Tradition heraus tatsächlich glaubt, sie diene damit dem Frieden.

4. Zwei Wege

Wir haben in allen drei behandelten Bereichen der "Globalisierung" eine analoge Situation festgestellt: Der freie Handel scheint im Vormarsch, aber unter der Oberfläche herrscht weithin ein offener oder verdeckter Protektionismus. Der deregulierte Finanzmarkt scheint das endlich entdeckte Zaubermittel zur globalen Investitions- und Entwicklungsförderung zu sein. Aber solange er existiert, produziert er fortwährend Krisen. Der Weltfrieden schien nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation so nahe wie noch nie. Aber an die Stelle dieses Großkonflikts sind einerseits viele kleine Konflikte getreten und andererseits das beängstigende, weil tragische Streben einer Macht nach Alleinherrschaft.

Die sogenannte Globalisierung hat demnach - ganz gegen die Erwartung, die der Begriff weckt - an dem alten Gegensatz von Rechtszustand innerhalb der Staaten und Naturzustand zwischen den Staaten nicht viel geändert, ja ihn eher verstärkt, sofern der Naturzustand nämlich auf die inneren Verhältnisse der Staaten übergreift. Während im Innern (mehr oder weniger) die Stärke des Rechts gilt, gilt im Äußeren offenbar nach wie vor das Recht des Stärkeren, denn er darf trotz Völkerrecht inzwischen wieder in die inneren Angelegenheiten der Schwächeren eingreifen. Während im Innern für Geldwertstabilität gesorgt wird, darf draußen durchaus Labilität herrschen, und zwar nicht nur aus Gleichgültigkeit gegenüber der Völkergemeinschaft, sondern weil das Schwanken der Kurse den Vermögenden ein globales Spielkasino eröffnet. Während im Innern dem Waren- und Dienstleistungsmarkt ein (mehr oder weniger strenger) rechtlicher Rahmen gesetzt wird, wird das für den Weltmarkt in vieler Hinsicht nicht nur als unnötig, sondern sogar als schädlich erachtet, und zwar u.a. deshalb, weil so auch der Rahmen für den inneren Markt aufgeweicht werden kann.

Als Grund, weshalb dennoch der Anschein eines freien Handels, einer Geldordnung und eines gesicherten Friedens entsteht, haben wir die Hegemonie der Vereinigten Staaten in diesen Bereichen erkannt: Sie haben sich aus dem jeweiligen Kampf aller gegen alle "naturwüchsig" als die stärkste Macht herausgeschält und sorgen nun - freilich nur soweit sie können und immer zugleich im eigenen Interesse - für eine gewisse Ordnung in der Welt. Das läuft jedoch auf den bösen Widerspruch hinaus, dass der einst entschiedenste und erfolgreichste Protektionist für den freien Handel sorgt; dass der, der den Finanzmarkt auch institutionell dominiert, für seine Deregulierung einsteht; dass der am meisten Gerüstete und Kriegsbereite den Frieden sichert; und wir müssen heute hinzufügen: dass der, der die Menschenrechtserklärungen der Vereinten Nationen gar nicht ratifiziert hat, die Durchsetzung der Menschenrechte in der Welt auf seine Fahne geschrieben hat. Würde es also eine unabhängige internationale Gerichtsbarkeit für alle diese Bereiche geben, so wären die USA jeweils die Ersten, die sich vor ihr verantworten müssten. Aber eben deshalb gibt es eine solche Gerichtsbarkeit nicht oder nur in Ansätzen.

