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Eva Kuda / Jürgen Strauß (Hrsg.)

Arbeitnehmer als Unternehmer?

Herausforderungen für Gewerkschaften und berufliche Bildung

176 Seiten | 2002 | EUR 12.80 | sFr 23.20
ISBN 3-87975-883-2 1

Titel nicht lieferbar!

 

Die Autorinnen und Autoren diskutieren, ob in der Folge des Wandels der Arbeitswelt aus Arbeitnehmern zunehmend Unternehmer werden und welche Folgen die Veränderungen des Arbeitslebens für Gewerkschaften und die berufliche Bildung haben.


 

Die HerausgeberInnen:
Eva Kuda ist Gewerkschaftssekretärin beim Vorstand der IG Metall, Frankfurt a.M. Jürgen Strauß ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Sozialforschungsstelle Dortmund.

 

Das Konzept »Arbeitskraftunternehmer« stellt eine häufig aufgegriffene Interpretationsfigur für neuere Entwicklungen von Arbeit und Persönlichkeit dar. Doch welche Prozesse verbergen sich hinter den schillernden Begriffen wie »unternehmerisches Handeln« und »Arbeitskraftunternehmer«? Führen die gegenwärtigen Umbrüche in der Arbeitsorganisation nur zu einer unternehmerischen Kultur der neuen Selbständigkeit, oder kommen durch veränderte betriebliche Kostenökonomie auch neue Belastungen auf die ArbeitnehmerInnen und ihre Qualifikationsanforderungen zu? Die Autorinnen und Autoren bemühen sich um begriffliche Klärungen, ideologiekritische Auseinandersetzungen und die Darstellung empirischer Befunde.

 

 

Rezensionen

Arbeitnehmer als Unternehmer? "Der Arbeitskraftunternehmer ist ein Neuling auf dem Arbeitsmarkt. Mit dem Begriff wird erläutert, wie immer mehr Verantwortung vom Unternehmen auf den beschäftigten verlegt wird. Der vorliegende Band beleuchtet den Arbeitskraftunternehmer als Modell in der beruflichen (Weiter)Bildung." (metall-direkt 19/2002)

Leseprobe 1

Vorwort der Herausgeber

Die Idee zu diesem Buch entstand im Verlauf einer Workshop-Reihe, geplant und veranstaltet im Rahmen eines Projektes zwischen IG Metall Vorstand, Ressort Bildungs- und Qualifizierungspolitik und der Sozialforschungsstelle Dortmund, Landesinstitut zur Thematik »Neue Leitbilder von Facharbeit und berufliches Arbeitshandeln«. In den Workshops debattierten Neuordnungsexperten, Wissenschaftler und Berufsbildungspraktiker über ausgewählte Leitbilder von Facharbeit – prozesskompetente Facharbeit, erfahrungsgeleitete Facharbeit und Facharbeit von »Arbeitskraftunternehmern« – und deren praktische Bedeutung für die Weiterentwicklung beruflicher Bildung. Wie zu erwarten, erweist sich, zumal in einem den Gewerkschaften nahestehendem Kreis, das Konzept des »Arbeitskraftunternehmers« und gar die Frage, inwieweit es ein Leitbild darstellen könnte, als besonders umstrittenes Feld. Der Zukunftsreport der IG Metall bestätigt: Das Konzept ist in der gewerkschaftlichen Diskussion angekommen und wird äußerst kontrovers diskutiert. Das verwundert nicht, wird doch der Typus des Arbeitskraftunternehmers als tief in die Persönlichkeit eingreifend beschrieben und geht mit besonders starken »Zumutungen« an die Arbeitnehmer, ihr Arbeitsverhalten zu verändern, einher. Ziel und Absicht unseres Buches »Arbeitnehmer als Unternehmer – Herausforderungen für die Gewerkschaften und die berufliche Bildung« ist es, einen klärenden Beitrag zur Kontroverse um das Konzept des Arbeitskraftunternehmers zu leisten – allgemein bezogen auf künftige Entwicklungspfade bei der Gestaltung der Zukunft der Arbeit, speziell in Bezug auf Folgen für die Beruflichkeit von Arbeit und die berufliche Bildung. Dabei handelt es sich um einen ersten Versuch, vorhandene Kontroversen um das Konzept des Arbeitskraftunternehmers zu bündeln – zumindest ist uns nichts Ähnliches bekannt. Die Schwächen dieses Versuchs – das Verharren in einer männlichen Perspektive und das gelegentliche Abgleiten in abstrakte Fachsprache – bitten wir zu entschuldigen. Wir sind gleichwohl sicher, mit diesem Buch zur Verständigung über neue Leitbilder von Facharbeit und deren praktische Reichweite für gewerkschaftliches Handeln beitragen zu können. Eva Kuda
Jürgen Strauß

