Kann Weihnachten bunt & links sein?

Ja, zumindest was die Geschenkideen des VSA: & Sozialismus-Teams betrifft. Wir unterbreiten auch in diesem Jahr Vorschläge, damit unsere LeserInnen am 24.12. nicht ohne Geschenk vor ihren Liebsten stehen müssen. Sofern ein VSA: Produkt in die engere Wahl kommt, sollte dieses bei der Lieblingsbuchhandlung (Support your local dealer!) oder bei uns bestellt werden. Bestellungen, die uns bis zum 17. Dezember erreichen, verschicken wir noch rechtzeitig zum Heiligabend.

Wir wünschen allen LeserInnen ein buntes Fest!

Marion Fisch [Lektorat | Redaktion Sozialismus | Herstellung]

Darauf zu bestehen, dass uns »kein höh’res Wesen« rettet, kommt gerade zur Weihnachtszeit nicht überall gut an. Als Ausweg lässt sich mit Wer rettet Wen? als Kombigeschenk von kurzweiligem Film und vertiefendem Buch der durchaus irdischen Frage nachgehen, wer bei den ganzen Bankenrettungen im Gefolge der Finanzkrise eigentlich wirklich gerettet worden und wer auf der Strecke geblieben ist. Eine Frage, die sich im kommenden Jahr garantiert wieder auf die Agenda drängt.

Außerdem empfehle ich den in diesem Jahr erstmals erschienenen Vorläuferroman des Klassikers »Wer die Nachtigall stört«. Schon die Geschichte der Veröffentlichung von Gehe hin, stelle einen Wächter von Harper Lee ist aufschlussreich, vor allem aber zeigt der oft unbequeme Text deutlicher als die »Nachtigall« die Schattierungen zwischen dem rassistischen Amerika und seiner progressiven Gegenseite. Und selbst wenn die Protagonistin des Romans ihre Schattenseiten hat – ihr Bekenntnis zur ethnischen Farbenblindheit würde auch dem heutigen Europa gut zu Gesicht stehen.

Maren Schlierkamp [Lektorat | Vertrieb & Werbung]

In diesem Jahr haben wir einen Klassiker der Soziologie neu aufgelegt: Die verborgenen Mechanismen der Macht von Pierre Bourdieu ist nicht nur für jede/n geistes- und sozialwissenschaftliche/n StudentIn eine Bereicherung. Insbesondere das Kapitel »Ökonomisches Kapital – Kulturelles Kapital – Soziales Kapital« liefert eine komprimierte Einführung, um Klassenstrukturen und soziale Ungleichheiten verstehen zu können: »Es ist nur möglich, der Struktur und dem Funktionieren der gesellschaftlichen Welt gerecht zu werden, wenn man den Begriff des Kapitals in allen seinen Erscheinungsformen einführt, nicht nur in der aus der Wirtschaftstheorie bekannten Form.«

Eine schlichtere, aber nicht weniger »klassische« Weltanschauung präsentiert uns die Space Opera Star Wars. Seit 1977 begleiten wir nun schon den fortwährenden Kampf zwischen Gut und Böse in einer »weit, weit entfernten Galaxie«. Am 17. Dezember läuft die siebte Episode Das Erwachen der Macht in den deutschen Kinos an. Auch wenn diese nicht mehr unter der Regie von George Lucas, sondern von J.J. Abrams entstand, dürfen wir doch gespannt sein, wen es diesmal auf die dunkle Seite der Macht verschlagen wird. Zur Vor- oder Nachbereitung empfiehlt sich, über die Feiertage die komplette Saga noch einmal in voller Länge im Heimkino zu genießen: »Möge die Macht mit euch sein.« 

Laura Rowitz [hilft überall aus]

