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Theodor Bergmann

Die Thalheimers

Geschichte einer Familie undogmatischer Marxisten

256 Seiten | 2004 | EUR 20.40 | sFr 36.00
ISBN 3-89965-059-X 1

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Kurztext:
Die Thalheimers haben in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine wesentliche Rolle in der antimilitaristischen, marxistischen Arbeiterbewegung Deutschlands gespielt.


Anhand der großen politischen Veränderungen der Zeit zeichnet Theodor Bergmann die Aktivitäten und Geschichte dieser jüdischen Familie nach.

Mit dem Namen August Thalheimer wird der marxistische Intellektuelle aus der KPD der Weimarer Republik, der Freund und Kampfgefährte des frühen KPD-Vorsitzenden Heinrich Brandler, der Mitbegründer des Spartakusbundes, der KPD, der KPD(Opposition) und einer der ersten und gründlichsten Analytiker des Faschismus in der Zwischenkriegszeit verbunden. In der offiziellen Historiographie der kommunistischen Bewegung wurden die kritischen Kommunisten August Thalheimer, seine Schwester Bertha und seine Frau Cläre bis 1989 weitgehend ignoriert. Ihre Lebenswege und Aktivitäten in der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sowie ihre politischen Beiträge für das soziale Gedächtnis aufzubewahren und der Vergessenheit zu entreißen, ist Sinn dieser Geschichte der Thalheimers.

Die Familie Thalheimer hat in der deutschen revolutionär-sozialistischen Bewegung eine wichtige Rolle gespielt. Zu dem frühen Freundeskreis gehörten u.a. Friedrich Westmeyer, Clara Zetkin und Rosa Luxemburg. Die Stationen der Familie spiegeln Brüche und Katastrophen der deutschen Geschichte, Erfolge und Niederlagen der deutschen Arbeiterbewegung wider: antimilitaristische Arbeit; Zimmerwalder Linke; Chefredakteur der "Roten Fahne" 1919-1923; "Ehrenexil" in der Sowjetunion; Mitherausgeber von "Gegen den Strom"; Verfolgung in Nazi-Deutschland und Emigration nach Kuba; August Thalheimers Kommentierung der weltpolitischen Konstellationen nach 1945 und die gescheiterten Bemühungen um seine Rückkehr nach Deutschland. Mit 64 Jahren starb "dieser jüdische Schwabe oder schwäbische Jude, Dr. phil., Historiker und Philosoph und Literaturhistoriker und leninistische Berufsrevolutionär" (Hans Mayer) am 19. September 1948 auf Kuba.

Der Autor
Theodor Bergmann, Prof. Dr., ehemaliger Leiter des Fachgebietes International vergleichende Agrarpolitik der Universität (Stuttgart-)Hohenheim; frühere Buchveröffentlichungen im VSA-Verlag: Im Jahrhundert der Katastrophen. Autobiographie eines kritischen Kommunisten (2000), "Gegen den Strom". Die Geschichte der KPD(Opposition) (2001).