Leseprobe 2

Klaus Lang
Zukunft der Arbeit und Arbeitskraftunternehmer In der Zukunftsdebatte der IG Metall geht es in einem, wenn nicht dem zentralen Schwerpunkt um die Zukunft der Arbeit. Das ist das bedeutendste Handlungsfeld der Gewerkschaften: auf betrieblicher Ebene, in der tarifpolitischen Gestaltung und in der politischen Einflussnahme. In der Gestaltung der Erwerbsarbeit – und natürlich in Verbindung damit auch der Arbeit und des Lebens jenseits der Erwerbsphäre – haben Gewerkschaften ihre unbestrittene, spezifische Kompetenz. Die Expertisen und Berichte, die Befragungen und Erhebungen im Rahmen der Zukunftsdebatte bestätigen, dass die Erwerbsarbeit keineswegs an Bedeutung verloren hat. Ganz im Gegenteil, unsere Gesellschaft ist unverändert, ja sogar steigend auf Erwerbsarbeit zentriert. Aber die äußeren Erscheinungsformen und die innere Gestaltung der Erwerbsarbeit verändern sich deutlich. Dies hat mit den geänderten technischen und logistischen Möglichkeiten der Organisation von Produktion und Arbeit, aber auch mit dem Wandel im Selbstverständnis und Qualifikationsniveau der Erwerbstätigen zu tun. Digitalisierung der Arbeits- und Produktionskonzepte und Individualisierung im Selbstverständnis der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gehen hier teilweise Hand in Hand und verstärken sich wechselseitig in den Wirkungen. Selbständigkeit in der Arbeit ist produktionstechnisch und arbeitsorganisatorisch eher möglich und aufgrund geänderten Selbstverständnisses und Qualifikationsniveaus der Arbeitnehmerschaft auch erstrebenswerter geworden. Dieser Wandel, der einzelne Arbeitnehmergruppen sehr unterschiedlich betrifft, hat Licht- und Schattenseiten: größere Freiheits- und Gestaltungsgrade für den einzelnen auf der einen Seite, aber auch weniger Schutz- und Gestaltungsmöglichkeiten im Interesse der Betroffenen durch kollektive Regelungen auf der anderen Seite. Selbständigkeit in der Erwerbsarbeit – sowohl was die Rechtsform, in der Erwerbsarbeit erbracht wird, aber auch was die innere Gestaltung der Arbeit betrifft – ist eine Schlüsselkategorie für die Zukunft der Arbeit. Dies kann in der Tat zu mehr befreiender Selbstorganisation führen, was von vielen Menschen gewollt wird, aber auch mehr Selbstausbeutung bedeuten. Gerade die jüngsten Vorschläge und Diskussionen um die Reform der Arbeitsmarktpolitik (Hartz-Kommission) machen die Chancen, aber auch die problematischen Dimensionen von mehr Selbstständigkeit (in) der Erwerbsarbeit in zugespitzter Weise deutlich. Zukunft und Wandel der Arbeit Das seit Anfang der 1980er Jahre immer wieder vorausgesagte »Ende der Arbeitsgesellschaft« oder »Ende der Erwerbsarbeit« hat keinen Rückhalt in der Realität. 1982 hat Ralf Dahrendorf anhaltende und wachsende Arbeitslosigkeit als das unvermeidliche Schicksal entwickelter Industriegesellschaften vorausgesagt und in der Formulierung zugespitzt: »Wenn der Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausgeht«. In der »Zukunftskommission« der Freistaaten Bayern und Sachsen wurde das Thema ebenso aufgegriffen, wie in dem Bericht an den Club of Rome von O. Giarini und Patrick M. Liedtke und in den Veröffentlichungen von Jeremy Rifkin und Frithjof Bergman. Das prognostizierte »Ende der Erwerbsarbeit« stützt sich auf die Überzeugung, dass durch neue arbeitssparende Technologien weniger »lebendige Arbeit« – also ein sinkendes Arbeitsvolumen – erforderlich sei, um die notwendige Menge an Gütern und Dienstleistungen zu produzieren. Dem steht aber ein weltweit deutlich steigender Bedarf an Gütern und Dienstleistungen, eine gesunkene Beschäftigungsschwelle und höhere Beschäftigungsintensität des Wirtschaftswachstums als Grundlage für ausreichende Erwerbsarbeit gegenüber. Die tatsächlichen Gegebenheiten über Erwerbsorientierung und Erwerbstätigkeit in den entwickelten Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften weisen daher auch in eine andere Richtung. Die Zahl der Erwerbstätigen ist in Deutschland über Jahrzehnte hinweg kontinuierlich gestiegen, trotz eines leicht rückläufigen Arbeitsvolumens, nicht zuletzt aufgrund von Verkürzung und anderer Verteilung der Erwerbsarbeitszeit.[1] Allerdings hat sich in vielen, nicht in allen, entwickelten Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften Arbeitslosigkeit auf einem hohen Niveau verfestigt. Dies ist zumindest in Deutschland bis heute vor allem die Folge des ständig steigenden Angebots an Arbeitskräfte aufgrund der demographischen Entwicklung und Migration. Auch wenn kein »Ende der Arbeitsgesellschaft oder der Erwerbsarbeit« trotz erschreckend hoher Arbeitslosigkeit in Sicht ist – ein radikaler Wandel ist aber eindeutig. Die Arbeitsgesellschaft ist zum einen durch unverändert ca. 4 Millionen Arbeitslose, einschließlich der stillen Reserve durch ca. 6 bis 7 Millionen Arbeitsuchende gekennzeichnet, zum anderen durch eine steigende Frauenerwerbstätigkeit, die steigende Nachfrage nach Service- und Dienstleistungstätigkeiten, aber auch durch das im Durchschnitt höhere Qualifikationsniveau des Arbeitskräftepotenzials. Aber Arbeitsverhältnisse, Arbeitsinhalte und -anforderungen sowie Arbeitsformen unterliegen einem tiefgreifenden Wandel. Dazu tragen auch die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit und die politisch-gesellschaftlichen Reaktionen darauf bei.[2] Diese Änderungen haben eine externe und eine interne Dimension. Die externe Dimension bezieht sich auf die Entwicklung der Arbeitsverhältnisse. Das unbefristete Vollzeitarbeitsverhältnis wird ergänzt oder ersetzt durch mehr Teilzeit, befristete Beschäftigung, Leiharbeit und geringfügige Beschäftigung. So hat der Anteil der unbefristet Vollzeitbeschäftigten in den letzten 25 Jahren von über 75% auf rund 62% abgenommen, die Zahl der Teilzeitbeschäftigten ist auf fast vier Millionen gestiegen. Mehr als drei Millionen Beschäftigte haben nur befristete Verträge, die Zahl der Leiharbeitnehmer ist auf fast eine halbe Million gestiegen, und fast fünf Millionen haben eine geringfügige Beschäftigung. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Erwerbstätigen in rechtlich selbständiger Form außerhalb der Landwirtschaft deutlich und stetig zu, von zwei Millionen 1980 auf über drei Millionen Anfang des neuen Jahrhunderts. Bei steigender Erwerbstätigkeit und damit auch Erwerbszentrierung der Gesellschaft muss also mit einer weiteren Polarisierung der Arbeitsverhältnisse gerechnet werden. Insofern stehen eine (Re-)Qualifizierungs- und eine Polarisierungsthese nicht im Gegensatz zueinander. Insgesamt werden sich die Arbeitsverhältnisse polarisieren – zwischen einem immer noch deutlich überwiegenden, aber geringer werdenden Anteil von im durchschnittlichen Niveau höher qualifizierten Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten (über 60% der Erwerbspersonen), und einem steigenden Anteil von anderen Beschäftigungsverhältnissen. Aber auch diese Arbeitsverhältnisse sind keineswegs automatisch unqualifizierte Beschäftigung, da im Rahmen von rechtlicher Selbständigkeit alter und insbesondere neuer Art, von befristeter Beschäftigung und Leiharbeit auch – sogar mit steigender Tendenz – qualifizierte Arbeit vergeben und geleistet wird. Gerade der steigende Anteil von so genannten »sekundären Dienstleistungen« wie Forschung, Entwicklung, Management, Beratung, Information, Aus- und Weiterbildung, Vertrieb und Service, wird vielfach in Form neuer Arbeitsverhältnisse gefordert und erbracht werden. Neue Formen der Arbeits- und vor allem der Arbeitszeitorganisation (Telearbeit, Arbeitsplatzvernetzung, Teilzeit, Gleitzeit, Vertrauenszeit) lösen den »Arbeitsplatz« als räumlich definierte Größe auf und machen die Grenzen zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbständigkeit in der äußeren Erscheinungsform und der Rechtsförmigkeit immer fließender. Somit ist auch die einfache Gegenüberstellung: unbefristete Vollzeitarbeit ist qualifizierte und befristete oder Leiharbeit ist unqualifizierte Beschäftigung, in Zukunft immer weniger zutreffend. Die interne Dimension der Veränderung bezieht sich auf die andere Organisation von Produktion und Arbeit. Festzustellen ist zum einen der stetige Rückgang der unmittelbaren Produktionstätigkeiten, während primäre Dienstleistungen (Verwaltung, Vertrieb, Verkauf) stagnieren, aber sekundäre Dienstleistungen wie Forschung und Entwicklung, Marketing und Beratung, Information sowie Aus- und Weiterbildung eher zunehmen dürften. In diesen Sektoren der »Angestelltentätigkeiten« ist seit jeher ein anderes Arbeitsverständnis und mehr Selbständigkeit üblich, weil diese Tätigkeiten in der Regel höhere Qualifikation, Kreativität, planerische Fähigkeiten und soziale Kompetenzen fordern. Innerhalb der Produktion gibt es schon seit mindestens zwei Jahrzehnten Tendenzen einer neuen Art betrieblicher Rationalisierung, verbunden mit neuen Mustern der Arbeit. Das alte tayloristische Konzept von Arbeitsorganisation, Leistungssteigerung und Lohnanreiz war Ende der 1970er Jahre an seine Grenzen gekommen. Es beruhte auf fortschreitender Arbeitsteilung, geringen Arbeitsinhalten mit kurzzyklischen Tätigkeiten und restriktiven Arbeitsbedingungen (Zeitvorgaben). In der »starren Massenproduktion« des fordistischen Zeitalters sollten festgelegte »Normalleistungen« möglichst hoch übertroffen werden. Andere Technik ermöglichte und andere Marktökonomie und Konsumentenwünsche erforderten nicht nur höhere Produktivität, sondern auch andere Flexibilität und Innovationsfähigkeit des Produktionsprozesses. Denn in den entwickelten Industrieländern geht es nicht in erster Linie darum, massenhaft standardisierte Industrieprodukte herzustellen, sondern differenzierte und individuelle Konsumbedürfnisse zunächst zu wecken und dann zu befriedigen. Von daher kam es zur »flexiblen Massenfertigung« mit anderen Anforderungen an Arbeitsinhalte und -abläufe, Qualifikation der Arbeitnehmer und Fähigkeit zur Organisation der Arbeit. Insgesamt läuft die Entwicklung hin auf einen anderen Einsatz der menschlichen Arbeitskraft bei gleichzeitig anderen Informations-, Kontroll- und Steuerungsmöglichkeiten aufgrund digitalisierter Technik. An Stelle der überkommenen Formen taylorisierter Arbeit trat wieder die Ausweitung des Aufgabenspektrums durch die Reintegration planender, instandhaltender und ausführender Tätigkeiten in den Produktionsprozess. Dadurch sollte das menschliche Arbeitsvermögen, sollten brachliegende Qualifikationen und Leistungsreserven neu erschlossen werden. Gruppenarbeit in ihren verschiedensten Formen weist schon seit den 1970er Jahren in diese Richtung einer veränderten Produktions- und Arbeitsorganisation mit höherer Selbständigkeit, Selbstverantwortung und Selbststeuerung. Dabei ist das Spektrum zwischen autonomer, teilautonomer bis hin zu standardisierter Gruppenarbeit mit restriktiven Bedingungen sehr breit. Kompetenzen und Entscheidungen werden dezentralisiert, an Stelle der direkten imperativen Steuerung von oben tritt zunehmend die Delegation von Verantwortlichkeit an die Arbeitskräfte selbst bzw. an Teams von Arbeitskräften. So beschreibt es die SPD-Arbeitsgruppe »Zukunft der Arbeit«: »Unter diesen Bedingungen werden viele Aufgaben, die früher von abhängig Beschäftigten ausgeübt wurden, aus den Unternehmen ausgelagert und in Form von Selbständigkeit (auch Scheinselbständigkeit oder arbeitnehmerähnlicher Selbständigkeit) erledigt.«[3] Hinzuzufügen ist, dass dies auch in Form »selbständiger« abhängiger Arbeit organisiert sein kann: »Die berufliche Realität vieler Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen nähert sich an die der Selbständigen an: Sie haben wachsende Verantwortung und größere Entscheidungsspielräume, aber sie müssen auch hinsichtlich der Arbeitsinhalte, der Arbeitsbedingungen und der Arbeitszeit erheblich mehr Flexibilität aufbringen, größere Risikobereitschaft zeigen und höhere psychosoziale Belastungen tragen.«[4] Stellenwert des Arbeitskraftunternehmers Damit ist auch schon in Ansätzen der Stellenwert des »Arbeitskraftunternehmers« bzw. der Debatte darüber beschrieben. Heinrich Klinkhammer, Arbeitsdirektor der Deutschen Telekom, fasst die wichtigsten Aspekte des Wandels der Arbeitsverhältnisse in folgender Weise zusammen:
– »Die Flexibilisierung der Arbeitszeit richtet sich an Kunden- und Mitarbeiterbedürfnissen aus.
– Die Erforderlichkeit betrieblicher Anwesenheit verliert an Bedeutung.
– Dezentrale und auch virtuelle Betriebsformen nehmen zu.
– Der Arbeitnehmerstatus verändert sich aufgrund neuer Arbeitsbedingungen (Stichwort: Weg von Dienstverträgen/Honorierung der Anwesenheit und hin zu Arbeitsbedingungen mit werkvertraglichem Charakter/Honorierung von Ergebnissen).
– Aufgrund umfassender Verfügbarkeit des Produktionsfaktors Information verschieben sich die betrieblichen Hierarchien, Arbeitsabläufe, Arbeitsinhalte und die räumliche Allokation von Arbeit.
– Der Betriebs als Ort sozialer Kommunikation verliert an Bedeutung.
– Das selbstverantwortliche lebenslange Lernen nimmt an Bedeutung zu.
– Die Selbstorganisation von Arbeitabläufen und Prozessen gehört zu den Anforderungen künftiger Beschäftigter.
– Unternehmensumwandlungen, Abspaltungen, Ausgründungen und Teilbetriebsübergänge reduzieren betriebliche Mitbestimmungsmöglichkeiten.