Wer einen politischen Jahresrückblick wagt, kommt an den grausamen Aktivitäten des sogenannten Islamischen Staates nicht vorbei. Aber 2015 ist auch das Jahr, in dem es der basisdemokratischen Selbstorganisierung in Rojava gelungen ist, dieser zutiefst reaktionären Entwicklung etwas entgegenzusetzen. Das möglicherweise fortschrittlichste Projekt der Region tut dies nicht nur in Form von militanter Selbstverteidigung, z.B. im Kampf um die Stadt Kobanê, sondern vor allem mit seinem emanzipatorischen Gesellschaftsmodell, das die Menschen vor Ort wider die Härte der Umstände tagtäglich realisieren. Revolution in Rojava. Frauenbewegung und Kommunalismus zwischen Krieg und Embargo, bereits in der 2. Auflage erschienen, lenkt den Blick auf die utopischen Potenziale der Bewegung. Anja Flach, Ercan Ayboğa und Michael Knapp liefern »eine Innenansicht der kurdischen Selbstverwaltungsstrukturen und viele Informationen über deren Entwicklungsgeschichte«, schrieb die junge Welt. Das Buch ist auch deshalb sein Geld wert, weil es wertvolle Hintergrundanalysen liefert, die an Aktualität so schnell nichts einbüßen werden.

Wer es über die Feiertage vorzieht, den barbarischen Ereignissen unserer Zeit kurzfristig zu entfliehen, der/dem sei zu einem anderen probaten Mittel geraten: dem Beaujolais Villages (2013) von der Domaine Julien Mathon. Der elegante Wein verzückt mit dem Duft von reifen roten Früchten und – Kiefernnadeln! Traditionelle Handlese sowie Schiefer- und Granitböden bieten beste Voraussetzungen für diesen raffinierten Tropfen. Spätestens mit dem ersten köstlichen Schluck gelingt es ganz hervorragend, sämtlichen Alltagsärger auszublenden, mit ordentlicher Belüftung legt der Zaubertrunk noch nach und entführt uns endgültig. Erhältlich z.B. für 12,50 € bei Kühne Lage in Hamburg-Bahrenfeld.

Björn Radke [Redaktion Sozialismus]

Welchen »sehr aktiven und noch dazu linken Verein« meinte der Erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt, »König« Olaf Scholz, als er dem bolivianischen Staatspräsidenten Evo Morales ein Trikot desselben als Gastgeschenk überreichte? Wir wissen nicht, ob diese Frage zu denen gehört, die im HEIMSPIEL beantwortet werden müssen. Aber wir wissen, dass das FC St. Pauli-Spiel für die ganze Familie, in dem – warum nur? – die Farbe Blau nicht vorkommt, insgesamt 1910 Fragen [und Antworten] rund um den »magischen FC«, seine Fans, den Fußball und die Viertel rund um das Hamburger Millerntor enthält. Das Geschenk sollte schnellstens bestellt werden, denn es wurden zunächst nur 2.000 Exemplare hergestellt. Und das Benefizprojekt hilft, das zukünftige FC St. Pauli-Museum zu finanzieren.

Wer stattdessen oder zusätzlich helfen möchte, ein monatlich erscheinendes Forum für die Debatte der gewerkschaftlichen und politischen Linken auch weiterhin zu ermöglichen, der oder dem gebe ich den Tipp, anderen oder sich selbst ein Abonnement der Zeitschrift Sozialismus zu schenken. Die Beschenkten sind dann immer bestens mit aktuellen Kommentaren und ausgewiesenen Hintergrundanalysen versorgt – eine Filmkritik in jeder Ausgabe inklusive. Kritische Beiträge zum Profisport, zu Korruptionsskandalen bei FIFA und DFB oder Würdigungen des Engagements z.B. des FC St. Pauli gegen Rechts und für Schutzsuchende allerdings sind noch Mangelware. Wir arbeiten dran.