Rezensionen

Mutige Abweichler Die Familie Thalheimer hat in der deutschen Arbeiterbewegung wichtige Spuren hinterlassen, denen Theodor Bergmann, der 88-jährige Agrarwissenschaftler und einstiges Mitglied der KPDO, kenntnisreich nachgeht. Die KPDO, die Kommunistische Partei Deutschlands (Opposition), entstand an der Jahreswende 1918/29. Ihr gehörten aus der KPD ausgeschlossene oder ausgetretene Mitglieder an. Diese hatten sich von ihrer einstigen Partei aus drei Gründen trennen müssen: Die KPD-Führung ordnete sich unter Ernst Thälmann völlig der Moskauer Politik unter, sie sah in der SPD einen Wegbereiter des Faschismus und negierte die demokratischen Errungenschaften der Weimarer Republik. Die KPDO stand in all diesen Fragen zur KPD konträr. Sie sah in der deutschen Republik den besten Kampfboden der Arbeiterbewegung für den Sozialismus. Wie sehr dieser Bruch die kommunistische Bewegung entzweite und warum nur wenige Kommunisten dem letztlich selbstmörderischen Kurs der KPD-Führung innerparteilichen Widerstand entgegensetzten, zeigt Bergmanns neues Buch in exemplarischer Weise. Die Familie Thalheimer – die Geschwister August und Berta sowie Augusts Frau Claire – gehörte zur hellsichtigen Minderheit radikaler Marxisten in der deutschen Arbeiterbewegung, die schon vor 1914 den Anpassungskurs der SPD kritisierten, dem Kriegskurs ab 1914 widerstanden und 1918 / 19 die KPD mitbegründeten. August Thalheimer (1884-1948), promovierter Linguist, arbeitete seit 1910 als Journalist und Redakteur verschiedener SPD-Zeitungen. Mit Rosa Luxemburg, Franz Mehring, Hermann Duncker und Clara Zetkin gehörte er schon vor 1914 zu den intellektuellen Köpfen der marxistischen Linken. Dieser Kreis begründete 1915 die Gruppe Internationale, die spätere Spartakus-Gruppe, die zur Keimzelle der KPD wurde. In der KPD war Thalheimer zeitweilig Chefredakteur der "Roten Fahne" und der "Internationale", gemeinsam mit seinem Freund Heinrich Brandler, ab 1921 Wortführer eines realistischen Kurses, der putschistische Abenteuer ablehnte. 1924 aller Funktionen enthoben, mussten Brandler und Thalheimer zeitweilig ins sowjetische "Ehrenexil" und wurden von jeder Arbeitsmöglichkeit in Deutschland zunächst ausgeschlossen. Ab 1929 bemühte sich die KPD vergeblich um eine, wie es hieß, "Reform des deutschen Kommunismus an Haupt und Gliedern". Doch die KPD war zur stalinistischen Kaderorganisation geworden. 1933 erlitt ihre ultraradikale Politik ebenso wie der Glauben der SPD, die herrschenden Klassen würden die demokratischen Spielregeln respektieren, Schiffbruch. Mit August Thalheimer ging seine Frau Claire (1892-1983) über Frankreich nach Kuba ins Exil. Mit Sprachunterricht hielt sie die Familie oftmals über Wasser. Nach Augusts Tod in Havanna zog sie zu ihrem Sohn Roy (geb. 1922) nach Australien. Die studierte Ökonomin Berta Thalheimer (1883-1959) war 1915/16 Teilnehmerin der Konferenzen von Zimmerwald und Kienthal, die sich um eine Neuformierung der marxistischen Linken im internationalen Maßstab bemühten. 1917 wurde sie zur Zuchthaushaft verurteilt, doch durch die Novemberrevolution befreit. Auch sie arbeitete aktiv in der KPD, dann der KPDO mit. 1933 wurden sie und ihre beiden Kinder, die als "Halbjuden" galten, fortschreitender Diskriminierung durch die Nazis ausgesetzt. 1941 wurde Berta Thalheimer in ein Judenhaus in Stuttgart gesperrt, von dort 1943 nach Theresienstadt deportiert. Sie überlebte die Barbarei, kehrte nach Stuttgart zurück und schloss sich zunächst der KPD an. Sie hoffte, wie viele frühere Mitglieder der KPDO, dass die KPD aus der Geschichte die notwendigen Lehren gezogen habe. Dies war jedoch nicht der Fall. Berta Thalheimer arbeitete somit ab 1948 für die Gruppe "Arbeiterpolitik" und deren gleichnamige Zeitschrift mit, die an die Politik der KPDO anzuknüpfen suchte, aber im restaurativen Klima der frühen Bundesrepublik kaum Adressaten fand. Doch langfristig zeigte die Tätigkeit dieser Familie positive Wirkungen: Die Faschismusanalysen August Thalheimers wurden ab den 1960er Jahren zunehmend von der deutschen und internationalen Linken rezipiert. Das Wirken der KPDO, darunter der Familie Thalheimer, galt neuen marxistischen Strömungen im Westen nun als Beispiel für eine humane, demokratische Traditionslinie im deutschen Kommunismus. Die SED-Führung verzichtete hingegen zu ihrem eigenen Schaden auf die Aneignung der politischen Erkenntnisse August Thalheimers und seiner Genossen. Umso wichtiger ist in einer heute völlig veränderten Welt der Grundgedanke, der das politische Handeln der Thalheimers bestimmte: Sozialismus und Demokratie als notwendige Einheit zu begreifen. Von Mario Keßler (ND 05.10.04)