– Die strategische Partnerschaft mit dem Sozialpartner gewinnt an Bedeutung.«[5] Das ist nicht nur eine abstrakte Kennzeichnung einer Entwicklung, sondern beschreibt auch das konkrete Programm zur Gestaltung der Arbeitsverhältnisse und Arbeitsbedingungen bei der Deutschen Telekom. Auch in der Auseinandersetzung um das VW-Projekt 5000x5000 ging und geht es darum, inwieweit der Typ des »Arbeitskraftunternehmers« bzw. Elemente daraus in Zukunft im Produktions- und Beschäftigungskonzept in Deutschland Platz haben sollen. Von Seiten des VW-Managements und seines Arbeitsdirektors Peter Hartz war das Konzept ursprünglich auf die weitgehende Verwirklichung des »Arbeitskraftunternehmers« angelegt: Im Gewand des Arbeitsvertrages sollte letztlich faktisch ein »Werkvertrag« stehen, in dem das zu erbringende Werk (Produktionssoll) und das dafür zu erbringende Honorar (DM 5000,00 monatlich) feststeht, für die notwendige Qualifikation und die aufzuwendende Arbeitszeit der »Unternehmer seiner Arbeitskraft« weitestgehend allein verantwortlich ist. Allein diese beiden Beispiele zeigen zur Genüge, dass die Auseinandersetzung um den »Arbeitskraftunternehmer« als neuen Typ industrieller Arbeit sehr konkret ist. Natürlich geht es dabei auch um Tendenzen, die schon in der Produktionstechnik und Arbeitsorganisation der 1970er und 80er Jahre ein Rolle gespielt haben und kritisch diskutiert wurden. So habe ich selbst die Rückkehr vom Arbeitsvertrag zum Dienst- und Werkvertrag und die Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit der Arbeitskraft als Kennzeichen des japanischen Produktionsmodells skizziert und kritisiert – als viele darin noch fast ausschließlich das Ende der Arbeitsteilung und die Requalifizierung der Arbeitskraft sahen.[6] Aber diese Tendenzen verdichten sich heute und durchdringen mit einigen Elementen eine immer größere Zahl so genannter Normalarbeitsverhältnisse, wie die Beispiele Telekom und VW zeigen. Sowohl von den technischen und ökonomischen Veränderungen her als auch vom mentalen Wandel in der Einstellung und im (Selbst-)Bewusstsein der Beschäftigten ergibt sich eine Situation, die das herkömmliche Arbeitsverhältnis und seine sozial- wie arbeitsrechtliche Regelung massiv verändern, ja auch sprengen kann. Dementsprechend wurde auch im IG Metall-Zukunftsreport das Thema aufgegriffen und formuliert: »In der gesellschaftlichen und Teilen der wissenschaftlichen Debatte nimmt der ›Arbeitskraftunternehmer‹ eine zentrale Rolle ein. In ihm fokussieren sich alle Tendenzen des Wandels der Arbeitsgesellschaft, der Arbeitsorganisation ebenso wie der Arbeitsverhältnisse. Kennzeichnend für diesen Arbeitnehmertyp ist
– die hohe Eigenverantwortung für die ständige Qualifikation der eigenen Arbeitskraft,
– hohe Bereitschaft zu Flexibilität und Mobilität im Arbeitseinsatz,
– die Verwischung der Grenzen zwischen Arbeitszeit und Freizeit sowie
– die weitgehende oder ausschließliche Verantwortung für ein zu erbringendes Arbeitsergebnis, das letztlich auch die Grundlage der Bezahlung ist.«[7] Schon lange, bevor Hans J. Pongratz und G. Günter Voß die These vom »Arbeitskraftunternehmer als neuem Typus der Arbeitskraft« formuliert haben,[8] und er z.B. von A. Baukrowitz und A. Boes insbesondere für die IT-Industrie zu Recht identifiziert wurde,[9] ist der Wandel im Verständnis und Selbstverständnis der Arbeitskraft als Teil einer veränderten Form des Kapitalismus thematisiert und beschrieben worden. Denn es geht bei den Tendenzen, die im Stichwort vom »Arbeitskraftunternehmer« zusammengefasst werden, um weit mehr als einen neuen Typ des Arbeitnehmers oder eine neue Grundform der Ware Arbeitskraft. Es geht auch um eine andere Form des Kapitalismus, um eine andere Form der Gesellschaft, wie es zugespitzt z.B. von R. Hank als Weg in die »Gesellschaft der Selbständigen« beschrieben wird.[10] Andreas Zielcke bezieht z.B. auch die Entwicklung zum Outsourcing und Franchising in die Analyse ein und formuliert und beschreibt den Entwicklungstrend wie folgt: »Er löst das Großunternehmen im idealtypischen Grenzfall in so viele Einzelunternehmen auf, wie es Arbeitende beschäftigt, und stellt den gesamtbetrieblichen Zusammenhang als wesentlich komplexeren und variableren Verbund von individuellen Initiativ- und Profitcentern her.«[11] Zielcke beschreibt auch sehr klar die arbeitsrechtlichen und machtpolitischen Konsequenzen: »Ihr Rechtsverhältnis zum Betriebsinhaber wird sich grundsätzlich ändern. Statt an Pflichterfüllung werden sie nicht anders als schon jetzt ihre leitenden Kollegen an Erfolg und Wertschöpfung gemessen werden. Darum werden die üblichen Dienstverträge, die bis heute als fundamentales Ordnungsprinzip das rechtliche Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit strukturieren, tendenziell von oben bis unten durch Werkverträge oder Geschäftsbesorgungsverträge abgelöst werden.«[12] »Kapitalismus ohne Arbeit« bedeutet dann, dass das Kapital überhaupt keine Arbeit mehr erwerben möchte, sondern Arbeitsergebnisse, »dass es in seinem Betrieb keinen Arbeitszusammenhang mehr organisieren will, sondern einen Entscheidungskreislauf, dass es Beschäftigte künftig dafür bezahlt, sich an seiner Stelle den Kopf zu zerbrechen und sich die Probleme der konkreten Arbeitserledigung, der Verfügung, der Optimierung und Qualifizierung des Arbeitseinsatzes zu eigen zu machen.« Während die Besitzer der Ware Arbeitskraft (Arbeitnehmer) durch Arbeitsrecht und Arbeitsvertrag, durch gemeinsame Aktion und kollektive Verträge als der strukturell Schwächere geschützt waren, sind in der »Unternehmergesellschaft« alle formal und rechtlich gleichgestellt, was den ungeregelten Kampf frei gibt zwischen Schwergewicht und Federgewicht in ein- und demselben Ring »Markt«.[13] Ein Jahr später formuliert Christian Lutz nahezu euphorisch »Der Arbeitnehmer ist tot – es lebe die Lebensunternehmerin!«[14] Er beschreibt die Entwicklung folgendermaßen: »Formal werden sicher auch in der Lebensunternehmerwelt noch lange Zeit die meisten Beschäftigten Arbeitnehmerstatus haben. Aber gleichzeitig verlagern sich unternehmerische, eigenständig gestaltende Funktionen an jeden einzelnen Arbeitsplatz. Immer mehr Arbeitsbedingungen sind nicht mehr vorgegeben vom Arbeitgeber oder durch Kollektivverträge, sondern Gegenstand individueller Aushandlung oder eigener Selbstbestimmung: Arbeitsort, Arbeitszeit, Bezahlungsmodus, Arbeitsinhalt, organisatorische Einbindung ... Für Präsenzzeiten honoriert werden nur noch Nachtwächter und andere, bei denen es wirklich darauf ankommt. Demgegenüber geben Leistung, Erfolg oder auch einfach Verfügung über Qualitäten, Beziehungsnetze immer häufiger den Ausschlag. Gleichzeitig wandeln sich die Arbeitsverhältnisse, beispielsweise durch Outsourcing: Aus Intrapreneurs werden Auftragnehmer, Zulieferer, die sich andere Märkte erschließen und zu selbständigen Unternehmern werden, und sei es nur als Ein-Mann- oder Ein-Frau-Unternehmen.