Johannes Tesfai [Lektorat | Vertrieb | Redaktion]

Auch ein Roman kann politisches Zeugnis einer Zeit sein, so Unruhe um einen Friedfertigen von Oskar Maria Graf. Er beschreibt die Zeit zwischen dem Ende des Ersten Weltkriegs und 1933 in einem kleinen bayerischen Dorf. Die bayerische Beschaulichkeit durchlebt alle wechselvollen Ereignisse dieser Epoche: deutsche Niederlage im Ersten Weltkrieg, Novemberrevolution, Münchner Räterepublik, Weimarer Verfassung und Aufstieg des Nationalsozialismus. Der gemächlich erzählte Roman legt vor allem einen Fokus auf Letzteren. Graf beschreibt den Aufstieg der Nationalsozialisten als lange Entwicklung, wobei sie zuerst als Störenfriede empfunden werden, die Bauern sich jedoch langsam ihrer mörderischen Ideologie zuwenden. Ein solch schleichender Prozess ist heute aktueller denn je.

Die weihnachtlichen Ferien an den Universitäten geben vielleicht Zeit und Raum, über den Zustand des eigenen Studiums und der Hochschule nachzudenken. Einigen Studierenden wird vielleicht auffallen, dass ihr Studium wenig gemeinsam hat mit den Geschichten ihrer Eltern. Es fehlt an Freiheiten und selbstbestimmten Lern- und Studienplänen. In Wissenschaft oder Dummheit? geht Alex Demirović den Ursachen für das stressige und wenig interessengeleitete Studium auf den Grund. Er liefert eine grundsätzliche Kritik der Verfasstheit universitärer Forschung und Lehre. Der Autor vermeidet eine nostalgische Verklärung des Studiums in der 1960ern und 70ern und stößt zum Selberdenken an. Die Debatte um eine neue Uni ist eröffnet.

Klaus Schneider [Lektorat | Redaktion | Abobetreuung | Buchhaltung]

Der Schriftsteller Hans Fallada war ein Zeitgenosse des marxistischen Soziologen Karl Polanyi, den ich – neu entdeckt – gleich noch verschenken möchte. Beide wurden durch Weltkrieg und Große Depression geprägt. Falladas Roman Der Trinker wurde jetzt von Jakob Hinrichs in einem großartigen Comic adaptiert. Dabei ist das grafische Werk nicht einfach eine die Vorlage huldigende Visualisierung des Romans. Vielmehr vermischt Hinrichs das durch die Alkohol- und Rauschgift-Sucht bestimmte Schicksal der Romanfigur Erwin Sommer mit dem des Schriftstellers selbst. Schonungslos wird deren Niedergang in rauschhaften, expressionistisch-wilden Bildern nachgezeichnet, die parallel zur komplexen Erzählstruktur die Grenzen zwischen Fiktion und Realität sinnverwirrend vermischen. Die markanten Zeichnungen sorgen dafür, dass man als Leser in diesen Albtraum aus Drogen und Identitätsängsten mehr eintaucht, als einem vielleicht lieb ist. Und wäre das nicht auch ein Anlass, Falladas andere Meisterwerke (»Kleiner Mann – was nun?« oder »Jeder stirbt für sich allein«) noch einmal zu lesen?

Inmitten des Schauderns über den Zustand der Welt tut es immer wieder gut, in den schützenden Gedankengebäuden eines »menschelnden« Denkers Obhut zu suchen. Ein solcher ist sicherlich Karl Polanyi (1886-1964), dessen »The Great Transformation« zu den Hauptwerken der Soziologie zählt. Michael Brie hat ihn in einem hellblauen VSA: Bändchen neu entdeckt. Und wie es sich für eine »Neuentdeckung« gehört, kommen überraschende und bisher unbekannte Facetten zum Vorschein. Zudem bringt Michael Brie den Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler in einen höchst anregenden Dialog mit der US-amerikanischen Feministin Nancy Fraser. So lernt man nicht nur einen klugen Intellektuellen kennen, sondern auch den Menschen Karl Polany. Übrigens können auch Karl Marx und Friedrich Engels mit Unterstützung Elmar Altvaters hellblau neu entdeckt werden.