Wie kommen wir aus diesem bösen Widerspruch heraus? Die eine Möglichkeit, zu der viele in Deutschland und Europa neigen, zu der sie sich aber nicht bekennen möchten, besteht darin, dass wir ihn gar nicht als Widerspruch sehen, sondern als durchaus logische Sache. (vgl. Schröders "uneingeschränkte Solidarität") Deren Logik wäre, dass Recht ja nicht bloß auf dem Papier stehen darf, sondern durchsetzbar sein muss, und Macht nun einmal nur durch überlegene Macht gebändigt werden kann. Was ist aber gebändigte Macht anderes als eben Recht? Aus der Logik der Macht folgt so, wenn sie zu Ende gedacht wird, das Recht wie von selbst. In der Praxis wäre das der Weg des Unterwerfungsvertrags im Sinne von Hobbes , der immerhin die überlegene Macht insofern auch verpflichtet, als sie nun nicht bloß nach Belieben, sondern generell für Ordnung sorgen muss. Für die verschiedenen behandelten Bereiche hieße das: Den USA wird das Gewaltmonopol in bezug auf alle internationalen Konflikte übertragen, und der UNO-Sicherheitsrat spielt nur noch eine beratende Rolle. Die faktische Dominanz der USA auf dem Weltfinanzmarkt wird nicht mehr nur stillschweigend hingenommen, sondern offiziell anerkannt: Der Dollar wird wieder offizielle einzige Leitwährung, der IWF wird dem US-Finanzministerium angegliedert. Im Welthandel braucht der amerikanische Kongress von der WTO keine Sanktionen mehr zu befürchten, weil die WTO überflüssig wird und die Sanktionspolitik der USA die Freiheit des Handels sicherstellt. - Wir merken, dass dieser dem Pragmatiker der Macht zunächst einleuchtende Weg zumindest steinig ist, wahrscheinlich sogar eine Sackgasse. Es ist nicht einmal anzunehmen, dass die USA ihn gehen wollen, denn der derzeitige unentschiedene Zustand ist ihnen sicher lieber.

Ein anderer, gangbarer Weg, um aus jenem Widerspruch herauszukommen, muss damit beginnen, zunächst die Voraussetzungen zu hinterfragen, die ihn doch plausibel und akzeptabel erscheinen lassen. Die Grundvoraussetzung ist offenbar, dass alle Staaten Einzelkämpfer sind, die nach Machterweiterung streben und zur Kooperation nur durch einen Sieger in diesem Machtkampf gezwungen werden können.

Das ist aber wieder - wie bei der Ricardoschen Freihandelstheorie - eine Anwendung des liberalen Gesellschaftsmodells, dem gemäß aus privaten Lastern wunderbarerweise öffentliche Wohltaten werden, auf die auswärtigen Beziehungen! Nur mit dem kleinen Unterschied, dass das Wunder nicht allein durch die "unsichtbare Hand", sondern auch durch die sehr sichtbare Hand dessen zustande kommt, der sich im Kampf aller gegen alle als Sieger erweist. Dann sind jedenfalls seine privaten Laster (Protektionismus, Geldgier, Machtstreben) plötzlich öffentliche Wohltaten (Handelsfreiheit, Finanzmarkteffizienz, Friedensicherung). Auf die inneren Verhältnisse rückübertragen hieße das eben im Unterschied zum liberalen Glauben, dass die Konkurrenz sich gerade im Monopol vollendet und erst dann allen zum Wohl gereicht. In der Tat hat der Liberalismus auch immer den Staat gebraucht, um dieses sehr zweifelhafte Wohl zu verhindern und den Wettbewerb aufrechtzuerhalten. Wer aber bannt die Gefahr in bezug auf die äußeren Verhältnisse? Da wir keinen Weltstaat haben, scheint hier nur diese Hobbesche Lösung übrig zu bleiben.