«[15] Mit einer eindeutig politisch-konservativen Stoßrichtung wird die Thematik dann schließlich von der »Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen« aufgegriffen. Sie formuliert als einen zentralen Punkt ihrer »Erneuerungsstrategie« im Rahmen der Empfehlungen zur Verbesserung der Beschäftigungslage: »Eine durchgreifende Verminderung der Beschäftigungs- und der mit ihnen einhergehenden Einkommens- und Vermögensprobleme ist nur durch eine Aktivierung aller kreativen und innovativen, d.h. im umfassendsten Sinn unternehmerischen Kräfte sowie durch mehr Eigeninitiative und Selbstverantwortung möglich. Zwar wird auch in absehbarer Zukunft die Mehrheit der Erwerbsbevölkerung ganz oder teilweise abhängig beschäftigt sein. Doch darf das Leitbild des Arbeitnehmers nicht im bisherigen Umfang bewusstseinsprägend bleiben. Vielmehr ist das Leitbild der Zukunft der Mensch als Unternehmer seiner Arbeitskraft und Daseinsvorsorge.«[16] Gestaltungsherausforderungen für die Gewerkschaften Angesichts der wissenschaftlich-gesellschaftlichen Debatte, aber vor allem angesichts der empirischen Befunde ist es müßig zu fragen, ob es sich hier nur um Ideologie, d.h. wenig Wahres in viel Falschem,[17] oder um reale Entwicklungen handelt, die auch geänderte Gestaltungskonzepte erfordern. Die realen Entwicklungen finden statt, in unterschiedlichen industriellen und dienstleistenden Sektoren und für die verschiedenen Arbeitnehmergruppen mit unterschiedlicher Reichweite. Der Report der SPD-Arbeitsgruppe »Zukunft der Arbeit« beschreibt sehr deutlich das Zusammenwirken von Wandlungsprozessen in der ökonomisch-technischen Entwicklung einerseits und Veränderungen der gesellschaftlichen Bewusstseinslagen und individuellen Einstellungen andererseits: »Die Grenze zwischen abhängigem Beschäftigungsverhältnis und Selbständigkeit wird fließend. Ein größer werdendes Segment des gesellschaftlichen Arbeitsvolumens wird sich nicht mehr im Rahmen des Arbeitsvertragsverhältnisses bewegen. Die Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit wird – wie die Schwierigkeiten der Gesetzgebung zur Scheinselbständigkeit zeigen – immer schwieriger und in einigen Jahrzehnten vielleicht gar nicht mehr möglich sein. Die Flexibilisierung und die Verflüchtigung der Grenze zwischen Abhängigkeit und Selbständigkeit verändern ihrerseits das Bewusstsein vieler Erwerbstätiger. Es ist immer mehr – häufig ungeachtet der objektiven sozialen und ökonomischen Situation – nicht mehr vom Gefühl der Abhängigkeit und kollektiven Zusammengehörigkeit geprägt, sondern von persönlicher Verantwortung und dem Vertrauen in die eigene individuelle Durchsetzungskraft. Diese Veränderung der Mentalitäten begünstigt dann wieder den Trend zur Flexibilisierung und zu neuen Arbeitsformen, sodass sich eine sich selbst verstärkende Rückkoppelung ergibt.«[18] Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt der IG Metall-Zukunftsreport: »Die empirischen Befunde der Befragungen und Erhebungen deuten an, dass Teile dieses Konzepts bei den Beschäftigten nicht auf Widerstand stoßen. Dies zeigen die Auffassungen zur Qualifizierung, zu Arbeitszeitregelungen, die hohe Wertorientierung der Befragten in Bezug auf Berufsarbeit und die in der Regel hohe Arbeitszufriedenheit in den verschiedensten Bereichen.«[19] In den »Zuspitzungen und Diskussionsanreizen« des Zukunftsreports wird dementsprechend auch die Schlussfolgerung formuliert: »Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nehmen den Strukturwandel der Arbeitswelt sehr deutlich wahr und akzeptieren ihn auch weitgehend. Dies gilt insbesondere für jüngere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Neue Anforderungen an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verlangen, dass sie sich selbst um die Qualifikation ihrer Arbeitskraft und damit ihre ›employability‹ (Arbeitsfähigkeit) kümmern, ihre Arbeit selbst organisieren und größere Verantwortung für die Ergebnisse ihrer Arbeit übernehmen. Auch zunehmende Aufgeschlossenheit gegenüber Selbständigkeit muss in diesem Zusammenhang gesehen werden. Diese Tendenzen werden in der wissenschaftlichen Diskussion in dem Begriff ›Arbeitskraftunternehmer‹ auf den Punkt gebracht und zum Teil auch heftig kritisiert.«[20] Der »Diskussionsanreiz« folgert daraus: »Die IG Metall muss sich mit dem Konzept des ›Arbeitskraftunternehmers‹, der immer stärker qualifizierte Facharbeit und Angestelltentätigkeit abzulösen droht, auseinander setzen und Gestaltungskonzepte entwickeln. Für größere Selbstorganisation der Arbeit und mehr Ergebnisverantwortung müssen Konzepte entwickelt werden, die die Selbständigkeit in der Arbeit fördern, aber entgrenzte Arbeit(szeit), Einkommensunsicherheiten und die Verlagerung von Unternehmerrisiken auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verhindern.«[21] Mit dem Begriff des »Arbeitskraftunternehmers« werden Tendenzen in der Entwicklung der Erwerbsarbeit, insbesondere der abhängigen Erwerbsarbeit, zugespitzt und plakativ umschrieben. Diese Tendenzen gehen z.T. auf Veränderungsprozesse zurück, die schon zwei Jahrzehnte andauern und mit der Absage an die fordistische und tayloristische Massenproduktion begonnen haben. Sie beinhalten eine Veränderung der kapitalistischen Produktionsweise mit anderen Steuerungs- und Kontrollmechanismen über den Produktionsprozess und die produzierenden Erwerbstätigen, rechtliche Änderungen in der Gestaltung der Erwerbsarbeit mit dem Trend zu mehr rechtlicher Selbständigkeit und Änderungen in der abhängigen Erwerbsarbeit hin zu mehr Selbstverantwortung in der Gestaltung der Arbeitszeit und der Arbeitsbedingungen, aber auch für das Arbeitsergebnis. Diese Tendenzen dringen in Teilaspekten in immer mehr Arbeitsverhältnisse ein, betreffen aber die einzelnen Wirtschaftsbereiche und Arbeitnehmergruppen noch sehr unterschiedlich. Sie wurden möglich und erweitern sich aufgrund der Digitalisierung der Produktions- und Informationstechnik mit den neuen Automatisierungs-, Vernetzungs-, Steuerungs- und Kontrollmöglichkeiten, dem höheren Qualifikationsniveau und Selbstbewusstsein der Erwerbspersonen und – last but not least – der Dauerkrise abhängiger Arbeit in Form skandalöser Massenarbeitslosigkeit. Diese Entwicklung bringt für die Gewerkschaften eine organisationspolitische und gestaltungspolitische Herausforderung mit sich, beinhaltet vor allem auch eine enorme gesamt- und gesellschaftspolitische Herausforderung zur anderen Gestaltung und Regulierung der industriellen Arbeit und der sozialen Sicherungssysteme. Das Flexicurity-Konzept des WSI greift solche Ansätze auf.