Joachim Bischoff [Lektorat | Redaktion]

Im nationalsozialistisch beherrschten Deutschland wurden von der Gestapo verschiedene Widerstandsgruppen mit Kontakten zur Sowjetunion unter dem Label »Rote Kapelle« zusammengefasst, auch wenn sie weder miteinander kooperierten noch voneinander wussten. Dazu gehörten die Gruppe um Harro Schulze-Boysen und Arvid Harnack in Berlin sowie von Leopold Trepper aufgebaute nachrichtendienstliche Gruppen in Paris, Brüssel und anderswo. Eine Gruppe in Warschau stand mit dem Nachrichtendienst der Roten Armee GRU in Verbindung. Ihr Leiter war Rudolf Herrnstadt, Koordinator wurde nach Beginn des Zweiten Weltkriegs der nach Berlin übergesiedelte Gerhard Kegel. Der spätere Verleger Helmut Kindler, seine Jugendfreundin Ilse Stöbe und Rudolf von Scheliha waren ebenfalls in Warschau aktiv. Kindler unterhielt als Kriegsberichterstatter und Redakteur einer Soldatenzeitung in Warschau ein Waffenlager für eine polnische Widerstandsgruppe. Scheliha hatte Kontakte zum polnischen Widerstand. 1940 fand Ilse Stöbe in Berlin eine Anstellung in der Informationsabteilung des Auswärtigen Amtes und setzte die von Herrnstadt begonnene Zusammenarbeit mit dem Diplomaten Scheliha fort. Die von ihm erhaltenen streng geheimen Berichte zu den Vorbereitungen des Überfalls auf die Sowjetunion gab sie an diese weiter. Scheliha und Stöbe wurden verhaftet und 1942 von den Nazis hingerichtet. Die Diskriminierung des Netzwerkes »Rote Kapelle« wurde in der Bundesrepublik Deutschland fortgesetzt. Schelihas und Stöbes Handeln galt im Auswärtigen Amt nicht als Widerstand, sondern als Verrat, wie Außenminister Frank-Walter Steinmeier bei der Aufnahme von Ilse Stöbes Namen im August 2014 auf die Gedenktafel in der Wilhelmstraße festhielt. Die ganze Geschichte ist nachzulesen in dem soeben in einer aktualisierten Auflage erschienenen Buch von Hans Coppi und Sabine Kebir Ilse Stöbe: Wieder im Amt.

Wie man diese Republik auch sehen kann, erzählt Neil MacGregor in seinem Buch Deutschland. Erinnerungen einer Nation. Ohne die Schrecken der NS-Zeit zu relativieren, zeigt er die Vielfalt und den Reichtum der deutschen Geschichte. Die Vereinigung hat das neue Deutschland gezwungen, zwei unterschiedliche historische Narrative von Ost- und Westdeutschland miteinander zu konfrontieren und über eine gemeinsame Geschichte nachzudenken. MacGregor veranschaulicht, dass die deutsche Geschichte aus vielen deutschen Geschichten besteht. Er bewundert an der »deutschen Einstellung zur Geschichte, zumal seit 1989, ... die Bereitschaft, mit der unbequemen Wahrheit zu ringen und mit ihr zu leben. Das entspricht einer schottisch-kalvinistischen Vorstellung vom Wert des schmerzlichen Kampfes, nach dem Motto: ›Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.‹ Deutschland hat in den vergangenen 25 Jahren eine äußerst rigorose Gewissensprüfung vorgenommen. Kein anderes Land hat das getan.«

Gerd Siebecke [Lektorat | Redaktion | Herstellung | Geschäftsführung]

Ich bleibe meinen Empfehlungen treu, denn erneut hat mich der kochende und schreibende Häuptling der Stuttgarter Wielandshöhe überrascht. Diesmal nicht mit dem Rezept für einen unschlagbaren Salat aus feinst gehobeltem Fenchel mit Tomatenfilets und hauchdünn geschnittener Amalfizitrone, auch nicht mit seinen kulinarisch inspirierten Spaziergängen durch Paris, sondern mit Blasmusik. Vincent Klink kann auch Basstrompete! Die mit dem Stupor Mundi Orchester eingespielten Stücke in Anknüpfung an die Musik aus der Stauferzeit auf der gleichnamigen CD sind Jazz vom Feinsten. Nicht handelsüblicher, sondern einer, der sich der Erneuerung verschrieben hat – ein musikalischer Genuss. Schade, dass Klink und sein Musik-Kumpel Patrick Bebelaar am Piano sich mit Konzerten im Norden so rar machen.