Aber ist denn die Problembeschreibung richtig? Trifft es denn zu, dass alle Staaten Einzelkämpfer und machtversessen sind, zumal in der heutigen Situation? Sie sind doch zumindest auch kooperativ, weil sie sich von der Kooperation Vorteile versprechen können. Das ist ja der vernünftige Kern von Ricardos Freihandelstheorem. Die Staaten können auch sehr wohl auf Gewalt verzichten, wenn sie erkennen, dass sie etwa durch Bündnisse viel eher an Macht gewinnen. Dagegen wird gern eingewandt, dass Bündnisse immer nur angesichts einer Bedrohung durch einen Dritten zustande kommen, weshalb ein Zusammenschluss der Menschheit als ganzer undenkbar sei. Das ist jedoch ein Argument, das Kant unter "transzendentalem Schein" verbuchen würde, weil es über alles, was wir aus der Erfahrung wissen können, hinausgeht. Ein Menschheitszusammenschluss liegt ja nicht nur auf der Linie der bisherigen Bündnisse, sondern stellt etwas qualitativ Neues dar. Daher kann man genauso gut sagen: Die bisherigen Bündnisse waren deshalb gegeneinander gerichtet, weil er eben gefehlt hat. Hinzukommt die Lawine von ökologischen Bedrohungen, die auf uns zurollt, und die wir nur gemeinsam abwehren können. Wem aber deren unpersönlicher Charakter als Grund zur Gemeinsamkeit nicht ausreicht, wer also unbedingt persönlich Schuldige braucht, um sie ernst zunehmen (weil bekanntlich der Mensch des Menschen Wolf ist), der sollte nach einer alten Regel zunächst den Balken im eigenen Auge suchen. Die höhere Verwundbarkeit moderner Gesellschaften zeigt jedenfalls, dass die technische Entwicklung an ihrer "kreatürlichen Schwäche" (S. Pufendorf) nichts geändert hat. Das gilt auch für die mächtigen Vereinigten Staaten, und zwar selbstverständlich nicht erst seit dem 11.9.2001. Daher kann ihr Streben nach Unverwundbarkeit nur als Wahn diagnostiziert werden. Aus diesem Wahn heraus kommen sie dann zu der "realistischen" Auffassung, dass auch alle anderen Staaten sich im Grunde ähnlich verhalten. Bei der Behauptung mangelnder Kooperationsbereitschaft der Staaten handelt es sich also um einen typischen Fall von Projektion. Wir haben ja sogar gesehen, dass viele Konflikte, die die USA zu lösen suchen, von ihnen selbst mit verursacht sind, direkt politisch oder indirekt ökonomisch: Länder werden in der Barbarei bestärkt oder sogar in sie hineingetrieben, um ihnen dann (oder gleichzeitig) die "Zivilisation" beibringen zu können. Von daher erscheint der Naturzustand der heutigen internationalen Beziehungen durchaus nicht als ein "natürlicher", sondern als ein recht "künstlicher", hergestellter. Gewiss war der Naturzustand immer nur eine theoretische Konstruktion, um die Bedeutung rechtlichen Zusammenlebens zu demonstrieren. Es macht deshalb keinen Sinn, nun noch einmal auf die Suche nach dem wahren Naturzustand zu gehen. Da er jedoch heute in seiner zynischen Variante eine höchst praktische Konstruktion ist, um die Vorherrschaft einer Macht zu sichern, kommt es schon darauf an, andere Vorstellungen von ihm ins Spiel zu bringen und so die Geschichte offenzuhalten.

Wenn wir somit davon ausgehen dürfen, dass die Staaten schon von selbst kooperativ sind, dann ist es natürlich widersinnig, eine Gewalt konstituieren zu wollen, die sie erst zur Kooperation zwingen soll (Unterwerfungsvertrag). Die Beleidigung, die darin liegt, ist übrigens der Grund für die zunehmende Ablehnung, auf die die Politik der Vereinigten Staaten stößt. Die Aufgabe ist vielmehr der Ausbau der schon laufenden Zusammenarbeit und der Institutionen, die sie regeln und Regelverstöße ahnden (Gesellschaftsvertrag). Damit verlagern sich zugleich die Prioritäten weg vom sicherheitspolitischen Bereich hin zum wirtschaftlichen.

Die WTO regelt den Handel so, dass er wirklich entwicklungsfördernd ist, d. h. sie bekämpft den Protektionismus der Industrieländer und gestattet andererseits denen, die noch in der Entwicklung begriffen sind, einen übergangsweisen Schutz ihrer Wirtschaft gegen übermächtige Konkurrenz. Über die heute schon geltenden Ausnahmeregelungen hinaus sind dafür neue Kriterien zu erarbeiten.