[22] Eine allein oder primär auf Verhinderung und Abwehr gerichtete Strategie im Umgang mit den genannten Entwicklungslinien ist angesichts der Massenarbeitslosigkeit, des gesellschaftlichen Bewusstseinswandels und der ökonomisch-technischen Veränderungen zum Scheitern verurteilt. Wie bei der Einführung des Taylorismus und der Akkordarbeit, der Computerisierung und Digitalisierung von Verwaltung und Produktion – alles gravierende Veränderungen innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise mit jeweils erheblichen Risiken für Arbeitsbedingungen und Beschäftigung – muss eine »Gestaltungsoption«, die natürlich auch Abwehrelemente enthält, an Stelle einer Verhinderungsoption treten. Wenn es also in der Tat einen gesellschaftlichen Entwicklungstrend hin zu einer »Gesellschaft der Selbständigen« gibt, kann diese Entwicklung unterschiedlich gestaltet werden. Sie kann entweder eher repressiv ausgestaltet werden und die Abhängigkeiten unzähliger »kleiner Selbständiger« gegenüber dem »Großkapital« verstärken.[23] Sie kann aber auch emanzipatorisch gestaltet werden, mit mehr Rechtsansprüchen für die Individuen und neuen Regelungsmechanismen für soziale Sicherheit und den Schutz der Betroffenen im »Werkvertragsverhältnis«. Für die Gewerkschaften ergeben sich daraus zunächst organisationspolitische Herausforderungen. Sie sollten sich für »Selbständige« öffnen. Eine Kultur der »Selbständigkeit« mit Risikobereitschaft und hoher Selbstmotivation darf in der Organisationskultur der Gewerkschaften nicht diffamiert werden. Schon heute organisiert die Gewerkschaft ver.di in der Tradition der früheren IG Medien gerade im Medien- und Kulturbereich auch Selbständige. Wenn dieser Status von Erwerbsarbeit auch in anderen Bereichen häufiger Platz greift, werden sich alle Gewerkschaften in Produktions- und Dienstleistungsbereichen überlegen müssen, Selbständige als Mitglieder zu organisieren und ihre Belange zu vertreten. Das geht von der Erarbeitung von Musterregelungen für Werk- und Honorarverträge über Veröffentlichung und Beeinflussung der Honorierung bestimmter Dienstleistungen, Rechts- und Qualifizierungsberatung für die Betroffenen bis hin zur politischen Einflussnahme auf die gesetzlichen und administrativen Rahmenbedingungen für Selbständigkeit. Wichtig ist auch, dass die »Eigenwilligkeit der Einzelgänger« in einer Gewerkschaft Platz erhält und neue Formen des Verhältnisses von Individualität und Solidarität eine Chance bekommen. Die wichtigste Aufgabe für die Gewerkschaften liegt aber darin, die entsprechenden Veränderungen in der abhängigen Erwerbsarbeit in Richtung auf mehr Selbstorganisation der Arbeit zu gestalten. In »Offensive 2010«, dem Entwurf des IG Metall-Zukunftsreportes, heißt es dazu: »Neue Konzepte der Produktion und Arbeitsorganisation und steigende Ansprüche der Beschäftigten haben dazu beigetragen, dass auch Selbstorganisation und Selbständigkeit in der Erwerbsarbeit wichtiger werden. Diese wollen wir fördern und konstruktiv mitgestalten. Dadurch wird die IG Metall dem Anspruch gerecht, Anwalt für »gute Arbeit« zu sein und die Interessen der Menschen auch in modernen Arbeitssituationen zu vertreten. Es ist durch Tarifverträge möglich, die Arbeitsorganisation, die Technikgestaltung, die Leistungsabforderung und die Ergebnisverantwortung so zu regeln, dass die Arbeit für einzelne und für Gruppen attraktiver wird. In diesem Zusammenhang halten wir auch eine Neubewertung von Arbeit und Leistung, einschließlich leistungs- und ergebnisbezogener Entgeltsysteme für notwendig. So können die verständlichen Wünsche nach Selbstorganisation und Selbständigkeit in der Arbeit gefördert, die negativen Elemente, die das Bild des ›Arbeitskraftunternehmers‹ prägen, aber ausgeschlossen werden.«[24] Dies bezieht sich zunächst einmal auf die Arbeitszeit. Auf der Grundlage einer nach wie vor tarifvertraglich geregelten Dauer der individuellen regelmäßigen Arbeitszeit wird es darauf ankommen, die individuellen Anspruchs- und Gestaltungsrechte über Beginn und Ende der Arbeitszeit in Tarifverträgen festzuschreiben. Aus der Debatte um die »Vertrauenszeit« müssten die Gewerkschaften die Schlussfolgerung ziehen, die autonomen Gestaltungsmöglichkeiten des Einzelnen als tariflichen Rechtsanspruch zu formulieren. Das könnte z.B. zu folgender Tarifforderung führen: »Die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit beträgt 35 Stunden. Über Anfang und Ende der täglichen Arbeitszeit, über die Anwesenheit an einzelnen Tagen, über die gleichmäßige oder ungleichmäßige Verteilung der Arbeitszeit im Rahmen des Ausgleichszeitraums entscheidet die Arbeitnehmerin/der Arbeitnehmer eigenständig. Die individuelle regelmäßige durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit ist innerhalb eines Ausgleichzeitraums von 12/26/52 ....Wochen/Monaten zu erbringen.« Parallel dazu müsste tarifvertraglich gesichert werden, dass die Arbeitszeiten vollständig erfasst werden und der Betriebsrat über die Arbeitszeiten informiert wird. Wird das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen in Sachen Arbeitszeit aufgrund betrieblicher Erfordernisse eingeschränkt, hat der Betroffene das Recht, den Betriebsrat einzuschalten. Bei der Reform der Entgeltsysteme und der tariflichen Leistungsbedingungen werden schon heute Möglichkeiten eröffnet, die »Ergebnisverantwortung« zu honorieren. Neue tarifpolitische Ansätze ermöglichen sehr wohl, auch »Zielvereinbarungen« oder erzielte Arbeitsergebnisse zur Grundlage einer ergebnisabhängigen Bezahlung zu machen. Wichtig bleibt dabei allerdings, dass die Randbedingungen, unter denen das Ergebnis erbracht wird, definiert werden. Dazu gehört z.B. die geforderte Qualifikation ebenso wie die zu leistende Arbeitszeit. Auszuschließen ist, dass Unternehmerrisiken, wie z.B. die Pünktlichkeit der Zulieferung von Waren oder Dienstleistungen und die Qualität des Zugelieferten oder der Vormaterialien jeder Art, auf den Arbeitnehmer verlagert werden. Einen großen Stellenwert spielt für den »Unternehmer der eigenen Arbeitskraft« schließlich der Gesamtbereich von Aus- und Weiterbildung. Die Diskussion um die ausschließliche Kostenbelastung der Unternehmen für Aus- und Weiterbildung geht an der Realität angesichts der eigenständigen Qualifizierungsleistungen, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schon Jahr und Tag erbringen, vorbei. Insofern ist auch die Eigenverantwortung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für ihre »employability« nicht grundsätzlich neu. Deshalb stellt der Entwurf des IG Metall-Zukunftsmanifestes zu Recht fest: »Die Beschäftigten betrachten es zu Recht auch als ihre individuelle Verantwortung, durch Qualifizierung ihre Beschäftigungsfähigkeit zu erhalten. Sie qualifizieren sich vielfältig beruflich weiter; auch in ihrer Freizeit und auf eigene Kosten.