Zu Genuss passt die Geschichte der ältesten Arbeitnehmerorganisation Deutschlands: Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten ist in diesem Jahr 150 geworden. Das bei VSA: erschienene, großformatige, in Halbleinen gebundene Jubiläumsbuch Vom Vorleser zum Mindestlohn erzählt spannende Geschichten von Engagement und Solidarität und ist opulent bebildert (das von Stefan Körzell und Claudia Falk herausgegebene Mindestlohn-Büchlein gibt es bei einer Geschenktipp-Bestellung dazu!). Die NGG hat außerdem ihre Mitglieder und einige Prominente nach persönlichen Lieblingsrezepten gefragt – und 150 frische Rezepte für Gute Arbeit bekommen. Übrigens auch eins von Vincent Klink: selbst gemachte Fischstäbchen.

Richard Detje [Lektorat | Redaktion | WISSENTransfer]

Die Welt ist aus den Fugen geraten. Immer schneller reiht sich ein politisches Großthema an das andere: das eine nicht ansatzweise bearbeitet, folgt schon das nächste. Gerade in dieser Zeit ist es wichtig, über den tagesaktuellen Tellerrand zu schauen. Zwei Bücher von Autoren möchte ich empfehlen, die das getan haben. Mit Michael Burawoys Öffentlicher Soziologie könnten die Entwicklungspfade der Transformationsprozesse ausgeleuchtet werden. Der Autor, bis 2014 Präsident der International Sociological Association, ist hierzulande bis heute weitgehend unterhalb des Radars der wissenschaftlich-politischen Öffentlichkeit gesegelt. Dank Brigitte Aulenbacher, Klaus Dörre und Hans-Jürgen Urban sollte sich das ändern. Sie haben dafür gesorgt (und im Vor- und Nachwort begründet), dass erstmals zentrale, zusammenfassende Aufsätze in hervorragender Übersetzung auf deutsch vorliegen: von der »öffentlichen Soziologie« über den »soziologischen Marxismus« bis zur übergreifenden Soziologie einer aus den Fugen geratenen Welt.

Karl Georg Zinn erweitert in Vom Kapitalismus ohne Wachstum zur Marktwirtschaft ohne Kapitalismus die gerade erst begonnene Debatte über das »Ende des Kapitalismus« in einer sehr anregenden und befruchtenden Weise. Indem er erstens die Wahrscheinlichkeit einer Zwischenstufe eines Kapitalismus ohne Akkumulation diskutiert und deren Widersprüche (Stichwort Neofeudalismus) auslotet. Zweitens, indem er die Prognose Schumpeters »Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie« in Erinnerung ruft. Leseprobe: »Die Liebe zum Geld als einem Wert an sich wird als das erkannt werden, was sie ist, ein ziemlich widerliches, krankhaftes Leiden, eine jener halb-kriminellen, halb-pathologischen Neigungen, die man mit Schaudern den Spezialisten für Geisteskrankheiten überlässt...« Wer hat das geschrieben? Auskunft auf S. 141. 