In bezug auf den Weltfinanzmarkt ist das Schlüsselproblem die Währungskonkurrenz, die den Güterhandel erschwert, die Spekulation anheizt und die Ungleichheit zwischen den Volkswirtschaften vertieft. An ihre Stelle muss grundsätzlich eine Währungskooperation treten, wie sie ansatzweise ja schon praktiziert worden ist und wird. In der Perspektive muss die faktische Dollarhegemonie durch eine global vereinbarte Leitwährung ersetzt werden.

Dem entspricht in der Außenpolitik das Prinzip der Sicherheitspartnerschaft um des gemeinsamen Überlebens willen, das sich bei der Überwindung des Kalten Krieges schon bewährt hat. Es lässt den alten Gegensatz von nationalistischem "Realismus" und Menschheitsidealismus hinter sich und findet seinen institutionellen Ausdruck im UN-System der kollektiven Sicherheit. Das System muss allerdings so reformiert und (auch militärisch) gestärkt werden, dass es dem neu erwachten willkürlichen Interventionismus einerseits und dem Zerfall der Staatlichkeit in weiten Gebieten der Erde andererseits entgegenwirken kann. Nur dann kann im Auftrag der UNO um der Durchsetzung elementarer Menschenrechte willen über das Völkerrechtsgebot der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der Staaten hinausgegangen werden.

5. Europa

Ein anderer gangbarer Weg, um aus dem oben beschriebenen bösen Widerspruch herauszukommen, ist es allerdings noch nicht, wenn wir zur Logik des Rechts zurückkehren und sie der Logik der Macht bloß entgegensetzen, d. h. an den internationalen Institutionen trotz ihrer Schwäche eisern festhalten und verlangen, dass auch die Vereinigten Staaten sich ihnen doch bitte unterordnen möchten. Das wäre nur ein Beharren, aber noch kein Weg. So falsch es ist, dass das Recht sich aus der Logik der Macht von selbst ergibt, so richtig ist es andererseits, dass Recht nicht bloß auf dem Papier stehen darf.

Es stellt sich daher die Frage nach den realen Bedingungen der Verwirklichung der vielen vernünftigen Forderungen, die auf den behandelten Gebieten vorliegen. Und das ist ja sogar die eigentliche politische Frage: Wer kann der Träger oder Akteur sein, der ihnen zur Durchsetzung verhilft?

Trotz mancher Bedenken, ja schlimmer Enttäuschungen habe ich immer wieder die Antwort gegeben, es könne heute nur die Europäische Union sein. Denn allein sie ist sowohl von ihrer ökonomischen Macht als auch von ihrer rechtlichen Tradition her in der Lage, die Vereinigten Staaten infrage zu stellen und zur Kooperation zu bewegen. Die Hoffnung, die ich auf die EU setze, gründet sich allerdings weniger auf das, was sie bisher nach außen tut, als auf das Beispiel, das sie mit dem Zusammenschluss der beteiligten Staaten selber darstellt.

So unterscheidet sie sich in der protektionistischen Handelspolitik gegenüber den Entwicklungsländern nicht sonderlich von den USA. Und selbst bei der Integration in den gemeinsamen Markt folgt sie neoliberalen Mustern (Privatisierung, Deregulierung) und scheint ihre "rheinische" Identität ganz vergessen zu wollen. Dennoch kennt sie das Instrument des Sozial- und des Strukturfonds für rückständige Regionen, das die NAFTA nicht kennt. Muss die Logik, die in diesem Instrument liegt, nicht auch global Anwendung finden? Nehmen wir den starken öffentlichen Sektor, das entwickelte soziale Netz und die geringeren Einkommens- und Vermögensunterschiede hinzu, so unterscheidet sich der "rheinische" immer noch deutlich vom "angelsächsischen" Kapitalismus - nur dummerweise eben auch in der Werbung fürs eigene Modell.

Auch in der auswärtigen Finanzpolitik schließt sich die EU im Wesentlichen den Vorgaben des IWF an, und sie gibt sie mit ihrer Stabilitätspolitik sogar nach innen weiter. Dennoch hat sie mit der Währungsunion (und vorher schon mit dem EWS) ein Beispiel gesetzt, dass Währungskooperation möglich ist, bis hin zur gemeinsamen Preisgabe nationaler Souveränität auf diesem Gebiet und der Vereinbarung einer "künstlichen" Währung. Der Währungsspekulation ist damit in diesem Teil der Welt der Boden entzogen.