«[25] Entscheidend ist, dass berufliche Bildung ein ständiger Prozess wird und in jeder Phase der Aus- und Weiterbildung nicht nur »berufliche« Inhalte, sondern die Fähigkeit zu lernen, Arbeit selbst zu organisieren und die eigenen Rechte zu vertreten, vermittelt wird. Wichtig ist, dass die lebenslangen Ansprüche der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf Weiterbildung tarifvertraglich geregelt und ein Bundesrahmengesetz für berufliche Weiterbildung zustande kommt. Entscheidend sind aber auch neue Ansprüche an die inhaltliche Gestaltung von Aus- und Weiterbildung: Die Befähigung zur Selbständigkeit, zur autonomen Gestaltung von Arbeit und Arbeitszeit muss auch in der Aus- und Weiterbildung gelehrt und gelernt werden. Letztlich ist aber die Entwicklung zu einer Gesellschaft der Selbständigen eine enorme gesellschaftspolitische Herausforderung: Wenn es eine Entwicklung zu mehr Selbständigkeit gibt und sie auch gesellschaftlich gewollt ist oder hingenommen wird, dann sind auch konkrete gesetzliche Mindestbedingungen und Schutzrechte zur Gestaltung von (abhängiger) Selbständigkeit erforderlich. Es reicht dann wohl nicht aus, »Scheinselbständigkeit« zu verbieten oder »arbeitnehmerähnliche Verhältnisse« möglichst umfassend zu definieren. Wichtig ist, Mindesterfordernisse an einen »Werk- oder Honorarvertrag« gesetzlich zu definieren, insbesondere solange ungeklärt ist, ob kollektivrechtliche Regelungen der Bedingungen selbständiger Arbeit faktisch und rechtlich möglich sind. Es kann nicht sein, das die Arbeits- und Bezahlungsbedingungen der »alten« Selbständigen (Rechtsanwälte, Ärzte, Architekten etc.) durch das Kammerwesen hoch reguliert und geschützt sind, neue Selbständigkeit aber nur abhängige Ausbeutung ermöglicht, ohne gesetzliche Mindestrechte und kollektiven Schutz für die Betroffenen. Neben gesetzlichen Schutzvorschriften für Form und Inhalt von Werk- oder Honorarverträgen muss vor allem aber auch die kollektive Interessenvertretung von »Selbständigen« z.B. durch Gewerkschaften möglich werden. Eine Entwicklung zu mehr Selbständigkeit verlangt aber schließlich und nicht zuletzt auch eine Änderung der sozialen Sicherungssysteme, weil eine steigende Zahl Selbständiger ohne Verpflichtung zur Versicherung für den Fall der »Auftragslosigkeit«, der Krankheit, der Pflegebedürftigkeit und des Alters ansonsten ohne soziale Absicherung wäre. Eine gesetzliche Versicherungspflicht für diese Fälle, ähnlich der Autohaftpflicht, die Ausgestaltung bestimmter Sicherungssysteme hin zu einer »Erwerbstätigenversicherung« mit Beitragspflicht und Leistungsanspruch für alle Erwerbstätigen, oder ein steuerfinanziertes soziales Sicherungssystem – alle diese Möglichkeiten sind zu prüfen, wenn die Gesellschaft der Selbständigen nicht zur Gesellschaft der Schutzlosen werden soll. Die ganze Frage der gesellschaftlichen Entwicklung hinsichtlich der Erwerbsarbeit und ihrer Zukunft hat aktuell durch die Vorschläge der so genannten Hartz-Kommission eine deutliche Zuspitzung erfahren. Denn zweifellos will die Kommission mit einem wesentlichen Teil ihrer Vorschläge durch mehr Selbständigkeit im unmittelbaren und mittelbaren Sinn Arbeitslosigkeit überwinden und neue Arbeitslosigkeit vermeiden: unmittelbar, indem die Selbständigkeit in Form der Ich- und Familien-AG als Alternative zur Arbeitslosigkeit propagiert und gefördert werden soll; mittelbar, indem mehr Selbständigkeit die Einstellung und das Handeln der Arbeitslosen beim Bemühen um einen Arbeitsplatz bestimmen sollen. Gerade bei der Umsetzung der Vorschläge der »Hartz-Kommission« werden die Gewerkschaften sehr darauf zu achten haben, ob für die Arbeitsgesellschaft damit der Weg in eine schutzlose oder in eine emanzipierte Selbständigengesellschaft beschritten wird. Die Veränderungen der Struktur von Erwerbsarbeit und innerhalb der abhängigen Erwerbsarbeit zu verdrängen, wäre in der Tat ideologisch. Mit der begrifflichen Benennung bestimmter Entwicklungstendenzen ist keineswegs ihre Akzeptanz oder Propagierung verbunden. Aber es wäre falsch, die langfristig doch einen sehr grundlegenden Wandel der Erwerbsarbeit und der Erwerbsgesellschaft signalisierenden Faktoren zu negieren oder zu verharmlosen. Gewerkschaftliche Gestaltungskraft kann doch erst entwickelt werden, wenn Gefahrenpotenziale und Chancen erkannt werden, um gezielt tarifliche Gestaltung durchzusetzen und politische Regulierung einzufordern. [1] Vgl. dazu IG Metall-Zukunftsreport, Frankfurt 2001, S. 14f.; Zukunft der Arbeit. Bericht der Projektgruppe »Zukunft der Arbeit« des SPD-Parteivorstandes, Berlin 2001, S. 8-21.
[2] Vgl. dazu den Bericht der Kommission »Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt« (Hartz-Kommission) vom 16. August 2002.
[3] Zukunft der Arbeit, Bericht der Projektgruppe, a.a.O., S. 26.
[4] ebd.
[5] H. Klinkhammer, Überlegungen zur »Zukunft der Arbeit«, in: Welche Zukunft hat die Erwerbsarbeit?, Projektgruppe »Zukunft der Arbeit« beim SPD-Parteivorstand, o.O.u. J. (Berlin 1999), S. 92.
[6] K. Lang, K. Ohl, Lean production. Herausforderungen und Handlungsmöglichkeiten, Köln 1994.
[7] IG Metall Zukunftsreport, a.a.O., S. 18.
[8] G.G. Voß, H.J. Pongratz, Der Arbeitskraftunternehmer. Eine neue Grundform der Ware Arbeitskraft? Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg. 550,1998, S. 131-158.
[9] A. Baukrowitz, A. Boes, Forschungsprojekt ARB-IT, Zwischenbericht in: Frankfurter Rundschau vom 2. März 2000.
[10] R. Hank, Arbeit. Die Religion des 20. Jahrhunderts, Frankfurt 1997.
[11] A. Zielcke, Der neue Doppelgänger. Die Wandlung des Arbeitnehmers zum Unternehmer – Eine zeitgemäße Physiognomie, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20. Juli 1996.
[12] Ebd.
[13] Ebd.
[14] Chr. Lutz, Der Arbeitnehmer ist tot – es lebe die Lebensunternehmerin! Referat anlässlich der Internationalen GDI-Konferenz »Zukunft der Arbeit« vom 26. März 1997, Vortragsmanuskript.
[15] Ebd.
[16] Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen, Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit in Deutschland, Teil III, Maßnahmen zur Verbesserung der Beschäftigungslage, S. 7, Bonn 1997.
[17] Vgl. I. Drexel, Arbeitskraftunternehmer – ein Leitbild für Berufsbildung?, in: IG Metall (Hrsg.), Facharbeit als unternehmerisches Arbeitshandeln. Tagungsbericht, o.O.u.J.
[18] Zukunft der Arbeit, Bericht der Projektgruppe, a.a.O., S. 27.
[19] IG Metall-Zukunftsreport, a.a.O., S. 19.
[20] A.a.O., S. 84.
[21] B. Keller, H. Seifert, »Flexicurity – Das Konzept für mehr soziale Sicherheit flexibler Beschäftigung«, WSI-Mitteilungen 5/2000, S. 284-300.
[22] Vgl. dazu auch den »Flexicuritiy«-Ansatz des WSI.
[23] Vgl. R. Hank, Arbeit – die Religion des 21. Jahrhunderts. Auf dem Weg in die Gesellschaft der Selbständigen. Frankfurt a.M. 1995.
[24] IG Metall, Offensive 2010. Entwurf des IG Metall-Zukunftsmanifestes, Frankfurt 2002, S. 17.
[25] A.a.O., S. 18.