Christoph Lieber [Redaktion | Lektorat]

Die politische Weltlage, in der wir das Weihnachtsfest und den Jahreswechsel feiern, trägt Spuren der »Urkatastrophe« zu Beginn des letzten Jahrhunderts. So ist die Geschichte des Failing State Syrien – heute ein Glied in der Kette von Krieg, Vertreibung, Flucht, kulturellem Vandalismus, religiösem Fundamentalismus und Terroranschlägen – ohne die imperialistisch-kolonialistischen Neuordnungen 1916 zwischen Großbritannien und Frankreich nicht zu verstehen. Aber auch Deutschland hat die Mitverantwortung am Ausbruch und den Folgewirkungen des Ersten Weltkriegs Jahrzehnte zu verdrängen versucht. Mit seinem Buch Hundert Jahre deutsche Kriegsschulddebatte hat der Historiker Werner Röhr einen aufklärerischen Kontrapunkt gesetzt. Denn es ist im öffentlichen Bewusstsein dieser Bundesrepublik kaum noch präsent, mit welchem Aufwand Regierungen, Parlamente, Institutionen und Verbände der herrschenden Klassen seit Ende 1918 bestrebt waren, systematisch die »Kriegsschuldlüge« des Versailler Friedensvertrages zu bekämpfen, zu denunzieren, auszuhöhlen und schließlich zu begraben. Die unter Federführung des Kriegsschuldreferates des Auswärtigen Amtes betriebene Kampagne wird in ihren Grundzügen rekonstruiert – ein Bildungskrimi unterm Weihnachtsbaum.

Wird der Leser bei dieser »Geschichtssonate« mit dem Thema Schuld und Verdrängung konfrontiert, so kann er als Hörer von drei der anspruchsvollsten Klavierzyklen in der Musikgeschichte – Goldberg, Diabelli, People United – die Tage der Besinnung und des Jahreswechsels mit Variationen genießen, die in der Sprache der Musik vom erfahrungshungrigen Menschen handeln, der seiner eigenen Wahrnehmung immer wieder misstraut und auf der Suche nach ihrer inneren Bedeutung die Wirklichkeit formt und umformt. Der russische Pianist Igor Levit, Jg. 1987, ballt dabei für seine Bach- und Beethoveninterpretation sowie für Frederic Rzewskis zyklopisches Variationswerk über das chilenische Revolutionslied ¡El pueblo unido jamás será vencido! von Mitte der 1970er Jahre nicht nur fünf, sondern gleich zehn Finger zum faustischen Tastenanschlag.

Bernhard Müller [Lektorat | Redaktion | Geschäftsführung]

Die »Griechenland-Krise« und das Erstarken des Rechtspopulismus waren zwei prägende Themen des abgelaufenen Jahres. Zu beiden Themen gibt es Sachbücher, die helfen, beides besser zu verstehen. So gehen Joachim Bischoff und Björn Radke in dem Band »Isch over«? Griechenland und die Eurozone der Frage nach, was der Ausgangspunkt der Krisenentwicklung in Griechenland war (ein klientelistisch geprägter Kapitalismus). Sie kommen zu dem Schluss, dass es viel zu kurz greift, das mit Zustimmung der Mehrheit von Syriza auf den Weg gebrachte dritte Memorandum nur als Niederlage oder gar als »Verrat« zu begreifen. Es biete vielmehr die Chance, den Reformprozess in Griechenland fortzusetzen – ein schwieriger »Weg von Arbeit und Kampf« (Alexis Tsipras), für den es keine einfachen Lösungen gibt.

In dem Band Rechtspopulismus in Europa. Gefahr für die Demokratie verweist der Herausgeber Ernst Hillebrand zu Recht darauf, dass der Rechtspopulismus eine neue Qualität erreicht, die Linke dem zu wenig Bedeutung beigemessen und es bisher »nicht geschafft hat, den Wachstumsprozess der Rechtspopulisten zu stoppen«. Nun kommt die »Alternative für Deutschland« in aktuellen Umfragen auf 10% Zustimmung, in anderen Ländern wie Frankreich, Österreich oder Schweden ist der Zuspruch noch sehr viel stärker. Wer wissen will, wofür wichtige rechtspopulistische Parteien in Europa stehen, welche Dynamik sie auszeichnet und wie ihre soziale Verankerung aussieht, findet in dem sehr empfehlenswerten Band einen guten Überblick. Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der Analyse der Ursachen für die Erfolge der Rechtspopulisten und was die Linke dagegen tun kann.

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