Leseprobe 1

Vorwort

Die Familie Thalheimer hat in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts eine wesentliche Rolle in der antimilitaristischen, marxistischen Arbeiterbewegung Deutschlands gespielt. Sie hat zur organisatorischen Formierung und politischen Orientierung auf vielfache Weise beigetragen. Schon der Vater Moritz zog von seinem Heimatdorf Affaltrach nach Winnenden bei Stuttgart und dann nach Stuttgart und nahm einen politischen und freundschaftlichen Kontakt zu Clara Zetkin und ihren politischen Gesinnungsgenossen auf. In diesem Kreis wurden die Kinder August und Bertha erzogen und in die aufsteigende Arbeiterbewegung einbezogen. August und Bertha leisteten unter den gefährlichen Bedingungen des Belagerungszustandes im Ersten Weltkrieg wichtige Vorarbeiten für den Spartakusbund und in ihm; Cläre, Augusts Frau, unterstützte ihre Schwägerin Bertha. Der Vater half gleichfalls bei der Konsolidierung des Westmeyer-Flügels, als dieser aus der SPD gedrängt wurde. Von der Gründung der KPD Ende 1918 bis zur Absetzung der Brandler-Thalheimer-Zentrale (siehe Kap. 4.5) Ende 1923 war August einer der führenden Köpfe der Partei, ihr wichtigster Analytiker und Theoretiker. Nach der Rückkehr aus dem Moskauer "Ehrenexil" 1928 war er Mitbegründer und wieder wichtigster Theoretiker der KPD-Opposition. Soweit es ihm in der Emigration möglich war – während der Illegalität und dem Widerstand der KPD(O) nach 1933 und wieder ab 1945 bis zum Tode – leistete er gleichfalls seine Beiträge aus der Ferne für seine alten Kampfgenossen. Bertha kehrte 1945 aus dem KZ Theresienstadt zurück und begann wieder ihre politische Arbeit. August Thalheimers theoretische und praktische Arbeit wäre viel schwieriger gewesen ohne die unermüdliche Hilfe und Fürsorge seiner Frau Cläre. Sie hat in allen Lebenslagen die Kontakte aufrechterhalten und zum Lebensunterhalt oft mehr beigetragen als August. So ist das persönliche Schicksal der Thalheimers eng verwoben mit dem Auf und Ab der deutschen Geschichte und der marxistischen deutschen Arbeiterbewegung, ihr Leben ein Spiegelbild der Höhen und Tiefen unserer Geschichte – auch der Siege und Niederlagen. Als kritische Kommunisten wurden sie in der offiziellen Historiographie der kommunistischen Bewegung bis 1989 weitgehend ignoriert. Ihre Beiträge zu dieser großen Bewegung aufzubewahren und der Vergessenheit zu entreißen, ist Sinn der vorliegenden politischen Geschichte der Familie Thalheimer. Der andere Zweig der Thalheimer-Familie, der von Affaltrach nach Öhringen gezogen war, kann in diesem Buch nur kurz behandelt werden. Er wurde auf andere Weise Spiegelbild der deutschen Geschichte. Im guten Glauben an deutsche Kultur und Zivilisation hatten seine männlichen Angehörigen ihrem "Vaterland" treu gedient und waren dekoriert aus dem Ersten Weltkrieg heimgekehrt. Der deutsche Kapitalismus zeigte ihnen im Dritten Reich seinen "Dank des Vaterlandes". Viele dieser Thalheimers wurden Opfer des faschistischen Verbrechens; ein Teil konnte sich über den Atlantischen Ozean retten. Niemand von ihnen überlebte in Deutschland. So ist dieses Buch ein Denkmal für die aktiven Kämpfer gegen den deutschen Kapitalismus wie für seine unschuldigen und wehrlosen Opfer. Soweit möglich, folgt die Darstellung dem Ablauf der großen politischen Veränderungen. Die Namen von Berta, Cläre und Ruben werden im Laufe der Jahre unterschiedlich geschrieben (Berta – Bertha; Cläre – Klara; Ruben – Roy). Vielen Helfern habe ich zu danken: Ernst Roller und Harry Murso, Obersulm, für Hilfe bei der Materialsammlung; den Mitarbeitern der Archive in Kopenhagen (Arbejderbevägelsens Bibliotek og Arkiv), Moskau (Russisches Zentrum zur Aufbewahrung und zum Studium der Dokumente der neuesten Geschichte), Berlin (SAPMO-BA) und Bonn (Archiv der sozialen Demokratie) für Unterstützung bei der Archivarbeit, Sylvelyn Hähner-Rombach für die große Geduld bei der Umwandlung meiner Schrift in lesbaren Text. Ferner haben ihre Privatarchive geöffnet: Roy Thalheimer, Sebastian, Victoria, Australien, und Elli Schöttle, Stuttgart. Dank gebührt auch meinen Freunden Gert Schäfer, Hannover, Mario Kessler, Berlin, Wolfgang Haible, Stuttgart, und Helmut Arnold, Wiesbaden, für kritische Lektüre des Entwurfes zu diesem Buch. Für alle Irrtümer und Urteile trage ich allein die Verantwortung. Stuttgart, im Januar 2004