Dass schließlich die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik immer noch in den Kinderschuhen steckt, ist bekannt. Daher das leidige Segeln im Kielwasser der USA; daher wohl auch die stärkere Kooperationsbereitschaft und Friedensliebe der Europäer. Aber nach innen hat die EU historisch abgrundtief scheinende Gegensätze überwunden, eine bemerkenswerte Kultur des zwischenstaatlichen Kompromisses entwickelt und versucht etwas völlig Neues, nämlich Demokratie in einem übernationalen Rahmen aufzubauen!

Ich führe die Defizite in der Selbstbehauptung Europas darauf zurück, dass die Europäische Union noch stark mit der Selbstfindung und Konstituierung als politische Macht beschäftigt ist. Das ist bei der Neuheit und Schwere der Aufgabe auch nicht verwunderlich, und es ist nicht klug, den zweiten Schritt vor dem ersten zu tun. Weil das aber so ist, müssen jetzt die Weichen richtig gestellt werden! Denn wenn der zweite Schritt getan wird, d. h. die Auseinandersetzung mit dem Anspruch der Vereinigten Staaten ernsthaft geführt wird, drohen neue Gefahren:
Statt sich auf Krisenprävention und wirtschaftliche Zusammenarbeit zu konzentrieren, meint man, wie die USA rüsten und global militärisch agieren zu müssen, um von ihnen ernst genommen zu werden.
Der Euro wird zu einer zweiten, konkurrierenden Leitwährung, ganz ohne das höhere Ziel einer Weltfinanzordnung, und mit dem ganz gewöhnlichen Ziel, wie die USA auch von den Vorteilen ("Regalien") einer Leitwährung profitieren zu können.
Man glaubt, mit dem großen gemeinsamen Markt sich selbst zu genügen und schottet sich noch stärker gegen die Entwicklungsländer ab.

Diese Tendenz, vom Recht weg nach rechts zu gehen, zeichnet sich unter dem Druck, der von der neuen amerikanischen Führung ausgeht, ja schon ab. Der Druck wird aber auch das Bewusstsein dafür wecken, was die Welt eigentlich von Europa erwartet. Und er wird hoffentlich die Wachsamkeit schärfen gegenüber der Gefahr, dass man auf einem geschichtlichen Weg das Ziel aus den Augen verliert; oder dass man, indem man gegen Alleinherrschaft ankämpft, sich dem Herrschenden gerade angleicht; oder dass man, indem man die eigene Form des Zusammenlebens entschieden erhalten will, sie womöglich gerade preisgibt.


Leseprobe 3



Inhalt:

Vorwort

Einleitung (Leseprobe)

"Modernisierung" als Anpassung?

Dritter Weg ja, aber europäisch: Zum Schröder-Blair-Papier
Haushaltskonsolidierung ja, aber ökonomisch sinnvoll
Haushaltskonsolidierung ja, aber sozial gerecht
Das Spardiktat des Weltfinanzmarktes
Feudalismus in neuer Gestalt?
"Shareholder-value" in der Steuerpolitik

"Chefsache" Aufbau Ost

Die Revolution von 1989 als Herausforderung für Gegenwart und Zukunft
Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion: Ein Rückblick
Globale Hintergründe der ostdeutschen Stagnation
Ostdeutscher Beitrag zur politischen Kultur?
Eine Bilanz der "Chefsache"
Wie kann die ostdeutsche Produktionslücke geschlossen werden? Bausteine zu einem Aktionsprogramm

"Uneingeschränkte Solidarität" und Globalisierung

Mythos Freihandel
Wie weiter im internationalen Handel?
Kurze Geschichte des Weltfinanzmarktes
Die Europäische Währungsunion als Vorstoß zur Regulierung des Weltfinanzmarktes?
Zur Geschichte der militärischen Vorherrschaft der Vereinigten Staaten
Auf dem Weg zum globalen Leviathan?

Zusammenhänge (Leseprobe)

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