Leseprobe 3



Inhalt:

Vorwort der Herausgeber (Leseprobe!)

I. Arbeitnehmer als Unternehmer – Realität, Trend oder Ideologie?


Hans J. Pongratz
Erwerbstätige als Unternehmer ihrer eigenen Arbeitskraft?
Konzepte, Diskussionen und Anforderungen an Gewerkschaften
Klaus Lang (Leseprobe!)
Zukunft der Arbeit und Arbeitskraftunternehmer
Gerd Gidion
»Nebenbei auch Unternehmer sein«
Unternehmerisches Handeln bei abhängig beschäftigten Fachkräften
Jürgen Strauß
Der unfertige Arbeitskraftunternehmer
Michael Faust
Der »Arbeitskraftunternehmer« – eine Leitidee auf dem ungewissen Weg der Verwirklichung
Stefan Kühl
Vom Arbeitskraftunternehmer zum Arbeitskraftkapitalisten

II. Unternehmerisches Handeln im Beruf – Widerspruch oder Ergänzung?


G. Günter Voß
Der Beruf ist tot! Es lebe der Beruf!
Zur Beruflichkeit des Arbeitskraftunternehmers und deren Folgen für das Bildungssystem
Ingrid Drexel
Das Konzept des Arbeitskraftunternehmers – ein Leitbild für gewerkschaftliche Berufsbildungspolitik?
Michael Ehrke
»Unternehmerisches Handeln« – mögliches Leitbild bei der Modernisierung von Ausbildungsberufen?
Wilfried Kruse
Selbstmanagement und Beruflichkeit: Was wird beim Übergang ins Arbeitsleben gelernt?
Eva Kuda
Neue Leitbilder von Facharbeit
Bildungspolitische Aspekte aus gewerkschaftlicher Sicht

Autorenreferenz

Ingrid Drexel, Dr.; Institut für sozialwissenschaftliche Forschung (bis Ende 2001), München. Michael Ehrke, Dr.; Gewerkschaftsreferent beim Vorstand der IG Metall, Ressort Bildungs- und Qualifizierungspolitik. Michael Faust, Dr.; Soziologisches Forschungsinstitut, Göttingen. Gerd Gidion, Dr.; Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO), Stuttgart. Wilfried Kruse, Dr.; Landesinstitut Sozialforschungsstelle Dortmund. Eva Kuda; Gewerkschaftsreferentin beim Vorstand der IG Metall in Frankfurt, Ressort Bildungs- und Qualifizierungspolitik. Stefan Kühl, Dr.; Dozent am Institut für Soziologie, Universität München, selbständiger Organisationsberater und Moderator. Klaus Lang, Dr.; Bereichsleiter beim Vorstand der IG Metall, Koordination der Vorstandsarbeit. Hans J. Pongratz, Dr.; Leiter des Instituts für sozialwissenschaftliche Information und Forschung (ISIFO e.V) in München. Jürgen Strauß, Diplomsoziologe; Landesinstitut Sozialforschungsstelle Dortmund. G. Günter Voß, Prof. Dr.; Institut für Soziologie, Technische Universität Chemnitz.

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