Inhalt:

Vorwort
1. Die Ursprünge
1.1 Die sozialistischen Thalheimers
1.2 Die Schicksale des zweiten Thalheimer-Zweiges
2. Das Deutsche Reich von der Gründung bis 1914
2.1 Das Deutsche Reich um die Jahrhundertwende
2.2 1900-1914: Freiheit und Bildung in der Großstadt
2.3 Die Lehrerinnen: Clara Zetkin und Rosa Luxemburg
2.4 August Thalheimers Politische Übersichten in der "Gleichheit"
2.5 Am Vorabend des Ersten Weltkrieges
3. Der Erste Weltkrieg
3.1 Der Krieg und die internationale Arbeiterbewegung
3.2 Sorgen und Freuden eines Parteiredakteurs
3.3 Bertha Thalheimers antimilitaristische Arbeit
3.4 Die internationalen Konferenzen in Zimmerwald und Kienthal
3.5 Vorbereitung des Spartakusbundes – der Prozess gegen Bertha Thalheimer
3.6 Zuchthaus-Korrespondenz
3.7 Moritz Thalheimers Hilfe für die Westmeyer-Gruppe
4. In der revolutionären Nachkriegszeit
4.1 Die revolutionären Kräfte organisieren sich
4.2 Redakteur des Zentralorgans
4.3 Der Fehler der Offensivtheorie und seine Korrektur
4.4 Der Abschwung der revolutionären Nachkriegswelle
4.5 Schicksalsjahr 1923 – Gratwanderung der KPD
4.6 Auf den Komintern-Kongressen
5. Die erste Emigration
5.1 1924: Die Sowjetunion im Aufbruch
5.2 Im Moskauer "Ehrenexil"
5.3 Das Parteiverfahren
5.4 Beiträge zu Theorie und Praxis des Marxismus
5.5 Die endgültige ultralinke Wende
5.6 Der Kampf um die Rückkehr nach Deutschland
5.7 Ein letzter Test
6. Der Weg in den faschistischen Abgrund
6.1 1928: Deutschland am Beginn der ökonomischen und politischen Krise
6.2 1928-1933: Thalheimer in der KPD(O)
6.3 Herausgeber von "Gegen den Strom"
6.4 Thalheimers Methode
7. Verfolgung und Emigration
7.1 1933-1939: Die Thalheimer-Familie in der Vorkriegszeit
7.2 1933-1939: Politische Arbeit im zweiten Exil
7.3 Die Moskauer Schauprozesse erschüttern die kommunistische Bewegung
7.4 1933-1939: Analysen der Weltpolitik
7.5 Die Odyssee der Thalheimer-Familie
7.6 Roy Thalheimers Weg nach Australien
7.8 Exil in Cuba
7.9 Bemühungen um die Rückkehr nach Deutschland
8. Nach dem Zweiten Weltkrieg
8.1 Die weltpolitischen Veränderungen
8.2 Thalheimers "Politische Übersichten" und Analysen
8.3 Thalheimers Position zu den Nachkriegsproblemen
8.4 Kunst und Revolution
9. August Thalheimers Tod
10. Ein Gesamtbild
10.1 Eine sozialistische Familie
10.2 Clara Zetkin und die Thalheimer-Familie
10.3 Die Freundschaft mit Heinrich Brandler
10.4 Das Luxemburgsche Erbe
10.5 Thalheimers Marxismus
10.6 Die Thalheimers und die jüdische Frage
10.7 Thalheimers Selbstverständnis
10.8 Elemente eines demokratischen Kommunismus
10.9 Die Bewegung und ihre Mitglieder
Literatur
Ergänzende Bibliographie: August Thalheimer: Werk und Literatur
August Thalheimer als Redakteur
Personenindex
Sachindex
Abkürzungen

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